ORGAN DER E
üüHiMim«»
ER ARBEITER, ANGESTELLTEN UND DER RITEN
4. Jahrgang
Saarbrücken, 15. Februar 1950
Nr. 4
Neue Etappe in der Lohnpolitik
In Erwartung der freien Kollektivverträge - Lohnunterschiede zwischen Frankreich und der Saar - Die bisherige
Preisgestaltung - Notwendige Schlußfolgerungen für Arbeiter, Angestellte und Beamte
Durch den Erlaß des Gesetzes über Kollektivverträge in Frankreich wird ei
ner seit Jahren von den Gewerkschaften erhobenen Forderung Rechnung ge
tragen, Auch hier an der Saar muß entsprechend der Forderung der Einheitsge
werkschaft — neben der Verabschiedung eines fortschrittlichen Betriebsrätege-
setzes — alsbald das Tarifvertragsgesetz, um zu einer neuen Lohnregelung zu
kommen, erlassen werden. Mit dem Erlaß des Gesetzes über Kollektivverträge
in Frankreich wird der vom Staat gelenkten Lohnpolitik ein Ende gemacht.
Die französischen Gewerkschaften haben nun wieder das Recht mit den Ar
beitgebern bzw. den Arbeitgeberverbänden neue Tarifverträge abzuschließen, die
Löhne und Gehälter den Preisen anzupassen bzw. die z. Zt. bestehende Spanne
zwischen Löhnen und Preisen zu beseitigen, Daß die Beseitigung dieser Spanne
zwischen Löhnen und Preisen, die durch die Preissteigerung im letzten halben
Jahr noch vergrößert wurde, schnellstens durch Aufbesserung der Löhne und
Gehälter erfolgen muß, steht außerhalb jeder Diskussion,
Die Treiber am Pranger
Das Organ des saarländischen Hand
werks „Der Sa'arhandwerker“, hat in sei
ner Nr. 2, vom 31. Januar 1950 einen Ar-
ti :el des Geschäftsführers der Arbeits
gemeinschaft des saarländischen Hand
werkers e. V., Herrn E. Treib, veröffent
licht unter dem Titel „Um die Berufs
ausbildung !“
Das Jugendsekretariat der Einheitsge
werkschaft bedauert, daß in diesem Ar
tikel eine Stellungnahme zu dem Pro
blem der Berufsausbildung eingenommen
wurde, die wir unter keinen Umständen
unbeantwortet hinnehmen können.
Es soll dabei nochmals a usdrücklich
betont werden — wie schon wiederholt
im Rundfunk, in der Presse und frei Ver
sammlungen —, daß für das Jugendsekre
tariat der Einheitsgewerkschaft nichts er
freulicher wäre als in die Lage versetzt
zu sein, endlich auch zu dem saarländi
schen Handwerk in ein gedeihliches Ver-
hä tnis zu kommen.
Wir ersparen es uns deshalb, nochmals
au' bereits dargelegten Ausführungen und
Grundsätze gegenüber dem saarländi
schen Handwerk einzugehen.
So geht es nicht, Herr Treib!
Zunächst mochte ich auf die Ausfüh-
ru’gen des Geschäftsführers der Arbeits
gemeinschaft des saarländischen Hand
werks e. V. Herrn Treib, bezüglich des
Berufsausbildungsgesetzes eingehen.
Herr Treib schreibt nach einem gewis
sen Loblied auf die „jahrelange Erfah
rung des Handwerks“, daß das Hand
werk „mit der Gewerbeordnung als Fun
dament seiner Berufsausbildung sehr zu
frieden sein kann. Ein bestehendes Be
dürfnis nach gesetzlicher Neuregelung
des Beru c ausbildungswesens kann des
halb für den Wirtschaftssektor des Hand
werks durchaus nicht anerkannt werden.“
Weiter schreibt Herr Treib, — und da
mit hgt ec wohl das getan, was er an
der amflT^en Anordnung der Regierung
über die Erziehungsbeihilfen als „Pferde
füße“ glaubt bezeichnen zu müssen —:
„Oder sollte — ähnlich wie bei einem
gewissen Entwurf zum Betriebsrätegesetz
— Sinn und Wert eines neuen Berufsaus-
bi dungsgesetzes schon darin liegen, daß
neuen den bereits bestehenden Gesellen»
ausschüssen künftig Funktionäre der Ge-
werkschahen mitzubestimmen hätten?“
Es liegt also alles auf einer Linie!
Das saarländische Handwerk ist hof
fentlich nicht in seiner Mehrheit der Auf-
fausung, daß es in unserem Zeitalter ohne
die Gewerkschaften auskommen kann.
Jedenfalls wissen wir, daß es auch zahl
reiche Handwerker gibt, die heute aus
eigenstem Interesse und mit besten Er-
io gen sich der Hilfe und Zusammenar
beit mit den Gewerkschaften bedient ha
ben.
Diese Handwerker haben eben den
„Lauf der Zeiten“ doch besser verstan
den als diejenigen, auf die eine Gewerk
schaft schon bei der bloßen Namensnen
nung wirkt wie ein rotes Tuch.
Ja, wir fordern das Mitbestimmungs
rech 4 der Gewerkschaften auch in der
Frage der Berufsausbildung im Hand
werk!
Und niemand wird uns dazu treiben
können, auch nur eine Sekunde Jang von
die er be echtigten Forderung abzugehen.
Uns genügt das noch lange nicht, was
gerade im Handwerk für diese Frage bis
her getan wurde.
Freilich erkennen wir den Unterschied
der industriellen und der handwerklichen
-Facharbeiterausbildung bis zu einem ge
wissen Grade an.
Wir haben aber — und das sei hier ein
mal ganz offen gesagt — absolut keine
Veranlassung, etwa die industrielle Fach
arbeiterausbildung tiefer einzuschätzen
als die Ausbildung in einem patriarcha
lisch geleiteten Handwerksbetrieb.
Der immer wiederkehrenden Behaup
tung, die Ausbildung in einem Hand
werksbetrieb sei persönlicher und daher
auch gründlicher, setzen wir die Erfah-
gen gegenüber, die wir leider gerade nach
dem Kriege mit zahllosen unqualifizier
ten Handwerksbetrieben gemacht haben.
Es kommt u. E. jedoch nicht von unge
fähr, wenn man zur Frage des Berufsaus
bildungsgesetzes bereits in dieser Form
Stellung nimmt, obwohl bis zur Stunde
der Entwurf vonseiten der Einheitsgewerk
schaft an den betreffenden Stellen noch
garnicht vorgelegt wurde.
Als Gewerkschaft behandeln wir das
gesamte Problem eines solchen Geset
zes so ernsthaft und verantwortungsbe
wußt, daß wir erst dann mit unserem Ent
wurf an die Oeffentlichkeit treten, wenn
alles reiflich überleat und abgewogen
ist- (Fortsetzung Seite 2)
Kaum daß das Gesetz über die Kol-
lektivverträge in Frankreich erlassen
Wurde, werden hier an der Saar aus be
stimmten Kreisen schon Stimmen laut,
$ie befürchten, daß ein allgemeines An
steigen der Löhne zur Preiserhöhung und
Arbeitslosigkeit führen müßte, Fi-an un
ternimmt wieder den Versuch, die Ge
werkschaften für ein« kommende Preis
steigerung durch ihre Forderungen auf
Lohn- und Gehaltserhöhung dafür ver
antwortlich machen zu wollen. Dieses
Unternehme rargument ist nichts Neues.
Es ist schon so alt, wie die Arbeiterschaft
gezwungen ist, den Kampf um hö
here Löhne zu führen, damit sie leben
kann. Die Praxis sieht in Wirklichkeit et
was andere aus, als die Unternehmer es
yersuchen, den Arbeitern hinzustellen,
Tatsache ist, und dies trifft insbesondere-
vom Jahre 1945 bis heute zu, daß die
Preise anstiegen, ohne daß Lohnerhöhun
gen vorausgingen. Im Gegenteil, die Ar
beiter s^iaftwurdeaufGrund der Preis
steigerungen gezüngen, Lohnforderungen;
zu stellen. Trotz der niedrigen Löhne stie
gen die Preise um das vielfache vom
Jahre 1938 bis zum Jahre 1949. So stiegen
die Preise um das 20fache, die Löhne
und Gehälter nur um das lOfache.
Noch drastischer kommt dieser Lohn-
ujiterschied zwischen den saarländischen
dnd den Pariser Metallarbeitern bei den
O. S. 1 Spezialarbeiter
120
4L—
0. S. 2 Spezialarbeiter
125
43,90
O. P. 1 Handwerker
148
50,90
O. P. 1 aut. Werkzeug
schlosser
148
53,40
O. P. 2 Handwerker
161
55,60
O. P. 2 aut. Werkzeug
schlosser
174
62.—
O. P. 3 Spezialhandwerker
191
68.—
Nachdem die Preise um das 20fache
und die Löhne nur um das lOfache stie
gen, ist die Kaufkraft der Löhne und Ge
hälter gegenüber dem Jahre 1938 um 50
Prozent gesunken. Entsprechend der Un
ternehmertheorie müßten also auch die
Preise um 50 Prozent gesunken sein. Wir
stellen aber fest, daß dem nicht so ist.
Somit stellt sich die Frage wohin wan
dert der Differenzbetrag der sich aus der
Lohnsenkung von 1938 bis heute ergab
und ergibt? Diese Frage zu beantworten,
dürfte nicht schwer sein. Schauen-wir uns
die Verlust- u id Gewinnrechnungen, cke
Bilanzen der Großunternehme’-, der kar-i
talischen Monopol- und Trust-Herren ah,
Wenn man noch berücksichtigt, daß in
vielen Industriezweigen eine Leistungs
steigerung bis zu 20 Prozent und mehr
gegenüber dem Jahre 1938 zu verzeich
nen ist, so sind die Löhne und Gehälter
in ihrer Kaufkraft um mehr als die Hälfte
gesunken. Würden die Preise tatsächlich
allein durch die Löhne und Gehälter be
stimmt, müßte man an der Saar billiger
kaufen können als‘in Paris, da die Löhne
in Paris bedeutend, höher liegen, (selbst
unter Berücksichtigung des 5prozentigen
Lohnzonenabschlags). Die Preise in Pa
ris und Saarbrücken halten sich aber die
Waage. Dieses ist von den Löhnen und
Gehältern nicht zu sagen. In Paris ver
dient z. B. ein Schlosser pro Stunde
101,30 Frs„ an der Saar im Produktions
betrieb pro Std. 82,86 Frs., ein Elektri
ker in Paris pro Std. 99,25 Frs., an der
Saar im Produktionsbetrieb pro Std. 82,00
Frs. im Tariflohn nur 76.— Frs. Die Zif
fern in der unten angeführten Tabelle, die
von der Unternehmerorgänisatiorvm dem
offiziellen Organ der Confedöraiion. du
Patronat francais „L.Usine Nouvelle“ vom
12. 1. 1950 veröffentlicht wurde, entnom
men sind, zeigen die Differenz zwischen
den Löhnen an der Saar und der Parisei
Region.
offiziellen Löhnen der Arbeiter bei den
Renault-Werken zum Ausdruck, wie nach
folgende Tabelle zeigt.
52,06
12,80
17.—
81,86
56,17
14,59
17.—
87,76
56,17
15,36
17.—
88,53
60,14
16 —
17.—
93,14
69,73
18,94
17.—
105,67
73,15
18,94
17,— u. 2
111.09
76,17
20,60
17.—
113,77
84,94
22,27
17 — u. 4
128,21
93,16
24,44
17 — u. 4
138,60
so stellen wir fest, daß diese Herren noch
nie solche hohen Gewinne eingesteckt
haben wie heute. Die Arbeiterschaft an
der Saar wird auf solche plumpen Un
ternehmermachenschaften: „wie Lohner
höhungen bedeuten Preissteigerungen“
nicht hereinfallen. Sie werden sich da
durch von ihrem berechtigten Kampf um
ausreichende Löhne nicht abhalten las
sen. Sie wissen zu genau, daß jede er
kämpfte Lohnerhöhung eine Schmälerung
des Unternehmergewinns bedeutet. D e
Saarland. Arbeitnehmerschaft ist nicht
länger gewillt, diese Löhne, die für r ie
me’isten zum Leben kaum ausreichen, hin
zunehmen. Sie weiß auch, daß sie ihre
Lebenslage nur durch den einheitlichen
und geschlossenen Kampf verbessern
kann. Sie fordert deshalb von der Reaie-
rung, daß neben dem Erlaß des Betriebs
rätegesetzes, wie es in dem Eniwurf der
Einheitsgewerkschaft gefordert wird, un
verzüglich auch das Tarifvertragsgesetz
erlassen wird, um mit der ungerechten
Lohngestaltung auch hier an der Saar
Schluß zu machen. Durch den gemeinsa
men Kampf aller Arbeiter, Angestellten
ünd Beamten, durch die Schaffung einer
starken und kampffähigen Gewerk
schaftsorganisation werden wir auch hier
an der Saar den berechtigten Forderun
gen der Arbeiter, Angestellten und. Be
amten auf Lohn- und Gehaltserhöhung so
wie einer fortschrittlichen Arbeitsgesetz
gebung in der das volle Mitbestimmungs-
recht der Gewerkschaften und Betriebs
räte garantiert wird, zum Durchbruch ver
helfen. Paul öbermeisr
*
Das im Zusammenhang mit einer neuen
Lohnregelung von Arbeitgeberseite häu
fig vorgebrachte Thema der Kapitalbil
dung wird von der Gewerkschaft genau
unter die Lupe genommen. Wir sind ja
auch bisher an diesem Problem nicht
blind vorübergegangen. Bei den bevor
stehenden Auseinandersetzungen um neue
Tarifverträge wird die Einheitsgewerk
schaft mit aller Klarheit auch andere Prin
zipien energisch vertreten, die sie seit
geraumer Zeit in Erwartung einer end
lichen Aufhebung des Lohnstops in zahl
reichen Versammlungen und Entschließun
gen öffentlich kundgetan hat. Bei der Be
handlung des Kernproblems, der neuen
Lohnregelung, wird die Gewerkschaft auf
dem Posten sein. Sie wird mit Verant
wortungsbewußtsein und unter Beachtung
wirtschaftspolitischer Notwendigkeiten
handeln und gerade daher entschlossen
sich von den Interessen der Arbeitnehmer
und damit auch der Gesamtheit leiten
lassen.
Die Neuregelung wird auch zu einer
übersichtlicheren Lohn- und Gehaltser
rechnung führen müssen. (Siehe den dies
bezüglichen Artikel auf der Seite: „Die
Stimme der Verbände).
Schon die nächste Zeit wird zeigen, ob
die Entwicklung zu einer gerechten Lohn
politik ernste Konflikte in sich birgt oder
ob mit dem Verstäi&digungswillen das
Ziel zu erreichen sein wird.
Die Lage im USA-Beigarbeiterstreik
USA. Die 400 000 Bergarbeiter setzten unter der
Parole: Solange kein Vertrag — keine Arbeit!
den Streik fort. Die Forderungen beziehen sich
auf einen neuen Vertarg. der auf eine Lohner
höhung von 1405 auf 15 Dollar pro Schicht und
auf eine Erhöhung des Wohlfahrtsfonds ab
zielt, aus dem die Pensionen gezahlt werden,
Truman glaubte, jetzt die Taft-Harley-Bill an
wenden zu nfcssen, die den nationalen Not
stand erklärt. Die Reaktion auf die Grubenar
beiter ist noch nicht genau zu übersehen und
man weiß noch nicht ob es zu einer Arbeits
aufnahme kommt, bevor nicht seitens der Gru
benbesitzer bestimmte Zusagen vorliegen.
j4m& dem Inhalt:
Die Stimme der Verbände
I>er junge Gewerkschaftler
Die Beschcrftigungslctge an dar Saar
Die Vorgänge bei der Kravag
Konzentration der Kräfte
Zum Betriebsrätegaseiz
Gewerkschaft und Arbsitsrechl
Post aus dam Ausland
Gewerkschaftskongreß in Rom
Die Theatergeme nde teilt mit
Briefkasten
Das Problem Sch'ene - Straße
iitiiii,iiiitiiinii;!i:':iimiii;n;ii!':ijitniiiiiminimmiimm!iimmiuiiiHiiiiiiimiiiimm
Stunden
lohn
Akkord
lohn
Durchschn.-
lohn
Pariser
Lohn
wen. 5 Proz.
Zonen-
abschlag
Gießerei: Former
104,15
122,34
116,88
110,15
Const. Mecan.: Schlosser
101,31
141,69
109,09
103,55
Const. Eleat: Elektriker
99,25
110,20
106,26
110,90
Const. Metall: Monteur
95.—
103,10
110,67
95,60
Autos: Blechschmied
104,93
114,77
111,92
106,30
Kesselschmiede
111,40
121,25
116,82
Ul,05
(In den vorstehenden Lohnsätzen sind die Ueberstundenzuschl. nicht eingerechnet).
Löhne der Renault-Arbeiter von Paris vom Monat November 1949
Lohn
Koeffizient
Gesetzl.
Grundlohn
Produk-
Gesetzl.
Effektiver
Kategorie
tions-
lohn
Prämie
Teuerungs
zulage
Stunden
lohn
Tagelöhner 1
Tagelöhner 2
100
114
38.-
41.-
(Zu diesen Lohnsätzen kommt noch eine Essenzulage von 50.— Frs. pro Tag, eine
Fahrtzulage von 500.— Frs. pro Monat, sowie die Ueberstundenzuschläge);