Oktober 1952
Seite
Arbeitseinkommen und Kautkratt an der Saar
Die „Saarbrücker Zeitung“ veröffent
lichte am 10. 9. 1952 einen der „Saar--
Korrespondenz“ entnommenen Artikel un
ter der Ueberschrift „Arbeitseinkommen
und Kaufkraft an der Saar,“ der nicht
unwidersprochen hingenommen werden
kann.
Wir sind der Auffassung, daß dieser
Artikel der „Saarbrücker Zeitung“ äu
ßerst unglücklich ist und in keiner
Weise über dem Verdacht steht, für
einen politisch-tendenziösen Zweck ge
schrieben zu sein.
Wir vertreten zudem die Ansicht, daß
Kaufkraftvergleiche zwischen der Bun
desrepublik und dem Saarland fehl am
Platze sind, da derartige Untersuchun
gen in der Regel sehr problematischen
Charakter haben.
Zum Beweis hierfür soll angeführt
werden, daß der Schreiber des umstrit
tenen Artikels bei den von ihm ange
führten Konsumgütern bei gleichbleiben
der Mengeneinheit zu einem für das
Saarland günstigeren Preisunterschied
kommt.
Die Preisrelationen verschieben sich je
doch zu Gunsten der Bundesrepublik,
wenn man die im Warenkorb vorge
sehenen Mengen, d. h. die Mengen, die
die fünfköpfige Familie im Laufe eines
Monats tatsächlich zum Unterhalt be
nötigt, der Berechnung zugrunde legt.
Man kommt alsdann zu einem Betrag
von ffrs. 19 741.— im Saarland, dem
in der Bundesrepublik lediglich ein Be
trag von DM 159,24 — ffrs. 13 376.—
gegenübersteht.
Ein weiteres Beispiel hierfür: In dem
Artikel wird dem saarländischen Min
destlohn in Höhe von ffrs. 20850.—
ein Einkommen von DM 100.— in der
Bundesrepublik gegenübergestellt, das
rup.d 4 Millionen Beschäftigte bei einer
Gesamtbeschäftigungszahl von 15,3 Mil
lionen beziehen sollen.
Wir wissen nicht, woher der Artikel-
Schreiber diese Zahlen hat. Nach den
uns vorliegenden Unterlagen kommen wir
jedenfalls zu einem anderen Ergebnis.
So ist den Mitteilungen des Wirtschafts
wissenschaftlichen Instituts in Köln (Heft
10/11, 3. Jahrgang) zu entnehmen, daß
von den rund 18 Millionen Beschäftig
ten der Bundesrepublik lediglich 1 611 000
Arbeitnehmer ein Einkommen beziehen,
das im Monat unter der 100-DM-
Grcj—e liegt.
Berücksichtigt man noch dazu, daß
von den 1611000 Arbeitnehmern über
820 000 weibliche Beschäftigte sind und
die verbleibenden 800000 überwiegend
Jugendliche und Lehrlinge sein werden,
kommt man zu einem ganz anderen Er
gebnis über das Lohngefüge in der Bun
desrepublik.
Auch muß aus Gründen der Objekti
vität festgehalten werden, daß im Saar
land auf Grund der Mindeststunden
lohnvereinbarung vom 28. März 1951
Lohnunterschreitungen durchaus mög
lich sind und von den Tarifvertrags-
parteien beispielsweise in der Textil-
und Bekleidungsindustrie, in der Leder
industrie und in der Fleischwarenindu
strie, mit Rücksicht auf die Wirtschafts
situation dieser Wirtschaftszweige Löhne
vereinbart werden mußten, die den ge
setzlichen Mindeststundenlohn zum Teil
bis zu 20o/o unterschreiten.
Ebenfalls muß erwähnt werden, daß
der gesetzliche Mindeststundenlohn nicht
für alle Wirtschaftszweige Geltung be
sitzt.
So liegt der für die Landwirtschaft bei
ffrs. 68,50 und in den Gartenbaube
trieben bei ffrs. 81.— pro Stunde.
Haushaltsgehilfinnen erhalten in Lohn
zone I gar nur einen Mindestlohn von
ffrs. 60.— pro Stunde.
Es ist daher verständlich, wenn in der
saarländischen Oeffentlichkeit überall zu
der Lohn-Preissituation Stellung genom
men und erörtert wird, was geschehen
müsse, um ein Absinken der Kaufkraft
zu verhüten.
Inzwischen haben beide saarländischen
Gewerkschaften Lohnforderungen ange
meldet. Die saarländischen Arbeitgeber
werden sich wohl im klaren sein müs
sen, daß sie Entscheidungen zur Lö
sung dieser Frage nicht mehr länger
aus dem Wege gehen können. Die Lohn-
Preissituatiou zwingt dazu.
Wie ist die Lohn-PreissituaÜon bei uns im Saarland?
Sie ist kurz dadurch gekennzeichnet,
daß im letzten Jahre Löhne und Preise
immer noch in einem Mißverhältnis zu
einander standen, wobei die Löhne seit
Ende des vorigen Jahres stagnieren, wäh
rend die Preise in der neueren Entwick
lung steigende Tendenz aufweisen.
Legt man für die Zeit seit 1948 bis
heute die 1>? r. u~d Preisstatistik des Sta
tistischen Amtes des Saarlandes den
Betrachtungen zugrunde, muß man zu
einer beträchtlichen Erhöhung der No
minallöhne kommen, was wiederum eine
Erhöhung des Reallohnes bedeutet, da
in der gleichen Zeit der Lebenshaltungs
kostenindex nicht in dem gleichen Maße
angestiegen ist. Dieser Auffassung, die
vielfach im Saarland vertreten wird,
kann man sich nicht ohne weiteres an
schließen.
Es ist nicht entscheidend, welche Stei
gerung der Nominallohn in einem Zeit
raum zu verzeichnen hat; ausschlagge
bend ist allein in welchem Umfange sich
die Kaufkraft des Lohnes verändert. Man
k in zwar hierüber theoretische Unter
suchungen anstellen und versuchen, die
augenblicklichen Löhne mit denen der
Vorkriegszeit zu vergleichen, sollte aber
davon absehen, die dabei erzielten Er
gebnisse, wie beispielsweise, daß die
Kaufkraft der Löhne von 1938 fast in
allen Industriezweigen erreicht bzw. über
schritten sei, als eindeutige Feststellun
gen bekanntzugeben, da, wie bereits an
geführt, derartige Untersuchungen pro
blematischer Natur sind. Wir begründen
diese Ansicht mit der Unvergleichbar
keit der Verhältnisse von 1938 mit de
nen der Gegenwart. Im Jahre 1938 hat
ten die deutschen Arbeitnehmer einen
bestimmten Nominallohn, mit dem sie
ein bestimmtes Verbrauchsvolumen (ra
tioniert) bestreiten konnten. Bis zur Ge
genwart hat sich aber die Zusammen
setzung dieses Verbrauchsvolumens in
vielen Punkten so entscheidend geändert,
daß ein unmittelbarer Vergleich der Ver
hältnisse von 1938 und 1952 gar nicht
möglich ist. Es ist nicht damit getan,
die. Indexzahlen des Statistischen Amtes
auf das Jahr 1938 zurückzubasieren, man
gelangt dadurch nur zu ganz falschen
Schlüssen.
Wie steht es nun mit dem saarländischen Lohnoetttge?
Aufschluß gibt uns hierüber eine Lohn -
und Gehaltsstatistik des Statistischen
Amtes des Saarlandes vom Februar die
ses Jahres.
Hiernach erhalten von insgesamt 194 000
saarländischen Beschäftigten (Bergbau
und öffentlicher Dienst ausgenommen)
63 400 Arbeitnehmer = 52o/o ein Ein
kommen, das unter dem gesetzlichen
Mindestlohn liegt; 54 200 Beschäftigte
=* 28o/o, ein Einkommen zwischen 30 000
— 40 000.— ffrs. und nur 28700 Be
schäftigte = 15o/o erhalten Löhne und
Gehälter, die die 40 000. ffrs.-Grenze
überschreiten.
Zählt man zu diesen geringen und un
zureichenden Einkommen die große Zahl
der Renten- und Unterstützungsempfän
ger. wird die ganze Schwere der saar
ländischen Lohnstruktur offenbar. Sie
nach guter bisheriger Praxis ausgegli
chen werden, keine Lösung des Problems
bringen. Verantwortliche Gewerkschafts
vertreter haben bereits in der rücklie
genden Zeit unter den Lohnirrtümern
der Vc. - _ ...! eit auf diesen schwer
wiegenden lohnpolitischen Fehler hinge
wiesen. Vor allem wird dadurch die
Lebenshaltungskostensituation der sozial
Unterstützten noch unerträglicher. Des
wegen haben beide saarländischen Ge
werkschaften immer wieder die Notwen
digkeit umfassender Preissenkungen ge
fordert, zu denen die Wirtschaft durch
aus in der Lage wäre. Die Handelsspan
nen sind nicht nur absolut sondern auch
relativ über den Vorkriegsstand hinaus
angestiegen. Hinzu kommt, daß in ei
ner sogenannten sozialen und freien
Marktwirtschaft wichtige Lebensmittel
und sonstige Konsumgüter durch Zölle,
Steuern und Abgaben weit über den
Weltmarktstand hinaus verteuert wer
den. Da die Verantwortlichen der saar
ländischen wie auch der französischen
Wirtschaft trotz zahlreicher Appelle ge
wissenhafter Politiker hieraus nun nicht
die Folgerungen gezogen haben, die hät
ten gezogen werden müssen, ist es nur
verständlich, wenn die saarländischen
Gewerkschaften aus Verantwortungsge
fühl ihren Mitgliedern gegenüber, ange
sichts dieser Situation, die einzig mög
lich lohnpolitische Konsequenz ziehen und
Lohnforderungen stellen.
Ein anderes Problem, mit dem man
sich im Saarland ernsthaft zu befas
sen haben wird, ist das der Frauen
löhne.
Obwohl die saarländische Verfassung
im Artikel 47 vorschreibt, daß keiner auf
Grund seines Geschlechtes gegenüber ei
nem anderen benachteiligt sein darf, wei
sen noch viele abgeschlossene Tarifver
einbarungen Regelungen dieser Art auf.
Es scheint sich auch hier wieder einmal
zu bewahrheiten, daß kein sozialnnüti-
scher Fortschritt ohne ernste Auseinan
dersetzungen mit dem sozialen Gegen
spieler durchgesetzt werden kann. Man
versucht zwar diese Bestimmung der Ver
fassung durch eine liberale Rechtsaus-
legung zu paralysieren, indem man dar
auf hin weist, daß eine Verfassung nicht
ohne weiteres die Rechtsbestimmungen
der Bürger untereinander regelt. Aber
selbst die Verfechter dieses Standpunktes
müßten anerkennen, daß Tarife, in denen
Frauenlöhne schlechter geregelt sind als
Männerlöhne, nicht Grundlage einer all
gemeinen Verbindlichkeitserklärung, also
eines staatlichen Hoheitsaktes sein kön
nen.
Zum Schluß noch ein Wort über den
derzeitigen Mindeststundenlohn.
Es besteht hier zwischen den Gewerk
schaften völlige Einmütigkeit darüber,
daß derselbe ungenügend ist und we
sentlich erhöht werden muß. Bezüglich
des Begriffs eines Mindestlohnes und
seiner ungefähren Höhe schließen sich
die Gewerkschaften gerne den Worten
Philip Snowdens an, der britischer Schatz
meister in der Regierung Mac Donalds
gewesen ist und der einmal den lebens
auskömmlichen Mindestlohn folgenderma
ßen umschrieben hat:
„Jeder Arbeiter muß einen Lohn emp
fangen, der ihn auf dem Hochstand ge
werblicher Leistungsfähigkeit erhält, ihn
befähigt, seine Familie mit allen für
ihre Gesundheit und ihr physisches Wohl
ergehen notwendigen materiellen Mitteln
zu versehen, genug, ihn instandzusetzen
und zu qualifizieren, daß er seinen
Pflichten als Bürger entspricht."
Da im Saarland der Mindestlohn, der
als Ausgangsbasis für alle Tariflöhne
dient, gesetzlich festgelegt wird und so
mit die Regierung letztlich für die Höhe
und Sicherung des Lohnes die Verant
wortung trägt, möchten wir dieser emp
fehlen, für einen guten Lohn Sorge zu
tragen.
Saarwirtschaft und europäische Gewerkschaft
Der Nachrichtendienst des Deutschen Ge-
werkschaltsbundes enthalt folgenden Pari
ser Brief i
„Man ist fast versucht, für die tn den Vor
dergrund gerückte Lösung der Saarfraget die
Europäisierung des Saarlamdes, zu sagen, daß
man ein schönes Wort gefunden hat, weil die
eigentlichen Begriffe gefehlt haben. Ganz ab
gesehen davon, daß dieses winzige Gebiet sich
als europäische Probe schlecht eignet, weil w
allzu klein ist, so findet eine Art Europa isie-
rung bereits durch das Inkrafttreten des Schu-
manplans, mindestens aber dann statt, wenn der
gemeinsame Markt für Kohle und Stahl geschaf
fen worden ist. Natürlich nur, was Kohle und
Stahl betrifft, d. h. da die übrige Wirtschafts
tätigkeit an der Saar kaum eine Rolle spielt,
für die Saarwirtschaft schlechthin. Es kann,
nach Schaffung des gemeinsamen Marktes, keine
verschiedene Wertung für die Mitgliedstaaten
der europäischen Gemeinschaft an der Saar mehr
geben. Auf dem Gebiet von Kohle und Stahl
hat jeder Vertragsstaat das gleiche Recht zu
kaufen oder zu verkaufen, wo immer ea ihm
innerhalb der den Vertragsvorschriften unter
liegenden Gebieten beliebt. Was kann man dem
durch Verhandlungen an Europäischem noch
hinzufügen V Nur den politischen Einfluß, den
Frankreich bisher ausgeübt hat. Dieser mußte
der europäischen politischen Behörde, die noch
nicht besteht, übertragen werden. Aber ea gibt
nicht viel politische Dinge an der Saar, die die
Saarregierung sodann, unter europäischer Di
rektion, zu erledigen hätte. Weder der im Ver-
tragswerk vorgesehene Ministerrat noch die aus
Parlamentarien der sechs Mitgliedsstaaten beste
hende Versammlung haben das Recht, sich um
andere Dinge zu kümmern als um die, die mit
der Produktion und dem Verkehr von Kohle
und Stahl Zusammenhängen, und auch aus dem
Straßburger Europarat kann man nicht mir
nichts dir nichts eine legislative und exekutiv«
Behörde zur Kontrolle der Regierung des euro
päisierten Saargebiets machen.
Man sollte daher den Versuch einer Vorlösung
des Saarproblems deutscherseits zu den Akten
legen und einmal abwarten, was die Neuwahlen
zum Landtag bringen werden, die hoffentlich in
der Gleichheit der politischen Rechte für all«
Saarbewohner sich abspielen werden. Erst danp
wird man, weil man über die Auffassung der
Bevölkerung Bescheid w'eiß, sich neuen Lö
sungsversuchen zuwenden können. Der Will«
der Bewohner des Landes, den niemand genau
kennt, darf nicht übergangen werden; wer sich
über ihn hinwegsetzt, würde sowohl dem demo
kratischen Gedanken wie auch der französisch
deutschen Zusammenarbeit einen Bärenaient er-
Herausgeber des Zentralorgana „DIE ARBEIT**
— Einhheitsgewerkschaft Saar, Saarbrücken 3,
Braueretr. 6-8, Tel. 90 33—35.
Verantwortlich für den Gesam t Inhalt t Paul
Kutsch.
Redaktion» Sozial- und Wirtschaftspolitik C.
Schuhler; Verbände, Jugend und Feuilleton t
J, P. Wambach.
Druck: Saarzedtung, Dr. Nik. Fontaine, Saar
louis. Einzel Verkaufspreis! 20 Fr».
wird dadurch gekennzeichnet, daß ein
großer Teil der saarländischen Arbeit
nehmer gerade nur noch den starren
Lebensbedarf decken kann, wobei hier
unter der Aufwand für Ernährung, Miete,
Heizung und Beleuchtung, Instandhal
tung von Kleidung und Hausrat zu ver
stehen ist, während nur der geringere
Teil der saarländischen Arbeitnehmer in
der Lage ist, angemessene Aufwendun
gen des elastischen Bedarfs, also Neu
anschaffungen, zu tätigen. Nur ein klei
ner Prozentsatz der Bevölkerung kann
sich einen gehobenen Bedarf leisten.
Die Lohnpolitik der saarländischen Ge
werkschaften war und ist dadurch ge
kennzeichnet, daß sich alle verantwort
lichen Gewerkschaftsfunktionäre darü
ber im klaren sind, daß nominelle Lohn
erhöhungen, die durch Preissteigerungen
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