April 1952
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I
Saarprobleme - auf ganzer Linie fest angepackt!
Gesamtinteiessen der Arbeitnehmerschaft stehen auf dem Spiel - Was geschieht in Zukunft?
Nach der Neuwahl von Sulzbach haben wir mit Mitgliedern des neuen Vorstandes
über die Gesamtlage und über die Lösungen wesentlicher Probleme gesprochen. Der
dabei fcstgestellte Standpunkt, den wir nachstehend veröffentlichen, vermittelt ei
nen besonderen Eindruck von dem Aufgabenbereich für die Gegenwirt und die
nächste Zukunft.
Frage:
Kann die Saarregierung noch Anspruch
erheben, von den Gewerkschaften als
fairer Partner in Betracht gezogen zu
werden, oder haben besonders die letzten
Ereignisse das Vertrauen in diesen Part
ner völlig untergraben?
Antwort :
Das Urteil darüber, ob die Saarregie
rung nach den Ereignissen der letzten
Monate noch als fairer Partner anerkannt
werden kann, überlassen wir der saar
ländischen öffentlichen Meinung. Als
Hcalpolitikcr stellen wir uns auf den Bo
den der Tatsachen und akzeptieren not
wendigerweise jeden Partner als solchen.
Ruft nicht das Verhalten der Regierung
und der Regie des Mines im Konflikt um
die Tarifvertragsfreiheiten an der Saar
große Enttäuschung und allgemeine Un
ruhe hervor? Wird dadurch nicht der
Rest des Vertrauens in die Demokratie
und in die Verfassung zerstört? Liegt
hier nicht ein Versuch vor, abweichend
von der Verfassung diktatorisch zu re
gieren?
Auch' in dieser Frage möchten wir die
Antwort der öffentlichen Meinung über
lassen. Wir erlauben uns den Hinweis,
daß Regie und Regierung in den sozialen
Kampf Elemente hineingetragen haben,
für deren Folgen wir die Verantwortung
ablehnen. Wir weisen in diesem Zusam
menhang auf unsere zahlreichen früheren
Aeußerungen betreffs Nichtbeachtung
grundlegender demokratischer Spielre
geln hin.
Vielfach wird die Auffassung vertreten,
daß die Regierung und die Arbeitgeber
bei ihren Meinungen und Entscheidungen
nicht oder zu wenig die Haltung und die
Stimmung der Gewerkschaften, also der
schaffenden Bevölkerung, in Rechnung
stellen. Liegt darin nicht eine unnötige
Verschärfung des sozialen Kampfes und
die Gefährdung des sozialen Friedens?
Kann man nicht davon sprechen, daß die
Gegenseite sich mit Scheuklappen umgibt
und. am liebsten Maulkörbe austeilt?
Die Nichtbeachtung der Stimme des
schaffenden Volkes hat zur heutigen so
zialen und politischen Krise des Saarlan
des geführt.
Die Gewerkschaften haben anerkannter-
weise selbst in gespannten Streikfällen
den Beweis der Disziplin der Arbeit
nehmerschaft erbracht. Zieht die Regie
rung nicht daraus falsche Schlüsse und
glaubt, der Arbeitnehmerschaft noch mehr
zumuten zu können? Liegt hier nicht eine
falsche Einschätzung des Verantwortungs
gefühls der Gewerkschaften vor und wie
wäre dieser Gefahr zu begegnen?
Wir warnen vor Mißdeutung gewerk
schaftlicher Disziplin und Geduld.
Ist eine bessere Partnerschaft zwischen
Arbeitnehmern und Arbeitgebern an der
Saar möglich oder wird diese wesentlich
und mehr als sonst gehemmt durch das
starke Vorhandensein landfremden Unter
nehmertums?
Die Haltung des Kapitalismus ist grund
sätzlich die gleiche, ob er nun heimisch,
ausländisch oder international ist. Verbes
serung der sozialen Partnerschaft hängt
von der Erkenntnis und Einsicht in die
geschichtliche und soziale Entwicklung
sowie über die entscheidende Aufgabe
der Arbeiterschaft zur Lösung dieser Frage
ab.
Ist nicht die Existenz der fremden Ar-
| beitgeber an der Saar durch die Entwick-
| lung Uberhott?
Oos gute
Bohnerwachs
ovs Oer Erdah
fabrik
Die Existenz fremder Arbeitgeber an der
Saar ist eine Tatsache, die wir in un
serem gewerkschaftlichen Kampf zu be
rücksichtigen haben.
Sind die Konventionen nur reformbe
dürftig oder muß ihre völlige Beseitigung
verlangt werden?
Unsere Stellung zu den Konventionen ist
zur Genüge erörtert.
Die Arbeitnehmervertreter sagen: Wir
wollen nicht mehr in Paris verhandeln,
sondern an der Saar. Mit fadenscheinigen
Argumenten will man diese klare Forde
rung, die darauf beruht, daß hier die
Schaffenden wohnen, die Bodenschätze
und Fabriken liegen, ablehnen. Ist die ge
samte Arbeiterschaft sich im klaren, was
diese Forderung bedeutet?
In der Festsetzung eines Verhandlungs-
ortes außerhalb der Saar sehen wir einen
Druck der unter der Arbeiterschaft des
Saarlandes heftige Reaktion auslöst und
unter anderem dazu geeignet ist, den
Glauben an Europa zu erschüttern.
Was sagen Sie zu dem Programmpunkt:
Ueberführung der Schlüsselindustrien in
das Gemeineigentum der Saarbevölkerung,
also Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie,
Energieversorgung sowie die Verkehrsein
richtungen? Die Verfassung könnte hierbei
sogar herangezogen werden.
Die Aenderung unserer sozialen Struk
turen ist eine Notwendigkeit. Eine reine
Sozialisierung jedoch als bürokratisch for
melle Maßnahme ist ungenügend.
Von größter Wichtigkeit erscheint ans
neben einer Sozialisierung von oben herab,
eine Sozialisierung von „unten“, d. h. die
Vorbereitung einer neuen Gesellschaft
durch Entwicklung neuer, dem Menschen
angepaßter Lebens- und Arbeitsformen
(Gemeinschaft Boimondeau). Schlagworte
allein bringen noch keine menschenwür
digen sozialen Verhältnisse.
Wie ist Ihre Einstellung zur Preisabbau
aktion und zur Lohnfrage, auch die glei
tende Lohnskala spielt hier eine Rolle?
Viele Lohngruppen liegen mit ihren Löh
nen so weit zurück, daß selbst bei einem
Preisstop oder geringen Preisrückgängen
noch Lohnnachforderungen unbedingt er
forderlich sind. Wie steht es hiermit bei
den einzelnen Verbänden?
Unsere Bejahung zur Unterstützung der
Kampagne zur Stabilisierung der Preise
heißt nicht Verzicht auf weit zurücklie
gende Lohnforderungen. Eine unserer
grundsätzlichen Forderung bleibt weiter
hin: Gleitende Lohnskala, als äußerste
Waffe zur Verteidigung der Kaufkraft
der Arbeitnehmerschaft. Weiter fordern
wir, daß für die Zukunft keine Vergebung
von öffentlichen Aufträgen an Unterneh
men erfolgt, die den Tariflohn nicht be
zahlen. Es darf auch keine Zuteilung von
Rohstoffen an Firmen in Frage kommen,
die Tariflöhne unterschreiten.
Von der Gewerkschaft die politische
Neutralität zu verlangen, ist bekanntlich
ein Unding. Wir müssen den gewerk
schaftlichen Einfluß auf die Sozial- und
Wirtschaftspolitik des Parlaments und
der Regierung noch erheblich verstärken.
Welche Schritte kommen hier in Frage
unter strenger Wahrung der parteipoliti
schen Neutralität?
In dieser Hinsicht gelten unsere Bemü
hungen der Erarbeitung eines umfassen
den Programmes auf der Grundlage der
täglichen Nöte, das den wirklichen Er
fordernissen und Rechte der Saarbevölke
rung entspricht. Hierbei lassen wir uns
durch keine Rücksicht auf irgendwelche
parteipolitischen oder taktischen Manöver
leiten, sondern unsere Arbeit gilt aus
schließlich dem gemeinsamen Wohl der
Menschen an der Saar. Wir werden zur
gegebenen Zeit Mittel und Wege finden,
diesem Programm Gehör zu verschaffen.
Wie steht es mit dem schon bis zum
Ueberdruß geforderten neuen Betriehs-
rätegesetz mit Mitbestimmung in perso
neller, wirtschaftlicher und sozialer Be
ziehung der Wirtschaftsführung und -ge-
staltung? Die Arbeitnehmerschaft fordert
ja mit Recht und energisch neben der po
litischen Demokratisierung auch die De
mokratisierung der Wirtschaft.
Ohne eine verantwortliche Mitbestim
mung im sozialen und wirtschaftlichen
Raum wird diese westliche Demokratie zu
einer hohlen Abstraktion und verfällt
zwangsläufig dem Niedergang. Darüber
hinaus ist eine richtig verstandene und
nicht nur bürokratisch angewandte Mit
verantwortung ein äußerst wichtiges Mit
tel in unserer Zeit der funktionalen Mas
sengesellschaft, den arbeitenden Menschen
zu retten, ihm neue Eintfaltungsmöglich-
keiten zu geben und so den Zustand des
Proletariates zu überwinden. Die EG wird
ihre geballte Kraft zur Erreichung dieses
Teilzieles einsetzen.
Oft hört man in Arbeiterkreisen, daß
viele saarländische Unternehmer sich im
mer noch nicht der Verantwortung be
wußt sind, die auf Grund der nach Er
füllung drängenden sozialen Neuordnung
beansprucht werden muß. Selbst die Tech
nisierung lasse zu wünschen übrig, und
zwar werde die Modernisierung der Wirt
schaft vielfach beeinträchtigt durch die
Ausgaben für einen zu hohen Lebensstan
dard vieler Unternehmerfamilien. Wie
kann dieser berechtigten Kritik an Arbeit
geberkreisen mehr Nachdruck verschafft
werden ?
Die Verstärkung der Technisierung ge
hört zur Vermer hlichung der Arbeit und
zur Herrschaft über die Naturkräfte, sie
muß daher mit allen Mitteln vorangetrie
ben werden, auch über den Widerstand
der Arbeitgeber hinweg, wenn nötig mit
Zwang.
Seltene Käuze gibt es auch noch unter
den Arbeitern, die keinen gewerkschaft
lichen Organisationen angehören, aber am
lautesten nach sozialen Verbesserungen
rufen. Sollte es kein Mittel geben, um
diese Leute mit demokratischen Mitteln
mehr und mehr zu der guten Sache der
Gewerkschaften zu bekehren?
Die Ueberwindung dieser noch beste
henden Schwierigkeit ist in immer wirk
samerem und Überzeugenderem Wirken
der Gewerkschaftsbewegung in Betrieben
und Ortsgruppen, sowie in der Entwick
lung eines Solidaritätsbewußtseins zu
suchen.
Welchen Standpunkt nehmen Sie in be
zug auf Demokratie und die neuen Partei-
zulassungen an der Saar?
Wir stehen auf dem Boden der freiheit
lichen Demokratie. Durch Verbote von
Vereinigungen, die kein autoritäres Re
gime erstreben, würde sich ein demokra
tisches System sein eigenes Lebensrecht
entziehen.
Der Standpunkt zur Saarfrage ist be
kannt. Können hierzu noch einige Erläu
terungen gegeben werden?
Für uns gibt es zunächst keine poli
tische ^Saarfrnge“ sondern wir haben
es Konkret zu tun minder Frage der Kon
ventionen und dem Recht des Saarvolkes
auf soziale und wirtschaftliche Selbstbe
stimmung. Auf diesen Sektoren werden wir
zum Kampf um die Interessenvertretung
der arbeitenden Menschen an der Saar
als deren direkteste und berufenste Ver
treter antreten.
Ist nicht die bedrohliche Lage der Ke
ramikindustrie in Merzig-Mettlach ein er
neuter Beweis dafür, daß die Abhängig
keit von Frankreich für die Saarwirt
schaft große Risiken und Schaden im Ge
folge hat und welche Wege sind vorgese
hen, um die Gefahr der Massenarbeitslo
sigkeit noch im letzten Augenblick abzu
wehren?
Frankreich hat an der saarländischen
Kohlenförderung u. der Metallproduktion
zur Zeit ein besonderes Interesse. Dieses
Interesse wird sich aber kaum auf die
Keramikindustrie erstrecken. Umsomehr
müssen wir von der saarländischen Regie
rung verlangen, daß sie mit erhöhtem
Nachdruck und mit der gebotenen Eile
Schritte unternimmt, die man billi
gerweise von ihr verlangen kann und muß,
um das Elend der Arbeitslosigkeit von
der unteren Saar abzuwenden. Wir sind
nicht schuld an dieser Entwicklung und
haben daher umso mehr ein Anrecht,
unbedingte Abhilfe zu verlangen.
Deutsche
Oi PRESSESTIMMEN fr
„Hamburger Echo“:
Gewerkschaft wählt Anti-Hoflniann-Vorstand
Die saarländische Einheitsgewerkschaft wähl
te sich in Sulzbach Paul Kutsch zum neuen
ersten Vorsitzenden, der in scharfer Opposition
zur Politik der gegenwärtigen Saar regier ung
steht. Kutsch ist Geschäftsführer des I. V. Berg
bau. In seiner Schlußrede forderte er eine Aen
derung des jetzigen Zustandes an der Saar. Die
Saarländer lehnten es ab, nach jedem Krieg
wie „Bienen oder Ameisen“ als Reparatione-
objekt an einen fremden Staat verpachtet zu
werden. Sie zögen Deutschland vor. weil sie
nach Art und Sitte Deutsche seien.
„Rheinische Post“, Düsseldorf:
Gewerkschaften scharf gegen Hoffmannkurs
Während der Saar-Ministerpräsident Hoff
mann die Welt glauben machen will, daß der
Saar-Landtag in seiner jetzigen Zusammenset
zung die wirkliche Meinung der SaarbeVölke
rn« g widerspiegele, hat der Delegierten ko n-
greß der Einheitsgewerkschaft der Saar zum
ersten Mal deutlich gezeigt, wie gering die
Resonanz der Regierung Hoffmann in der Saar
bevölkerung ist. Die Gewerkschaften wählten
sich Ln Sulzbach einen Vorstand, der sieh über
wiegend aus Gegnern der Hoffmannsrhe« Poli
tik der Loslösung von Deutschland zusammen
setzt. Erster Vorsitzender wurde der partei
politisch unabhängige Paul Kutsch, Geschäfts
führer des I. V. Bergbau. Zweiter Vorsitzen
der wurde Richard Rauch vom I. V. Metall,
der als Landtagsabgeordneter der SPS als ent
schiedener Gegner des „allzu westlich-n“ Kur
ses seiner Parteiführung gilt. Starke Bf ichtung
hat die Wahl des sozialdemokratische! Land
tagsabgeordneten Kurt Conrad zum Beisitzer
gefunden. Conrad war der einzige Ah r rordnet»
im Landtag, der gegen das neue Par^-i mgeset*
stimmte.
„Kölnische Rundschau“:
Saar-Einheitsgewerkschaft für deutsch*' Lösung
Eine Entscheidung des Saarlandtages überden
zukünftigen Status des Saarlandes könne bei
der derzeitigen Zusammensetzung des Parla
ments nicht anerkannt werden, erklärte der
neugewählte Präsident der saarländischen Ein
heitsgewerkschaft, Paul Kutsch, Die saarlän
dischen Gewerkschaften zögen zwar eine deut
sche Lösung der Saarfrage vor, seien aber auch
mit einer europäischen Lösung einverstanden,
„jedoch keineswegs hei der augenblicklichen
französischen Vorherrschaft an der Saar“.
„Neuer Vorwärts“. Hannover:
:
(fewerkse' Rftsvctui/i p gen Frankr. Saarpcütik.
Die Einheitsgewerkschaft wird künftig — da
von sind wir überzeugt — den Kampf gegen
die Ausbeutungspolitik Frankreichs an der Saar
und gegen die Ausverkaufsstrategen Hoffmann
und Co. in Saarbrücken mit aTTSTKo^equenz
führen. Das ist Ihr gutes ReditT'tlerm von den
durch Saarverfassung, Wirtschaftsanschluß und
Konventionen geschaffenen Verhältnissen hängt
nioht zuletzt die wirtschaftliche und soziale
Situation der schaffenden Bevölkerung an der
Saar ab. Sie will sich um die Früchte ihrer
Arbeit nicht durch die Tatsache bringen las
sen, daß sie ‘und die von ihr geförderten Bo
denschätze ein Reparationsgut auf Dauer sein
sollen».
Die Botschaft des Botschafters
„Die Bergbauindustrie“, das Organ der
Bergarbeiter-Gewerkschaft in der Bundes
republik, schreibt unter dieser Ueb?r-
... Frankreich hat bereits einen Botschafter
ernannt. Man müßte „Bravo“ sagen, wenn der
Botschafter in Bonn säße. Er sitzt aber in
Saarbrücken 1 Frankreich hat nämlich den bis
herigen Oberkommissar für das Saargebiet,
Grandval, völlig überraschend zum französi
schen Botschafter ernannt. Das war ein Blitz
aua heiterem Himmel für Konrad Adenauer.
Und das ist des Pudels Kern: Frankreich hat
damit offiziell von der Bühne der hohen Poli
tik herunter verkündet, daß es das Saargebiet
als sogenannten autonomen Staat betrachtet, als
ein besseres französisches Protektorat also.
Dieser französische Schritt steht in krassem
Widerspruch zu den bisherigen französischen
Zusicherungen gegenüber Bundeskanzler Dr.
Adenauer, daß erst im Friede ns vertrag über
das endgültige Schicksal des Saargebietes ent
schieden werden soll...
...Das Mißtrauen hat neue Nahrung gefun
den, und nicht nur di« Opposition wird sich
fragen, inwieweit man überhaupt noch franzö
sischen Zusagen trauen darf....
... Die Bundestagsopposition wirft der Re
gierung vor, „daß sie zu lange zuviel Ver
ständnis für die französischen Auffassungen ge
zeigt und dadurch den jüngsten französischen
Schritt an der Saar geradezu herausgefordert
habe“.
Denn an der Saar wird ebenso gut und laug«
deutsch gesprochen, wi» an Oder und Ncdio. J
Di» Saar ist und bleibt für uns deutsch.