ORGAN OER EINREITGGEUIERHSIHAFTEN DER RRREITER. RNEEGTELLTEN UND OERIOTEN
6. Jahrgang
Saarbrücken, März 1951
Nr. 4
ABSCHIED VON HANS BÖCHLEB
Die Fahnen der Bundesrepublik wehen auf
Halbmast. Einer der größten Söhne des deut
schen Volkes, Hans B ö c k 1 e r f der 1. Vor
sitzende des Deutschen Gewerkschaftsbun
des, hat am 16. Februar 1951, kurz vor
Vollendung seines 76. Lebensjahres für im
mer die Augen geschlossen. Für die deutsche
dem Wiederaufbau der neuen Gewerkschafts
bewegung begann. Der Wiederaufbau und die
Einigung der deutschen Arbeitnehmerschaft
zur größten demokratischen Organisation der
Bundesrepublik ist das Werk Hans Böcklere.
In nimmermüder Arbeit, vom Ortsfunktionär
nach jahrzehntelanger ehren- und hauptamt
Gewerkschaftsbewegung bedeutet sein Tod
einen iwotsetzlichen Verlust.
Hans Bö ekler war ein Mensch seltener
Art, ausgestattet mit den Gaben des Geistes,
gerüstet mit Erfahrungen des wirtschaftli
chen Lebens, glänzend in Lauterkeit und
Charakterstärke war er Führer und Träger
der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Er
war Mitbegründer des Internationalen Bun
des Freier Gewerkschaften und dessen Vize
präsident. Seinem internationalen Wirken
und entsprechend dem Ansehen, das er in
der Welt genoß, verdankt das deutsche Volk
mit die Wiederanerkennung als gleichberech
tigte freie Nation.
Hans Böckler wurde am 26. Februar 1875
in Traunskirchen bei Fürth geboren. Seine
Jugendjahre verlebte Böckler in Fürth, wo
er auch das Handwerk des Gold- und Silber
schlägers erlernte. Bereits am 15. Juni 1894
wurde Böckler Mitglied des neugegründeten
Deutschen Mctallarbeitervcrbandes. Im Jahre
1903 wurde er hauptamtlich tätiger Gewerk
schaftssekretär des Verbandes. Eines seiner
ersten Arbeitsgebiete war das Saarland, das
mit Elsaß-Lothringen zusammen (letzteres
war damals noch deutsches Reichsgebiet) zum
8. Bezirk des Deutschen Metallarbciterver-
bandes gehörte. Die Gewerkschaftsarbeit in
der damaligen Zeit, ganz besonders aber im
rühmlich bekannten Saarabien, war für ei
nen Gewerkschaftsfunktionär mit den größ
ten Schwierigkeiten verbunden.
Der damalige Polizeistaat in Verbindung
mit dem reaktionären Arbeitgcbertum an
der Saar bekämpfte die neu erstandenen Ge
werkschaften mit allen zur Verfügung ste
henden Mitteln. Im Jahre 1908 sehen wir
Böckler bei der Bezirksleitung des DMV in
Frankfurt, später- in Breslau und Berlin. Eine
erlittene Kriegsverletzung ermöglichte es ihm
jm Jahre 1916, wieder seine gewerkschaft
liche Tätigkeit aufzunehmen. Mit der Macht
übernahme durch die Nationalsozialisten
wurde auch seiner Tätigkeit ein jähes Ende
gesetzt; er lernte als Gegner des Systems
e angmsse und alle Repressalien der Na
tionalisten kennen.
Nach dem Zusammenbruch war Hans Böck-
‘ rotz «eines damals schon hohen Alters
mit der Erste, der in der Metropole deut
scher Arbeit, in Rheinland/Westfalen, mit
lieber Tätigkeit, getragen vom Vertrauen
der deutschen Gewerkschaftsmitglieder, stieg
Böckler im Oktober 1949 auf dem Grün-
dungskongreß des Deutschen Gewerkschafts
blindes zum Repräsentanten der deutschen
Gewerkschaftsbewegung empor. Sein Bemü
hen galt der Schaffung einer neuen Wirt
schafts- und Sozialordnung. Gekrönt wurde
seine Arbeit in den letzten Wochen seines
Lebens nach Abschluß langwieriger Verhand
lungen mit der Bundesregierung durch die
Einführung der Mitbestimmung der Arbeiter
und Angestellten in einem großen Teil der
Metallindustrie und des Bergbaus. Die letzten
Kräfte seines so erfolgreichen Lebens opferte
er für die Erreichung dieses Zieles.
Für die Einheitsgewerkschaft des Saarlan
des hatte Hans Böckler volles Verständnis.
Er war uns Freund und Kamerad, und die
kollegiale Zusammenarbeit in den zurücklie
genden Jahreii innerhalb und außerhalb der
internationalen Gewerkschaftsbewegung war
die beste.
Und nun mußten auch wir für immer von
ihm Abschied nehmen. In der Aula der Köl
ner Universität, umgeben von einem Blu
menmeer, hat das ganze deutsche Volk, haben
die deutschen Gewerkschaftler, der Bundes
vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbun
des, der Exekutivaussclniß des Internationa
len Bundes Freier Gewerkschaften, der Prä
sident der Bundesrepublik, Professor Dr.
Heuß, der Bundeskanzler Dr. Adenauer, die
alliierten Hohen Kommissare, Minister und
Abgeordnete, Hans Böckler die letzte Ehre
erwiesen. Tausende und Abertausende schaf
fender Menschen bildeten auf dem Weg zum
Friedhof in tiefster Trauer Spalier. Männer
und Frauen des deutschen Volkes schämten
eich nicht der Tränen, die sie vergossen,
als Hans Böckler zu Grabe getragen wurde.
Die Delegationen der Saar von der Einheits
gewerkschaft, der saarländischen Volksfür-
ßorge, den Körperbehinderten und Unfallbe-
scoädigten, legten als letzten Dank und mit
der Versicherung unvergänglichen Gedenkens
dem toten Freund den letzten Gruß am Grabe
nieder. Als ein Sohn des Arbeiterstandes
geboren, als ein Sohn des Volkes starb Hans
Böckler nach einem Leben im Kampf für
Freiheit, Recht und sozialen Wohlstand der
schaffenden Menschen.
Zur Arbeitsunfallversieherung
Arbeit und Recht
iWwhtig um, Thema Gewerksehaftsscndungen
Gewerksehaftsfugend und Europa
Kurznachrichten für junge Gewerkschaftler
Aus dem J-nhait:
Die Theatergcmeinde teilt mit
Das Saarland und die IAO
Gflh
Rechtsbeistand der Gewerkschaft
Indcxcrrcchnung
Hintergründige Anweisungen
Freie Marktwirtschaft oder
sozialgelenkte Planwirtschaft
Seit Monaten geht eine sich immer mehr
steigernde Unruhe durch alle Betriebe, alle
Haushaltungen und durch unser ganzes öffent
liches Leben. Was sind die Ursachen dieser
Unruhe? Renten, Unterstützungen, Löhne und
Gehälter stehen seit Jahr und Tag in einem
krassen Mißverhältnis zu den Lebenshaltungs
kosten. Verschärft hat sich dieser Mißstand
seit Juli des vergangenen Jahres durch wesent
liche Preissteigerungen. Gleich, ob es sich um
unentbehrliche Verbrauchsgüter des täglichen
Lebens oder um Bekleidung und Gebrauchsge
genstände handelt. Seit Monaten sinkt dement-
chend die Lebenshaltung unserer Bevölkerung
ab. Und noch vermag niemand abzusehen, wann
die Preissteigerungswelle ihren Höhepunkt er
reichen wird.
Was ist nun die Ursache dieser Preisbewe
gungen? Durch die in Korea aufgetretenen in
ternationalen Spannungen ist auf den 'S eltrnh-
Btoffmärkten durch die massierte Nachfrage für
den militärischen Bedarf eine sich überschla
gende Preishausse eingetreten. Gleichzeitig mit
dieser ungesunden Hausseentwicklung auf den
Weltmärkten setzten die bekannten Hamsler-
einkäufe ein. Die breite Masse unserer Bevöl
kerung konnte sich infolge ihrer geringen Ein
kommen allerdings nicht an diesen Einkäufen
beteiligen. Gerade hierdurch aber w urde die Un
zufriedenheit unserer Bevölkerung über das un
zulängliche Einkommensniveau noch verstärkt.
Die Ursachen dieser anhaltenden Preishau^se
aber sind nach unserer Auffassung nicht nur
In den Weltmärkten zu suchen. So gerne man
es glauben möchte, aber Korea ist nicht allein
schuld. Hätte unsere Regierung an Stelle einer
freien Marktwirtschaft eine sinnvolle planmä
ßige WirtsehaltsgolHik getrieben und Vorsorge
getroffen, daß sich nicht Kreise des Lnter-
nehmertums und des Handels unter skrupello
ser Ausnutzung der Situation unangemessen be
reicherten, dann wäre es um den Lebensstandard
unserer saarländischen Bevölkerung heute an
ders bestellt. Um wieviel glücklicher und be
sonnener stehen heute beispielsweise England,
Dänemark und Schweden den Ausbrüchen sol
cher Bewegung gegenüber 1 Dort versucht man
nicht, den Werktätigen die Vorteile einer freien
Marktwirtschaft zu predigen und ebenso ver
zichtet man dort weitgehend auf Einfuhr von
Luxusartikeln. Dabei sind diese Länder reicher
und sehr viel weniger von den Kriegsnachw ir-
kungen betroffen als unser schwer heimgesuch
tes Saarland.
Und noch auf eine andere Tatsache wollen
wir in diesem Zusammenhang hinweisen, was
vor allem den Unternehmern zum Denken An
laß geben müßte: In all den genannten Ländern,
in denen eine Wirtschaftspolitik betrieben wird,
wie sie auch den Mitgliedern der Einheitsge
werkschaft vorschwebt, kennt man keine kom
munistische Gefahr. Diese Feststellung aber
kann man nicht treffen für jene Länder, auf die
»ich die Vertreter der freien Marktwirtschaft
gerne berufen.
Ohne zu übertreiben, kann man wohl be
haupten, daß sieh die Preispolitik von den Er
eignissen der letzten Monate hat überrennen
lassen. Schuld aber hieran ist der Mangel an
einer vorausschauenden Planung. Es ergibt sich
darum als zwingendes Gebot, daß unsere an
fällige Wirtschaft eine Planung der Preise un
bedingt braucht und daß diese Planung Be
standteil eines Gesamtwirtschaftsplanes sein
muß. Die Vergangenheit hat uns eindeutig be
wiesen, daß das kapitalistische System mit sei
ner freien Marktwirtschaft den Lebensinteres-
Ben der Werktätigen nicht gerecht worden ist.
Wir müssen daher zu einer wirtschaftlichen
Neuordnung kommen, deren Ziel nicht mehr
das kapitalistische Gewinnstreben, sondern das
Wohlergehen des Gesamtvolkes ist. Dies wird
aber nicht dadurch erreicht, daß man ver
schwommene und unverbindliche Bekenntnisse
zur sozialen Gerechtigkeit und zur grundsätz
lichen Anerkennung der Gleichberechtigung
von Kapital und Arbeit abgibt. Es kommt viel
mehr darauf an, durch Taten zu beweisen, daß
man gewillt ist, den arbeitenden Menschen un
seres Landes in Staat und Wirtschaft jenen Ein
fluß einzuräumen, auf den sie in einer moder
nen Gesellschaft Anspruch haben. Es handelt
sich darum, eine Wirtschaftspolitik durchzu-
setzen, die in erster Linie auf die Bedürfnisse
der breiten Massen unseres Volkes abgestimmt
ist, nicht aber auf die von Interessengruppen
in Industrie und Handel. Die organisierte Ar
beitnehmerschaft weiß, daß sie nur dann da
mit rechnen kann, Gehör für ihre Wünsche zu
finden, wenn sie das Mitbestimmungsrccht in
der Wirtschaft besitzt und damit die Gleich
berechtigung der Arbeit mit dem Kapital auch
praktisch Ausdruck gefunden hat.
Der erste Schritt zur Verwirklichung dieser
wirtschaftlichen Neuordnung ist darum die Ge
währung des Mitbestimmungsrechtes an die'
Arbeitnehmer. Dies muß dadurch erfolgen, daß
man in den Betrieben den Beschäftigten da»
Recht einräumt, an den grundlegenden Fragen
der wirtschaftlichen Planungen und sozialen Ge
staltung gleichberechtigt mit den Arbeitgebern
mitzuarbeiten. Darüber hinaus aber wird auf
lange Zeit eine planmäßige Lenkung unserer
Gesamtwirtschaft in erheblichem Umfange not
wendig sein. Aber nicht nur im Hinblick auf
die augenblicklichen Schwierigkeiten der wirt
schaftlichen Lage ist diese Planung und Len
kung erforderlich. Da die Wirtschaft der Be
darfsdeckung des Volkes zu dienen hat, muß
ihre planmäßige Lenkung schon als Selbstzweck
bejaht werden. Diese Plammgsaufgaben sollen
nac h unserer Auffassung in einer Wirtschafts-
kasnmer wahrgenommen werden, in der Arbeit
nehmer wie auch Konsumenten gleichberechtigt
neben den Unternehmern vertreten sind;. Die
Einheitsgewerkschaft fordert daher die baldige
Schaffung dieser Kammer, die ja auch neben
der noch zu bildenden Arbeitskammer in der
Verfassung zugesichert ist.
Solange diese Neuordnung der Wirtschaft
aber nicht Wirklichkeit geworden ist, müssen
die Gewerkschaften darüber wachen, daß ein
weiteres Absinken des RealRwines nicht erfolgt.
Sie tun dies, indem sie einerseits von der Regie
rung scharfe preis- und wirtschaftspolitische
Maßnahmen zur Sicherung der Kaufkraft der
Löhne verlangen (Sicherstellung des zivilen Be
darfes, Gewinnabschüpfung bei Rüstungsbetrie
ben, Sonderbesteuerung der RüstungSbctriebe)
und andererseits die abgeschlossenen Tarifver
träge kündigen und eine Erhöhung der Nomi-
naliuhne fordern. Die Gewerkschaften vertre
ten dabei die Auffassung, daß entsprechend der
Produkttonssteigerung in der Gesamtwirtschaft
die gegenwärtige Aufteilung des Sozialproduktes
nicht mehr der Gerechtigkeit entspricht und
daher der Realluhn wesentlich aufgebessert wer
den muß. Sie berufen sich für diese ihre Auf
fassung auf das starke Anwachsen der Giroein-
lagen, die nach einer Veröffentlichung des Sta
tistischen Amtes 1950 um ein Beträchtliches
über den Zahlen des Vorjahres liegen. .
Die kommenden Wochen werden zeigen, in-
wieweit die Unternehmer bereit sind, den be
rechtigten Forderungen der Gewerkschaften zu
entsprechen oder aber ob die Löhne wiederum
wie in den rückliegenden Monaten durch staat
liche Schiedssprüche für die einzelnen Berufs
zweige festgelegt werden müssen. Dieses ist aber
eine gefährliche Halbheit, denn wir haben dann
die kuriose Situation zu verzeichnen, daß wir
.innerhalb der freien Marktwirtschaft neben ei
ner freien Preisbildung zum Teil gebundene po
litische Löhne haben. Bei dieser Art Lohnfest
setzung aber ging man in der Regel, wie die
Erfahrung gelehrt hat, an der Tatsache vorbei,
daß das Verhältnis zwischen Löhnen und rrei-
gert' durch die preispolitische Entwicklung der
letzten Jahre erheblich verzerrt ist. Da die Ver
bindlichkeitserklärung eines Schiedsspruches
aber bedeutet, daß zwischen den Tarifparteien
zwangsweise ein Vertrag geschaffen wird mit
allen daraus hervorgehenden Verbindlichkeiten
und Haftungen, ist es zumindest unmoralisch,
wenn Löhne und Gehälter von Staats wegen
fcsigclegt oder gar gestoppt werden und ande
rerseits sich aber die Preise nach wie vor frei
entwickeln können. Von diesem Gesichtspunkt
aus gesehen ist es ein Unding, eine befriedigende
Staatliche Lohnpolitik führen zu wollen bei
Fortbestand einer freien Wirtschaft ohne staat
liche Planungsbefugnis in der gesamten Volks
wirtschaft.
Aus den dargelegten Gründen und weil wir
tagtäglich von neuem feststellen können, daß
die freie Marktwirtschaft, die sich sogar so
zial“ nennt, mit ihrem Prinzip des laisser-
faire die Güterverteilung wie auch die Einkom-
niensgestaltung keineswegs fair vornimmt, ver
langen wir eine planmäßig gelenkte Gesamt-
wSrtsehaft mit einem neuen Ordnungsprinzip.
Wir hängen dieser Planwirtschaft an, weil wir
der Ueberzeugung sind, daß Produktion und
Verteilung im Dienste der sozialen Ziele kon
trolliert werden müssen. Erst dann, wenn die
Wirtschaft neu geordnet und die wirtschaftli
che Mitbestimmung der Arbeitnehmer fest ver
ankert ist, wird eine Besserung der Lebensbe
dingungen für die Gesamtbevölkerung gewabi-
Icistet sein. Esst eine von den arbeitenden
Menschen und ihren Organisationen mitbe
stimmte Wirtschaftspolitik wird die Gewähr
dafür geben, daß die Produktion zur höchsten
Leistung gebracht wird und die Interessen der
Konsumenten neben den Interessen der Pro
duktion voll berücksichtigt werden. Erst die
von uns mitbestimmte Wirtschaft wird die ge
rechte Verteilung des Sozialproduktes garantie
ren und erst eine solche sozial verpflichtete und
f emeinsam verantwortete Wirtschaft, die auf
er Grundlage der Gleichberechtigung von Ka
pital und Arbeit aufgebaut ist, wird den so
zialen Frieden sicherstellen. H* L.