IM SPIEGEL DES JAHRES
3n wenigen Tagen nehmen wir
Abschied von einem Jahr, das
uns bedeutsamen politischen, sozia¬
len und wirtschaftlichen Ereignis¬
sen gegen überstellte und das auch
für das Saarland und seine Einheits¬
gewerkschaft von weittragenden Fol¬
gen sein wird. Aus dem Chaos der
Nachkriegszeit, das uns .iede Hoff¬
nung auf eine bessere Zukunft nahm,
zeichnen sich umrißhaft neue For¬
men eines sozialen und wirtschaft¬
lichen Lebens an. Noch sind wir
nicht frei in unseren eigenen Ent¬
schließungen und von einem höheren
Willen abhängig, doch clie Großmut
des Siegers beließ uns das Leben
und damit den Auftrag, ein neues
Dasein zu beginnen. Das Grenzland¬
schicksal der Saar mag im großen
europäischen Konzert der Völker zu
einer besonderen gedanklichen Per¬
spektive Anlaß geben, die nicht im¬
mer frei ist. von politischen Speku¬
lationen und vielen Mißverständnis¬
sen unterworfen ist. Wenn wir
heute an der Schwelle eines neuen
.Jahres die Zeitspanne der jüngsten
Vergangenheit seit Kriegsende über¬
blicken, so möge manchem Gewis¬
sen und mancher Kritik, denen es an
Einsicht, fehlte, die zielklaren Be¬
mühungen offenbar werden, die in
wechselseitigem Spiel den formen¬
den Kräften einer neuen Zeit eigent-
tümlich geworden sind. Der Wille
zur Selbsterhaltung eines durch den
Krieg hart geprüften Volkes und die
Bereitschaft der ungebrochenen Kraft
des Überwinders trafen sich auf
einer gemeinsamen Ebene, der wir
heute mit dankbarem Herzen zu-
kunftsträehtige Werke erwachsen
sehen.
Im besondei'en Maße trifft dies für
unser kleines Saarland zu. Es wäre
müßig, bei den Trümmern zu begin¬
nen, die uns heute noch umgeben,
aber in wachsendem Maße sich aus
unserem Blickfeld verlieren und es
wäre nicht klug, die Schuld zu er¬
neuern, um derentwillen Generatio¬
nen sühnen werden. Wir sollten end¬
lich beginnen, das Rückwärtsschauen
zu vergessen und uns an den Mög¬
lichkeiten zu orientieren, die uns das
Erbe einer unseligen Epoche über¬
lassen hal. Was wi»’besitzen sind
nicht Reichtümer und große Schätze,
es ist nicht mehr viel an sachlichen
Werten vorhanden, ein dezimiertes
Wirtschaftspotential, aber wir ver¬
fügen über ein kostbares Gut, das
uns hoffnungsfroudig machen sollte,
wir besitzen die Arbeitskraft unserer
Menschen, die entschlossen sind, dem
Chaos zu entrinnen und sich eine
neue Welt der Eintracht und Zufrie¬
denheit. eine Welt der sozialen und
wirtschaftlichen Gerechtigkeit auf¬
zubauen. Wir besitzen aber auch die
Kraft* des Landes, die in den
Schätzen der Erde ruht und wir sind
nicht arm an Ansehen, dem die ge¬
werbliche Leistung der Saar in Eu¬
ropa und in der Welt begegnet.
Diese Aspekte berechtigen zur Hoff¬
nung und lassen uns die Konturen
der Möglichkeiten erkennen, die in
den Menschen und in der Natur un¬
serer Heimat erschlossen sind.
Das sich vollendende Jahr hat uns
politisch vor eine Situation gestellt,
die einmal in die Geschichte des Lan¬
des mit ehernen Lettern eingetragen
wird. Wir^ sind nicht undankbar,
wenn wir uns am 5. Oktober 1947 zur
politischen Autonomie des Saarlan¬
des bekannt haben und uns im vol¬
len Bewußtsein der Folgen bereit
finden, den wirtschaftlichen An¬
schluß mit Frankreich zu vollziehen.
Wir wissen um die historische Be¬
deutung dieses Schrittes, wir wissen
aber auch um das hohe Maß an Ver¬
antwortung, das sich darin nieder¬
schlägt. Seit vielen Jahrzehnten ist
die Wirtschaft über die Grenzen der
Länder hinausgewachsen und hat die
Menschen in einer höheren Gemein¬
schaft zusammengeschlossen. Diese
Erkenntnis allein kann uns schon
genügen, um eine Tat zu legimitie¬
ren, die auch aus natürlichen Grün¬
den verständlich, einem größeren
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Ziele dient, als ein engstirniger Na¬
tionalismus wahrhaben will. Die Be¬
deutung dieser Ereignisse kann man
nicht messen an den Ungereimthei¬
ten einer kurzen Übergangsperiode.
Sie muß aus vielerlei Rücksichten
durchgestanden werden Das Auf¬
gehen in ein größeres auf nahezu
friedensmäßigen Touren laufenden
Wirtschaftssystems erfordert Zwangs¬
lagen. die nur ein klarer nüchterner
Verstand und die Bereitschaft ~nr
Erfüllung eines historischen Auftra¬
ges meistern können. Wir haben da¬
mit einen Schritt näher zur Demo¬
kratie hingetan, die wir in vielen
Maßnahmen und in manchen per¬
sönlichen Freiheiten spüren und die
uns ahnen lassen, was uns eine ge¬
walttätige Epoche vorenthielt. Die
Gewißheit, in einem größeren Ver¬
bände die Welt wieder zu gewinnen
und über kleinliche Hemmungen
hinweg dem größeren Dienst am
Wohle der Menschheit unseren Bei¬
trag zu leisten, soRte uns mit Zu¬
versicht erfüllen und uns eiaub*m
machen, daß es noch eine Zukunft
auch für das Saarland geben wird
Die Verfassung, die dem Willen d^g
Volkes entsprang und die in ih*-on
Artikeln über die Neuordnung un¬
seres sozialen und wirtschaftlich^!
Lebens wesentliche Gesichtspunkte
alter Gewerkschaftefornernngen be¬
rücksichtigt bat, wird künftighin dom
Land ein Fundament geben, das «'in
erträgliches Leben seines Volkes ver¬
spricht. Gewiß werden wir nicht
frei sein von den Belastungen d^r
Vergangenheit Aber wir werden sie
leichter tragen können und rascher
den Aufbau vollenden als er in dem
bisherigen Zustand hätte erwartet
werden können. Wir selbst in der
Einheitsgewerkschaft haben uns die¬
ser Lösung nie versaet und in klarer
Sicht der Voraussetzungen die die
Neugestaltung des wirtschaftlichen
^ ^ Lebens iedes einzelnen Werktätigen
h bedingen, in dem Anschluß d;e ein¬
zige Möglichkeit erkannt, die uns
verbleibt, nicht nur uns selbst, son¬
dern auch dem Reich jede nur mög¬
liche Erleichterung, sei es in der
Versorgung seiner Bevölkerung, sei
es in der Verwertung seiner gewerb¬
lichen Leistungen, zu verschaffen.
Damit haben wir nicht die kulturel¬
len und auch persönlichen Beziehun¬
gen mißachtet, die uns auch heute
noch an Deutschland binden. Man
mag uns nationale Selbstverleug¬
nung vorwerfen, doch sollte man be¬
denken, daß in einer Zeit, die Eu¬
ropa selbst dem Schicksal eines
Grenzlandes aussetzt, das Beispiel
einer partiellen Lösung vielleicht: zu¬
gleich die Initialzündung zu einem
Werke kontinentalen Ausmaßes sein
kann. So trägt der Anschluß in sich
ein Stück der großen europäischen
Idee, die zu verwirklichen alle wil-
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