7. Jahrgang
Saarbrücken, März 1952
Nr. 4
Einsprach beim Euiopaiat
Forderung auf Untersuchung der
Zustände an der Saar
Scharfer Protest zur Lohnpolitik
Stellungnahme einer Sondersitzung des Gewerkschaitsausschusses
Die Situation an der Saar hat die In
dustrie - Verbände der Einheitsgewerkt
schaff, die es in erster Linie angeht, ver
anlaßt, unverzüglich Stellung zu nehmeni
In Anbetracht der Dringlichkeit wurde
die nachstehende Stellungnahme auf
Grund eines Beschlusses des Gewerk-
schaftsausschusses am 20. März telegra
phisch folgenden Stellen übermittelt:
1« dem Ministerrat des Europarates üi
Hdn. des Präsidenten,
% dem Außenminister der franzö
sischen Republik, Robert Schumann,
3. dem Außenminister und Bundes
kanzler der Westdeutschen Repu
blik, Dr. Konrad Adenauer. 1
Eure Exzellenz!
„Durch die Missachtung der demo
kratischen Prinzipien an der Saar
veranlaßt, gestatten sich die Unter
zeichneten Gewerkschaften, dem
Ministerrat des Europarates die Be
sorgnis ihrer Mitglieder zum Aus
druck zu bringen. Sie gründet sich
auf den derzeitigen politischen Zu
stand an der Saar, der die Arbeit
nehmer des öffentlichen Dienstes,
der Straßen- und Eisenbahn vom
Tarifvertragsrecht ausschließt und
die Belegschaft der größten Berufs
gruppe an der Saar - den Bergbau -
in Gefahr bringt, ebenfalls die Tarif-
Vertragsfreiheit zu verlieren.
Die Unterzeichneten Gewerk
schaften stellen fest, daß dadurch
einem Großteil der Arbeitnehmer
schaft an der Saar demokratische
Grundrechte versagt sind.
In Anbetracht dieser Tatsache
bitten die Unterzeichneten Gewerk
schaften den Ministerrat, bei der
Behandlung der Saarfrage die der
zeitigen Zustände an der Saar ein
gehend zu untersuchen und für
eine Änderung Sorge zu tragen."
Einheitsgewerkschaft
I.-V. Bergbau: Kutsch, Schmitt
I.-V. Eisenbahn: Weiter
I.V. Oeffenti. Betriebe n. Verw.i I. A. Hektor
I.-V. Verkehr und Transport: Heinz
Postgewerkschaft: John.
*
Das Telegramm lag in einem Augenblick tn
Paria vor, wo ea darauf ankam, diesen wesent
lichen Standpunkt den genannten Stellen zur
Kenntnis zu bringen in der bestimmten Erwar
tung, daß die geschilderten Verhältnisse an
Saar alsbald durch ein entsprechendes Gremium
Der Gewerkschaftsausschuß der Einheitsgewerkschaft trat am Mittwoch, dem
10. März zu einer Sondersitzung zusammen, um zu dem Einspruch des Arbeitsmi-
nisters gegen den Schiedsspruch im Lohnkonflikt im Saarbergbau Stellung zu neh
men. Nach eingehender Beratung wurde folgender Beschluß gefaßt:
In Anbetracht der Tatsache, daß dem Oef-
fentlichen Dienst, einschließlich der Straßen-
und Eisenbahnen die selbstverständliche und
verfassungsmäßig vorgeschriebene Anerken
nung ihrer Hechte als gleichberechtigte Partner
zur Regelung der Arbeite- Und Lohnverhält
nisse durch den Nichteinbezug in das saarlän
dische Tarifvertragsrecht versagt ist,
in Anbetracht der Tatsache, daß Ministerprä
sident Hoffmann in seiner Eigenschaft als Ar
beitsminister im Saarbergbau unter Berufung
auf § 11, Abs. 1 des Gesetzes über Tarifver
träge und Schlichtungswesen Einspruch erho
ben und zu gleicher Zeit den Streitfall vor die
in der Wirtschaftskonvention vorgesehene ge
mischte Kommission gebracht hat, um die Fra
ge der Zuständigkeit des Staatl. Schlichtungs
ausschusses für den Saarbergbau zur Entschei
dung zu bringen.
stellt der Gewerkschaftsausschuß mit Empö
rung fest, daß ähnlich den Arbeitern und An
gestellten des Oeffentlichcn Dienstes einschließ
lich der Straßen- und Eisenbahnen, auch die
Saarbergleute Gefahr laufen, daß das Recht
auf Tarifvertragsfreiheit für sie keine Anwen
dung findet.
Der Gewerkischaftsausschuß
verweist auf Artikel 47 der saarl. Verafssung
mit folgendem eindeutigen Wortlaut:
„Für alle Arbeitnehmer ist ein einheitliches
Arbeitsrecht mit besonderer Gerichtsbar
keit zu schaffen, welches das Schlichtungs
wesen sowie die unabdingbaren Kollektiv
vereinbarungen zwischen Gewerkschaften
und Arbeitgeberorganisationen regelt.“
Der Gewerkschaftsausschuß
stellt fest, daß das saarl. Gesetz über das Ta
rifvertrags- und Schlichtungswesen den Saar
bergbau nicht ausschließt. Er erkennt die in
in einem Zusatzprotokoll festgelegten einschrän
kenden Maßnahmen für den Saarbergbau nicht
an, weil
a) der Ausschluß der Regie des Mines aus
dem Geltungsbereich des Tarifvertrags
gesetzes durch ein Zusatzprotokoll über
haupt nicht vollzogen werden kann,
b) darüber hinaus die in dem Zusatzprotokoll
angeführten Gewerkschaftsvertreter es ent
schieden ablehnen, ihre Zustimmung gege
ben zu haben, daß der Bergbau außerhalb
des Tarifvertragsgesetzes zu behandeln sei.
Der Gewerkschaftsausschuß
empfiehlt dringend dem I.-V. Bergbau, in An
betracht der Mißachtung demokratischer Prin
zipien an der Saar, Beschwerde einzulegen bei
dem Ministerrat des Europarates, bei der UNO
und bei dem Internationalen Bund Freier Ge
werkschaften, um in den an der Saar herr
schenden Zuständen eine Aenderung herbeizu
führen.
Der Gewerkschaftsausschuß
erklärt «ich weiterhin einstimmig bereit,
den Industrieverband Bergbau in seinen Kampf-
maßnahmeu mit allen Mitteln zu unterstützen
und versichert seine uneingeschränkte Solida
rität.
Klare Forderung des l.V. Bergbau
Erklärung der Revierkonferenz
Um den oben erwähnten Stand der Dinge
richtig einzuschätzen, ist es notwendig, noch
darauf hinzuweisen, w T as vorangegangen ist. Der
I.-V. Bergbau hatte in Erkenntnis der Situation
bereits am 2. März eine Revierkonferenz ein
berufen, die von über 1400 Delegierten besucht
war. Auf dieser Konferenz wurde die Auffas
sung der Delegierten in einer Entschließung
zueammengefaßt, in der es heißt:
Die zu einer Revierkonferenz am Sonntag,
dem 2. März 1952, in Sulzbach versammelten
1500 Funktionäre des I.-V. Bergbau der Ein
heitsgewerkschaft nehmen zur derzeitigen Lohn
situation und Lohnbewegung wie folgt Stellung:
I. In Anbetracht, daß die Regie des Mines
den Einwand erhoben hat, daß das Gesetz über
Tarifvertrags- und Schlichtungswesen vom 22.
Juni 1950 auf die Saargruben keine Anwendung
finden würde;
in Anbetracht, daß dagegen das Arbeitsmrm-
sterium des Saarlandes mit Schreiben vom 10.
September 1950 erklärt hat, daß die Saargruben
ohne Einschränkung unter das Tarifvertrogfi-
gesetz vom 20. Juni 1950 fallenj
in Anbetracht, daß der Schlichtungs- und
Schiedsausschuß in Anwendung des Tarifver
tragsgesetzes mehrere Besprechungen über den
Lohnkonflikt im Bergbau geführt hat und am
23. Februar 1952 eine Sprozentige Lohnerhö
hung auf die Leistungssteigerung und Ertrags
lage der Saargruben anerkannt hat;
in Anbetracht, daß diese Erhöhung des Loh
nes von nur 5 o/o die notwendige allgemeine
Lohnerhöhung auf Grund der Preissteigerung
außer acht läßt,
erklärt sieh die Revierkonferenz mit der
Annahme des Vorschlages des staatlichen
Sehieds- und Schlichtungsausschusses ein
verstanden, betont jedoch mit Nachdruck,
auf der ursprünglich gestellten Lohnforde
rung bestehen zu müssen unter Berücksich
tigung der weiteren Steigerungen der Le
benshaltungskosten. Um diese Forderung
zu verwirklichen, wird die Verbandsleitung
beauftragt, unverzüglich in neue Lobnver-
handlungen mit der R£gie des Mines ein
zutreten.
II. Zu dieser Lohnforderung,
fordert die Revierkonferenz
Beschwerde an die UNO
Entschlossener Kampf des l.V. Eisenbahn
Wegen Mißachtung der demokratischen
Prinzipien durch die ^Regierung des Saar
landes (Verweigerung des Tarifvertrags
rechtes für die im öffentlichen Dienst be
schäftigten Bediensteten und Nichtbeach
tung der Konvention Nr. 98 (Internatio
nales Arbeitsamt) hat der I.-V. Eisenbahn
am 13. 2. 1952 eine Beschwerde an die
UNO gerichtet. Der gleiche Text der Be
schwerde, der nachstehend abgedruckt ist,
ging auch an den Internationalen Bund
Freier Gewerkschaften, ferner Deutschen
Gewerkschaftsbund, die Gewerkschaft der
Eisenbahner Deutschlands und die „Force
Ouvriere“ gesandt.
Außerdem sei darauf hiugewiesen, daß
der Deutsche Gewerkschaftsbund hei der
nächsten Sitzung des Internationalen Ar
beitsamtes in Genf, da er offizielles Mit
glied ist, die Vertretung des I.-V. 1 Eisen
bahn gegen die Regierung des Saarlandes in
Genf übernommen hat, wobei der DGB.
ebenso wie der IBFG die Haltung des I.-V.
Eisenbahn unterstützen wird.
Sehr geehrter Herr General-Sekretär!
Die fruchtlosen Bemühungen der Indu-
strieverbände des öffentlichen Dienstes der
Einheitsgewerkschaft des Saarlandes, die
selbstverständliche und verfassungsmäßig
vorgeschriebene Anerkennung ihrer Rechte
als gleiehberechtigte Partner zur Regelung
der Arbeits- und Lohnverhältnisse der
durch sie vertretenen Arbeitnehmer durch
zusetzen,
die bewußte und vorsätzliche Mißachtung
der demokratischen Prinzipien im allge
meinen und der durch Verfassung und
Grundrecht gewährleisteten Tarifvertrags
freiheit im besonderen,
die Bereitschaft der Träger der staat
lichen Gewalt im Saarland, die Grund
sätze einer auf diktatorischem Befehl ru
henden Ordnung eines vergangenen Systems
im Bereich des öffentliehen Dienstes wie
der aufleben zu lassen,
erfüllen uns mit großer Sorge um die Erhal
tung des sozialen Friedens an der Saar und
veranlassen uns, mit dem ganzen Gewicht der
ans obliegenden Verantwortung die Aufmerk
samkeit der UNO auf die hier herrsehenden
Zustände zu lenken und in aller Form Be
schwerde zu heben.
Trotz wiederholter Vorstellungen der Ge
werkschaft hat die Regierung des Saarlandes
am 11. 7. 1951 durch den Landtag ein Ge
setz zur Regelung der Dienst- und Besoldungs-
Verhältnisse der saarl. Eisenbahnen im Rahmen
einer Tarifordnung beschließen lassen und am
26. 10. 1951 verkündet, das das Recht auf Ta-
(Fortsetzung auf Seite 2)
a' die Einführung der gleitenden Lohn- und
Rentenskala,
b) als Grundlage zum Eintritt in das System
der gleitenden Lohnskala die Erhöhung des
Ecklohnes im Bergbau, um den Reallohn
znnächst wieder herzustellen;
c) die Verringerung der Lohnspannen inner
halb der Lohnkategorien;
d) die Anwendung des vollen Tarifvertrags
rechts auf den Saarbergbau, die Beseiti
gung der Fesseln der Wirtschaftskonven
tion (Art. 3) und damit einen saarländi
schen JBergmannslohn.
III. Die Revierkonferenz begrüßt die Füh
lungnahme mit den französischen Bergarbeiter-
gewerkschaften in der allgemeinen Lohnfraga
und w'ünscht, daß die angebahnte Aktionsein
heit zu einem guten Erfolg führt.
Die Revierkonferenz fordert die Belegschaft
der Saargruben auf, wachsam im Kampf um
die allgemeine Lohnerhöhung zu bleiben und
nötigenfalls zu einem offenen Gewerkschafts
kampf bereit zu sein.
*
Die Entwicklung nach dieser Revierkonferenz
ist gekennzeichnet durch den Einspruch des
Arbeitsministers gegen den Schiedsspruch und
den darauf erfolgten Schluß der Sondersitzung
des Gewerkschaftsausschusses vom 19. 3. und
die allgemeine Haltung innerhalb der Gewerk
schaft, die mit den erforderlichen weiteren
Maßnahmen der Situation begegnen wird.
Kongreß der Entscheidungen
Zur Generalversammlung der EG
Nur noch wenige Tage trennen uns von dem
Kongreß der Einheitsgewerkschaft, der, wie be
reits angekündigt, am 29. und 30. März in
der Festhalle Lp Sulzbach abgehalten wird.
Es ist die Aufgabe der Delegierten, vom
Vertrauen der Mitglieder getragen, sich auf
diesen wichtigen Kongreß eingehend vorzube-
reiiten, um in der kurzen Zeit von zw-ei Tagen
die überaus umfangreiche Tagesordnung sach
gemäß und erfolgreich bewältigen zu können.
Mehr als zwei Jahre sind seit der letzten
Generalversammlung vergangen. Wie damals,
so wird auch diesmal zunächst Rückschau zu
halten sein, um den zurückgclegten Weg zu
überblicken, Erfolge und Fehler, sowie Verant
wortlichkeit festzustellen, um dann nach posi
tiver Kritik und sorgfältiger Prüfung zu einer
neuen Programmgestaltung für die zukünftige
Gewerkschaftsarbeit zu gelangen.
Der Kongreß einer Organisation von der Be
deutung der Einheitsgewerkschaft findet nicht
nur das Interesse der Mitglieder, sondern der
breiten Oeffentiichkeit. Die letzten Ereignisse
auf lohnpolitischem und wirtschaftspolitischem
Gebiet stellen den gewerkschaftlichen Faktor in
ganz besonderem Maße in den Vordergrund. Die
Entschließungen des Gewerkschaftsausschusses
und der Verbände geben einen vorläufigen Nie
derschlag. Weitere Maßnahmen sind in Vor
bereitung. Sic werden den gegebenen Tatsachen
und der kommenden Entwicklung in vollem
Maße Rechnung tragen und werden auch dem
Kongreß ihren Stempel aufdrücken.
Der diesjährige Kongreß fällt in eine Zeit
stärkster Spannungen. Die Delegierten wissen,
worum es in der neuen Phase der Gewerk
schaftsbewegung geht. Sie werden ein Gremium
wählen und neue Programmpunkte festlegen.
Nicht vage Wünsche und Hoffnungen werden
die Zukunft bestimmen müssen, sondern klare,
eindeutige Richtlinien und Maßnahmen, die um
so eher zum Ziele führen, je mehr bewährte Ei
genschaften gewerkschaftlicher Politik, wie Di
sziplin und Entschlossenheit, Stoßkraft und
Zähigkeit, Aufgeschlossenheit und Elan zum
Zuge kommen.
Wir stehen zweifellos an einem Wendepunkt.
Die Delegierten haben es in der Hand, auf die
neue Entwicklung fruchtbringend und gewerk
schaftsfördernd einzuwirken. In Wahrung der
parteipolitischen und religiösen Neutralität wird
die Einheitsgewerkschaft durch ihren Kongreß
der gewerkschaftlichen Organisation und da
mit der Arbeitnehmerschaft überhaupt neue
Kräfte verleihen und der Wirtschafts- und So
zialpolitik neue Antriebe geben.
Mag auf anderen Gebieten des Lebens Har
monie vorhanden sein, im Bereich der Sozial-
und Wirtschaftspolitik herrschen nun einmal,
solange die heutigen Systeme bestehen, andere
Gesetze, nämlich die des ständigen Kampfes.
Die Delegierten selber kennen die Vielgestal
tigkeit der Probleme und ihre Dringlichkeit.
Die Mitglieder erwarten von ihnen, daß sie im
entscheidenden Augenblick die Kräfte, starkes
Selbstbewnßtsein und klare Ueberlegung besit-
sen und somit das in sie gesetzte Vertrauen
rechtfertigen, und daß sie nicht durch die Viel
zahl der Anträge und Vorschläge erlahmen.
Heute ist manches reif, was gestern noch un
reif war. Von den Delegierten hangt vieles ab.
Eis gilt jetzt, das Gesetz der Stunde zn erken
nen. Zuversicht, ja volle Zuversicht ist trotz
großer Schwierigkeiten angebracht. Die frühe
ren Leistungen, die Erfolge, sind ein Ansporn
für die Zukunft.
Die von den Delegierten als aktive Gewerk
schaftler in der Vergangenheit so oft und not
wendigerweise gebrauchten Parolen: „Es giit
zu kämpfen!“, „Durch Einheit zur Stärke!“,
„Für wahren Frieden, Freiheit und Wohlstand“
— sie kommen an diesen beiden Tagen in erster
Linie für sie selbst in Frage.
So betrachtet, werden die Delegierten der
Anerkennung und der Treue durch die Gewerk
schaftsmitglieder sicher sein. Sie werden nicht
zuletzt durch eine solche Haltung den Gewerk-
schaftsgedanken weiter vertiefen und die Ge
werkschaftsbewegung selbst weiter stärken zum
Wohle der schaffenden Menschen, zur Festigung
der demokratischen Kräfte und zur Zusammen
arbeit für Fortschritt und Freiheit. Der Glaube
an die Gewerkschaft ist vorhanden. Der Kon
greß wird ihn erhärten.
Gruß an Gäste und Delegierte
Den Gästen und Delegierten, die
am Kongress der Einheitsgewerk
schaft am 29. und 30. März in der
Festhalle In Sulzbach teinehmen
werden, herzlichen Gruß und W»H-
kommen!