Full text: 1950 (0005)

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ORGAN DER tlNHEfTSCEHIERHSCHflFTEN DB RROEITER. ANGESTELLTEN UND OEAITTTEN 
4. Jahrgang 
Saarbrücken, 1, April 1950 
Nr. 7 
Reif zur Entscheidung 
Immer wieder wird die Arbeitnehmerschaft rum Kampf aufgerufen. Demo 
kratische Mittel, Abstimmungen, Verhandlungen, Argumente und schließlich auch 
scharfe Aktionen, aber nicht mit Schlagwörtem und Pamphleten sind dafür ge 
geben.. In unzähligen Verhandlungen und Versammlung, die Beweise von unge 
brochener Zähigkeit und Geschicklichkeit verlangten, waren so im Laufe der 
Jahre vielerlei Erfolge zu verzeichnen. Verzichten wir heute darauf, sie einzeln auf- 
ruzählen. Es geschah im Rückblick mir Jahreswende, und es war eine lange 
Liste. 
Wir haben die Demokratie gewählt und verhalten uns darnach, und wenn ein 
Problem hundert Sitzungen erfordern sollte. Aber wir können diese Methode 
nicht zu unserem Schaden mißbrauchen lassen. 
Zwei der wichtigsten Forderungen, die die Arbeitnehmerschaft noch zu stel 
len hat, sind ein neues Befriebsräfege setz und ein neues Tarifvertragsgesetz. 
Diese beiden Forderungen sind reif zur Entscheidung! Die Gewerkschaft ver 
langt endlich Taten! 
Wir haben es in der Vergangenheit nicht nur bei der Erhebung der Forderun 
gen bewenden lassen. Unser Entwurf zum Betriebsrätegesetz dürfte hinläng 
lich bekannt sein. Die Berechtigung dieser Forderungen ist keineswegs in. Frage 
zu stellen. Aber immer werden neue Schwierigkeiten gemacht. Doch wir las 
sen nicht lockerl 
Heute sei erneut im einzelnen über die Wege zum neuen Tarifvertragsrecht 
hier Stellung genommen. Damit wird jedem Gewerkschaftler das Rüstzeug ge 
geben, sodaß er selbst mit Hand an legen und mithelfen kann, die Dinge unter 
cl'en Umständen vorwärts zu treibet!. Jeder, der sich mit verantwortlich fühlt, 
soll gründlich vorbereitet sein. Auf dem Wege zum Ziel ist mit viel Nachdruck 
schon einiges erreicht worden. Das Gelände ist sondiert und verschiedenes 
geklärt. Wir zweifeln auch nicht daran, daß es weiter vorwärts geht. Nur 
muß gerade dann, wenn die Dinge zur Entscheidung reif sind, sich alles sam 
meln und keiner darf gleichgültig beiseite stehen odeT sich gar nörgelnd und 
gewerkschaftsschädigend — und damit sich selbst betrügend — gebärden. 
F. R — Die vor einiger Zeit erfolgte 
Verabschiedung des Kollektivvertrags 
gesetzes durch die französische Na 
tionalversammlung gibt Veranlassung, im 
gegenwärtigen Zeitpunkt einige Betrach 
tungen über die Wege zu einem freien 
Tarifvertraqsrecht im Saarland anzustel 
len. 
Die ln Frankreich durch eine falsch- 
ge’eitete Wirtschafts- und Lohnpolitik in 
deT Nachkriegszeit aus dem Gleichge 
wicht gebrachte soziale Struktur hat die 
breite ^Masse der ..frauzosiacljep Arbeit- 
nehfherschafr in Not und Elend gestürzf, 
so daß es nicht verwunderlich e v scheint, 
wenn ständig neue Lohnkämpfe das fran 
zösische Wirtschaftsgefüge mehr oder 
weniger stark erschüttern. Es war daher 
eine Se’bstverständlichkeit, daß das Sy 
stem der staatlich gelenkten Lohnpolitik 
baldigst durch das System der freien 
Vereinbarung des Lohnes zwischen Ar 
beitnehmer- und Arbeitgeberverbänden 
ersetzt werden mußte, um das Gleich 
gewicht der sozialen Struktur wiederher 
zustellen. 
Warum freier 
Wie zuvor bereits erwähnt, sehen wir 
ln dem freien Tarifvertrag das wichtig 
ste Mittel zur Erreichung dieses Zweckes. 
In ihm werden die Rechte und Pflichten 
der vertragsschließenden Parteien, sowie 
die Rechtsbeziehungen der von seinem 
Geltungsbereich erfaßten Arbeitnehmer 
Und Arbeitaeber geregelt. Beiden Parteien 
des Arbeitslebens werden gesunde recht 
liche Grundlagen gegeben und, was nicht 
von unwesentlicher Bedeutung ist, Ar 
beitskämpfe vermieden. 
Est ist daher eine zwingende Notwen 
digkeit, daß auch im Saarland baldigst 
vom Landtag ein Tarifvertragsgesetz ver 
abschiedet wnd. 
Wenn w r jedoch heute von einem Tarif 
vertrag sprechen, so denken wir nicht 
an einen Vertrag, der weitgehendst 
einer staatlichen Beeinflussung unterwor 
fen ist, sondern an eine Kollektivverein- 
barung, die ausschließlich von dem Wil 
len freier Inleressenvereinigungen der Ar 
beitnehmer und Arbeitgeber getragen und 
aus eigenem Recht ohne jeden staatlichen 
Einfluß geboren ist. Nur ein so zustande 
gekommenes Vertragswerk wird der Idee 
der kollektiven Regelung der Arbeits 
bedingungen gerecht werden können. 
Oberster Leitsatz eines im Saarland 
zu schaffenden neuen Tarifrechtes muß 
daher sein, daß die Vertragsparteien die 
alleinige Herrschaft über ihren Vertrag 
von seinem Anfang bis zu seinem Ende 
besitzen. Der Gesetzgeber muß der Ent 
wicklung des modernen Tarifrechtes in 
sofern Rechnung tragen, als er die Vor 
aussetzungen für die Regelung von Tarif- 
angelegenheiten durch die Arbeitnehmer- 
ünd Arbeitgeberorganisationen in eigener 
Verantwortung schaffen muß. 
Es erscheint nur als selbstverständlich, 
daß jeder staatliche Zwang, sei äs Ün 
Form von Genehmigung oder konstitu 
tiver Wirkung von Registereintragungen, 
abgelehnt werden muß. 
Das Prinzip der freien Vereinbarung 
darf durch keinerlei staatliche Bevor 
mundung beeinträchtigt werden, wobei 
man sich jedoch darüber im Klaren sein 
Wenn wir an der Saar trotz der Wirt 
schaftsunion mit Frankreich derartige 
Auseinandersetzungen nicht erlebt haben, 
so kann daraus nicht der Schluß gezo 
gen werden, daß das soziale Gleich 
gewicht erhalten geblieben wäre, im Ge 
genteil, die noch immer anhaltende Ver 
teuerung des allgemeinen Lebensstan 
dards verlangt auch bei uns gebieterisch 
eine Anpassung der Löhne an die Preise. 
Daß das Gleichgewicht zwischen Lohn 
und Preis durch eine staatliche gelenkte 
ton, 
hat die jüngste Vergangenheit zur Ge 
nüge bewiesen. Die einzige Möglichkeit, 
wieder zu geordneten Lohnverhältnissen 
zu kommen, kann nur in einer baldigen 
Rückkehr zum freien Tarifrecht gesehen 
werden. 
Es muß wieder ein Zustand erreicht 
weTden, der eine ruhige und geregelte 
Arbeit zuläßt und dem Arbeitnehmer das 
beruhigende Gefühl stabiler Arbeitsbe 
dingungen vermittelt. 
Tarifvertrag? 
muß, daß dieses Zurückdrängen der staat 
lichen Einflußnahme auf die Tarif- und 
Lohnpolitik nicht etwa als Schwäche 
der staatlichen Ordnung ausgelegt wer 
den darf. Einzig und allein die Erkennt 
nis muß sich "Bahn brechen, daß die 
Regelung der Arbeitsbedingungen durch 
die am Arbeitsleben unmittelbar Betei 
ligten viel ungezwungener, sachgemäßer 
und lebensnaher erfolgt, als dies durch 
Verordnungen vom grünen Tisch über 
haupt möglich ist. 
Aber einen weiteren nicht zn ver 
leugnenden Vorteil bietet dieses System, 
nämlich den, daß durch die unmittel 
bare Beteiligung der Parteien des Ar 
beitslebens dem Arbeitsfrieden und dem 
sozialen Wohlstand ein größerer Dienst 
erwiesen wird, als dies eine staatlich 
gelenkte Lohnpolitik zu tun vermochte. 
Der demokratische Staat von heute 
muß sich in einem solchen System einzig 
und allein mit der Rolle eines Helfers 
begnügen, jede weitere Beteiligung se : ner- 
seits würde ein nicht wiedergutzumachen 
der Rückfall in das zu verlassende Lohn 
amtssystem bedeuten, dessen Schäden un 
absehbar wären. 
Wir müssen uns jedoch darüber klaT 
sein, daß die Abkehr von der staatlichen 
Lohnpolitik und der Uebergang zur eigen 
verantwortlichen Gesamtvereinbarung 
Schwierigkeiten von mehr oder weniger 
großem Ausmaße mit sich bringen wer 
den, in solchen Situationen dürfte eine 
helfende — nicht jedoch befehlende — 
Mitwirkung des Staates manchmal nicht 
unerwünscht sein. 
Gar manchem, der sich zu sehr an 
den al'einbefehlenden Staat gewöhnt hat, 
mag der Abschied von der staatlichen 
Lohnpolitik schwerfallen, aber er muß 
erkennen, daß er bei der Regelung dieser 
Fragen nur noch ein Außenstehender 
isi und daß den Kollektivparteien nun 
mehr das Recht der autonomen Recht 
setzung verliehen ist und diese innerhalb 
der ihnen gezogenen Grenzen Allein 
herrscher sind. 
(Fortsetzung Seite 2) 
USA-Gewerkschaftsführer lohn Lewis (rechts) 
nach dem letzten großen Erfolg des amerikanischen Bergarbeitervexbandes. Ganz 
links der Vertreter der Grubenbesitzer. John Lewis erweckt zur Zeit noch das 
besondere Interesse der breiten Oeffentlichkeit, da er Vorkehrungen getroffen hat, 
Um seinem alten Plan, eine Einheit der amerikanischen Gewerkschaften zu errei 
chen, neuen Auftrieb zu geben. 
Probleme der Schlüsselindustrie 
Die Generalversammlung des I.V. Baugewerbe 
Am vergangenen Sonntag trafen sich im Keglerheim, Saarbrücken, an die hundert 
Delegierte des I.-V. Baugewerbe der Einheitsgewerkschaft zu ihrer 2. ordentlichen 
Generalversammlung. Es war dies die erste Generalversammlung seit dem Jahre 
1947. Schon rein zeit^Ä betrachtet, war daher mit viel Beratungsstoff zu rechnen. 
Erst recht aber war Grund zur Stellungnahme gegeben durch die derzeitige Lage 
im Bairgewerbe. An Eifer fehlte es oe; den Delegierten nicht. Es ist zu verstehen, 
wenn sich immer noch Unterschiede ieststellen lassen zwischen Gewerkschaftsta 
gungen vor Jahrzehnten und denen von heute. Mehr als nachteilig machte es sich 
bemerkbar, daß die Werktätigen über ein ganzes Jahrzehnt keine gewerkschaftli 
chen und keine demokratischen Erfahrungen sammeln konnten. Versammlungsleiter 
haben es daher besonders schwer, eine umfangreiche Tagesordnung ersprießlich 
durchzuführen und Abschweifungen zu verhindern, mögen diese von noch so gu 
ten Absichten getragen sein. 
Kollege Jakob Schäfer, ein erfahrener Gewerkschaftler, der die . Versammlung 
leitete, vermochte trotz mancher Abschweifungsversuche die vielstündigen Beratun- 
S en in einer zweckdienlichen Bahn zu halten, so daß Zeit und Energie im weseht- 
chen den sachlichen und dringlichen Aufgaben des Augenblicks zugute kam. Man 
chen schönen Wünschen, wie eie in der Diskussion z. B. in bezug auf verkürzte Ar 
beitszeit vorgetragen wurden, müßte mit den zur Zeit realisierbaren Forderungen ge 
geben werden, wobei die wirtschaftlichen Gesichtspunkte, wie die Wirtschaftspoli 
tik der Nachbarländer und verschiedenartige Zusammenhänge zu berücksichtigen 
sind. Andere Vorschläge, die zur Zeit bereits aktuell sind, wurden dagegen lebhaft 
aufgegriffen, fanden entsprechende Unterstützung und werden in nächster Zukunft 
ausgewertet’ werden. Ein dringliches Gebot der Stunde ist — das hat auch diese 
Tagung wieder bewiesen — eine weitere Schulung der Funktionäre sowohl in so 
zialer und wirtschaftlicher Hinsicht, als auch in der Dialektik und Rhetorik. Mit be 
sonderer Genugtuung denkt man bei solchen Gelegenheiten an die im Vorjahre im 
Saarland gegründete Akademie der Arbeit, deren wertvolle Früchte ja wohl in 
nicht zu ferner Zeit zu erwarten sind. 
Kollege Jakob Schäfer eröffnete die 
Generalversammlung mit der Begrüßung. 
Unter anderen waren neben den Delegier 
ten erschienen Herr Ministerialdirektor 
Ptaft als Vertreter des Arbeitsministers, 
Vertreter der Industrieverbände und Kreis- 
verwaltungsstellen sowie der Hauotver- 
waltung der Einheitsgewerkschaft. Schäfer 
stellte fest, daß man bei Bewertung des 
Rechenschaftsberichtes die besondere Si 
tuation auf dem Baumarkt nicht übe~sehen 
dürfte. Auch sei es wichtig, zu erkennen; 
daß die Bauwirtschaft fast durchweg kei 
ne Profitwirtschaft, sondern eine Bedarfs 
wirtschaft sei. Trotz aller Z ihwierigkeiten 
scheine aber das Baugewerbe wieder 
nach und nach als das Sch‘üsselgewerbe 
in Erscheinung zu treten, c 'ei müsse es 
aber auch wieder dazu ko: nen, daß die 
Arbeitnehmer im Baugewt ie, die heute 
zu den Schlechtbezahlteste zählen, wie 
der eine Spitzenstellung ei; lehmen, wie 
das der Bedeutung der Bau /irtschaft zu 
komme. 
Kollege M u n a r i gab sod mn den Ga 
ge h ä ft s b e r i c ht. Er betonte u. a.: 
Die Einheit der Gewerkscf ft geht über 
alles, und man darf nichts n den Kreis 
der Gewerkschaft einbezieben, was die 
Einheit schädigen kann. Der Redner wies 
auf die Schwierigkeiten hin, die dem Bau- 
markt durch die Umrechnung der Mark 
bestände in Franken und ferner durch die 
seinerzeitige Ueberschwemmungskata- 
strophe entstanden sind. Nach der wirt 
schaftlichen Angliederung habe sich zu 
nächst in der Lohnverrechnung in bezug 
auf die zugrunde gelegten französischen 
Tarife fast niemand ausgekannt. Die Ge 
werkschaftsorganisation sei aber ent- 
echlossen, an diese wie andere Dinge he 
rangegangen, um Klarheit um.. Fortschritt 
zu erzielen und um die Mitg’.-^dsr auizu- 
Klären. In der Berichtszeit seien abge. 
halten worden: 560 Belegschaftsversamm- 
lungen, 400 Betriebsratssitzungen, 70 bei 
der Saarregierung vqrgenommenen Ver 
handlungen und zahlreiche Versammlun 
gen für Juaendliche. Die Größe der ge 
werkschaftlichen Aufgabe ergebe sich aus 
der Zahl der im Baugewerbe beschäftigen 
Aus dem Inhalt: 
Stimme der Verbände 
Zu T age für Sozialrentner 
Die Lohnzahlungen an Feiertagen 
„Hoorbucksl“ am Pranger 
Defaitisten, Schwächlingen und 
Schwätzern Ins Stammbuch 
Forderungen der Belegschaft der 
Burbacher Hütte 
Oaffentl. Versammlung ln St. Wendel 
Freier Nachmittag im Groß- und 
Einzelhandel 
Zur Beachtung für Saargrenzgänger 
Wichtige Gewerkschaftstagung in Brüssel 
Wie lange noch? 
Guter Plan — gut getan I 
Aufbesserung für Arbeitslose 
Sozialberatungen im Parlament 
An Betriebsräte’ und Kreis Verwaltungen I 
Aus der Tätigkeit der Arbeitsgerichte
	        
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