Saarbrücken
7. Jahrgang
August 1952
Nummer 9
Nur Taten überzeugen
Die Gewerkschaft hat das große histo
rische Ereignis der letzten Tage, die In
kraftsetzung des Schumanplanes nicht als
Außenseiter zu vermerken. Die einzelnen
Phasen des gewerkschaftlichen Zutuns
in der Gesamtentwicklung auf der gro
ßen wirtschaftlichen, sozialen und juri
stischen Ebene sind bekannt. Jetzt geht
es darum, sich nicht in allzuviel Worten
vom großen Wendepunkt, neuer Etappe,
neuem Fortschritt und dergleichen zu
verlieren, sondern alles zu tun, damit
der Zusammenschluß von Kohle und Stahl
innerhalb Europas auch die von den Be
fürwortern und Vollstreckern des Planes
so oft betonte Verbesserungen des Le
bensstandards der breiten Massen auch
wirklich zur Folge haben wird. Nur die
Taten überzeugen. Es wird der
Wachsamkeit, der angestrengten Tätig
keit und unter Umständen harter Ausein
andersetzungen bedürfen, um die gewerk
schaftlichen Ziele bei der Verwirklichung
des Schumanplanes durchzusetzen. Für
die Saarländer steht bei alledem bekannt
lich besonders viel auf dem Spiel. Wir
haben manche Erinnerungen an große hi
storische Ereignisse, die uns zwingen,
nicht vorbehaltlos optimistisch zu sein.
Von Tag zu Tag stehen die Gewerk
schaften vor neuen Aufgaben. Kein Pi-
nayplan, keine gleitende Lohnskala —
auch nicht die nach neuestem Pariser
Muster — vermögen die Probleme zu
lösen, sondern sie haben neue Probleme
im Gefolge.
Bei allen Auseinandersetzungen steht
das Streben nach gerechten Löhnen und
Gehältern im Vordergrund. Wie Meltau
liegt seit Monaten das Pinayexperiment
auf der Lohnentwicklung. Jetzt sind
selbst die Pinayleute enttäuscht. Das liegt
nicht nur daran, daß die sommerliche
Dürre einen Strich durch manche Rech
nung machte, sondern das ganze System
ist nicht auf echtem Vertrauen auf ge
baut. Es ist unzeitgemäß.
Sicher hat niemand Lust nach einem
neuen großen Wettrennen zwischen Löh
nen und Preisen.
Uebrigens auch ohne Preiserhöhungen
wären manche Unebenheiten im Lohn-
und Preisgefüge längst zu beseitigen. Die
steckengebliebenen und am ungünstigten
dastehenden Lohn- und Gehaltsempfänger
werden durch ihre Verbände immer ener
gischer auf den Plan treten. Die Gesamt
gewerkschaft als Betreuerin der Schaf
fenden wird sich Gehör verschaffen.
In einem Bericht des Statistischen Am
tes heißt es, obwohl keine tariflichen
Lohnerhöhungen im April und Mai d. J.
eintraten, seien die Effektiv-Stunden-
und Wochenlöhne in den meisten Wirt
schaftszweigen weiter angestiegen — bei
erhöhter Arbeitszeit. Man stellt
aber auch fest, daß ein Teil der Arbei-
schaft von dem traurigen Los der Ent
lassung, andere dem der Kurzarbeit bzw.
der Feierschichten nicht verschont blie
ben.
Es steht manchen Unternehmern
schlecht an, vor den Folgen einer neuen
Lohnbewegung zu warnen. Ginge es nach
solchen Warnungen, dann wäre noch nie
eine Lohnerhöhung zustandegekommen,
denn solche Warnungen werden immer
serviert.
Man kann den gewerkschaftlichen For
derungen nicht nachsagen, daß ihnen
agitatorische Ziele zu Grunde lägen. Im
Bericht des Statistischen Amtes vom 26.
Juli wird festgestellt, daß sich die Er
nährungskosten um 2,1 o/o erhöht haben.
Aus der Praxis weiß man, das Preis
niveau hat sich insgesamt so erhöht,
daß eine Erhöhung der Löhne und Ge
hälter, vor allem in einigen Berufszwei
gen, eine ganz beachtliche Erhöhung brin
gen muß, um wenigstens in etwa den Ge
gebenheiten Rechnung zu tragen.
Je tiefer die Arbeitnehmer Einblick
in die Wirtschaftszweige bekommen, de
sto stärker muß ihre Entrüstung über
die Zumutungen sein, die von manchen
Unternehmern gestellt werden. Eine
ganze Reihe von Betrieben profitiert im
mer mehr an den Fortschritten der Tech
nik, der neuen Arbeits- und Zeitstudien-
methoden und steckt den Mehrgewinn
allein in die Tasche. Geht das so wei
ter, dann werden außergew'öhnliche
Schritte der Gewerkschaft nicht ausblei-
ben. Es ist selbstverständlich, daß sich
die Gewerkschaften den wirklichen wirt
schaftlichen Erwägungen nicht verschlie
ßen. Es stellt sich aber die Frage, ob
die Gegenseite das notwendige soziale
Gewissen hat. Ein Prüfstein, der bisher
sowohl bezüglich der Regierung, der Un
ternehmer und des Parlaments sehr zu
denken gab, sind auch die Verhandlungen
über das Betriebsräte- und Tarifvertrags
gesetz. - A -
Zur Annahme des Betriebsverfassungsgesetzes in der BR.
Proklamation des DGB
Die Annahme des Betriebsverfassungs
gesetzes im Bonner Bundestag hat in
Gewerkschaftskreisen und damit bei den
Arbeitnehmern überhaupt eine Gegen
wirkung ausgelöst, deren Folgen im ein
zelnen noch nicht abzusehen sind. Zwei
Jahre lang währte außerhalb des Parla
ments der Kampf zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmer, bis er im Parlament
zu dem jetzigen Resultat führte. In der
entscheidenden Phase im Parlament ge
wann der Geist der Reaktion, wenn auch
mit knapper Mehrheit, die Oberhand.
Statt einem Gesetz zur Annahme zu
verhelfen, das dem sozialen Frieden und
damit der Stabilität der deutschen Wirt
schaft dient, hat sich eine kurzsichtige
parlamentarische Mehrheit für einen völ
lig unzureichenden Entwurf entschieden.
Selbst Kreise, die durchaus nicht als
gewerkschaftlich gelten, bezeichnen die
Bonner Entscheidung als einen Pyrrhus
sieg, und als eine unglückliche Lösung.
Der Kampf ist aber nicht zu Ende.
Das Ringen geht weiter. In einer beson
deren Proklamation bat der DGB zu der
Bonner Entscheidung eine klare Stellung
eingenommen, in der es u. a. heißt:
Die Entscheidung des Bundestags über
das Betriebsverfassungsgesetz fiel mit
knapper Mehrheit gegen die Arbeiter,
Angestellten und Beamten und ihre Ge
werkschaften. Gegen den in unzähligen
Kundgebungen eindeutig geäußerten Wil
len von Millionen von Arbeitnehmern
hat der Bundestag ein Betriebsverfas
sungsgesetz verabschiedet, das den Wün
schen der rückschrittlichen Kräfte Rech
nung trägt und offensichtlich eine De
monstration gegen den Deutschen Ge
werkschaftsbund darstellt. Die Kräfte der
Reaktion sind aus ihrer Verborgenheit
herausgetreten 1
Im Parlament gab es keine sachliche
Diskussion, nur ein rücksichtsloses Aus-
nutzen der parlamentarischen Mehrheit
durch die Koalitionsparteien gegen alle
Abänderungswünsche des DGB.
Die Verpflichtung der Regierungskoa
lition gegenüber der Unternehmerschaft
und den ihre Interessen vertretenden
(Fortsetzung Seite 2)
AUS IDEM INHALT*
Unsachliche Kritik an der Gewerksrhaftseinheit
I.V. Graphik: Mindestprogramm
Tribüne freit
Leistungsverbesserung in der Kranken
versicherung
Gewerkschaftliche Einflußnahme auf die
Staatspolitik
Technische Abendschule des Saarlandes
Warum Rückgang der Kohlenproduktion?
Zur Baufinanzierung — Erlaß vorn 7. Juli 1952
Zum freien Mittwocbnar?M«ittag
Ende eines langen Streiks
Frauen helfen — Frauen bauen auf
Zusatzurlaub
Erfolge durch Einheit
Die 40-Stunden-Arbeitswoche
iiiiiiiiiiiiMiimiiniiiiimiiiiMiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiimiiiiimimiiiiiiifiiimimimiiimiiiimiiiiiiiiinmiiiiiiiimiimiiiiiiniiiiiiiiiiiiiimiiiMiiiinmiimiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiEii
Was macht die
Atbeitskammec ?
Manche Arbeitnehmer, besonders die
an der sozialen und wirtschaftlichen Ge
staltung aktiv teilnehmenden Gewerk
schaftler, sind mit ihrem Urteil über die
Tätigkeit der saarländischen Arbeitskam
mer abwartend. Außer denen, die durch
ihre Funktionen in einem engeren Kon
takt mit der Kammer stehen, sind an
dere noch weniger in der Lage, sich
ein Urteil zu bilden, da sie über die
Wirksamkeit der Kammer nicht unter
richtet sind.
Wohl wurde wiederholt über das We
sen und die Aufgaben der Kammer be
richtet, aber über die Tätigkeit, die sich
nun auf einige Monate erstreckt, besteht
weithin Unklarheit. Der Grund hierfür
ist u. a. auch darin zu erblicken — und
manche machen der Kammer daraus ei
nen Vorwurf — daß sie noch kein eige
nes Publikationsorgan hat
In nachstehender Betrachtung sei auf
Grund einer Unterredung mit zuständi
gen Stellen der Kammer einiges über ihre
bisherige Tätigkeit gesagt.
Wesentliche Aufgaben
Die einzelnen Abteilungen werden täg
lich von Angehörigen aller Berufe aufge-
sucht, die dort um Auskünfte auf ar
beitsrechtlichem Gebiet und andern ein
schlägigen Gebieten nachsuchen.
Auf der großen Ebene dagegen kom
men immer mehr Probleme zum Zuge.
Eine wesentliche Aufgabe der Kammer
bestand in der Stellungnahme zum neuen
Kündigungsschutzgesetz. Der
Entwurf entspricht in fast allen Punk
ten dem Gesetz in der Bundesrepublik.
Dort hat man keine schlechten Erfahrun
gen damit gemacht, und es ist damit zu
rechnen, daß das Saarparlament den Ent
wurf annehmen wird. Ein wichtiger Pa
ragraph des* Gesetzes besagt, daß künf
tig keine Kündigung mehr zugelassen
wird, die nicht sozial gerechtfertigt er
scheint.
Wichtige Hinweise
Hinsichtlich des Kündigungsschutzes sei auf
folgendes hingewiesen:
Bereits das BetriehsrStegesetz von 1920 sah
die Möglichkeit der Kündigungseinspruchsklage
vor, die allerdings nur dann möglich war, so
fern ein gekündigter Arbeitnehmer in einem Be
trieb arbeitete, in dem ein Betriebsobmann bzw.
ein Betriebsrat gewählt war. Eine entsprechende
Regelung kannte auch das AOG und fand letz
ten Endes Eingang in die Betriehsräteverord-
nung von 1947, die sich en(g an die Bestim
mungen des Betriebsrätegeeetzes von 1920 an-
echloß. In diesem Zusammenhang wären noch
die Kündigungsschutzbestimmungen für Ange
stellte von 1926 sowie das Mutterschutz- und
Schwerbeschädigtengesetz zu nennen.
Vorstehende Gesetzes Vorschriften betreffen je
doch nur einen Teil der Arbeitnehmerschaft,
während eine große Anzahl von Arbeitnehmern
z. B. kein« Möglichkeit der Erhebung ,'einer
Kündigungseinspruchsklage mit dem Ziel der
Weiterbeschäftigung auch für die Zeit nach Ab
lauf der Kündigungsfrist hat, weil die (Vor
schriften über die Kündigungseinspruchsklage
nur auf Betriebe mit einem Betriebsrat Anwen
dung finden.
So kann ein gewerblicher Arbeiter in einem
Betrieb ohne Betriebsrat nach einer Beschäfti
gungszeit von vielleicht 30 oder noch mehr
Jahren, also ohne Rücksicht auf die Dauer der
Betriebszugehörigkeit, mit einer Kündigungs
frist von 14 Tagen entlassen werden. Eine sol
che gesetzliche Regelung muß als untragbar an
gesehen werden.
Gerade mit Rücksicht darauf, daß viele Be
triebe keinen Betriebsrat haben, erscheint das in
Aussicht genommene Kündigungsschutzgesetz als
dringend erforderlich. Damit wird für die Zu
kunft ein Schutzgesetz für alle Arbeitnehmer in
Betrieben mit mehr als fünf Belegschaftsmit
gliedern geschaffen, gleichgültig, ob ein Be
triebsrat besteht oder nicht oder ob durch das in
Aussicht genommene Betriebsrätegesetz dem Be
triebsrat das personelle Mitbestimmungsrecht
zuerkannt wird oder nicht. Oberster Grund
satz dieses Gesetzes ist der Anspruch auf den
Arbeitsplatz, der künftighin nur dann aufgeho
ben werden kann, wenn die Kündigung sozial
gerechtfertigt ist.
Zur Wirtschaftspolitik
Was den wirtschaftspoliti
schen Teil anbetrifft, so ist festzu-
stellen daß diese Abteilung der Kammer
mit den vielen in Frage kommenden
Dienststellen und Organisationen der
Saarwirtschaft enge Fühlung aufgenom-
men hat und die aus laufenden Beratun
gen hervorgehenden Resultate entspre
chend verwertet. Es wurde grundsätzlich
vereinbart, daß bei allen wesentlichen
Besprechungen dieser Gremien, die Ar
beitskammer hinzugezogen wird. Vor al
lem handelt es sich auch um eine stän
dige enge und vertrauensvolle Verbin
dung zwischen der Arbeitskammer und
den Gewerkschaften, sowie um die Ver
bindung mit dem Statistischen Amt. Hier
bei sei vermerkt, daß die Arbeitskam-
mer vorläufig keine gesetzliche Möglich
keit hat, eigene statistische Erhebungen
anzustellen.
Die Wirtschaftsabteilung der Kammer
hat in letzter Zeit Lohnerhebungen
durchgeführt, deren Auswertung im
Gange ist.
Der Wirtschaftsausschuß der Kammer
befaßt sich auch eingehend mit der Frage
der Konventionen, und zwar der
gesamten Konventionen, im Sinne einer
notwendigen Revision. Die Arbeits -
kammer wird alsbald zu einer genauen
Stellungnahme kommen.
In Zusammenarbeit mit den Gewerk
schaften ist die Kammer dabei, die Be
gutachtung mehrerer in vorstehender Be
trachtung nicht erwähnter Gesetzentwürfe
mit den erforderlichen Unterlagen zu
vollenden.*
Die Gewerkschaftler, die die Aufgaben
des Wirtschaftswissenschaft!. Instituts
des DGB in Köln kennen, wissen
was es bedeutet, wenn hier festgestellt
wird, daß ähnliche Aufgaben auch der
saarländischen Arbeitskammer obliegen.
(Uber die Aufgaben des DGB-Instituts
wird alsbald ein Beitrag veröffentlicht
werden.)
Informierung der Gewerkschaften
Eine sehr wichtige Aufgabe der Ar
beitskammer ist ferner die laufende Un
terrichtung der Gewerkschaften über alle
einschlägigen Probleme, sowie die Be
lieferung der Gewerkschaften mit allem
erforderlichen Material.
Die Gewerkschaften haben die Mög
lichkeit, ja die Pflicht, jederzeit der Ar
beitskammer Aufgaben zu stellen, die