Oktober 1947
„Die Arbeit“
Seite 3
Arbeitsgerichte und Betriebsräte
Nach langem Wartan ist nunmehr
im Saarland die Betriebsräteverord-'
nung Wirklichkeit geworden und
allerorts werden Wahlen der Be¬
triebsräte vorbereitet und durchge¬
führt. Da außerdem in Kürze die Er¬
öffnung der Arbeitsgerichte erfolgen
wird, erscheint es angebracht, die
Aufgaben der Arbeitsgerichte und
ihre Beziehungen und Bindungen zu
den Betriebsräten einer kurzen Be¬
trachtung zu unterziehen.
Durch die Rechtsanordnung über,
die Errichtung von Arbeitsgerichten
und das Verfahren in Arbeitsstrei¬
tigkeiten vom 1. April 1947 wird dem
saarländischen Arbeiter eine eigene
Arbeitsgerichtsbarkeit wiedergege¬
ben. Die Arbeitsgerichte sind Son¬
dergerichte; wie ihr Name schon
sagt, sollen sie allein und ausschlie߬
lich Streitigkeiten entscheiden, die
ihren Ursprung im Arbeitsverhält¬
nis haben, d.h. praktisch also alle
jene Angelegenheiten, die aus dem
Arbeitsvertrag entspringen, die so¬
genannten „Arbeitssachen“. Straf¬
rechtliche, steuerrechtliche, verwal¬
tungsrechtliche oder familien- und
erbrechtliche Streitigkeiten werden
vom Arbeitsgericht dagegen nicht
entschieden. Dies ist Aufgabe der
ordentlichen' Gerichte, der Amts-,.
Land-, Finanz- und Verwaltungsge¬
richte.
Um den speziellen Charakter der
Arbeitsgerichte hervorzuheben, sind
.diese auch nicht mehr Bestandteile
der ordentlichen Gerichtsbarkeit und
somit Glied der Justiz, sondern sie
unterstehen dem Mitglied der Ver-
waltupgskommission für Arbeit und
Wohlfahrt, ein Zustand, der ihre Bin¬
dung zu den allgemeinen Problemen
des Arbeitsrechtes verstärkt zum
Ausdruck bringen soll. Wenn die Ar¬
beitsgerichte dem Mitglied der Ver¬
waltungskommission für Arbeit und
Wohlfahrt unterstehen, so bedeutet
dies jedoch nicht, daß sie an Wei¬
sungen desselben gebunden sind. Im
Gegenteil, es-ist ein allgemein gül¬
tiger Rechtsgrundsatz: „Der Richter
ist frei und nur dem Gesetz unter¬
worfen.“ Das Gesetz sieht für das
Saarland drei Arbeitsgerichte erster.
Instanz vor, nämlich je eines in'
Saarbrücken, Saarlouis und Neun- -
kirchen. Ein jedes besteht jeweils
'aus einer Kammer für Arbeiter,
einer Kammer für Angestellte und
einer Fachkammer für das Hand-
. werk.
Daneben sind in Saarbrücken und
Neunkirchen je eine Bergbau-Fach¬
kammer für Streitigkeiten aus dem
Bergbau und In Saarbrücken noch
eine Eisenbahn-Fachkammer- vorge-
* sehen.
Als Gericht . zweiter Instanz, als
Berufungs- und Beschwerde-Gericht
ist das Landesarbeitsgericht Saar¬
brücken gegründet worden. Um eine
Einheitlichkeit der Rechtsprechung
zu gewährleisten und um alle
Rechtsmittel zu garantieren, ist als
höchstes Gericht ein Senat für Ar¬
beitssachen beim Oberlandesgericht
Saarbrücken gegründet worden, der
als-. Revisionsgericht in dritter In¬
stanz tätig sein wird.
Diesen Gerichten obliegt nun die
Aufgabe, in Arbeitssachen Recht zu
sprechen.
Was verstehen wir nun unter Ar¬
beitssachen? Zuvor wurde
schon gesagt, daß grundsätzlich alle
jede Streitigkeiten darunter fallen,
die ihren Ursprung im Arbeitsver¬
hältnis haben. § 2 des Arbeitsge-
richtsgesetzes gibt im einzelnen die
Zuständigkeit der Arbeitsgerichte
für folgende Streitigkeiten an:
1) Für Streitigkeiten zwischen Ar¬
beitgebern und Arbeitnehmern aus
dem Lehr- oder Arbeits Verhältnis,
die da sind: Bestehen oder Nichtbe¬
stehen eines Arbeits- oder Lehrver-;
träges; Rechtsgültigkeit des Vertra¬
ges, Beendigung des Arbeitsverhält¬
nisses, Kündigung und Entlassung;
Ansprüche auf Lohn, Urlaub, Zeugr
nis; unerlaubte Handlungen soweit
diese mit dem Arbeits- oder Lehr-
verhältnis in Zusammenhang stehen,
so j.. B. mutwilliges Beschädigen
einer Maschine; Ansprüche auf eine
Vergütung oder Entschädigung für
eine Erfindung. %
• 2) Für Streitigkeiten zwischen den
Arbeitnehmern untereinander . aus
gemeinsamer Arbeit und aus uner¬
laubten Handlungen, soweit diese
mit Arbeits- oder Lehrverhältnis im
Zusammenhang stehen. .
- 3) Mit dem folgenden finden wir
den Anschluß an die Betriebsräte,
Streitigkeiten aus der Betriebsräte¬
verordnung über die Notwendigkeit
yder Errichtung von Betriebsräten,
Wahlberechtigung und Wählbarkeit
der Arbeitnehmer und die Durch¬
führung der Wahl.
» 4) Die Streitigkeiten zwischen
Tarifvertragspartei oder zwischen
diesen und Dritten aus Tarifverträ¬
gen, nämlich über die Auslegung von
Tarifverträgen, über Bestehen oder
Nichtbestehen derselben, übg: die
Feststellung unerlaubter Handlun¬
gen, sofern es sich um Maßnahmen
zu Zwecken des Arbeitskampfes
oder um Fragen der Vereinigungs¬
freiheit handelt, also unzulässige
_ Streiks und Aussperrungen zur Her¬
beiführung von Änderungen der Ar¬
beitsbedingungen oder .als Druck der
Arbeitgeber auf die Arbeitnehmer
zwecks Verhinderung der Organisa¬
tion. ,
5) Streitigkeiten aus Betriebsver¬
einbarungen zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern über Einstellung
und Entlassung von Betriebsange¬
hörigen.
Aus all den genannten Fällen
ersehen wir deutlich, daß die Präxis
sehr viele Berührungspunkte zwi¬
schen Betriebsrat und Arbeitsgericht
bringen wird. Ganz besonders fin¬
den wir in der Betriebsräteverord¬
nung den Hauptberührungspunkt
zwischen Arbeitsgericht und Be¬
triebsräten. So vor allem durch die
in dieser Verordnung enthaltenen
Bestimmungen über den Kündi¬
gungsschutz, die vorschreiben, daß
der Betriebsrat bei der Kündigung
von Betriebsangehörigen stets mit¬
zuwirken hat. Gegen eine einen Ein¬
spruch berechtigende Kündigung hat
der Gekündigte stets durch den Be¬
triebsrat Einspruch zu erheben, wo¬
bei dieser nach erfolgloser Verhand¬
lung mit dem Arbeitgeber das Ar¬
beitsgericht 'anrufen muß.
Ähnlich lautende Bestimmungen fin¬
den wir dort auch über die Einstel¬
lung von Betriebsangehörigen;
Aber auch jene Fälle, die den Be¬
triebsrat selbst angehen, werden
weitgehendst vor das Forum des Ar¬
beitsgerichts gebracht werden? Dies -
sind diejenigen Streitigkeiten, die
über die Notwendigkeit der Errich¬
tung und Zusammensetzung von Be¬
triebsräten entstehen. In unserer’
noch wenig an demokratisches Den¬
ken gewöhnten Zeit wird -dies viel-
Die Haupivetwaltung feilt mit:
Zum Ausbau der wirtschaftspoliti¬
schen und sozialrechtlichen Abtei¬
lung der Einheitsgewerkschaft wer¬
den tüchtige juristisch-, volks- und
betriebswirtschaftlich vorgebildete
Mitarbeiter gesucht.
Anfragen und Bewerbungen sind
an die Hauptverwaltung der Ein¬
heitsgewerkschaft zu richten.
*
Hört die Sendungen der Einheits¬
gewerkschaft über Radio Saar¬
brücken
Jeden Dienstag um 18.45 Uhr
Unsere Funktionäre sprechen über
Tagesfragen gewerkschaftlicher Art
Jugend spricht zur Jugend.
*
Unter Nr. 1 der Schriftreihe des
Verlag „Die Arbeit“ ist jetzt die
Broschüre
„Das Betriebsrätegesetz mit Erläute¬
rungen“
erschienen,
Bestellungen der Betriebs- ,uni
Ortsgruppen sind an die Leitungen
der Industrie-Verbände zu richten.
• Theateigemeinde
Theatervorstellungen
in Sulzbach am 24. 10.:' „Trouba¬
dour“;
in Merzig am 8. 11.: „Troubadour“;
in Sulzbach am 10. 11.: „Tiefland“;
in Sulzbach am 11. 11.: '„Tiefland“;
in Völklingen am 18. 11.: „Tiefland“;
in Sulzbach am 28. 11.: „Kabale und
Liebe".
leicht wichtig werden können, denn
nicht alle Unternehmer haben -sich
V9n ihrem „Herr-im-Hause-Stand-
punkt“ der vergangenen Zeiten frei-
■ machen können und sehen daher der
Verwirklichung der Betriebsdemo¬
kratie nur mit sehr gemischten Ge¬
fühlen entgegen und werden unter
Umständen nicht unerhebliche
Schwierigkeiten bei der Schaffung
der Betriebsräte machen wollen.
Doch hier hat das Gesetz sichernd
eingegriften. Das . Arbeitsgericht ist
berufen, durch richterlichen Spruch
diesen Streit bindend zu beenden.
Ferner hat das Arbeitsgericht in
den äußerst .wichtigen Streitfällen
über die Wahlberechtigung und
Wählbarkeit von Arbeitnehmern zu
entscheiden.
Daneben können Streitigkeiten, die
Sich aus den Betriebsrätewahlen er-
Qeweik&chaft und JiuUm
Von Max Härtel
' Fortsetzung
Die jüngste Phase der Kulturent¬
wicklung, die wir als das Maschinen¬
zeitalter bezeichnen, ist noch keines¬
wegs abgeschlossen, und wir wissen
nicht, noch können wir errechnen,
wie weit wir vom endlichen Ziele
entfernt sind. Dieses Ziel erblicken
wir in der Erreichung des höchst¬
möglichen Glückszustandes der
Menschheit, in ihrer Erlösung von
der ständigen' Bedrohung durch
Hunger und Kälte und ihrer Be¬
freiung vom Zwange zermürbender
und erschöpfender Arbeit, einer Ar¬
beit, die den Menschen der Möglich¬
keit beraubt, sich seelisch zu ent¬
wickeln und auszuleben. Einer Ar¬
beit, die ihm nur die materielle Exi¬
stenz und vielfach nicht einmal diese
vollkommen sichert. • Wesentliche
Voraussetzung eines solchen allge¬
meinen . Glückszustandes ist, daß
dem Menschen hinreichende Muße
zuteil wird (die nicht mit Müßigkeit
verwechselt werde);_um menschlich
leben zu können. Menschlich leben
aber heißt nicht, arbeiten und essen
oder arbeiten um zu essen und essen
um zu arbeiten.
„Das goldene Zeitalter“- derer, die
an die Zukunft glauben, bedeutet
nicht Verwirklichung des Traumes
von einem Schlaraffenlandleben mit
Bächen von Milch und Honig und
gebratenen Tauben, sondern es be¬
steht darin, daß dem - arbeitenden
Menschen alle Mittel in die Hand
gegeben werden- zu einem vollen
und harmonischen Ausleben der
Individualität, zur freien Entfaltung
und steten Vervollkommnung seiner
Persönlichkeit. Diese Aufgabe ist
eihe der wichtigsten Gewerkschafts-
.arbeiteri, und so betrachtet, ist die
Kulturarbeit zum Wohle der schaf¬
fenden Menschen zu sehen. Die ein¬
zelnen Kulturgüter., näh er zu be¬
trachten; wird einer späteren Ab¬
handlung Vorbehalten bleiben.
Wenn wir uns in unserer letzten
Betrachtung mit der Entwicklung
der Kultur befaßten und dabei die
Arbeitskultur näher betrachteten, so
mußten wir feststellen, daß Europa
.wesentlich zur Entwicklung dieser
Kultur beigetragen hat.
Doch wie weit war dieser Weg!
Von Leonardo da Vinci, den man
den größten Physiker seines Jahr¬
hunderts nannte, bis Prof. Einstein,
liegt eine Epoche, die ‘ wohl mehr
für c^ie Kultur - bedeutete,' als alle
vorausgegangenen Jahrhunderte
überhaupt.
Wie viele bedeutsame Erfindun¬
gen sind seitdem der Menschheit
gegeben worden, die noch heute als
Grundlagen der modernen Arbeits¬
kultur ihre Gültigkeit behaupten.
Aber bei aller Schätzung der Tech¬
nik dürfen wir nicht vergessen, daß
sie nur KultUFzeugnis und Kultur-
mittel," aber kein Kulturwert an
sich ist. Ihr Zweck darf nicht sein,
die Menschheit zu satter Behaglich¬
keit zu führen und in innerer Be¬
wegungslosigkeit erstarren zu las¬
sen, sondern sie dahin zu leiten, wo
sich der einzelne Mensch entfalten
und verfeinern kann, wo er in
endlicher Daseinsfreude sein , inner¬
stes Ziel erreicht.
Dieser Weg ist aber nicht durch¬
führbar, wenn es uns nicht gelingt,
die Arbeitskultur in neue Bahnen
zu lenken. Wir stehen am Beginn
einer durchgreifenden Wandlung
des ^gesamten gesellschaftlichen Le¬
bens in Europa. Ihre Ursache ist
die vollkommene Umwälzung der
Wirtschaft und der Besitzvertei¬
lung. So hat die jüngste Vergan¬
genheit uns die Macht des Kapita¬
lismus klar erkennenlassen. Das 20.
Jahrhundert hat den Triumph des
Kapitalismus im Kampfe 'um die
Weltherrschaft erlebt. Abgesehen
von aßen ‘spitzfindigen philosophi¬
schen Definitionen des Begriffes
Kapitalismus,'erkennen wir als sei¬
nen Grundzug eine scharfe Ausprä¬
gung des Erwerbssinnes, ’ die An- ’
sicht, daß Besitz und Geld des Le¬
bens Kernfrage .sei. Der Kapitalis¬
mus . hat den Erwerbssinn auf die
Spitze' getrieben und zum Haupt¬
agens menschlichen Tuns und Han¬
delns gemacht. Sittliche Eigenschaf¬
ten entschieden früher über den
Wert des Individuums und legitimi-
tierien seine Stellung in der Gesell¬
schaft. Heute ist der Erfolg zum
Wertmesser geworden und die Ach¬
tung, die der Einzelne genießt,
hängt ab von seiner Geschicklich-
'keit im Gelderwerb. Die Arbeit, die
logischer Weise Quelle des Erwerbs
sein sollte, wird nicht im Hinblick
auf ihre sittlichen Elemente als
bürgerliche Tugend betrachtet, son¬
dern nur als Erwerbsmittel. Sie
schändet nicht mehr wie in aristo¬
kratischen Zeiten, sie adelt nicht
mehr wie in der Blütezeit des ■
Handwerks, sie gilt nur durch das
zahlenmäßig auszudrückende“ Er¬
gebnis. Was an ihr geschätzt wird,
ist nicht ihr kultureller Inhalt,
sondern ihr Wert als Wahrer, und
.Mehrer, oder als Begründer des Ka¬
pitals. 1 Diesen Zustand haben wir
.alle deutlich erkannt und gerade
die organisierte Arbeitnehmerschaft
war es, die dem Kapitalismus in
allen seinen Ausdrucksformen
schärfsten Widerstand'’ entgegen-»
setzte. Nicht Objekt einer hem¬
mungslosen Ausbeutung, sondern
Subjekt in Staat, und Wirtschaft
_will der schaffende Mensch »ein,
(Fortsetzung folgt.) • • •