DER RRREITER, ANGESTELLTEN UND DER RITEN
6. Jahrgang
Saarbrücken, Februar 1951
Nr. 3
Lohn- und Preissituation
zwingt zu Sofort-Maßnahmen
Eingabe der Einheitsgewerkschaft an die Regierung - Dringliche
Ministerratsbesprechung beantragt - Zunahme der sozialen Spannungen
Mit ernster Sorge verfolgt die Einheitsgewerkschaft des Saarlandes das durch
die dauernde Steigerung der Preise bedingte progressive Absinken der Kaufkraft.
Da vor allem in den Kreisen der Arbeitnehmerschaft durch diese Preishausse eine
Situation ausgelöst wird, die geeignet ist, den sozialen Frieden in unserem Lande zu
gefährden sah sich die Hauptverwaltung der Einheitsgewerkschaft veranlaßt, an
den Ministerpräsidenten mit der Bitte neranzutreten, veranlassen zu wollen, daß
seitens der saarländischen Regierung Untersuchungen angestellt werden über die
Gründe und Ursache dieser, das Preis- und Lohngefüge verschiebenden Entwick
lung Gleichzeitig bitten wir, geeignete Maßnahmen in die Wege zu leiten, die eins
Wiederherstellung der lohn- und preispolitischen Stabilität gewährleisten.
In dieser Eingabe an den Ministerpräsidenten, die auch an das Arbeits- und
Justizministerium gerichtet wurde, heißt es weiter:
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Aus dem Jjifudt:
Der Erfolg in der Mitbestimmung
Sozialpolitik in Zahlen
Tarifverträge für alle Arbeitnehmer
Verbände berichten
Initiative des L-V. Eisenbahn
Störenfriede bei der „Kravag“
l Millionen Arbeitslose in der DBR,
Der junge Gewerkschaftler
Briefkasten
Kündigung und Einspruchsrecht
Zur Erhöhung der Familienzulagen
imtiiimimiiiiiHiiimiiiimiiiiimiiiiimiiiDiiimimiiiiiimiiiiiiiiDiiiiHitiiimiimmiiiiiiimiiihiiiiMimmiiHiiimiiimimiiiiiiiiiimiilimiiimmmHmimiimiimtuiimiimmHmmn
Der saarländische Arbeitskammer-Entwurf
Aulbau und Aufgabenbereich der neuen Kammer
Die zwischen den Gewerkschaften und
den Arbeitgeberverbänden seit Verab
schiedung des Tarifvertragsgesetzes ab
geschlossenen Tarifverträge und Lohnver
einbarungen haben zwar in etwa Lohner
höhungen für die Arbeitnehmerschaft ge
bracht. Dieselben sind jedoch keinesfalls
dazu angetan, einen gerechten Ausgleich
von Lohn und Preis herbeizuführen. Wenn
wir dazu noch feststellen müssen, daß
trotz aller Anstrengungen der werktätigen
Bevölkerung, die Produktion zu steigern
und die Saarwirtschaft mit allen Kräften,
xu fördern, die Realeinkommen gemessen
an den Lebenshaltungskosten sich nicht
erhöht, sondern stetig verschlechtert ha
ben, betrachten wir es als unsere Pflicht,
aut die durch diese Vorgänge hervorge
rufene Zunahme der sozialen Spannungen
hinzuweisem und zu betonen, daß, wenn
nicht alles getan wird, um eine Besse.rung
dieses Zustandes herbeizuiühren, die
fcmii^itsaewerkscliait sich, veranläßt Etefot,
»amtliche Tarifabkommen und Lohnver
einbarungen kurzfristig zu kündigen, was
aber eine -den sozialen Frieden bedrohen
de Situation hervorrufen würde.
In diesem Zusammenhang gestatten wir
uns daraut hinzuweisen, daß der Erlaß
über die Erhöhung der Familienzulagen
»tischen Amtes vom 30. 1. 1951 sind die
abgesunkene Kaufkraft darstellt. Nach
dem nun dieser Tage in der französischen
Kammer einem Antrag auf weitere Erhö
hung der Familienzulagen mit großer
Mehrheit zugestimmt wurde, bittet die
Einheitsgewerkschaft, auch im Saarland
bei der Kasse für Familienzulagen eine
Ueberprüfung betr. einer erneuten Erhö
hung der Familienzulagen veranlassen zu
wollen.
Laut einer Veröffentlichung des Sfcti-
estjschen Amtes vom 30. 1. 1951 sind die
Lebenshaltungskosten seit Juli 1950 um
13,6 Prozent angestiegen. Diese Angaben
erscheinen uns fragwürdig, weil das Men-
E enschema, das den Berechnungen der
ebenshaitungskosten zugrunde liegt,
nach unserer Auffassung nicht elastisch
genug gestaltet ist und die von der Nach-
frage bevorzugten Waren zu wenig be
rücksichtigt. So müßten nach Meinung
der Einheitsgewerkschaft im Mengen-
schema größere Mengen an Fett-, Fleisch-
und Wurstwaren eingesetzt werden, als
dies der Fall ist.
Der Bedarf an diesen lebensnotwendi
gen Artikeln ist nun im Saarland als ei
nem Lande der Schwerindustrie ein un
gleich größerer als m Gebieten mit an
ders gelagerter Wirtschaftsstruktur. Ge
rade diese Produkte aber haben in den
letzten Wochen eine außerordentliche
Preissteigerung erfahren.
Aut Grund eigener Erhebungen wurde
von uns festgestellt, daß allein bei einer
Reihe lebensnotwendiger Verbrauchsgüter
eine durchschnittliche Preissteigerung von
17 Prozent eingetreten ist. Da in der glei
chen Zeit dis Kosten für Bekleidung sich
um über 20 Prozent erhöhten, ist anzu
nehmen, daß die Lebenshaltungskosten
insgesamt eine Steigerung um diesen Pro
zentsatz erfahren haben.
Auch erlauben wir uns darauf hinzuwei
sen, daß die Höher der Lebenshaltungsko
sten wesentlich bestimmt wird von den
inkommen, die man den Betrachtungen
zugrunde legt. So spielen bei hohen Ein-
kommen die nicht unbedingt lebensnah-
R ^ Verbrauchsgüter eine wichtig»
' abeT im allgemeinen die«
Ur^ ter ' ^ k>®me Preiserhöhung
t, . Preissenkungen zu verzeichnen
haben und die bei der Feststellung der
«allgemeinen Lebenshaltungskosten diel
n . .unter erheblichen Preisanstiege Hebens--
notwendiger Bedarfsgüter vollständig
kompensieren und die somit eingetretene
bebensverteuerung wenig hervor.t' : iaten las- ■
11 • -Da die saarländische Arbeitnehmer
schaft in ihrem Durchschnitt infolge der
geringen Nominaleinkommen nicht in der
Lage ist, die nicht notwendigen Ver
brauchsgüter zu kaufen, macht sich bei
ihr die Verteuerung der lebensnotwendi
gen Verbrauchsartikel anders bemerkbar,
als die Indexzahlen der Lebenshaltungs
kosten es offenbar anzeigen.
Die Hauptverwaltung der Einheitsge
werkschaft bittet eindringlich darum, die
se Darlegungen zum Gegenstand einer
Ministerratsbesprechung zu machen. Wir
betonen, daß wir durchaus Verständnis
dafür haben, daß infolge der Wirtschafts
einheit Saar-Frankreich für die Regierung
des Saarlandes besondere Maßnahmen
erforderlich sind, um diese Schwierigkei
ten zu überwinden, erklären aber ebenso
bestimmt, daß wir nicht gewillt sind,'ein
seitig der Arbeitnehmerschaft aufeTlegte
Belastungen materieller Art hinzunehmen.
Wenn vom gewerkschaftlichen Gesichts
punkt ans zu obigem Thema noch wei
tere Feststellungen zu machen sein wer
den als diejenigen, die in nachstehendem
Beitrag enthalten sind, so ermöglicht der
Beitrag jedoch eine wesentliche Beurtei
lung des Themas, für das jeder Gewerk
schaftler jetzt das stärkste Interesse auf
bringen sollte.
Am 27. 1. 1951 hat der Saarländischö
Landtag einen vom Ministerium für Arbeit
Wohlfahrt ausgearbeiteten Gesetzentwurf
über die Errichtung einer Arbeitskammer
für das Saarland in Erster Lesung ange
nommen und zur weiteren Durchberatung
an die zuständigen Ausschüsse verwie
sen. Dieser Gesetzentwurf ist gestützt auf
Artikel 59 der saarländischen Verfassung,
der bestiAmt, daß die Wirtschaft des Saar-
kmdes ihre öffentlich-rechtliche Vertre
tung jeweils in der Industrie- und Han
delskammer, in der Hemdwerkskammer, m
Mitbestimmung, Mitverantwortung, Teuerung
Sitzung des Landesvoistandes und des Gewerkschaftsausscliusses am 8. Februar 1951
Der Land es vor stand und der Gewerk
schaftsausschuß haben in der am 8. Fe
bruar stattgefundenen gemeinsamen Sit
zung erneut zu dem seit April 1950 dem
Landtag vorliegenden und bereits in 1.
Lesung vom Landtag verabschiedeten Be
triebsrätegesetz Stellung genommen und
den Landesvorstand beauftragt, umge
hend den Vorsitzenden des Sozialpoliti
schen Ausschusses des Landtags, den
Abgeordneten Ruffing, aufzufordsrn, das
seit Monaten vorliegende BRG. innerhalb
des Sozialpolitischen Ausschusses des
Landtags umgehend zur Beratung auf die
Tagesordnung zu setzen.
Die Vertreter einzelner Industriever-
bände brachten unzweideutig zum Ais
druck, daß die saarländischem Arbeitge
ber im Gegensatz zu den Leistungen der
gesamten Arbeitnehmerschaft kaum eine
Anerkennung für die Arbeiterschaft übrig
haben und den in lohn- und gehaltsab
hängiger Steile beschäftigten Menschen
bestenfalls als ein Werkzeug betrachten,
dessen man sich notwendigerweise be
dienen muß, um wirtschaften zu können.
Diesen Zustand zu ändern und an Stelle
der beratenden Funktionen der Arbeit
nehmerschaft als weitaus wichtigsten
Faktor den Platz innerhalb des wirtschaft
lichen Geschens einzuräumen, auf den sie
auf Grund ihrer Funktion in der Wirtschaft
Anspruch hat, ist seit Erlaß der BRVO.
die Forderung des gesamten Gewerk
schaftsausschusses. Deshalb ist es um
so notwendiger, daß das vorliegende Be
triebsrätegesetz endlich vom Landtag
verabschiedet wird und der Arbeitnehmer
schaft das Mitbestimmungsrecht in so
zialen, wirtschaftlichen und betrieblichen
Fragen zu sichern. Die verantwortlichen
Männer des Gewerkschaftsausschusses
waren und sind sich bei dieser ihrer For
derung absolut darüber klar, daß neben
den beanspruchten Rechten auch Pflich
ten, zu erfüllen sind, die zusammen mit
den Rechten eine unlösbare Einheit dar-
Stellen müssen.
Das saarländische Axbeitgebertum, das
bei jeder Gelegenheit die Verhältnisse iw
der Bundesrepublik in den Kreis der Be
trachtungen zieht, muß sich darüber klar
wein, daß die Gewerkschaften des Scmr-
lcmdes analog der Entwicklung des Mit
bestimmung siechts ln der Bundesrepublik
für die Arbeitnehmerschaft des Saarlan
des die'gleichen Rechte in Anspruch neh
men werden.
Des weiteren beschäftigte sich der Ge
werk schaftsausschuß mit der erneut wie
der in stärkstem Maße in die Erscheinung
tretenden Preissteigerung der Isbensnot«
wendigsten Lebens- und Bedarfsartikel,
Die Arbeitnehmerschaft hat in den zu
rückliegenden Jahren unter Berücksichti
gung des Wiederaufbaus der saarländi
schen Wirtschaft sich die äußerste Selbst
beschränkung auferlegt.
Die verschiedenen Lohn- und Gehalts
erhöhungen am Ende des vergangenen
Jahres brachten weder eine Angleichung
der Löhne und Gehälter an die Teuerung,
noch viel weniger eine Verbesserung des
Realeinkommens, Die erneute Preishausse
hat ein weiteres Absinken des Realein
kommens zur Folge.
Die zurückliegenden Monate haben wei
ter gezeigt, daß alle Bemühungen der Ein
heitsgewerkschaft, aut die staatliche Wirt
schaftsführung einen entscheidenden Ein
fluß auszuübsn, um die immer größer wer
dende Lohn-Preis-Scbere zu schließen, un
erfüllt geblieben sind. Die verantwortli
chen Funktionäre verkennen keinesfalls
die Schwierigkeiten, die vorhanden sind
und letzten Endes nur durch gemeinsame
Maßnahmen dex französischen und saar
ländischen Regierung überwunden werden
können. Andererseits jedoch kann den
schaffenden Menschen die Hinnahme ei
ner weiteren Verschlechterung ihrer Exi
stenzgrundlage nicht zugemutet werden.
Der Gewerkschattsausschuß beauftragte
den Landesvorstand, in einer Eingabe an
den Herrn Ministerpräsidenten auf diesen
unhaltbaren Zustand hinzuweisen und, so
weit nicht eine rascheste Anpassung der
Löhne und Gehälter entsprechend der
Teuerung zustande kommt, sämtliche ab
geschlossenen Lohntarife zu kündigen.
der Landwirtschaftskammer und in der
Arbeitskammer findet. Neben den bereits
bestehenden öffentlich-rechtlichen Kam
mervertretungen der Wirtschaft ist hierbei
zum ersten Male auch die Arbeitskammer
aufgeführt. Dieser Bestimmung, die bei
Beratung der Verfassung von den Arbei
tervertretern gefordert worden ist und ihrö
Aufnahme in der Verfassung gefunden
hat, lag die Auffassung zugrunde, daß
beim Neuaufbau der Wirtschaft der Ein
fluß der Arbeitnehmer wesentlich größer
sein muß, als er in der Vergangenheit war.
Durch diese Bestimmung sollte den be
rechtigten Interessen der Arbeitnehmer
schaft in einer öffentlich-rechtlichen Kam
mervertretung Rechnung getragen werden.
Die politische Demokratie sollte durch
eine Wirtschaftsdemokratie ergänzt und
vervollständigt werden. Hiermit wird an
erkannt, daß Kapital und Arbeit gemein
sam das Schicksal unserer Wirtschaft be
stimmen sollen. Gerade in der Vergan
genheit hatte es sich nämlich gezeigt, daß
eine Demokratisierung des staatlichen Le
bens ohne eine Demokratisierung der
Wirtschaft nicht möglich ist. Diese Wirt
schaftsdemokratie soll auf allen jenen Ge
bieten wirksam wdrden, wo Parteien und
Parlament keine Möglichkeit haben, mehr
als gesetzgeberisch wirksam zu werden,
in der aber die lebendige demokratische
Mitwirkung auf dem Gebiete der Wirt
schaft nur durch die Aktivität wirtschaft
licher und sozialpolitischer Organisatio
nen endgültig gesichert werden kann. Die
se Organisationen stehen in einem engen
Kontakt mit den Schaffenden in der Wirt
schaft, kennen seine Alltagssorgen und
haben von Natur aus die Aufgabe, die
Menschen für eine echte Anteilnahme und
Mitverantwortung am wirtschaftlichen Ge
schehen, das ihr Lebensinhalt ist, zu in
teressieren und ihnen hierbei einen prak-
tischen Einfluß zu sichern.
Als öffentlich-rechtliche Vertretungsor
gane sollen sie auf wirtschaftlichem und
sozialem Gebiet mitwirkend eingeschaltet
werden, um dadurch zum Wöhle der Ge
samtbevölkerung beitragen zu können.
Diese Kammern sohlen nicht mit den Or
ganen der Gesetzgebung konkurrieren
oder selbst als Gesetzgeber tätig wer
den, sondern ihre Aufgabe wird es sein,
den Gesetzgeber und die Verwaltung zu
beraten. Diese Beratung soll Pflicht und
Recht zugleich sein. Der Entwurf sieht da
her, um die Möglichkeit von Kompetenz
konflikten aus zu schalten, eine klare Ab
grenzung der Befugnisse dieser Kammer
vor. Daher sind die Bedenken, daß
die Organe dex Gesetzgebung durch die
Kammervertretung unter einen verfas
sungsrechtlich nicht zulässigen Einfluß kär-
(Fortsetzung auf Seite 3)
Aktion der ßergarbeitergewerkschaften
Preisstop und Lohnangleichung gefordert - Gemeinsame GeweiKschaftskonfeienz in Pari«
Laut Beschluß des Vorstandes des L-V.
Bergbau, mit sämtlichen Gewerkschaften
im französisch - saarländischen Wirt
schaftsraum zu sammen zu trete n, um ge
meinschaftlich die wirtschaftliche Situa
tion, wie sie sich in der letzten Zeit ent
wickelt hat, xu erörtern und die erforder
lich gewordene Lohnforderung sowie die
zu ihrer Durchsetzung notwendigen Kampf
maßnahmen xu beraten, waren am 14. 2.
1951 die Vertreter des L-V. Bergbau, der
Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute
und ein Vertreter der Christlichen Gewerk*
schaft Lothringens zur ersten Vorbespre
chung xusammiehgekommen.
Man ließ sich von der Erkenntnis lei
ten, daß in Notzeiten alles Trennende fal
len müsse.
Die Versammelten waren der Auffas
sung, daß das gestörte Gleichgewicht in
der Wirtschaft wiederhergestellt werden
kann, wenn durch die Einführung eines
allgemeinen Preisstops sowie durch ein»
Angleichung der Löhne an diese festge
legten Preise eine stabile Basis geschaf
fen wird.
Die von den Bergarbeitergewerkschal
ten vor kurzem erhobene Forderung nach
einer 15prozentigen Lohnerhöhung ist
durch die Preisentwicklung der letzten
Tage wieder überholt.
Die Versammelten kamen überein, Be
sprechungen mit den französischen Ge
werkschaften aufzunehmen mit dem Ziel,
noch in diesem Monat eine gemeinsame
Konferenz in Paris stattfinden zu lassen,
um über die angegebenen Punkte zu be
raten und sich notfalls über gemeinsame
Kampf maßnah. rr.en zur Durchführung die-
. h\iWr Punkte schlüssig zu werden.