5. Jahrgang
Saarbrücken, 28. September 1950
Nr. 18
Das Ringen um Lohn- und Preisgestaltung
Das Ergebnis der letzten Verhandlungen - Verschiedene Einzeieriolge - Unbefriedigende Gesamtlage - Einmütige Feststellungen des Gewerkschafts
ausschusses - Am Sonntag Re Vorkonferenz - Die kommende Entwicklung - Anprangerung kommunistischer Machenschaften - Uneingeschränktes
Vertrauen für den Kollegen Heinrich Wacker - Die feste Entschlossenheit der Arbeitnehmerschaft
Der Gewerkschaftsausschuß der Einheitsgewerkschaft trat am Mittwoch,
dem 27. September 1950, erneut zu einer außerordentlichen Sitzung zu
sammen. Entsprechend dem Beschluß der außerordentlichen Sitzung vom
18. September 1950 befaßten sich die Ausschußmitglieder mit dem gesam
ten Lohn- und Prenprobiem auf Grund der Entwicklung in den letzten Ta
gen und besonders mit dem Stand der Lohnverhandlungen der einzelnen
Verbände mit den Arbeitgebern.
In den letzten Lohnverhandlungen —
das wird von niemand bestritten — wur
den positive Ergebnisse erzielt, aber die
Resultate können keineswegs befriedigeint.
Nach Darlegung des Standpunktes der
Industrieverbände kam es im Gewerk
schaftsausschuß zur Abstimmung über
den nachstehenden Beschluß, der einstim
mig angenommen wurde:
„Gemäß dfm Beschluß der durch die
Vorstände der Industrieverbände erweiter
ten Gewerksehaftsaussrhuß-Sitzung vom
18. Srpteniher 1930 nahm der Gewerk-
sehaKsaussehnß der Einheitsgewerkschaft
am 27. September 1950 erneut Stellung
zum Stand der Lohn- und Preisbewegung.
Trotz einiger Ansätze zur Besserung der
Lage kann der Gewerkschaftsausschuß von
der allgemeinen Kntwieklung der Löhne
und Preise in keiner Weise befriedigt sein
und faßt einstimmig den Beschluß, eine
gemeinsame Protestaktion durchzuführen,
wenn nicht in aller Kürze eine befriedi
gende Gesamtlösung erzielt wird.
Der Gewerkschaftsausschuß beschließt
weiterhin einstimmig, das Ergebnis der
Revierkonferenz des Industrieverbandes
Bergbau am Sonntag, dem 1. Oktober 1950,
abzuwarten, um im Anschluß daran unter
Bei ücksiehtiguiig der dort gefaßten Be
schlüsse zu einer Protestaktion der gesam
ten Einheitsgewerkschaft aufzurufen,**
In den Erklärungen der Vertreter des In
dustrieverbandes Bergbau wurde darauf
hingewiesen, daß noch in dieser Woche
mit den zuständigen Regierungsstellen in
Paris Verhandlungen im Beisein der Ver
treter der Einheitsgewerkschaft und der
Christlichen Gewerkschaft stattfinden, um
in unmittelbaren Verhandlungen eine an
gemessene Lohn Vereinbarung für den
Bergbau zu erzielen.
Am Sonntag, dem 1. Oktober 1950, ver
anstalten beide Gewerkschaften getrennte
Revierkonferenzen, um zu dem Pariser Er
gebnis Stellung zu nehmen.
Allseits kam im Gewerkschaftsausschuß
zum Ausdruck, daß die Gewerkschaft jetzt
Die Zwischenfälle vom 1. Mai
vor Gericht
Zn denen, die eine besondere Ursache, ha
ben, sich mit der Gerichtsverhandlung und dem
spateren Endergebnis über die Zwischenfälle
am 1. Mai zu befassen, gehört die Gewerk
schaft.
\\ enn auch die Schaffenden spontan ihren
Willen am Ehrentag der Arbeit bekunden, so
ist doch zur Abwicklung solcher Kundgebun
gen mühevolle, organisatorische Vorbereitung
ertordeilieh. Und dieser Maidemonstrationszug
T950, der mit soviel Idealismus vorbereitet
w.ui de, der alle Voraussetzuugen für eine ge
waltige Kundgebung aller Schaffenden — mit
eine der wirkungsvollsten Maiäemontrationen,
die je hier abgehalten wurden — erfüllt hatte,'
wurde von einer kleinen Gruppe, die ihre egoi
stischen parteipolitischen Ziele den gewerk
schaftlichen Forderungen vorzog, in einer
Weise mißbraucht, die kaum zu überhiVten
war.
An diesem 1. Mai sollten — das war der
W unsch der Werktätigen — einmal nach Jah
ren großer Wiederaufbanleistnngen in fester
Einmütigkeit mit Nachdruck die besonderen
Forderungen der Arbeitnehmer der breiten Ocf-
fcntlichkeit und vor allem der Regierung kund-
getan werden. In Aufrufen hatten die einzelnen
Verbände und die Gewerkschaftsjugend ihre
Losungen ausgegeben. Die Ordnung des Zuges
der 12 000 Kundgeber war bis ins kleinste
geregelt.
Was dann im Verlaufe des Umzuges und am
Landwehrplatz geschah,wurde entsprechend an-
geprangert. Viele der Gewerkschaftler aber ha
ben schon damals mit aller Deutlichkeit betont,
daß sie aus diesen Erfahrungen die Lehre zie
hen. An dem nächsten Ehrentag der Arbeit
werde man derartiges zu verhindern wissen.
Das war auch die Feststellung und zugleich
die Forderung aller gewerkschaftlich denken
den Teilnehmer. Verschiedene durchgreifende
Maßnahmen sind bekanntlich bereits seit dem 1.
Mai zur Anwendung gekommen.
unter allen Umständen eine Lohnanglei
chung an die gestiegenen Preise und ent
sprechend der Leistungssteigerung bean
sprucht, daß man aber darüber hinaus
dann unbedingt einen Preisstop erstreben
muß, um endlich zu einem befriedigenden
Ausgleich zu gelangen.
Sollte eine Sonderaktion erforderlich
sein, so wird diese — darüber besteht
volle Einmütigkeit — gemeinsam von allen
Verbänden durchgeführt.
Wenn sich seit der letzten Gewerk
schaftsausschußsitzung vom 18. 9. durch
viele Verhandlungen mit Regierung, dem
Hohen Kommissar und den Arbeitgebern
schon einiges geändert hat, wenn gewisse
Lohnerhöhungen zugestanden wurden,
wenn weitere Lohnverhandlungen am
Gange bezw. vereinbart sind, so kann die
gewerkschaftliche Stellungnahme von
heu*e und morgen nur unter dem Gesichts
punkt der Gesamtlage erfolgen. Die Ar
beitnehmerschaft ist zum entschlossenen
Handeln bereit.
Weiter wurde eine Entschließung ange
nommen (mit allen gegen eine Stimme), in
der es heißt:
Der Gewerkschaftsausschuß, zusammen-
getraten zu einer Sitzung am 27. Septem
ber 1950, befaßte sich unter besonderer
Berücksichtigung der augenblicklichen
schweren Lohn- und Preiskämpfe und des
jetzi stattfindenden Prozesses wegen der
Vorfälle am 1. Mai in Saarbrücken ein
gehend mit den in letzter Zeit erneut durch
Flugblätter der KPS erhobenen schwersten
Angriffe, Verleumdungen und Beleidigun
gen gegen den Präsidenten Heinrich Wak-
ker. Der Gewerkschaftsausschuß gibt sei
ner Entrüstung über solche Methode Aus
druck und bezeichnet derartige Machen
schaften als gewerkschaftsschädigend.
Der Gewerkschaftsausschuß stellt sich
einmütig hinter den Kollegen Wacker, und
er wird nicht dulden, daß durch eine ge
wissenlose Clique der Kampf um die Bes
serstellung der Arbeitnehmerschaft mit
derart schmutzigen Mitteln erschwert wird.
Der Gewerkschaftsausschuß wird daher
bei Fortsetzung dieser oder ähnlicher An
griffe auf führende Kollegen und Funktio
näre der Einheitsgewerkschaft sich Vorbe
halten, alle Maßnahmen zu ergreifen, die
zur Erhaltung und Stärkung der Kampf
kraft und zur Sicherung einer wirklichen
von jeder Parteipolitik freien Einheit not
wendig sind.
Einen Antrag auf nachträgliche Aus
schließung Paul Obermeiers wurde mit
allen gegen eine Stimme angenommen.
Der Antrag gründet sich auf einen Vor
fall, der eine Zeitlang zurückliegt und spä
ter ans Licht kam. Danach hat sich Paul
Obermeier eines ganz groben Mißbrauchs
in einer angemaßten Funktion schuldig ge
macht, zudem gegenüber einem Industrie
verband, dem er überhaupt nicht ange
hörte. Er hat sich dabei Befugnisse an
geeignet, die seinen Ausschluß in jeder
Beziehung rechtfertigen.
In weiteren Verhandlungen der einzelnen In
dustrieverbände wird nun mit aller Energie
versucht werden, ein wirklich annehmbares
Gesamtresultat zu erreichen. Sollten diese Be
mühungen fehlschlagen, dann wird — und dar
über besteht volle Einmütigkeit — eine ge
meinsame Aktion aller Verbände erfolgen. Es
geht darum, ein Gesamtergebnis zu erreichen,
auf das die Arbeitnehmerschaft einen unbe
dingten Anspruch hat.
Die Lohntarife können durchaus jetzt schon
provisorisch von den einzelnen Verbänden ab
geschlossen werden, ohne daß bereits ein Ge
samt-Tarifvertrag besteht. Die Lohnabkommen
werden dann einfach später in den Tarifvertrag
eingebaut.
Die Lohntarifgestaltung wird je nach den
Industrieverbänden verschieden »ein müssen,
bei Metall liegt es z. B. an den Betriebsräten,
zu einer richtigen Akkordbasis für die Lohn
gestaltung zu kommen.
Wenn für die Fertigindustrie dieselben Sätze
erreicht werden wie für die Schwerindustrie,
dann ist auch hier ein Erfolg zu verzeichnen.
(Siehe vorläufige Lohnvereinbarung bei Metall
Seite 4).
Der Bergbau, für den überhaupt noch
kein Mindestlohn, festgesetzt ist, besteht eben
falls auf Festsetzung von Mindestlohnsätzen,
auf denen sich die Lohnhierarchie aufbauen
muß.
Was die Gewerkschaft unbedingt erwarten
muß, iBt die 6trikte Anwendung der Sofort
maßnahmen, die die Regierung am 25. Sep
tember 1950 beschlossen hat, besonders die
Maßnahmen auf dem Gebiete des Preisstops,
der Preisüberwachung und der Warenzurück
haltung. Worauf wir weiter größten Wert le
gen müssen, das sind Maßnahmen zur Erhal
tung der Kaufkraft, um nicht bald erleben zu
müssen, daß, wenn die Löhne mühsam an die
in vielen Fällen willkürlich herabgesetzten
Preise nähergerückt sind, die Preise erneut
emporschnellen.
Mit aller Deutlichkeit geißelten die Aus
schußmitglieder das Verhalten der kommuni
stischen Agitatoren, wie es sich unter ande
rem in dem neuen Flugblatt, das in vorstehen
der Entschließung erwähnt ist, dokumentiert.
Ein derartiges schändliches Verhalten lassen
sich die Mitglieder unter keinen Umständen ge
fallen. Entsprechend dem Beschluß wird mit
aller Energie gegen solche Methoden eingc-
schritten werden.
Zu Beginn der Sitzung hatte Kollege V arker
in ehrenden Worten des verstorbenen Kolle
gen Willi Gerber gedacht.
Vor ernsten Entscheidungen
Von HEINRICH WACKER
Wenn Beschlüsse des Landesvorstandes
und des Gewerkschaftsausschusses der
Einheitsgewerkschaft eine entschlossene
Lohnbewegung an gekündigt haben, so
wird man gegenüber diesen Beschlüssen
in keiner Weise den Vorwurf mangelnder
Berechtigung erheben können, an Gegen
teil darf behauptet werden, daß die Ein
heitsgewerkschaft in der Vergangenheit
zur Vermeidung eines Wettkrufs zwischen
Deutlich sichtbare, unwiderlegliche Beweise
Foto: Reichard
Die oben abgebildeten Lebensmittel, von denen die einen täglich, die anderen von Fall
zu Fall im Haushalt Verwendung finden, kosteten noch am 15. Juli 1950 insgesamt 812,50
Frs. Für den gleichen Betrag kann die Hausfrau heute nur noch rund 75 o/o der Waren
erhalten. (Siehe die eingezeichneten Abstriche an den verschiedenen Lebensmittel). Die Preise
sind bis Mitte September derart gestiegen, daß fiir die gleiche Warenmenge statt 812.50
Frs. heute 1157.— Frs. zu bezahlen sind. Die Preissteigerungen waren bis zu dem erwähn
ten Zeitpunkt folgende: Eier 71,2 o/o> Brot 7,6*>’o, Schweinefleisch 18,7o/o, Schmalz 79,4<Vo
Fleischwaren 49 °/o, Mehl 17,2 o/o. Dazu kommen writere Preiserhöhungen. An diesem Bei
spiel ist zu ersehen, wie es in Wirklichkeit um die Kaufkraft der Löhne, Gehälter und Renten
bestellt ist.
I,ahnen und Preisen und im Interesse des
Wiederaufbau« der saarländischen Wirt
schaft eine oft mehr als maßvolle Haltung
eingenommen hat, die, nachdem unsere
Forderungen nach einem gerechten Aus
gleich zwischen Löhnen und Preisen bis
her zu keinem befriedigenden Resultat ge
führt haben, nicht länger beibeahlten
werden darf.
Es wird niemand bestreiten dürfen, daß
nach Anschluß des Saarlandes an den
französischen Wirtschaftsraum die Saar-
wirtsohaft kräftigen Auftrieb erhalten hat.
Aut der anderen Seite muß jedoch festga
steilt werden, daß such dieser wirtschaft
liche Aufschwung auch nicht annähernd
laut die Verbesserung der Lebenshaltung
der saarländischen Arbeitnehmer ausge
wirkt hat.
Von allen Seiten wird vorbehaltlos zu
gegeben, daß der wirtschaftliche Aufstieg
des Saarlandes nicht zuletzt auf den zä
hen Arbeitseifer der saarländischen Ar
beitnehmer zurückzuführen ist, die sofort
nach Kriegsende unter geradezu trostlo
sen Lebensverhältnissen den Wieder
aufbau in Angriff nahmen und so erst
die Voraussetzungen für das erfolgreiche
Bestehen der Saarwirtschaft auf dem fran
zösischen als auch internationalen Markte
geschaffen haben. Der saarländische Ar
beitnehmer ist intelligent genug, um sich
selbst über diese* Zusammenhänge ein
Bild machen zu können. Darüber hinaus
wurden sie ihm unter Ausdrücken höch
sten Lobes oft genug bestätigt. Wer wird
es ihm also verdenken können, daß er
jetzt endlich seinen gerechten Anteil an
dem wirtschaftlichen Erfolg haben will,
da Lob allein — wie man uns hoffentlich
zugeben wird — kaum imstande ist, die
materiellen Bedürfnisse des Lebens zu
befriedigen, wenn nicht diesem Lob auch
Taten folgen.
Wenn von Arbeitgebers eite auf erheb
liche Schwierigkeiten der Saarwirtschaft
hingewiesen wird, so wollen wir die zum
Teil berechtigten Behauptungen keines
wegs in Abrede stellen, doch wird
man uns gestatten, die in ihrer Tendenz
nicht zu verkennenden, ungünstigen Pro
gnosen mit der erforderlichen Skepsis zu
betrachten, da kkigen bekanntlich von je
her zum Geschäft gehört hat und die Kla
gen immer besonders dann aufgeklungen
sind, wenn Lohn- und Gehaltsforderungen
der Arbeitnehmer zu erwarten waren.
So hat man auch in der ersten Hälfte
dieses Jahres systematisch versucht, au!