Full text: 1950 (0005)

Oktober 1950 
„DIE ARBEIT“ 
Seite 3 
i 
Die europäische Gewerkschaftsbewegung und der Schumanplan 
Kollege Haas vom Hott vom DGB 
hielt aut der Pariser Schurnanplan- 
Konterenz des IBFG ein grundlegen 
des Referat. Es enthält alles das, was 
ein Gewerkschaftler über den Schu- 
marapian, der in die Geschichte ein- 
gehen wird, wissen soll. Dar Inhalt 
Iie'ert zuglaich e 'an hochinteressan 
ten Volkswirtschaft ichen und sozialen 
Standpunkt und einen klaren Blick 
für das We-entliehe. 
I. 
Mil der Erklärung des französischen 
Außenministers Schuman vom 9. Mai 1950 
ist die politische Idee der europäischen 
Einigung, insbesondere aber die der 
d;utsch-fran ö’ischen Verständigung, auf 
gegriffen worden. Zur Verwirklichung 
dieser politischen Idee soll zunächst aut 
wirtschaftlichem Gebiet die Zusammen 
fassung der Grundstoffindustrien von 
Kohle und Eisen in den hauptsächlich 
hierfür in Betracht kommenden europäi 
schen Ländern zu einem gemeinsamen 
Markt erfolgen. Dabei ist Außenminister 
Schuman mit Recht davon ausgegangen, 
daß Kohle und Eiisen häufig genug die 
Ausgangspunkte neuer Kriege gewesen 
sind. Durch die Verwirklichung des Schu- 
manplans sollen die ersten konkreten Vor 
aussetzungen zur Schaffung einer euro 
päischen Gemeinschaft gefunden werden, 
die für einen dauerhaften Frieden uner 
läßlich sind. In den letzten Jahren 
sind Ansätze zu einer europäischen Ver 
ständigung schon durch OEEC und den 
Europarat in Straßburg unternommen wor 
den. Allerdings genügen sie nicht, um die 
Idee der europäischen Einheit konstruk 
tiv zu verwirklichen. Wenn auch der gute 
Wille beider Organe nicht bestritten wer 
den soll, so darf nicht verkannt werden, 
daß disee nach dem gegenwärtigen Stand 
ihrer Möglichkeiten nicht die notwendigen 
Vollmachten haben, um eine europäische 
Verständigung herbeizuführen. 
D;e Gewerkschaften, die natürlich auch 
die Arbeiten der OEEC und des Europa- 
Rates unterstützen, haben daher die Idee 
des Schumanplans, die erstmalig eine 
konkrete Möglichkeit zur europäischen 
Verständigung aufzeigt, begrüßt. 
Die Gewerkschaften haben sich über 
die Tätigkeit innerhalb ihrer Landesgren 
zen hinaus immer zur internationalen Zu 
sammenarbeit, als Voraussetzung eines 
dauerhaften Friedens und der Erhöhung 
des Lebensstandards der Arbeitnehmer 
schaft bekannt. Zwar wurde diese inter 
nationale Zusammenarbeit durch den Na 
zismus in Deutschland und das Kriegsge 
schehen empfindlich gestört, und es war 
verständlich, daß nach Beendigung des 
Krieges die von allen erwünschte inter 
nationale Zusammenarbeit zunächst nur 
zögernd in Gang kam, weil die Wunden 
des Krieges erst vernarbt sein mußten. 
Ausdruck der neuen Solidarität der Ge 
werkschaften der freien Völker ist der 
IBFG, der daher auch die Idee des Schu 
manplans positiv begrüßt hat. In einer 
internationalen Gewerkschaftskonferenz 
über die Ruhr wurde hierzu bereits am 
22-/23. Mai 1950 in Düsseldorf — also kaum 
14 Tage nach der Verkündung der Erklä 
rung von Außenminister Schuman — in 
positivem Sinne Stellung genommen. Aus 
dieser Stellungnahme heraus nimmt der 
IBFG für sich in Anspruch, führend bei 
der Gestaltung und Durchführung des 
Schumanplans mitzuwirken. Der IBFG ist 
sich darüber klar, daß es mit der Aner 
kennung einer politischen Idee an sich 
nicht getan ist, sondern daß auch die 
notwendigen Wege zur Verwirklichung 
dieser Idee gefunden und beschritten wer 
den müssen. 
Oie Grundlage des epochalen Planes 
Als die Delegationen von Frankreich, 
Deutschland, Italien Belgien, Holland und 
Luxemburg am 20. Juni 1950 zum ers‘enmal 
in Paris zusammentraten, war nicht mehr 
vorhanden als dis Idee, zunächst die 
Koh'e- und Stahlproduktion dieser Länder 
zu einem gemeinsamen Markt zusammen- 
zutassen. Es liegt im Wesen einer sol 
chen Idee, daß sie zunächst nur allgemein 
gehalten ist. Vielleicht mag die Zurück 
haltung der englischen Labour-Regierung, 
die im Einvernehmen mit den englischen 
Gewerkschaften geschah, darauf zurück 
zuführen sein, daß für die Gestaltung des 
Planes zunächst nur der äußere Rahmen 
erkennbar war. 
Mit der Ueberre^Eung des französi 
schen Arbeitsdokumentes am 24. Juni 50, 
welches den Entwuif eines Vertrages dar- 
stellte, war die Grundlage für die weite 
ren Verhandlungen gegeben. Es haben 
dann von Jum bis Ende September in ver 
schiedenen Zeitabschnitten Verhandlun 
gen über die Möglichkeit der wirtschaft 
lichen Verwirklichung der politischen 
Idee des Schumanplans stattgefunden. 
Neben gemeinsamen Sitzungen der De 
legationen wurde die Arbeit in der Haupt 
sache in den folgenden 5 Ausschüssen 
bewältigt: 
1. Institutionelle Fragen, 
2. Handels- und Zollpolitik, 
3. Preise, Produktion, Investition, 
4. Löhne und soziale Fragen, 
5. Definition der Begriffe Kohle und 
Eisen. 
Alle Delegationen haben zur Bewälti 
gung der Arbeit Sachverständige auf den 
verschiedenen Gebieten zur Mitarbeit her 
angezogen. 
Die Verhandlungen über den Schuman- 
Rlan gewannen ihre besondere Bedeutung 
dVJurch, daß e? sich nicht um internatio- 
IRa K Verhandlungen im üblichen Sinn« 
handelte, wie sie beispielsweise zum Ab- 
schlußN/on Handelsverträgen geführt wer 
den, sonderp es handelte sich hierbei be 
wußt gm supranationale Verhandlungen, 
bei denen alle Delegationen sich darüber 
klar waren, daß das Zustandekommen 
des Vertrages ein gewisses Aufgeben na 
tionaler Souveränitätsrechte zu gunsten 
des gemeinsamen Marktes und damit zu 
gunsten der Schaffung der europäischen 
Gemeinschaft bedeutet. Von diesem 
Standpunkt aus betrachtet wäre es wün 
schenswert gewesen, wenn aufgrund der 
positiven Stellungnahme des IBFG allen 
Länderdelegationen auch verantwortliche 
Gewerkschaftler als ordentliche Mitglie 
der angehört hätten. Leider war das je- 
doch nur bei einer Delegation dar Fall, 
während bei den übrigen Delegationen 
Gewerkschaftsvertreter nur als Sach 
verständige bei der Behandlung voja Lohn- 
und sozialen Fragen hinzugezogen wur 
den, und dies bedauerlicherweise auch 
nur in sehr ungenügendem Umfange. 
Mit dem- 28. September waren die Ar 
beiten der verschiedensten Ausschüsse zu 
einem gewissen Abschluß gelangt. Nach 
Wiederaufnahme der Verhandlungen An 
fang Oktober ist der Versuch unternom 
men worden, das bisherige Ergebnis der 
verschiedenen Ausschüsse nunmehr zu- 
sammenzufasset' und daraus ein gewisse* 
Gerippe als Grundlage für die Paraphie 
rung eines Vertragsentwurfes zu schaf 
fen. Gleichzeitig wurde auch eine Aen- 
derung der bisherigen Verhandlungsme- 
thode eingeführt, indem nunmehr in erster 
Linie die Chefs der Delegationen in ge 
meinsamen Besprechungen zusammentra 
ten. Das hat die „Internationale Handels 
kammer“ zu der wohl irrigen Bericht 
erstattung veranlaßt, daß damit die Ge 
werkschaften praktisch ausgeschaltet 
seien. Wenn eine solche Wendung in der 
Verhandlungslührung beabsichtigt sein 
sollte, müßten sinh die Gewerkschaften 
allerdings von der weiteren Mitarbeit am 
Schumanplan mit allen «ich daraus erge 
benden Konsequenzen distanzier«*!. 
Einige Jahre Dbetgangspeiiode 
Die bisherigen Verhandlungen haben es» 
geben, daß zun^ngangsetzung des Schu 
manplans gewisse Voraussetzungen er- 
füllt werden müssen. Neben einer verhält 
nismäßig kurz behüteten Anlaufzeit wird 
eine UebergangsperiHde von einigen Jah 
ren notwendig sein. 'Krst dann tritt der 
Schumanplan in seine ^ndphase, die so 
genannte „Perode permanente“ ein. 
In der Anlaufzeit sollen die nach dem 
Vertrag vorgesehenen Organisationen ge 
schaffen werder. In der Uebergangszeit 
sollen alle Hindernisse zur Schaffung des 
gemeinsamen Marktes, soweit dies unter 
Berücksichtigung der natürlichen und na 
tionalen Gegebenheiten möglich ist be 
seitigt werden. In der Endperiode soll 
dann der einheitliche Markt für Kohle Und 
S^anl im Unionsraum erreicht werden. 
Mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, 
ao sich bei der Regelung der~Ueber- 
gangszeit ergeben und demgemäß einen 
längeren Verhaadlungszeitraum bean 
spruchen, sind die gegenwärtigen Ver 
handlungen ausschließlich auf den Sta 
tus in der Endpsriode abgestellt. 
Um sich über die Stellungnahme der 
Gewerkschaften klar zu werden, ist es 
notwendig, einige Bemerkungen über den 
geplante*! Aufbau der Schumanpkm~Or- 
ganisation und ihrer Tätigkeit näher dar 
zulegen. 
Es besteht bisher Klarheit darüber, daß 
d e Hohe Behörde e ne supranationale Ein 
richtung darste'len soll, auf die also, wie 
bereits vorher erwähnt, gewisse Souverä 
nitätsrechte bezüglich der Koh’e- und 
Stahlwirtschaft übergehen sollen. Die 
Hohe Behörde soll aus 6 bis 9 Mitgliedern 
bestehen. Es ist wohl in der Praxis an- 
zunehmen, daß jedes der 6 Länder Wert 
daraut legen wird, mindestens einen Ver 
treter in die Hohe Behörde zu eentsenden. 
Die Gewerkschaften fordern ihrerseits, 
daß auch mindestens ein Vertreter ihres 
Vertrauens zum Mitglied der Hohen Be 
hörde bestellt wird. Es ist selbstverständ 
lich, daß die 'Mitglieder der Hohen Behör 
de nach erfolgter Wahl nicht an Weisungen 
von Regierungen oder Organisationen ge 
bunden sein können, sondern entspre 
chend dem ruoranat or.a'en Charakter des 
Schumanplans ihre Tätigkeit unbeeinflußt 
o.ueüben müssen. 
Der Hohen Behörde steht eine gemein 
same Versammlung (as emb’ee coramuni) 
zur Seite. Es ist onZunahmen, daß diese 
gemeinsame Versammlung — ähnlich, wia 
der Europa-Rat — aus etwa 80 Vertretern 
bestehen wird, die von den I.ändernai“a- 
mentsn gewoh't werden. Dabei ist di-o 
Frage noch offen, ob es sich hierbei aus 
schließlich um Parlamentarier handeln 
muß oder ob die Parlamente auch andere 
Persönlichkeiten wählen können. 
Zur lautenden Unterstützung der Hohen 
Behörde in ihrer Tätigkeit waren zunächst 
3 beratende Ausschüsse vorgesehen, die 
sich aus Vertretern der Arbeitgeber, der 
Verbraucher (weiterver arbeitende Indu 
strie) und der Gewerkschaften zusammen 
setzen sollten. In den Verhandlungen ist 
der gewerkschaftliche Vorschlag aner 
kannt worden, daß nur ein Beirat gebildet 
werden soll, in dem die genannten drei 
Gruppen vereinigt sind. Aut diese Weise 
wird vermieden, daß beispielsweise die 
Gewerkschaften ausschließlich auf so 
ziale Fragen abgedrängt werden und daß 
die Arbeitgeber wirtscnaftspolitisch den 
Beirat zu einer Art Kartell gestalten könn 
ten. Selbstverständlich würde man nicht 
offiziell ein Kartell machen. Der Gedanke 
verträgt sich nämlich nicht mit dem Schu- 
manplan, aber man würde so eine Art 
Frühstückskartell machen, d. h. also, man 
würde ungezwungen zum Frühstück Zu 
sammenkommen und sich dabei bestimmt 
nicht über das Essen oder das Wetter 
unterhalten. 
Schaffung eines Gerichtshofes 
Neben der Hohen Behörde soll ein Ge 
richtshol geschaffen werden, dessen Tä 
tigkeit in ähnlicher Weise aufgebaut wer 
den soll, wie dies beim internationalen 
Gerichtshot in Den Haag der Fall ist. 
Weiterhin ist die Schatfung eines Mini 
sterrats vorgesehen. Eine solche Einrich 
tung war in dem französischen Arbeits 
dokument nicht enthalten. Es hat sich je 
doch als notwendig erwiesen, eine solche 
Einrichtung in den Plan einzubauen, wo 
bei allerdings Klarheit darüber herrscht, 
daß der Ministerrat nur für ein genau 
umgrenztes Aufgabengebiet tätig werden 
kann. Das ist besonders notwendig für 
den Fall, wenn der supranationale Cha 
rakter der Behörde mit den Grenzen und 
Aufgaben von national staatlichen Insti 
tutionen in Widerstreit gerät. 
Fernerhin ist die Schaffung von regio 
nalen Gruppen vorgesehen, die ohneRück- 
sicht auf die Ländergrenzen bestimmte 
Produktionsgebiete von Kohle und Stahl 
zusammenfassen sollen. Auch diesen re 
gionalen Gruppen, über deren Aufbau im 
einzelnen noch diskutiert wird, soll ein 
Beirat — gleich wie bei der Hohen Be 
hörde — angegliedert werden. 
(Fortsetzung folgt!) 
Zahlreiche weitere Beitrittserklärungen zur 
Einheitsgewerkschaft. 
Lauiend sind bei den verschiedenen 
Verbänden der EG Beitrittserklärungen zu 
verzeichnen. Wiederholt haben wir dar 
über Einzelheiten veröffentlicht. Heuta 
kann der I. V. Fabrikarbeiter und I. V. Le 
der und Bekleidung müteiten, daß seine 
bisherige Werbeaktion einen großen 
Erfolg erbrachte. Innerhalb einer kur 
zen Zeii sind bei der Geschäftsstelle über 
tausend Neuaufnahmen eingegangen. Die 
Aktion geht weiter. 
Die zunehmenden Beitnttsertüö i ungen 
zur Einheitsgewerkschaft sind in vielfa 
cher Hinsicht bemerkenswert. Einmal las 
sen sie erkennen, daß das Vertrauen in 
die Einheitsgewerkschaft weiter an Boden 
gewinnt. Darüber hinaus sind sie auch 
ein Beweis dafür, daß der Appell an die 
anständige Gesinnung und an das Solida- 
ritätsgelühl sowie die Erkenntnis von der 
Bedeutung der organisierten Arbeitneh 
merschaft bei den Unorganisierten einen 
immer stärkeren Widerhall finden. 
Rechtsberatung in Homburg 
Ab sofort werden wieder jeden Freiiag- 
vormittag von 8 bis 12 Uhr m der Kr eise e- 
schäftsstelie in Homburg, von Benisstr., 
Rechtsberatungen für die Mitglieder der 
Emheitsg e we rksch af t ab gehalten. 
RecMsimatunuen in St. Wendel 
finden für Mitglieder der Einheitsgewerk 
schaft jeden Donnerstag in der Kreisge 
schäftsstelle statt und zwar von 8,30 
Uhr bis 12 Uhr. 
Tuuerkulose - Reiiienuntersucftunaen 
Die Landesversicherungsanstalt für das 
Saarland setzt die Reihenuntezsucl ungen 
der Versicherten des Geburtsjahrganges 
1933 fort** Das bisherige Ergebnis der Un 
tersuchungen zeigte, daß eine Kontrolle 
der Jugendlichen nicht nur iür die?« selbst, 
sondern auch für ihre Umgebung, sonach 
für die Gesamtbevölkerung von größter 
Wichtigkeit ist, Es ist daher Pflicht eines 
jeden, der ihm zugehenden Einladung Fol 
ge zu leisten. 
Wieder Akademie der Arbeit 
Das Wintersemester an der Akademie 
der Arbeit nimmt mit dem 6. Nov. seinen 
Anfanq. Die Vorlesungen beginnen um 
17,30 Uhr. 
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