Full text: 1952 (0007)

Saarbrücken 
7. Jahrgang 
Sept. 1952 
Nummer 10 
ORGRN DER EKGEIilERHSEHRFTEN DER RRREITER, ANGESTELLTEN UND GERRITEN 
Beschlüsse des Gewerkschaftsausschusses 
Eindeutiger Standpunkt zur Gesamtsituation an der Saar 
Arbeitnehmerschaft und Saarfrage - Weg mit den Konventionen! - Unerschütterlicher Kampf zum Schutz des Warndt - Demokratische Freiheiten! 
Teuerung bedingt allgemeine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 15 Prozent 
In dem Zeitpunkt, da die Saarprobleme und damit Probleme der Arbeitnehmerschaft wie noch nie zuvor im Mittelpunkt des gesamten öf 
fentlichen Interesses stehen, trat der Gewerkschaftsausschuß zu einer wichtigen Sitzung zusammen. In klarer Erkenntnis der Notwendig 
keiten nahm der Ausschuß zur wirtschafts- und sozialpolitischen Lage Stellung. Die nach mehrstündigen Beratungen vom Ausschuß ge 
faßten Beschlüsse lassen ein tiefes Verantwortungsbewußtsein erkennen. Diese Beschlüsse bringen den Willen der größten Organisation an 
der Saar deutlich zum Ausdruck. Das starke Bollwerk der organisierten Arbeitnehmerschaft wird sich in der kommenden Entwicklung 
auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet zweifellos als wesentlicher Faktor erweisen. 
Der Gewerkschaftsausschuß hat am 10. 
September 1952 nach eingehender Bera 
tung über die aktuellen wirtschaftlichen 
und sozialen Probleme folgende Entschlie 
ßung bei einer Stimmenthaltung angenom 
men: 
Der Gewerkschaftsausschuß beantragt, 
1. daß die zur Zeit noch bestehenden Kon 
ventionen abgeschafft und durch Wirt 
schaftsverträge auf der Basis der Gleich 
berichtigung ersetzt werden, 
2. daß demgemäß eine Neuordnung der 
Saargruben durchgeführt wird, 
8. daß die Ausbeutung der Warndtkohle 
durch die Charbonnages de France ein 
gestellt wird, 
4. daß die demokratischen Freiheiten her- 
gestellt werden und für alle Arbeitneh 
mer das Tarifvertragsrecht eingeführt 
und unverzüglich das Mitbestipimungs- 
recht für die Arbeitnehmer in Staat und 
Wirtschaft garantiert wird, 
5. daß in der Saarfrage eine Lösung ge 
funden wird, welche Deutschland, 
Frankreich und die Saarbevölkerur,g be 
friedigt und die wirtschaftlichen Inter 
essen der saarländischen Arbeitnehmer 
schaft berücksichtigt, damit wir dem 
großen Ziel näherkommen, nämlich ei 
nem geeinten Europa. 
Der Gewerkschaftsausschuß wünscht, daß 
im Interesse der Erhaltung des Friedens 
und zur Herstellung der demokratischen 
Freiheiten im obengenannten Sinne eine 
Einigung zwischen Deutschland und 
Frankreich zustande kommt. 
Zum Lohn- und Preisproblem 
Am 10. September 1952 befaßte sich der 
Gewerkschaftsausschuß der Einheitsge 
werkschaft der Arbeiter, Angestellten und 
Beamten mit der fortschreitenden Teue- 
rung an der Saar. Nach eingehender Be 
ratung nahm er einstimmig folgende Ent 
schließung an: 
Der Gewerkschaftsausschuß stellt fest: 
1. Seit der Erhöhung des gesetzlichen Min 
deststundenlohnes im September 1951, 
die eine allgemeine Erhöhung der Tarif 
löhne nach sich zog, stieg der Index der 
Lebenshaltungskosten bis August 1952 
um 12,8 Prozent; 
2. im gleichen Zeitraum erhöhten sich die 
Kosten für Ernährung um 16,7 Prozent; 
8. durch das Anziehen der Preise für Nah 
rungsmittel in den ersten Septemberta- 
gen 1952 um weitere 2—3 Prozent sind 
bis zum heutigen Tage die Ausgaben der 
Arbeitnehmerschaft für Ernährung um 
mindestens 19—20 Prozent gestiegen. 
Im Hinblick auf die trotz ,Experiment 
Pinay 4 stark angestiegenen Lebenshaltungs 
kosten und besonders in Anbetracht der 
Tatsache, daß durch die enorme Teuerung 
gerade bei den Gütern des täglichen Le 
bensbedarfes die Kaufkraft der Arbeitneh 
merschaft empfindlich geschmälert wird, 
kann es der Gewerkschaftsausschuß nicht 
länger verantworten, noch weiterhin von 
Lohnforderungen Abstand zu nehmen. 
Er kommt um so mehr zu diesem Stand 
punkt, da die Progression der Lebenshal 
tungskosten im Saarland an der Spitze al 
ler benachbarten Länder liegt und auch 
die in Frankreich, in dessen Wirtschafts 
raum das Saarland eingegliedert ist, ganz 
erheblich übersteigt; 
Von Dezember 1950 bis Dezember 1951 
stiegen nach Angaben des statistischen Am 
tes die Lebenshaltungskosten 
in Frankreich um 22 Prozent, 
während sie im gleichen Zeitraum 
an der Saar um 30 Prozent 
gestiegen sind. 
Von September 1951 bis Juli 1952 er 
höhten sich die Lebenshaltungskosten 
in Frankreich um 7,3 Prozent, 
an der Saar um 10 S 3 Prozent. 
Der Gewerkschaftsausschuß stellt fest, 
daß auf Grund des Gesetzes über die glei 
tende Lohnskala die französische Regie 
rung längst verpflichtet gewesen wäre, den 
gesetzlichen Mindestlohn zu erhöhen, wenn 
die Entwicklung der Lebenshaltungskosten 
in Frankreich die gleiche gewesen wäre 
wie im Saarland. 
Der Gewerkschaftsausschuß stellt wei 
terhin fest, daß von den französischen Ge 
werkschaften die Erhöhung des gesetzli 
chen Mindeststundenlohnes gefordert wur 
de und erklärt sich 
mit der Forderung der französischen 
Gewerkschaften solidarisch. 
Wegen der unterschiedlichen Situation in 
Frankreich und an der Saar sieht sich der 
Gewerkschaftsausschuß außer Stande, die 
Lohnentwicklung in Frankreich abzuwar- 
ten und fordert wegen der gestiegenen Le 
benshaltungskosten an der Saar: 
1. die Streichung des § 3 der Ver 
ordnung zur Aenderung der Verordnung 
zur Festsetzung des Mindeststundenloh 
nes vom 27. August 1950 (ABI. S. 804) 
vom 28. März 1951 (ABI. S. 453). Der 
Gewerkschaftsausschuß hält es für un 
tragbar, daß eine erhebliche Anzahl von 
Arbeitnehmern unter dem gesetzlichen 
Mindestlohn bezahlt wird. 
Der Vorstand der Einheitsgewerkschaft 
wird beauftragt, die erforderlichen Ver 
handlungen mit der Regierung aufzu- 
nehmen; 
2. eine allgemeine Erhöhung der Löhne 
und Gehälter um 15 Prozent. 
Darüber hinaus empfiehlt der Gewerk 
schaftsausschuß den Industrieverbänden, 
ihre Lohnforderungen entsprechend der 
besonderen Situation in ihrem Wirtschafts 
zweige geltend zu machen. 
Der Gewerkschaftsausschuß sanktioniert 
ausdrücklich die Lohnforderung des Indu 
strieverbandes Bergbau und verlangt die 
Realisierung des vom staatlichen Schlich 
tungsausschuß gefällten Schiedsspruches, 
wonach die Bergarbeiterlöhne auf Grund 
der Leistungssteigerung im Saarbergbau 
ab 1. 2. 1952 um 5 Prozent zu erhöhen 
sind. Mit der allgemeinen Lohnerhöhung 
bedeutet dies für den Bergbau eine 20pro- 
zentige Steigerung der Löhne. 
Ebenso erkennt der Gewerkschaftsaus 
schuß die Berechtigung der Forderung des 
Industrieverbandes Baugewerbe auf eine 
20prozentige Lohnerhöhung in vollem Um 
fange an. 
Zum Betriebsrätegesetz 
Der Gewerkschaftsausschuß hat sich am 
10. September 1952 noch einmal mit dem 
Betriebsrategesetz befaßt. Es wurde festge 
stellt, daß nach hunderten von Kommissinns 
sitzungen und zahlreichen anderen Beratun 
gen die Arbeiten zu dem Entwurf des Betriebs 
rätegesetzes längst abgeschlossen sind. 
Der Gewerkschaftsausschuß fordert daher 
mit allem Nachdruck, daß das Betriebsräte- 
gesetz noch von diesem Landtag in aller 
nächster Zeit verabschiedet wird. 
Offensive Gewerkschaftspolitik 
Revierkonfeienz von geschichtlicher Bedeutung 
In einer Zeit, die reif ist für wichtige Entscheidungen, findet 
die Einberufung einer Revierkonferenz in der gesamten Oeffent- 
Iichkeit besondere Beachtung. 
iUs die Tagesordnung der wichtigen Sulzbacher Konferenz, von 
der nachstehend berichtet wird, bekannt wurde, steigerte sich das In 
teresse noch beträchtlich. Das Programm lautete: Stellungnahme zur 
Warndtfrage, zur Lohnfrage und zur Saarfrage. In Sulzbach hat 
sich gezeigt, daß in den großen Fragen völlige Einmütigkeit be 
steht. 
Das besondere Interesse an der Konfe 
renz ließ die starke Teilnahme von Ver 
tretern der Presse und der Nachrichten 
agenturen erkennen. 
Es waren etwa 1000 Funktionäre in 
Vertretung von 42 000 Arbeitern und An 
gestellten der Saargruben, die sich zu der 
Revierkonferenz am Sonntag, dem 31. Au 
gust, in der Festhalle in Sulzbach versam 
melt hatten. 
Man ging sofort zur eigentlichen 
Tagesordnung über. Koll. Aloys Schmitt 
gab zunächst eine vom Verbandsvorstand 
einstimmig angenommene Entschließung 
bekannt, um deren Unterstützung durch 
die Funktionäre es sich jetzt handele. 
Diese Entschließung besagt: 
Der Hauptvorstand des 1. V. Bergbau, zu 
sammengetreten zu einer Sitzung am 24. Au 
gust 1952 im „Haus der Bergleute“ in Illin 
gen, um über die aktuelle Verbandspolitik zu 
beraten, 
stellt fest, daß die Forderung der 3. 
Verbandsgeneralversamnilung auf Aende 
rung des derzeitigen Zustandes an der 
Saar Gegenstand einer Aussprache zwi 
schen der Deutschen Bundesrepublik und 
Frankreich ist; 
stellt fest, daß nach dem Vorschlag 
des französischen Außenminister Schu-' 
mann die Saar, unsere Heimat, europäi 
siert werden soll; 
stellt fest, daß nach Aussagen des Bun 
deskanzlers Dr. Adenauer die letzte Ent 
scheidung über die angestrebte deutsch 
französische Einigung in der Saarfrage 
das Saarvolk hat. 
Der Hauptvorstand des 1. V. Bergbau, in 
Vertretung von 42 000 Arbeitern und Ange 
stellten der Saargruben, 
wünscht, als Beitrag zum Frieden und zur 
Stabilität Europas eine gute Lösung der 
Saarfrage, 
erklärt, daß die Saarfrage früher und 
jetzt immer eine Saargrubenfrage war, 
zeigt auf, daß eine europäische Lösung 
der Saarfrage logischerweise die wirt 
schaftliche Vorherrschaft Frankreichs an 
der Saar ausschließen muß. 
Der Hauptvorstand des I. V. Bergbau for 
dert daher bis zur endgültigen Regelung durch 
eineD Friedensvertrag als wesentlichen Inhalt 
der Aenderung des derzeitigen Zustandes: 
1. den Wegfall der Konventionen, 
2. eine Neuordnung der Saargruben, 
3. die Einstellung des Abbaues dir 
Warndtkohle durch die Charbonnages 
de Franee, 
4. die Beachtung der demokratischen Frei 
heiten. 
Die Abstimmung ergab die fast ein 
stimmige Annahme vorstehender Ent 
schließung durch die Re^erkonferenz. 
Diese wenigen Nein-Stimmen sind aber 
nicht dafür zu buchen, daß sie gegen eine 
Aenderung des derzeitigen Zustandes seien, 
sondern diese möchten die Regelung der 
Saarfrage mit einer sofortigen Friedens- 
Vertragsregelung verknüpft sehen. 
Die Ausführungen des Kollegen Schmitt zu 
dieser Entschließung, seine Feststellungen zu 
den Konventionen und andern wesent 
lichen Punkten siehe Seite 3. 
Besonders rege Aufmerksamkeit fanden die 
folgenden Ausführungen, die Kollege Kutsch 
auf der Revierkonfereuz in Sulzbach zur 
Saa rfrage gemacht hat. 
Paul Kulsch zur Saarfrage 
Wenn wir auch als Einheitsgewerkschaft 
ler verpflichtet sind, streng auf die partei 
politische Neutralität zu achten, so müssen 
wir doch zu den politischen Problemen 
aus eigener Schau Stellung nehmen. 
Die Saarfrage ist in letzter Zeit eine 
weltpolitische Frage geworden, über deren 
Lösung zur Zeit in Paris zwischen der Bun 
desrepublik und Frankreich verhandelt 
wird. Obwohl die endgültige Regelung ei 
nem Friedensvertrag Vorbehalten ist, den 
die deutschen Menschen alle sehnsüchtig 
fordern, könnten durch eine gute Lösung 
in Paris die in den beiden vorhergehen 
den Punkten aufgezeigten Schwierigkeiten 
schon beseitigt werden. 
Wahr ist doch, so stellte Kutsch fest, 
daß das „Nein“ der Bergarbeiter zu den 
Konventionen im Jahre 1950 vom überwie 
genden Teil der Saalbevölkerung später 
gefeiert wurde. Durch die schlechte Aus 
wirkung in der Praxis hat sich der Wider 
stand gegen die Konventionen im Volke 
vertieft, die von den Ausverkaufsstrategen 
ohne jegliche Vorbereitung kraft- und 
saftlos abgeschlossen und im Anschluß da 
ran noch von diesen als Erfolg gefeiert 
wurden. Um aber einigermaßen in der 
Nähe der Volksmeinung zu bleiben, mußte 
man sieh zu jer blamablen Forderung
	        
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