Saarbrücken
& Jahrgang
Mai 1953
Nummer 7
ORGAN DER
DER ARBEITER, RNGESTELLTEN UND DER RITEN
Mit vereinter Kraft vorwärts!
Die Kundgebungen der Einheitsgewerkschaft am 1* Mai 1953
Wie in den vergangenen Jahren rief
die Einheitsgewerkschaft auch zum 1.
Mai 1953 die Arbeitnehmerschaft der
Saar auf, mit ihr für Frieden, Freiheit
und soziale Gerechtigkeit zu demon
strieren.
Wenn der Gewerkschaftsausschuß ein
stimmig die Durchführung von nur 3
Großkundgebungen in Saarbrücken,
Neunkirchen und Homburg beschlossen
hatte, so aus der Erwägung heraus, daß
eine Zersplitterung in Einzelkundgebun
gen in den verschiedensten Orten gerade
in diesem Jahre in der Oeffentlichkeit
nicht die erwünschte Resonanz finden
würde. Der Gewerkschaftsausschuß war
sich bewußt, daß infolge der Vorkomm
nisse in der jüngsten Vergangenheit eine
g anze Reihe Arbeitnehmer aus falschem
essentiment den Mai-Kundgebungen
fernbleiben werde und entschloß sich so
mit Recht zu einer Konzentrierung der
Veranstaltungen auf wenige Plätze. Der
geschlossene Eindruck der Kundgebun
gen am 1. Mai 1953 hat dem Gewerk-
s^jiaftsausschuß recht gegeben.
Zweifellos — warum sollten wir es
verhehlen — boten die Mai-Kundgebun
gen äußerlich nicht ganz das imposante
Bild der Vorjahre, lastete doch auf dem
1. Mai 1953 die traurige Hypothek
der verflossenen Monate, in denen per
sönlicher Ehrgeiz und Verkennung
der einer Einheitsgewerkschaft ih ih- i
rer politischen Tätigkeit I nun I ein- j
mal gezogenen Grenzen die /Gelenk-/
Schaftsbewegung an der Saar/ iü ainej
schwere Krise gebracht buttert. Nui' zrt
verständlich, daß die Vorkommnisse im
I. V. Bergbau und zuletzt das Verbot
eines ehemals stolzen Verbandes durch
die Regierung, nicht spurlos vorüberge
hen konnten, und doch, fielen auch die
Teilnehmerzahlen gegenüber den Vor-
i 'ahren ab, verfehlten die Mai-Kundge-
mngen 1953 durchaus nicht ihren Ein
druck auf die Oeffentlichkeit.
Nicht zuletzt war der 1. Mai 1953
der Tag der Besinnung der Einheitsge
werkschaft auf ihre Aufgaben in Wirt
schaft und Staat, Aufgaben, die zu ihrer
Erfüllung eines unbeugsamen und ge
einten Willens bedürfen.
Wir wollen — und das kam in allen
Reden am 1. Mai 1953 und aus den
Kundgebungen selbst deutlich zuin Aus
druck — den Festtag der Arbeit nicht
herabwürdigen zum bloßen Erinnerungs
tag, als bliebe für die Gegenwart und
die Zukunft nicht noch Uebergroßes zu
tun, wir wollen ihn aber auch nicht
zum Tummelplatz politischer Leiden
schaften werden lassen, die in der be
sonderen Situation des Saarlandes nur
zu leicht ihren Nährboden finden kön
nen, aus dem blinder und zerstörerischer
Nationalismus hervorschießt.
Nicht umsonst appellierten deshalb die
Versammelten in einer fast überall ein
stimmig angenommenen Resolution be
sonders an Deutschland und Frankreich,
sich auch in der Saarfrage in einer Lö
sung zu finden, die unter Berücksichti
gung der wirtschaftlichen Interessen der
saarländischen Bevölkerung endlich den
Frieden bringt- und die Voraussetzun
gen für ein geeinte,« Europa schafft.
Wir können als verantwortungsbe
wußte Gewerkschaft die Existenz un
serer Bevölkerung nicht nationalistischen
Zielen, die niemanden, auch nicht
Deutschland, Vorteile bringen. opfern,
Aus dem 3nhatt:
Was wir nicht verstehen!
Die Lebenshaltungskosten im Saarland
Entwicklung der Produktion und Lohnsummen
Kapitalabfindung schafft neuen Wohnraum
Ferienwerk der Arbeitskammer
Unbekannte Saar
Die Theatergemeinde teilt mit
Aus dem Arbeitsrecht
Aus den Verbänden
wir können aber auch nicht dulden, daß
die Saarbevölkerung in ein politisches
Fahrwasser gezogen wird, das unter Ver
kündung sozialer Ziele nur in blutiger
Diktatur und ärgstem Terror münden
kann. Dieser Wille kam in allen Kund
gebungen eindeutig zum Ausdruck.
Aus allen Reden am Mai klang
deutlich mahnend die Forderung, alles
zu lassen, was uns trennt, und sich fest
zu einen in dem großen Ziel, Vorkämp
fer zu sein für Frieden, Freiheit und
soziale Gerechtigkeit. Das war auch der
Wille der Manifestanten, die sich ge
schlossen und diszipliniert hinter die
Forderungen der Einheitsgewerkschaft
stellten. Abgesehen von ganz wenigen
Zwischenrufen einiger Unbelehrbarer
blieben alle Veranstaltungen von Stö
rungen frei, so daß ihr Eindruck in
der gesamten Oeffentlichkeit nicht ge
trübt werden konnte.
Mögen sich in diesem festen Willen
aber auch alle diejenigen wieder in der
Einheitsgewerkschaft vereinen, die heute
noch glauben, abseits stehen zu müssen.
Hoffen wir, daß der Ruf der Mai-Kund
gebungen auch in Ohren und Herzen
derjenigen gedrungen ist, 1 die in ewiger
Indifferenz der Gewerkschaftsbewegung
fernbleiben. Ob sie sich endlich der Un
fairneß ihrer Haltung, den sozialen
Kampf den aktiven Kameraden über
lassen zu wollen, bewußt werden?
Die Mai-Kundgebungen gaben uns die
Ueberzeugung, daß die Arbeitnehmer
schaft an der Saar nach wie vor gewillt
ist, sich in ihrer Organisation, der Ein
heitsgewerkschaft, unentwegt für deren
gerechte Forderungen einzusetzen, und
wir wissen, daß unser Kampf um so
ziale Gerechtigkeit Erfolg haben wird,
mögen die Widerstände noch so groß
sein. Diese Widerstände, mögen *>ie aus
Staat oder Unternehmertum kommen,
werden wir überwinden, da wir uns der
Stärke, die in unserer Einigkeit liegt,
wieder bewußt sind.
Mit vereinter Kraft vorwärts zu schrei
ten, was das Gelöbnis des l. 1 Mai 1953,
und nicht zu erlahmen in unserem
Kampfe für Frieden,' Freiheit und soziale
Gerechtigkeit.
iiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiimiiiiiiiiiiiimiimiiiiimiiiimiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiii
Unsere Forderungen
Die Mai-Resolution der Einheitsgewerkschaft
Altersversorgung für alle Arbeit
nehmer garantiert ist.
Die am 1. Mai 1953 in Saarbrücken,
oii, Homburg und Merzig ver
sammelten Teilnehmer an den Mai-Kund
gebungen der Einheitsgewerkschaft stel
len fest, daß die Leistungen der Ar
beitnehmerschaft in der Produktion auch
in dem letzten Jahr bedeutend gestie
gen sind. Dadurch haben die Profite
der Arbeitgeber und der Geschäftswelt
sich enorm vermehrt.
Das von der Regierung gegebene Ver
sprechen zur Durchführung einer Preis-
Scnkungs-Aktion führte, trotz Verbilli
gung der Rohstoffe auf dem Weltmarkt
nicht zu dem erwarteten Ergebnis. Im
Gegenteil, eine enorme Verteuerung der
Lebenshaltungskosten trat durch Preis
erhöhung ein.
Trotz der erhöhten Produktionsleistung
der Arbeitnehmer und der erfolgten
Preissteigerung, hat ein großer Teil der
Arbeitnehmerschaft keine Lohn- und Ge
haltserhöhung erhalten, wodurch sich die
Kaufkraft der Arbeitnehmerschaft ge
genüber dem Vorjahre bedeutend ver
schlechtert hat.
Anstatt die Arbeitnehmerschaft an den
durch die erhöhte, Produktion nachge
wiesenen Gewinnen zu beteiligen, hat
die Regierung den Großverdienern noch
bedeutende Steuervergünstigungen ver
schafft, damit sie noch mehr verdienen
können, während man auf der anderen
Seite jede Steuererleichterung ablehnt.
Auf dem Gebiet der Sozialversiche
rung ist das Ergebnis ebenfalls nicht
das von der Arbeiterschaft erwartete.
Ebenso blieben die Forderungen der
Arbeitnehmerschaft auf Mitbestimmung
in den Betrieben und die Verabschiedung
eines fortschrittlichen Betriebsrätegeset
zes unerfüllt.
Auch blieb die Anwendung der auf
Grund der Verfassung gegebenen Tarif
freiheit einem beachtlichen Teil der Ar
beitnehmer versagt.
Die Versammelten erheben am heuti
gen 1. Mai erneut ihre Stimme und for
dern von Parlament und Regierung:
1. für alle Arbeiter, Angestellten und
Beamten eine Lohn- und Ge
haltserhöhung, angepaßt an die
Teuerungsverhältnisse.
2. Einheitlicher Ausbau der Sozial
versicherung,’ wobei ganz besonders
die Schaffung einer ausreichenden
3. Eine Lohnsicherung für alle Ar
beitnehmer als Schutzmaßnahme
gegen Lohnreduzierung für im
Alter abnehmende Arbeitskraft,
zur Sicherung des bisher erwor
benen Einkommens.
4. Die Erhöhung des Krankengeldes
auf den Mindestsatz von 75 o/ 0
des bezogenen Einkommens.
5. Die Bezahlung aller gesetzlichen
Feiertage,
6. den sofortigen Erlaß des Be
triebsräte-Gesetzes,
7. den sofotigen Erlaß des Kiindi-
gungsschutzgesetzes,
8. die Einführung des Tarifvertrags
rechtes für alle Arbeitnehmer.
Die Versammelten sind sich dessen
bewußt, daß die hier aufgestellten For
derungen nur im Kampf verwirklicht
werden können. Sie geloben deshalb,'
alles daranzusetzen, Arbeiter, Angestellte
und Beamte in einer geschlossenen Front,
— und zwar der Einheitsgewerkschaft
— zu formieren, um somit die Voraus
setzung zu schaffen ,welche allein den
hier aufgestellten Forderungen zum Siege
verhelfen kann.
Von den in Paris tagenden Verhand
lungen erwarten die Versammelten Ein
sicht und Erkenntnis, welche den Ver
hältnissen des Saarlandes Rechnung tra
gen, — insbesondere, daß
1. in dem neuen Vertrags werk die
Hemmungen beseitigt sind, welche
dem Saarland die Gleichberech
tigung versagten,
2. die Anerkennung des Eigentums
rechtes des Saarlandes an den im
Saarland liegenden Naturgütern,
— besonders die Einstellung der
Ausbeutung der Warndtkohle
durch die Charbonnagcs de France.
Ferner erwarten die Versammelten,
daß bezgl. der Saarfrage zwischen
Deutschland und Frankreich — unter
Berücksichtigung der wirtschaftlichen In
teressen der saarländischen Bevölkerung
eine Vereinbarung zustandekommt, welche
für beide Völker den Frieden bringt
und die Voraussetzungen für ein ge
eintes Europa schafft.
iiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiimiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiimiiiiiimiiiiiiiimiiimiiimmi
Die Kundgebung in Saarbrücken
Im Mittelpunkt der Kundgebung der Ein
heitsgewerkschaft am 1. Mai 1953 auf dem
Landwehrplatz in Saarbrücken, die vom Kolle
gen Heintz in kurzen, markigen Sätzen eröffnet
wurde, stand das Referat des Kollegen Rauch.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Ge
schichte des 1. Mai, der heute zum Weltfeier
tag der Arbeit geworden ist, führte KoH. Rauch
u. a. folgendes wörtlich aus:
„Der 1. Mai ist heute gesetzlicher Feiertag,
aiber für uns nicht ein Feiertag schlechthin wie
jeder andere, sondern er bedeutet für die Ar-
• beitnehmerschaft ein Symbol. Er ist der Tag
der Erkenntnis und der tieferen Besinnung, d:r
Tag, an dem wir kundtun wollen, daß wir ein
Teil der großen Familie sind, die die Arbeitneh
merschaft darstellt. Wir gehen zur Kundgebung
um zu beweisen, daß wir die gleichen Forde
rungen gutheißen, wie sie die Arbeitnehmer
schaft durch ihre Organisation aufgestellt hat.
Wenn auch manches, was vor 50 und 60 Jah
ren Forderung war, inzwischen erfüllt wurde,
so fehlt es noch an s.i vielem, was uns Ar
beitnehmern rechtlich zusteht.
Höhere Löhne und Gehälter
Vor allen Dingen stehen die Einkommensver
hältnisse der Arbeitnehmerschaft in keinem ge
sunden Verhältnis zur Produktivität unserer
Arbeit. Wir bekommen nur einen Teil des Ge
haltes bezw. des Lohnes, den wir durch unsere
Arbeit und Fleiß verdienen. Ein großer Teil
wird uns widerrechtlich nicht gegeben. Er wird
verteilt unter verschieden© Gruppen, auf die
wir keinen Einfluß haben. Man versucht immer
so darzutun, als wäre die Hauptsache im Wirt-,
schaftsleben der Völker der Besitz und das Ka
pital. Wir hingegen wissen, daß Besitz und
Kapital nur durch unseren Geist und Hände
fleiß geschaffen wurden, und daß diejenigen, dis
es verstanden, unsere Arbeitskraft zu kaufen,
die ßind, die aus unserer Arbeitsleistung für
eich den Profit und letzten Endes das Kapital
geschaffen haben. Der Arbeitnehmer wird nicht
nur ausgebeutet auf der Arbeitsstelle, auf der
er zufällig beschäftigt wird, sondern Handel
und Gewerbe sind die gleichen Ausbeuter wie
das Produktionskapital und die Banken. Gut
organisierte Handels- und Geschäftsuntemeh-
men verstehen es, rücksichtslos den Arbeitneh
mer als Konsumenten auszubeuten. Hinzu
kommt noch, daß der Staat durch seine über
triebene Besteuerung ebenfalls zum Ausbeuter
der schaffenden Menschen wird und sich auf der
anderen Seite nicht genügend für das Wohler
gehen der Mehrzahl der Bevölkerung, das sind
die Arbeitnehmer, einsetzt. Daher sind un
sere Forderungen am 1. Mai Bezahlung von
Löhnen und Gehältern, die der von uns verlang
ten Arbeit und der Verantwortung, die wir als
Arbeitnehmer zu tragen haben, entsprechen.“
Erhöhter Arbeitsschutz
Von Landtag und Regierung forderte Kollege
Rauch den schnellen Erlaß von Gesetzen, die
dem Arbeitnehmer erhöhten Arbeitsschutz ga
rantieren.
Weiterhin verlangte er die Selbstverwaltung
aller sozialen Einrichtungen der Arbeitnehmer
durch von den Versicherten selbst gewählte Or
gane, dies gehöre zu einer wahren Demokratie,
ebenso wie die Wahlen zu Landtag und Ge
meindevertretungen.
In seinen weiteren Ausführungen präzisierte
Kollege Rauch die Forderungen der Einheits
gewerkschaft mit folgenden Worten:
Schutz vor Kündigungen
„Des weiteren muß dem Arbeitnehmer ein
weit größerer Kündigungsschutz gegeben wer
den. Es ist heute noch möglich, daß Arbeit
nehmer, die 30, 40 Jahre und noch mehr ihre
Arbeitskraft einem Unternehmen zur Verfü
gung gestellt haben, mit nichtssagenden Grün
den kurzfristig entlassen werden. Hier fehlt
ein wirksames Kündigungssohutzgesetz. Die
Entwicklung der ganzen Verhältnisse zwingt
die Arbeitnehmerschaft dazu, dieses Gesetz zu
fordern, um den durch Inflationen und Preis
steigerungen mittellos gemachten Arbeitnehmer
ganz besonders im vorgeschrittenen Alter vor
Arbeitslosigkeit und Not zu schützen.
Wo bleibt das Betriebsrätegesetz?
Das schon vor Jahren dem Saarländische«
Landtag vorgelegte Betriebsrutegesetz muß end
lich verabschiedet werden. Eis soll ein Betriebs
rätegesetz sein, dessen Inhalt dem Arbeitneh
mer weitgehende Recht» gibt. Die Einheitsge
werkschaft macht nochmals bei dieser Gelegen
heit darauf aufmerksam, daß sie gefordert hat,
daß ein Drittel aller Aufsichtsratsmitglieder
von der Arbeitnehmerschaft der Betriebe zu
wählen sind, daß ferner dem Betriebsrat ein
Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht gege
ben wird, das demselben ermöglicht, auf die