5. Jahrgang
Saarbrücken, 25. August 1950
Nr. 16
Die neuen Mindestlöhne
Dar wochenlang« Kampf um die Min-
äestlöhne in Frankreich ist zu einem vor
läufigen Abschluß gekommen. Die Rege
lung gilt auch im wesentlichen für das
Saarland als Grundlage.
Der Berechnung liegt die 40-Stunden-Wo-
che zugrunde. Auf die darüber hinausge-
hendsn Arbeitsstunden erfolgt ein Zu
schlag von 25 Prozent.
Es ergeben sich folgende Stundenmin-
üestlohne:
Zone I 74,10 FTs.
Zone II 79,20 FTs.
Zone III 66,30 Fis.
Zone IV 64 Frs.
Die Neuregelung findet Anwendung aui
feile Beschäftigte, gleich ob männlich oder
weiblich, die Uber 18 Jahre alt sind.
Für unsere Industriezentren ergibt sich
Irin monatlicher Mindestlohn von ca. 14 820
Frs. Dabei ist hervorzuheben, daß dieses
Exisfenztrinimum für ungelernte Arbeits
kräfte maßgebend ist. Wie der Geltungs
bereich der Neuregelung im einzelnen
laus sahen muß, wird genau umrlssenen
Auslühmngsbestimimmgeii Vorbehalten
feein.
Die Kompromißlösung kann von Ge-
Werkschaftsseite nur als erste Etappe auf
dem Wege zur Neuregelung der Löhne
trod Gehälter betrachtet werden. Wichtig
Ist nun, die KaufKraft der Mindestlöhne
Wüe überhaupt der Löhne und Gehälter
nu sichern. Die Jetzt zu erkämpfenden
Tarifverträge werden Form und Inhalt ftir
die Forderung der Gewerkschaft ab-
fieben.
Dar Ernst der Lage
Von H. Lawall.
Fleisch, Wurst, Butter, Zucker, Brot Eier,
Mehl sind während der letzten Wochen im
saarländischen Wutschaitsraum erheb
lich teurer geworden, und es ist daher
verständlich, wenn in letzter Zeir sich die
öffentliche Diskussion immer mehr mit
diesen Dingen beschäftigt und man vieler
orts die Frage hört: Was geschieht ge-
werkschaftlicherseits, um die Kaufkraft
der breiten Masse zu heben?
Zwar kann man, wenn man als Ge
werkschaftler mit diesen Dingen zu tun
bat, in Verhandlungen immer wieder kon
statieren, daß die Tatsache, daß die Löh-
fee nicht ausreichen, von keiner Seite be
etritten wird. Ebenso unbestreitbar läßt
man die Feststellung gelten, daß der saar
ländische Froduktionsertrag den des Jah-
ies 1938 erreicht, wenn nicht sogar bereits
tibe~schritten hat. Man ringt sich sogar zu
tier Erkenntnis durch, daß dem Kaufkraft
schwund der breiten Masse grundsätzlich
tait erhöhtem Realeinkommen entgegenge-
OTbeitet werden müsse und daß die Ar
beitnehmerschaft als Konsument nicht ge
schwächt werden dürfe. Man ehrt den Ar
beiter, der diesen Produktionsanstieg in
feiner mustergültigen Disziplin und in der
Erkenntnis ermöglichte, daß nur eine Stei
gerung des Sozialproduktes sein eigenes
persönliches Geschick zu bessern ver
mag. Man macht vor allen diesen eine
Verbeugung und stimmt den grundsätzli
chen Forderungen unserer Zeit zu, um
dann in langatmigen Ausführungen zu
erklären, daß man gerne geben würde,
Wenn es die finanzielle Lage ... usw.,
daß man die Not der Arbeiterschaft nicht
leugne, aber die betriebliche Situation
tfelae Behebung der Not... usw. Hierin
•felgt sich ganz klar, daß auch die Geaen-
•jrite um die ungerechte und unvertretbare
üekition zwischen Löhnen und Preisen
Wedß, daß sie dumpf fühlt, daß wir Ent-
■cheidungen zur Lösung d ieser Frage
nicht mehr aus dem Wege gehen können.
Ein gewichtiges Argument, mit dem man
«tets versucht, unsere berechtigten Forde-
tUngen nach einer Lohnaufbesserung ent
sprechend der Steigerung des Produk
tionsertrages zu entkräften, ist dabei der
Hinweis auf die amtlichen Statistiken über
ttfe Lebenshaltungskosten, die keinerlei
Steigerung aufweisen. Ohne die Richtig-
loelt dieser Statistiken bezweifeln zu wol
len, sei es jedoch gestattet, darauf hin-
fcfeweisen, daß zwischen den gleichen amt
lichen Statistiken Westdeutschlands und
Frankreichs und den privaten Erhebungen
Wer deutschen bezw. französischen Ge
werkschaften oft sehr erhebliche Unter
schiede bestehen. Wenn daher in den ge
mannten Ländern oft berechtigte Kritik an
fiiesen amt’ichen Erhebungen geführt wird,
Ist dies nur verständlich!. Diese unter
schiedliche Zahlenangaben liegen in er-
•rter Linie in der Preisermittlung begrün-
(Fortsetzung Seite 2)
Die 6renze des Erträglichen
ist überschritten!
Die seit Monaten andauernde Preis
steigerung hat eine dauernde Verschlech
terung der Lebenshaltung der Arbeitneh
mer seit Beginn des Jahres mit sich ge
bracht. Durch die nun erneut eingetre
tene Preishausse, die besonders bei den
Agrarerzeugnissen in die Erscheinung tritt
und ihre Auswirkung bei den unaus
weichlichen Bedarfsgütern des täglichen
Lebens hat, wurde ein Zustand geschaf
fen, der die Grenze des Erträglichen für
die schaffenden Menschen nun über
schritten hat
Die von den Arbeitgebern in der Ver-
ganheit und auch jetzt wieder zum Aus
druck gebrachten Gründe für die Preis
erhöhungen, daß di« Lohnerhöhungen
diese Preissteigerungen notwendig ma
chen, treffen keinesfalls zu, sondern Tat
sache ist, daß wir eine Preiswillkür fest
stellen, die, wenn sich die Regierung
nicht mehr wie bisher um die Preisge
staltung kümmert, zu einer Vergrößerung
der sozialen Spannungen führen muß,
bei deren Auslösung die Gewerkschaf
ten jede Verantwortung ab lehnen müs
sen.
Die Arbeitnehmerschaft des Saarlandes
kann für sich in Anspruch nehmen, daß
sie der entscheidende Träger des Wie
deraufbaues unserer Wirtschaft und der
Güterproduktion ist Der sichtbare Beweis
dafür ist die Tatsache, daß innerhalb ei
nes leeres und zwar vom Jahre 1948 bis
1949 die industrielle Erzeugung der saar
ländischen Industrie um über 46 */o gestie
gen ist. Wir fragen uns, wo bei der Ver
teilung des Sozialproduktes diejenigen
S »blieben sind, die ln erster Linie diese
dustrielte Erzeugung geleistet haben.
Seit Monaten und Wochen bemühen
sich die Vertreter der einzelnen Industrie
verbände, mit den Arbeitgebern zu Lohn-
u. Gehaltsverhandlungen zu kommen, um
entsprecher 1 den gegebenen Verhältnis
sen die wirtschaftliche Lage ihrer Mit
glieder zu bessern. Die in einzelnen Wirt
schaftsgruppen erfolgten Lohn- und Ge
haltserhöhungen sind zum Teil absolut
unbefriedigend; andererseits sind Wirt
schaftsgruppen vorhanden, die bis heute
— und dies trotz Erlaß des Tarifvertrags
rechts — es nicht für notwendig fan
den, in Verhandlungen einzutreten und
den Forderungen der Gewerkschaften auf
Verbesserung der Einkommen „ihrer Mit
glieder gerecht zu werden.
Regierung, Parlament und Arbeitgeber
müssen sich darüber absolut klar sein,
daß die Gewerkschaften nicht gewillt sind,
diese Verschleppungstaktik noch länger
mitzumachen. Am kommenden Dienstag,
dem 29. August 1950, wird der Landesvor-
stand der Einheitsgewerkschaft entspre
chend dem Willen der gesamten Mitglied
schaft zu dem Lohn- und Prelsproblem so
wohl als auch zu der Frage der Mindest
einkommen erneut Stellung nehmen und
in der am 4. September 1950 tagenden
Konferenz des Gewerkschaftsausschus-
ses, der höchsten entscheidenden Instanz
der Einheitsgewerkschaft, endgültige Be
schlüsse fassen.
Niemand wird es den Gewekschaften
Übel nehmen, wenn ßie nach erfolgter
Anwendung aller legalen Mittel nun zur
Vermeidung einer weiteren Verelendung
der Arbeitnehmerschaft dazu übergehen,
das letzte Kampfmittel in Anwendung zu
bringen, denn
die Grenze des Erträglichen ist über
schritten ! ,
Heinrich Wacker.
Ein neuer Kampfabschnitt
Tarifverträge im Vordergrund — Der Standpunkt des I.-V. Eisenbahn —
Das Problem der Pensionen
Durch das von der Regierung des Saax-
londes erlassene Tarifvertragsrecht 6md
wir m eine neue Epoche de« gewerk-
«ohaftlichen Kampfes getreten. Die bis
lang von der Regierung des Saaxkmdes
Und dem Hohen Kommissariat duichge-
lührte Regelung der Löhne und Gehälter
wird nun durch den Abschluß von Tarif
verträgen zwischen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber abgelöst. Dem langer
sehnten Wunsche der Gewerkschaf
ten ist hiermit Rechnung getragen. Ob
der neu abzuschließende Tarifvertrag zwi
schen den einzelnen Berufsgruppen ein
fortschrittlicher ist und den Wünschen der
Arbeitnehmer entspricht, hängt -nur von
der Stärke der gewerkschaftlichen Orga
nisation ab und gleichzeitig, ob die Ar
beitnehmer gewillt sind, für das fort
schrittliche Recht alle gewerkschaftlichen
Mittel in die Waagschale-zu werfen. In
den Arbeitnehmergruppen, zn denen dis
gewerkschaftliche Basis schlecht ist, wird
cruch der zu schaffende Tarifvertrag dem
entsprechend aussehen.
Ein Mindesteinkommen, das dem der
französischen Arbeitnehmer entspricht, ist
durch die Konventionen, die zwischen der
»aarländischen und französischen Regie
rung abgeschlossen wurden, gesichert. Es
hat sich aber m der Vergangenheit erwie
sen, daß diese Mindestsicherung keines
wegs den saarländischen Verhältnissen in
allem Rechnung trägt. Natürlich hat die
durch den wirtschaftlichen Anschluß be
dingte Einführung der französischen Lohn-
ünd Gehaltsregelung in vielen Beziehun-
en Gutes gebracht. Es gibt jedoch auch
egelungen^ die wir als Gewerkschaft —
gemessen an unseren hiesigen Verhält
nissen _ G is schlecht für die Arbeitneh
mer bezeichnen müssen.
Der Augenblick ist nun gekommen, eine
Unseren Verhältnissen angepaßte Lohn-
Und Gehaltsregelung zu schaffen:. D lese
Lohn- und Gehaltsregelung, die m einem
Tarifvertrag zusammengefaßt wird, muß
Jedoch von einem fortschrittlichen Geiste
getragen sein. Unterschiedliche Behand
lungen in Rechtsfragen dürfen m einem
neuen Tarifvertrag nicht mehr in Erschei
nung treten. Wohl wird es immer unter
schiedliche Bezahlung je nach Tätigkeit
Und Verantwortung geben, jedoch in der
AUFRUF!
Junggewerkschaftler! Junggewerkschaftlerinnen!
Eure Gewerkschaft steht im Kampf um die Sicherstellung Eurer Existenz und um
den Schutz Eurer Jugend. Ihr alle seid aufgerufen, Euch an diesem Kampf ru
beteiligen, damit
durch Einigkeit und Geschlossenheit
das hohe Ziel verwirklicht werden kann.'
Als Auftakt zur Winterarbeit führen wir für die Bezirke Saarlouis, Dillingen und
Völklingen ein
lug endtreffen
durch mft folgendem
Programm:
Treffen der Gewerkschaftsjugend der Bezirke Saarlouis, Dillingen und Völk
lingen am Sonntag, dam 10. September 1950, ln Schwcrlbach
Lokal: „Zur WÄdfcexte".
Eintreffen: bis 9.00 Uhr.
9.30—10 Uhr * Die Lage der schaffenden Jugend im Saarland R. Blaß
10.45—11.45 Uhr: Arbeitsgemeinschaft: „Der Jungarbeiter in seiner Freizeit“.
P. Schmidt
12.C0—13.00 Uhr: Arbeitsgemeinschaft „Tugend arbeite schütz in den Betrieben“.
Fr. Bauer
— Mittagspause —
15.00—18.00 Uhr: „Bunter Nachmittag“.
Beteiligt Euch zahlreich an diesem Treffen!
Jugendsekre tariert.
Aus dem Jjuhcdi:
Bezahlung der Feiertage
Europäische Zukunft und Arbeiterschaft
Die Stimme der Verbände
Gewährung einer Elindheitshilfa
Schwarzarbeit
Die Rolle der Sowjetgewerkschaftea
Aus Saarlands Vergangenheit
Kranken- und Invalidenversicherung
Briefkasten
Poet aus dam Ausland
lI!!lllll!lll!!!llll!IIIII1Iilffill!l!llIt!lllll!HII!lllll!llllllililillllllinil!lll!l!!!illllllllll[Hllll
Rechtsfrage darf es nur ein Recht geben
Und zwar das fortschrittlichste.
Der I.-V. Eisenbahn hat Anfang vergan
gener Woche seine Forderungen zum
Abschluß eines Tarifvertrages an die zu
ständigen Behörden eingereicht. Die we
sentlichsten Teile dieser Forderungen sind:
eine Personalordnung mit den dazu ge
hörenden Anlagen, ferner die Beso-dungs-
ordnung und dann die Gehaltstabelle.
Der hauptsächlichste Inhalt der Peiso-
nalordnung kann wie folgt zusammenge
faßt werden: 1. Sicherung des Arbeits
platzes, 2. Schaffung von Rechten für Ar
beiter und Angestellte wie dasjenige der
Beamten, 3. Sicherung der Rechte der Be
amten, 4. Ernennungen zum Beamten, so
weit die Betreffenden Beamtendienst ver
richten, 5. einheitliche Bezahlung bei glei
cher Tätigkeit und Verantwortung, 6. Be
seitigung des Prämiensystems, /. Anpas
sung des Einkommens an die Teuerungs-
Verhältnisse, 8. volles Gehalt bei Erkran
kungen, 9. ein gesichertes Ruhegehalt. 10.
Ausgleichszulage für die bereits in Pön-
sion befindlichen Bediensteten sowohl für
die Arbeiter, Angestellte und Beamte und
11. ständige Anpassung des Ruhegehalts
mit ihren Prozentsätzen c i die Bezug3 des
aktiven Personals.
Sicherung des Arbei splatees ist «afe für
die Arbeiter dringende und wienuge Fra-
pa wie oft herrscht m Arbeiterfamilien
Aiigst und Sorge, wenn dem Ernährer der
Arbeitsplatz gekündigt wird. Es sei nur
an die Personalverminderungen von 1947-
1948 erinnert. Bei Annahme der Perso
nalordnung wird diese Angst und Sorge
dem Arbeiter genommen. Nach einem
Jahr Probezeit ist er unkündbar angestellt.
In engem Zusammenhang h:e _ mit steht
die Schaffung der Rechte für den Arbei
ter und Angestellten. Bei ein und dersel
ben Verwaltung gab es in der Vergangen
heit nur für einen Teil der Bediensteten
Rechte Die übergroße Mehrzahl kam erst
nach 25 Jahren Tätigkeit in das unkünd
bare Verhältnis. Bei Annahme der Per
sonalordnung fällt dieses jahrzehntelang
aufrechterhaltene Unrecht.
Warum soll der Arbeiter in den Werk
stätten, Bahnmeistereien usw. nicht eben
falls wohlerworbene Rechte haben, d.e
ihm bei Erkrankung und bei Zurruhese.-
zuag ein gesichertes Einkommen garan
tieren? Keine Behörde kann sich dieser
Forderung entgegenstellen, wenn sie für
cioh in Anspruch nehmen will, demokra
tisch und gerecht zu sein. Den Beamten
Und den auf Beamtenposten beschäftig
ten Bediensteten wird hiermit kein Recht