Full text: 1950 (0005)

ORGAN DER [IMSGMHStHWTEH MR ARBEITER. HNGESTELLTEH ÜHO BERfRTEN 
4. Jahrgang Saarbrücken, 20. Januar 1950 Nr. 2 
An alle Gewerkschaftler! 
KOLLEGEN UND KOLLEGINNEN! 
Jn ernster Stunde tritt der gemäß dem Statut der Einheitsgewerkschaft gebildete 
Gewerkschaftsausschuß 
zu seiner ersten Sitzung zusammen. Seine Aufgabe und Sorge wird es sein, für die Dauer der nächsten 
beiden Jahre 
das Schicksal der Gewerkschaft 
zu formen und zu leiten. 
Unendlich viel Not und Leid lastet auch heute noch auf der arbeitenden Menschheit, nicht nur bei uns 
im Saarland, sondern in allen Teilen der Welt. Unvorstellbar sind die Folgen eines wahnsinnigen Krieges, 
der das Werk einer kleinen Clique haßerfüllter und rachsüchtiger Menschen war. 
Unsere gesamte Wirtschaft ist auch 
heute noch von jenen unheilvolle« Bela 
stungen heimgesucht, wenngleich gerade 
in den beiden letzten Jahre« eine 
gewaltige Produktionssteigerung und 
Erhöhung des Absatzes 
dus den Statistiken abgelesen werden 
kann. 
Unsere Sozialverhältnisse sind noch 
lange nicht so, daß man mit Ihne« zufrie 
den sein könnte, wenn wir auch — gemes 
sen an anderen Ländern, die der Krieg 
be’mgesucht hat — stolz sein dürfen, auf 
die unter Mithilfe unserer Gewerkschaft 
erzielten beachtlichen Erfolge. 
Wir wissen — genau wie Ihr draußen im 
Lande es spürt —, daß wir vor allem eine 
große Sorge haben, die es zu beheben gilt: 
Im—- 1 aiTer^^ch^^^^dieses Pro 
blem nicht gelöst werden kann und wird 
— iedenfalls nicht zugunsten der Arbeiter 
klasse —, wenn man nicht de« 
schaffenden Menschen in den Mittel 
punkt der Wirtschaft stellt. 
Wir wissen schließlich, daß die von uns 
liegenden Aufgaben unmöglich ohne Eure 
MPh'lfe gelöst werde« können. 
Im Namen der in der Einheitsgewerk 
schaft organisierte« Männer, Frauen und 
Jugendlichen fordert der Gewerkschafts 
ausschuß im Vollbewußtsein seiner Ver 
antwortung für Volk, Staat und Wirtschaft 
den unverzüglichen Erlaß eines fort 
schrittlichen Betriebsrätegesetzes, 
entsprechend dem Entwurf der Einheitsge 
werkschaft, in dem der Arbeiterschaft in 
allen personellen, wirtschaftlichen und so 
ziale« Fragen 
das Mifbestimmungsrecht 
garantiert ist. 
Wir fordern weiter die Beseitigung des 
jetzigen Lohn- und Gehaltssystems, d. h 
also der staatlich gelenkten und festge 
setzten Lohn- und Gehaltspolitik und an 
ihre Stelle die 
Tarifvertragsfi eiheit. 
Wir .fordern unverzüglich Bildung einer 
Landeswirtschaftskammer, 
Vor allem aber wird der weitere Aus 
bau der Sozialversicherung eines der 
Hauptaufgabengebiete unserer Gewerk 
schaft sein. 
Wir erachten die endgültige Neufassung 
der Sozialversicherungsordnung als ganz 
besonders dringlich, da erst dann die Be 
seitigung der Nachteile der Brüningschen 
Notverordnungen ermöglicht ist. 
Der lugend, der Zukunft unserer Ge 
werkschaft und unseres Staates, gilt un 
ser Hauptaugenmerk. Für sie fordern wir 
ein Berufsausbildungsgesetz, 
in dem alle strittigen Fragen der Ausbil 
dung und des Lehrverhältnisses endgül 
tig im fortschrittlichen Sinne geklärt wer 
den. Das Recht auf Bildung für alle ohne 
Rücksichtnahme auf den Geldbeutel des 
Vaters muß jedem jungen Menschen gesi 
chert werden. Desgleichen muß Sorge ge 
tragen werden für eine gute Freizeitge 
staltung und Erholung unserer Jugend. 
Wir fordern die Schaffung und Sicher 
stellung der Arbeitsplätze und erhöhten 
Kündigungsschutz für alle. 
Kollegen und Kolleginnen! 
Unsere Aufgaben und unsere Verant 
wortung sind groß. 
Wir werden und müsse« sie aber mei 
stern, wenn wir in Verbindung mit dem 
Internationalen Gewerkschaftsbund freier 
Gewerkschaften die Grundlagen einer 
neuen Gesellschaftsordnung und damit 
eines dauerhaften und gesicherten Welt 
friedens in den Herzen der Schaffenden 
verankern. 
Mit der Einheitsgewerkschaft in eine 
bessere Zukunft! 
Der Gewerkschaftsausschuß der 
Einheitsgewerkschaft. 
Wichtige Beschlüsse 
Am 19. Januar 1950 trat der Gewerk 
schaftsausschuß der Einheitsgewerkschaft 
der Arbeiter, Angestellten und Beamten 
des Saarlandes zu seiner konstituieren 
den Sitzung zusammen. Dieses neuge 
schaffene Organ der Einheitsgewerk 
schaf 1 , dessen Aufruf wir vorstehend ver 
öffentlichen, faßte wichtige Beschlüsse, im 
wesentlichen organisatorischer Natur, die 
wir, da sie uns erst nach Redaktions- 
scbluß zugehen, in der nächsten Ausgabe 
der „ARBEIT“ eingehend besprechen 
können. 
Zur einheitlichen Ausrichtung der ge 
samten Gewerkschaftsarbeit wurden fol 
gende Kommissionen mit festumrlssenen 
Aufgabegebieten geschaffen: 
L Organisationskommission 
2. Wirtschafts- und Sozialkommission 
3. Arbeitsrechts- u. Tarifkommission 
4. Beirebsrätekommission 
5. Presse-, Rundfunk- und Bildungs 
kommiss ! on. 
Weiterhin wurde der Uebergang der 
Kreisgsschäf sstell:« entsprechend den 
Beschlüssen des Sulzbacher Kongresses 
auf die Industrieverbände beschlossen. 
Die entsprechenden Maßnahmen zur prak 
tischen Durchführung dieses Beschlusses 
werden in die. Wege geleitet. 
Ferner wurde die Neuorganisation der 
Ortsausschüsse in Angriff genommen. 
U. a. wurde auch ei« Beschluß über die 
Zentralisation der gesamten Versamm 
lungskampagne der Einheitsgewerkschaft 
gefaßt. Danach können Versammlungen 
der Einheitsgewerkschaft künftig nur noch 
durch den geschäftsführenden Landesvor 
stand einberufen werden. 
Die Situation an der Saar 
Grundsätzliche Aufgaben der Gewerkschaft 
Lange und erbittert kämpft die Gewerk 
schaft um die Durchsetzung der wichtig 
sten Forderungen, die sie im Namen ihrer 
125 OaO Mitglieder und sicher im Namen 
jedes Schaffenden zu stellen hat. Es sind 
dies: die Verwirklichung des vollen Mit 
bestimmungsrechts der Betriebsräte im 
neuen Betriebsrätegesetz, Besitz und Ver 
waltungsrechte des Saarvolkes an den 
Gruben und Angleichung der Löhne und 
Gehälter an die Preise. 
Wie schwierig ist ein Kampf gerade: 
dann, wenn man — sei es mit Rücksicht 
auf die Gesamtheit, sei es aus weiteren 
Gründen, die sich aus der augenblickli 
chen Situation und Struktur ergeben kön 
nen solange wiie nur möglich auf die 
Anwendung äußerster Kampfmittel und 
Methoden verzichtet. Es wäre aber ein 
unverreihlicher Fehler und Irrtum der Ge- 
gense te, wenn sie eine derartige Betrach 
tung unsererseits prinzipiell mißbraucht, 
die Forderungen ablehnt oder sie gar- 
nicht zur Kenntnis nehmen will. 
Wenn es auch bedauerlich ist, in diesem 
Zusammenhang wieder an die Spaltung 
der Gewerkschaft erinnert zu werden, so 
soll man sich doch über die Schlagkraft 
der Emhei sgewerkschaft, zu der sich Tau 
eende neuer Mitglieder noch in letzter 1 
Zeit bekannt haben, nicht im unklaren 
sein. Selbst nur ein geringes Erinnerungs 
vermögen und die Betrachtung augen 
blicklicher Entwicklungen in manchen Tei 
len der Welt mögen denen zur Einsicht 
raten, die in gefährlicher und verstockter 
Opposition den Forderungen der Werk 
tätigen gegenüberstehen oder die sich zu 
keiner entschlossenen Bejahung aufrafferi 
können. 
* 
Unter solchen Gesichtspunkten ist eine 
öffentliche Versammlung der Einheitsge 
werkschaft, Ortsausschuß Saarbrücken, 
zu betrachten, die am 8. Januar im Jo 
hannishof stattfand. Die Versammlungs 
leitung verzichtete ausdrücklich auf die 
Abfassung einer Resolution mit der Fest 
stellung, daß genug Resolutionen vorlä 
gen. Man wolle endlich eine Beathtung 
der bisherigen vielen Entschließungen und 
wolle Taten sehen. Auch sonst konnte die 
Versammlung manchen Blick auf die Si 
tuation im Zusammenhang «nt den ge 
werkschaftlichen Aufgaben verschaffen. 
Kollege Rauch, Vertreter der Hauptver 
waltung, hielt nach Eröffnung und Be 
grüßung durch den Kollegen Schaal vom 
Ortsausschuß ein ausführliches Referat. 
Nach einem Rückblick auf die wirtschafte 
politische Entwicklung der letzten Jahr 
zehnte behandelte er die gewerkschaft 
lichen Aufgaben von heute und morgen. 
Es gelte, den nicht mehr entwicklungsfä 
higen Kapitalismus abzulösen und zur ge 
sellschaftlichen Produktion überzugeben. 
Das Gebot der Stunde sei das neue Be 
triebsrätegesetz. Der Landtag dürfe sich 
keineswegs dem Entwurf der Einheitsge 
werkschaft zu diesem Gesetz, der die be 
rechtigten Forderungen der Schaffenden 
enthalte, verschließen. Andernfalls sei 
die Gewerkschaft gezwungen, den harten 
Kampf für die Durchsetzung ihrer Forde 
rung aufzunehmen. 
Im Tarifvertragsgesetz müsse de 1 " Pas 
sus, der der Regierung das Recht gibt, 
Tarifverträge einfach auf Antrag einer 
Partei für verbindlich zu erklären und die 
se Verbindlichkeitserklärung auf unbe 
schränkte Zeit auszudehnen gestrichen 
werden. 
Zur Verpachtungsfrage erklärte Kollege 
Rauch, die Gewerkschaft lehne eine Ver 
pachtung ab und verlange Verwaltungs- 
rechte des Saarvolks an den Saargruben. 
Der Redner forderte weiter endlich die 
Auflösung der Sequester Verwaltung an und 
eine Ueberprüfung des Besitzrechtes der 
(Fortsetzung Seite 2) 
Das Betiiebsrätegesetz 
Von Arbeitsminister Richard Kiro 
Wohl keine Gesetzesvorlage hat di« 
Oeffentlichkeit so zur Diskussio» haraua- 
gefordert, wie das neue Betriebsrätege 
setz. Von Arbeitgeberverbänden, Gewerk 
schaften, m Presse und Rundfunk wird 
das Für und Wider zu diesem Gesetz be 
leuchtet, wobei jede Interessengruppe 
ihre Interessensphäre in den Vordergrund 
der Erörterungen stellt, Diese Tatsache ist 
um so begreiflicher, als nunmehr der alte 
Kampt zwischen Arbeit und Kapital 1« 
sein Endstadium eingetreten ist und seine! 
Entscheidung entgegengeführt werde« 
soll. 
Auf der einen Seite versuchen libexa- 
Ijstisch-kapitalistische Wirtschaftskrise 
durch wirtschaftspolitische Argumentation 
sich dem sozialen Fortschritt entgegenzu* 
Stellen und versuchen glaubhaft zu 
machen, daß durch das neue Betriebsräte 
gesetz unser gesamtes Wirtschaftsleben 
eine Umwälzung erfahren würde, mit de! 
unvermeidlichen Folge des wirtschaftli 
chen Rückgangs, ja sogar Zusammenbru 
ches. Auf der anderen Seite kämpft der 
Arbeitnehmer darum, aus dem unwürdi* 
gen Zustand, als Ware zu gelten, heraus* 
gehoben zu werden, um gleichberechtigt 
neben dem Arbeitgeber das Wirtschafts 
geschehen des Volkes unter Anerkennung 
seiner Würde und Persönlichkeit mitzu 
gestalten. ein Recht, das ihm ohne sach 
liche Argumentation bisher versagt wor 
den ist. 
Zu Beginn meiner Betrachtung möchte 
ich grundsätzlich feststellen, daß das Be 
triebsrätegesetz als Ganzes ein sozial 
politisches und kein wirtschaftspo'itisches 
Gesetz ist. Es dient fediglich dazu, die 
Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber 
und Arbeitnehmer auf eine neue Grunch* 
läge zu stellen. Als Gesetz des Arbeits 
rechts kann es somit auch nur vom 
sozialpolitischen Gesichts 
winkel aus einer Betrachtung unterzo 
gen werden, wobei nicht verkannt werde« 
soll, daß dieses Gesetz, wie übrigens je 
des andere Gesetz arbeitsrechtlicher Art, 
auch gewisse wirtschaftspolitische Folger! 
zeitigen wird. Diese werden aber nicht 
primärer Art sein, sondern nur am Rande 
auftreten und dürften m ihrer Auswirkung 
für die Gesamtwirtschaft ohne besondere 
Bedeutung sein. Es wird z. B. in einet 
Aktiengesellschaft das Betriebsgeschehen 
keine andere Ausrichtung erfahren, ob es 
von einem größeren oder kleineren Gre 
mium bestimmt wird. Ich denke dabei att 
die Entsendung von Betriebsratsmitglie- 
dem in den Aufsichtsrat, wie das neu« 
Betriebsrätegesetz es vorsieht. 
Zugegeben, das Betriebsrätegestez be 
schreitet neue Wege, aber nur solch« 
Wege, die konsequent mit der sozial 
politischen Entwicklung Schritt halten sol 
len. Durch das Mitbestimmunasrecht als 
Kernproblem desselben, wird weder die 
Sozial- noch die Wirtschaftsverfassung 
des Saarlandes geändert, noch wird ein 
neuer Arbeüaeberbegriff geschaffen. Es 
mischt sich weder in die Eigentums-, Be 
sitz- noch sonstigen Rechtsveriialtnisse 
des Betnebsinhabers ein, der nach wie 
vor das Unternehmen nach außen vertritt 
und alle laufenden Geschäfte erledigt. 
Vom Mitbestimmungsrecht wird nur da« 
innerbelr ebli^h* Verhältnis zwischen Ar 
beitgeber und Beleaschaft berürt. inso 
fern, als der Arbeitaeber in sozialen, per 
sonellen und wirtschoffliehen Fraaen in 
gewissen vom Gesetz besonder festge- 
legten Fähen, bei seinen Entscheidungen 
an die Zustimmung der Betrieb^’^ertretung 
aebunden ist. Es ist eine Verkennung de! 
Tatsachen. hieraus eine Aendertmg bzw. 
Beeintväcbtiaung des E'centum c,v eorif f e« r 
lllHIHItHIIHIIHUIIIMIIIHIIIIIIIIIlllKIllllHIIHIIIIIHIIIHHIIHIIllIIIIIIIIIIIHIIlHllllllllllllia 
Aus dem luhaU * 
Neuordnung der Sozialversicherung 
Ein Beitrag zum Verkehrsrnroblem 
Das Londoner Manifest 
Worum es geht? 
Berch'e aus d?n Kreisen 
Sonders«:’«: Der jurge Gewark''cha f tler 
Briefkasten 
Arbeitsmarktanzeig er 
Bericht gang der Satzungen 
Volkshochschul-Nachric'ten 
Post aus dem Ausland 
Die Theatergememde teilt mit 
i}Hinniiiniiiiiiiuimu«tmutiiiiii!iuiiiimm)iiuHtiiuiimi)immmtuiiimiiimiunmw
	        
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