ORGAN DER tIHHEITSGEMERHStHflFTEN DER ARBEITER. HNGESTELLTEH PHD BEHfTITEN
4. Jahrgang
Saarbrücken, 1. Februar 1950
Nr. 3
Gewerkschaft und Demokratie
Was ist Demokratie? Kann man einfach
sagen: das Gegenteil von Diktatur oder
jedenfalls keine Diktatur? In den letzten
Wochen ist das Wort Demokratie infolg
der Gesetzesvorlage im Landtag über das
Slaatsschutzgesetz soviel von der Bevöl
kerung und insbesondere auch von den
Werktätigen erörtert worden, wie schon
lange nicht mehr. Es ist herzerfrischend
festzustellen, mit welcher Begeisterung
man sich dem Thema zuwandte. Niemand
kann heute mehr vorwurfsvoll sagen und
sich darüber beklagen, wie es einst ge
schah, daß die Oeffenilichkeit an den
Grundfragen kein Interesse nähme, mö
gen auch die Beweggründe dabei ver
schiedener Art sein.
Man spürte rechtzeitig, was ein Maul
korbgesetz bedeuten könnte und wußte
aus Erfahrung, daß es zwecklos und un
möglich sei, erst dann dagegen Sturm zu
laufen und für die Freiheit einzutreten,
wenn man den Maulkorb bereits umge
bunden bekommen hat. Und man weiß
au-h, daß die Existenz der Gewerkschaft,
ihr wirklich erfolgreicher Einsatz für die
Belange der Schaffenden von Demokratie
und Freiheit nicht zu trennen sind,
Wir wollen das Thema speziell unter
dem Gesichtspunkt Gewerkschaft und De
mokratie betrachten. Wie wir als Gewerk
schaft eine demokratische Entwicklung
sehen, das ergibt sich einmal aus der Pra
xis der Vergangenheit und dann aus der
gegenwärtigen Situation. Der Kampf der
Schaffenden für die Verbesserung ihrer
Lage, den sie durch die (Gewerkschaft
füh*-t,' ist ein demokratischer Kampf, der
auch' nur möglich ist auf dem Boden der
Demokratie. Die Arbeiterschaft bildetdie
übe wiegende Mehrheit der modernen Ge
Seilschaft. Sie hat daher das größte In
teresse und ein unleugbares Recht, an
allen Entscheidungen, an der Vorberei
tung und dem Zustandekommen von Qe-
gETyenr- Besonders solchen, die sich auf
die Wirtschaft und die Sozialpolitik aus
wirken, mitbestimmend teilzunehmen. Die
Arbeiterschaft ist stärkstens an der Ein
schränkung und Beseitigung aller Formen
der Willkürherrschaft im Staatsapparat
und in der Wirtschaft interessiert. Sie legt
das größte Gewicht auf die Herstellung,
Erhaltung und Stärkung demokratischer
Rechte und Freiheiten, die allein Ihr selbst
und ihrer Organisationen berechtigte Ent-
faltungsmögÜchkeiten geben.
Ist es demokratischer Wille, daß die
kapi alistische Wirtschaftsordnung der
Vergangenheit angehören muß? In der
Zeit, in der der schaffende Mensch nur
Objekt war und zur Ware degradiert wur
de. sei zu Ende gegangen, hören wir aller
orts. Und weiter heißt es: Der Mensch ist
frei und niemand hat das Recht, an seine
Freiheit zu tasten. Wenn der Mensch frei
ist, dann darf man ihn nicht zum Sklaven
degradieren. Es ist ein unhaltbarer Zu
stand in einer Demokratie, daß der schaf
fende Mensch auch heute noch m einem
absoluten Abhängigkeitsverhältnis zu den
die Wirtschaft beherrschenden Elementen
sieht, daß ein Betriebsinhaber allein das
Recht hat. über Verderb und Gedeih des
schaffenden Menschen und seiner Familie
zu bestimmen. Dieser gesellschaftliche
Zustand, den die liberalisüsch-kapitalisti-
sche Wrtschaft zur Aufrechterhaltung ih
rer weiteren Existenz benötigt, und des
halb versucht, ihn weiter zu einem Dauer
zustand zu machen, kann in einem wirk
lich demokratischen Staat nicht bestehen
bleiben. Er ist auch mit unserer Verfas
sung unvereinbar.
Wir Schaffende wissen, daß, wenn wir
das Mitbestimmungsrecht verlangen, wir
auch die Mitverantwortung zu tragen ha
ben. Durch die Mitverantwortung werden
a'le Kräfte mobilisiert und interessiert, un
sere Wirtschaft so zu gestalten, daß ihre
Ertragsfälligkeit dem Wohls des gesamten
Volkes dient. Qarum ist eine demokrati
sche Wirtschaft für uns der einzige Ga
rant für Frieden, Freiheit und Fortschritt.
Die Arbeiterschaft kämpfte von jeher
für demokratische Forderungen, wie z. B.
das Koalitionsrecht, das ihr erst die Mög
lichkeit zum Aufbau und zur Entfaltung
ihrer Organisationen und damit für d;e
Verbesserung ihrer eigenen Lage gibt. Sie
kämpft für den Abschluß von Kollektiv
verträgen gegenüber dem individuellen
Arbeitsvertrag, Sie kämpft für das Prinzip
gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Sie
kämpft für die demokratischen Grund
sätze überall. Aus unserer Grundelnstel
lung erqeben sich die fortschrittlichen ds-
mokrarischen Kampfmethoden für heute
Und morgen.
Die Einheitsgewerkschaft als Organisa
tion der Werktätigen ist ganz besonders
geeignet, auch in ihrem inneren Leben die
Prinzipien der Demokro ie konsequent
Die Arbeitnehmer am Scheideweg
Der unvermeidliche Kampf um die Existenzgrundlage und den sozialen Fortschritt
Die Großkundgebung in Fraulautern
Die Gewerkschaften bekennen sich vorbehaltlos zum demokratischen Staat. Ob
sich der Staat indessen gleich vorbehaltlos zu seinem schaffenden Volk be
kennt, wird sich erst durch die Anerkennung und Verabschiedung des neuen Be
triebsrätegesetzes und den Einbau der Gewerkschaften in Wirtschaft, Gesellschaft
und Sozialaufgaben erweisen müssen. Die Vorgänge in den letzten Tagen und
Wochen zeigen der Allgemeinheit, die zum Teil sehr interessiert auf die Ent
wicklung im gewerkschaftlichen Leben blickt, deutlich auf, wie es um die Rechte
der schaffenden Menschen an der Saar bestellt ist. Der Kampf um das Mitbe
stimmungsrecht, im neuen Betriebsrätegesetz verankert, nimmt bestimmte Formen
an. Das Unternehmertum hat sich besonders in der letzten Zeit mit
aller Kraft eingeschaltet, um dem von Einheitsgewerkschaft vorgelegten Ent
wurf zum künftigen Betriebsrätegesetz Kraft und Saft zu nehmen. Aber auch die
Forderungen nach Angleichung der Löhne an die Preise, nach Auszahlung einer
Teuerungszulage, die Frage der Saargruben und die Vorlage eines „Staatsschutz
gesetzes“ waren und sind Anlaß, die Masse der schaffenden Menschen auf den
Plan zu rufen.
Die Groß-Kundgebung für den BezirR
Saarlouis, die in diesem Zeichen am 2?.
Januar in Fraulautern stattfand, zeigte
eine überaus rege Beteiligung
Der Schloßhof in Fraulautern war bis
ayf den letzten Platz besetzt. Gegen 9.45
Uhr eröffnete Kollege M o t z e c k als
Versammlungsleiter die Kundgebung und
betonte, es sei heute mehr denn je not
wendig, auf Grund der Vorgänge aus
der jüngsten Vergangenheit, ki aller Oef-
fentlichkeit zu den Problemen, die die ge
samte Arbeitnehmerschaft des Saarlgn-
des angehen, Stellung zu nehmen. Das
Wichtigste sei wohl die baldige Verab
schiedung des Betriebsrätegesetzes, das
ein fortschrittliches im Sinne der Arbeit
nehmerschaft sein muß. „Ich fordere auch
wohl mit Recht.“, so betonte er, „die An-
aleichnng der Löhne an die greise und
fordere für alle Artreitnehmer die Aus
zahlung einer Teuerungszulage von 3000
ks“. Motzek beschäftigte sich sowohl
der Eröffnung als auch im SolgLsßwort
mit der Frage der saarl. Industrie, ins-
Gewerkschaftsausschuß
Am 25. 1. 1950 hotte der Gewerkschafts
ausschuß der Einheitsgewerkschaft der
Arbeiter, Angestellten und Beamten eine
außerordentliche Sitzung einberufen und
faßte über das Gesetz zum Schutze der
demokratischen Staatsordnung des Saar-
iamdes und zum Aenderungsgesetz zum
Strafgesetzbuch folgende Resolutionen:
I. Resolution zum Gesetz zum Schutze der
demokratischen Staatsordnung des Saar
landes.
Das vom Landtag ln erster Lesung ver
abschiedete Gesetz zum Schutze der de
mokratischen Staatsordnung des Saarlan
des wurde von der Oeffentlichkeit mit be
rechtigter Entrüstung aufgenommen. Der
Gewerkschaftsausschuß der Einheitsge
werkschaft verleiht dem Willen der schaf
fenden Bevölkerung nur Ausdruck, wenn
er feststem, daß ein Gesetz, das in Wi
derspruch zu allen demokratischen Grund
sätzen steht, von ihm abgelehnt werden
muß.
Der Gewerkschaftsausschuß stellt wei
terhin fest, daß in unserem Staatswesen
die Umstände keinesfalls gegeben sind,
die eine Notverordnung mit derart weitge
henden Konsequenzen rechtfertigen. Man
leistet dem demokratischen Staatsgedan
ken keinen Dienst durch Maßnahmen, die
geeignet sind, die öffentliche Meinungs
äußerung und die berechtigte Kritik zu un
terbinden.
Ganz abgesehen von der schlechten Re
sonanz, die gerade in der augenblickli
chen Situation ein derartiges Gesetz jen
seits unserer Grenzen erwecken muß, wird
es auch im Inneren unseres Landes der
noch jungen Demokratie entschieden Ab
trag leisten.
Der Gewerkschaftsausschuß erwartet
von den Abgeordneten des Landtages,
zur Anwendung zu bringen. Die Freiwillig
keit der Mitgliedschaft in der Einheitsge
werkschaft bedingt natürlich die Wahl al
ler Funktionäre auf demokratischem We
ge. Die einmal gewühlten Funktionäre
sind nicht zu autonomen Führerpersön
lichkeiten gestempelt, sondern sind den
Mitgliedern verantwortlich und können
aus ihren Funktionen durch dieselben je
derzeit äbberufen werden, wenn sie nicht
mehr ihr Vertrauen besitzen. Diese Prin
zipien urrre ßen klar und deutlich die de-
besondere mit den Saargruben und dem
Staatsschutzgesetz, das in erster Lesung
vom Saarl. Landtag angenommen wurde.
Das Mitglied des saarl. Landtages,
Kollege Rauch, ergriff nun das Wort.
£t brachte zum Ausdruck, daß’die Saar-
arbeitersahaft vor schweren Problemen
stehe und es an der Zeit sei, daß sie
sjch um die Gestaltung des eigenen
Schicksals kümmere. Nur sie allein sei
in der Lage, sich selbst durah ihre Or
ganisation zu helfen, um im Laufe der
Zeit den Boden eines menschenwürdigen
Lebensstandards zu erreichen. Heute steht
die Arbeiterschaft am Scheidewege, denn
das volle Mitbestimmungsrecht will man
ihr verwehren. Die gesamte Arbeitneh
merschaft an der Saar muß die Bedeu
tung deT Stunde, die durch die Verab
schiedung des BetriebsrätöyeseSm' her
angerückt ist, erkennen, Sie allein Ist der
Faktor in der saarländischen Wirtschaft,
die alle ihm zur Verfügung stehenden
Mittel in Bewegung setzen muß, um end-
zum Staatsschutzgesetz
daß sie niemals einem Gesetz ihre Zu
stimmung geben werden, das sich letzten
Endes gegen sie selbst, sei es in ihrer po
litischen oder gewerkschaftlichen Tätig
keit, wenden kann. Der Gewerksehafts-
S usschuß läßt keinen Zweifel darüber, daß
le gesamte Einheitsgewerkschaft mit al
len Mitteln gegen dieses Gesetz vergehen
wird und auch nicht gewillt ist, eine Not
verordnung in abgeschwächter Form hin
zunehmen.
II. Resolution zum Aenderungsgesetz zum
Strafgesetzbuch.
Der Gewerkschaftsausschuß der Ein
heitsgewerkschaft stellt fest, daß, nach
dem durch das KontroÜratsgesetz Nr. 11
die entsprechenden Bestimmungen des
Strafgesetzbuches außer Kraft gesetzt
sind, der Staat im Rahmen des Strafge
setzbuches Tatbestände schaffen muß, die
Verbrechen und Vergehen gegen die de
mokratische Staatsordnung unter Strafe
stellen. Auf der anderen Seite verlangt er
aber, daß die demokratischen Rechte und
Freiheiten der Staatsangehörigen rieht nur
gewahrt bleiben, sondern vor Angriffen
jeder Art nachdrücklich geschützt wor
den. Das Aenderungsgesetz zum Strafge
setzbuch muß in der vorliegenden Fas
sung abgelehnt werden, da es geeignet
ist, sich unter Umständen gerade gegen
die Staatsbürger zu wenden, die auf dem
Boden der Demokratie stehen.
Saarbrücken, den 25. Januar 1950.
Der Gewerkschaftsausschuß der
Einheitsgewerkschaft der Arbei
ter, Angestellten und Beamten
des Saarlandss:
gez. Kutsch.
mokratisohen Formen de« inneren Lebens
der Einheitsgewerkschaft. Dementspre
chend wird auch die Politik der Einheits
gewerkschaft nicht von einer gewerk
schaftlichen Bürokratie, ohne die Mitwir
kung der Mitglieder bestimmt, sondern die
Satzungen der Einheitsgewerkschaft se
hen ausdrücklich vor, daß die Mitglieder
nach dem Grundsatz de« demokratischen
Bestimmungsrechtes über alle Fragen der
Gewerkschaftspolitik entscheiden müssen.
^ -- H. - S.
lieh das Mitbestimmungsrecht zur Si
cherung ihrer Existenz zu erkämpfen.
Rauch befaßte sich im Verlauf seiner
interessanten Ausführungen weiter mit
dem Einkommen der Arbeitnehmer. Stei
gende Arbeitsleistung, fallender Reallohn
sei der Lohn für die, ohne die ein Wieder
aufbau der saarländischen Industrie un
möglich gewesen wäre. Die Not sei ihr
ständiger Gast. Die Frage der Preiskon
trolle wurde angeschnitten und gefordert,
sie von Beginn der Produktion bis zum
Konsumenten durchzuführen« Zum Ab
schluß versäumte er nicht, auf die Re
form der Sozialpolitik einzugehen. Aus
bau der Sozialversicherung sei unum
gänglich notwendig bis zu einer Lei
stung, das dem Rentenempfänger das
Leben ohne zu Hungern ermöglicht.
Im Anschluß an seine Ausführungen er
griff der 2. Vorsitzende der Einheitsge-
wertschaft, Kollege Kutsch, zu einem
Referat das Wort, das allen die notwen
dige Kraft gab, im Ringen um Existenz
und Mitbestimmung, den Kampf aufzu
nehmen. Eindeutig stellte sich der Red
ner gegen die Verpachtung der Saargru
ben, aus Gründen, die jedem bekannt
sind und in der Presse genügend disku
tiert wurden. Bei seinem Rückblick kam
Kutsch auf die Unterschiede zwischen
Löhnen und Preisen zu sprechen und be
tonte, daß damals der Schrei nach Kohle
Trumpf war, daß der Bergarbeiter rest
los seine Pflicht erfüllt habe, daß der
Wiederaufbau durch restlosen Einsatz al
ler getätigt werden konnte, daß als Dank
zwar Lobeshymnen gesungen wurden«
doch die Löhne, die seien die gleichen
geblieben.
Als Unrecht bezeichnete er die Tatsa
chen, daß trotz wirtschaftlichem An
schluß die Löhne zum größten Teil be
deutend tiefer liegen, als im benachbar
ten Lothringen. Während seiner Ausfüh
rungen zum Mitbestimmungsrecht erin
nerte der Redner an die Katastrophe von
Duhamel, an jene Tage, die braven Berg
arbeiter das Leben kosteten. Mangelnde
Sicherheitsmaßnahmen seien die Ursa
chen zu derartigen Unglücksfällen. Die
Staatsanwaltschaft sei z. Zt. mit Unter
suchungen beschäftigt. Diese und meh
rere andere tragische Vorfälle geben Ver
anlassung, mit vollem Recht Mitbestim
mung in den Betrieben zu fordern und
sich restlos dafür einzusetzen. Bei voller
Mitbestimmung der Belegschaft wäre das
Unglück von Duhamel ungeschehen ge
blieben.
Zur neuen Vorlage des Entwurfes zum
„Schutz des saarländischen Staates“ stel
lungnehmend, erwähnte der Redner unter
großem Beifall aller Anwesenden, daß es
zu einer Verabschiedung dieses Gesetzes
nach dem Wortlaut der ersten Vorlage
niemals kommen dürfe. Die Einheitsge
werkschaft sei der Faktor, der sich zur
Verhütung dieser Art von Diktatur ein-
setzen müsse. Kollege Kutsch hegte be
rechtigte Hoffnungen, daß dieses Gesetz
niemals zu einem solchen werden könne.
Nach einem zündenden Schlußwort des
Kollegen Motzek, der mit Worten, die
an Deutlichkeit zum Betriebsrätegesetz
und dem neuen Gesetz zum Schutze des
Staates nichts zu wünschen übrig ließen
und aus den Herzen aller gesprochen wa
ren, wurde die Versammlung geschlos
sen. —Wb
Die Entschließung siehe Seite 2
HmiiHiiiiimiiiUHmiiiiiimimiiiiHmimiiiimiiiiiHiimmiiuiiiiiHimmiiiiimmimtHi
Aus dem Inhalt :
Die Stimme der Verbände
Gesundheitsschaden im Industriegebiet
Wiederherstellung der Tarifvertrags
freibeit in Frankreich
Buchdrucker für Demonstration
Zuschriften aus dem Leserkreis
„Herr im Hause“ wurde bestraft
Trübe Brille des Saarhandwerkers“
Briefkasten
Post aus dem Ausland