Juli 1947
,Dic Arbeit“
Scite 3
Die Einheitsge trevi: sch aft fordert
Maßnahmen zur Besserung der Lage der Arbeiterschaft
In einer gemeinsamen Sitzung
des Vorstandes der Hauptverwal¬
tung der Einheitsgewerkschaft
mit den Vertretern der Indu¬
strieverbände wurde zu den wich¬
tigsten Fragen Stellung genommen.
Nach Entgegennahme des Berichtes
des Vorsitzenden der Einheitsgewerk¬
schaft, Wacker, setzte eine rege
Aussprache ein. Alle anwesenden
Funktionäre waren darin einig, daß
auf Grund der Nichteinhaltung des
Preisstop die Lebenshaltungskosten
der schaffenden Bevölkerung stark
gestiegen sind und in keinem Ver¬
hältnis zu den jetzigen Löhnen und
Gehältern stehen. Daraus ergibt sich
die dringende Notwendigkeit, sofort
eine Überprüfung der Löhne
und Gehälter vorzunehmen.
Gleichzeitig forderten die Funktio¬
näre Preisüberwachungs¬
ausschüsse unter Hinzuziehung
von Gewerkschaftsvertretern und
Betriebsratsmitgliedern zu bilden, um
eine energische Aktion zur Preis¬
senk u n g durchzuführen.
Zum B e t r i e b s r ä t e g e s e t z
Stellung nehmend, forderten die
Funktionäre einmütig, daß mit der
Verschleppungstaktik Schluß ge¬
macht werden muß und daß das
Betriebsrätegesetz nun endlich ver¬
ordnet wird, um der Arbeit¬
nehmerschaft das Mitbe¬
stimmungsiecht in Wirt¬
schaft und Verwaltung zu
geben.
Um eine gerechte Verteilung von
Textilien und Arbeitsschuhen zu
garantieren, forderten die Funktio¬
näre eine stärkere Kontrolle durch
die Vertreter der Einheitsgewerk¬
schaft. Die Sonderzuteilung von
Rauchwaren, wie sie gegenwärtig
getätigt wird, wurde von den Funk¬
tionären einmütig abgelehnt und
gefordert, daß alle Arbeitnehmer,
gleich welchem Industriezweig sie
angehören, in den Genuß der Rauch¬
nkrofttreten
waren kommen müssen. Verhand¬
lungen zur Regelung dieser Frage
sind bereits seitens der Einheitsge¬
werkschaft mit den maßgeblichen
Steilen aufgenommen worden.
Nachstehende Entschließung wurde
einstimmig angenommen:
„Der Vorstand der Hauptverwal¬
tung der Einheitsgewerkschaft, der
am 30. Juni 1947 in Saarbrücken mit
den Industrieverbänden tagte, nahm
u. a. zum Iietricbsrätcgestz Stellung
und bedauerte, daß trotz mehrmaliger
Zusage das Betriebsrätegesetz bis
zur Stunde noch nicht verordnet ist.
Die Arbeitnehmerschaft an der Saar
hat bewiesen, daß sic sich trotz der
katastrophalen Ernährungslage voll
und ganz für den Wiederaufbau der
Wirtschaft eingesetzt hat. In. der
Kohlenförderung stellt der Saarberg¬
arbeiter mit seinen Leistungen in
Europa mit an der Spitze. Diesen
tatkräftigen Einsatz der Arbeit¬
nehmerschaft an der Saar für den
Ein Veto des Präsidenten
Truman gegen Anti-Gewerkschaftsgesetz
Präsident Truman hat einen vom
amerikanischen Kongreß verabschie¬
deten Gesetzentwurf, in dem die
Rechte der Arbeitnehmer gegenüber
den Arbeitgebern in bisher unge-
lcannt einschneidender Weise be¬
schränkt werden sollen, nicht unter¬
zeichnet. In einer Rundfunkrede be-
zeichnete der Präsident den Anti-
Gewerkschafts - Gesetzentwurf als
„skandalös“ und als eine Bedrohung
der demokratischen Grundrechte
Amerikas. „Das Gesetz stellt eine
Ungerechtigkeit gegenüber den Ar¬
beitern dieses Landes vor. Es ist ein
Eingriff in die Rechte, die Millionen
amerikanischer Staatsbürger zuste-
hcn. Auf Grund dieses Gesetzes wür¬
den die Arbeiter legaler und für sie
unerläßlicher Schutzbestimmungen
beraubt werden.“ Es müsse außer¬
dem die Bildung eines mächtigen
Amtsapparates zpr Folge haben, der
sich in alle Fragen einmischen
würde, die Arbeiterschaft und Un¬
ternehmer angehen und der als
„Schiedsrichter“ zahlreiche Probleme
auf Kosten der Arbeiterschaft ent¬
scheiden würde. Der Präsident fügte
hinzu, er sei ebenso wie der Kon¬
greß der Ansicht, daß ein Gesetz zur
Regelung der Beziehungen zwischen
Arbeitnehmern und Arbeitgebern
notwendig sei. Das Gesetz Taft-Hart-
ley enthalte jedoch Bestimmungen,
die noch mehr Streiks zur Folge ha¬
ben müßten, statt diese zu verrin¬
gern.
Inzwischen hat das Repräsentan¬
tenhaus des Veto des Präsidenten
mit 331 gegen 83 Stimmen über¬
stimmt. Weit über zwei Drillei der
Abgeordneten lehnten mithin das
Veto ab. Der weitere Verlauf des
Kampfes um diesen Gesetzentwurf
verspricht also sehr interessant zu
werden. Politische Kreise Washing¬
tons sind bemerkenswerter Weise der
Ansicht, daß die Botschaft des Prä¬
sidenten Truman vor dem Rundfunk
das wichtigste Ereignis der ameri¬
kanischen Innenpolitik seit Kriegs¬
ende darstellt. Die Reaktion der
breiten Masse der amerikanischen
öffentlichen Meinung auf die Bot¬
schaft Ti'umans kann jetzt noch nicht
eindeutig beurteilt werden. Man darf
indes als sicher annehmen, daß die
Masse der Gewerkschaftler und der
Arbeiter die Haltung des Präsiden¬
ten billigen wird.
Wiederaufbau der zerstörten Wirt¬
schaft und der Produktionssteigerung
gibt ihm das Recht auf die Forde¬
rung, daß seine demokratischen
Rechte auf Mitbestimmung in
der Wirtschaft und Verwal¬
tung verwirklicht werden und das
Betriebsräte gesetz schnell¬
stens für das Saarland in Kraft
treten muß.
Die Einheitsgewerkschaft fordert
mit allem Nachdruck, daß man der
berechtigten Forderung der Arbeit¬
nehmerschaft an der Saar Gehör
schenkt und das Betriebsräte¬
gesetz im Interesse der Demokra¬
tisierung der Wirtschaft und Fro-
duktionssteigerung nun endgültig
erläßt.
Durch die Nichteinhaltung des
Preisstop sind die Lebenshal¬
tungskosten für die Arbeitnehmer¬
schaft derart gestiegen, daß die
Löhne und Gehälter bei weitem
nicht mehr ausreirhen, um das Exi¬
stenzminimum der Haushaltungs¬
kosten zu bestreiten. Um den Zerfall
der Arbeitskraft zu verhindern, sieht
sieh die Einheitsgewerkschaft veran¬
laßt, sofort eine Überprüfung
der Löhne und Gehälter
vorzunehmen, um sie den ge¬
steigerten Lebenshaltungskosten an¬
zupassen.
Um die Kaufkraft der Arbeit¬
nehmerschaft zu heben, setzt sieh die
Einheitsgewerkschaft gleichzeitig für
die sosortige Bildung von Preiskon-
trollaussehüssen unter Hinzuziehung
von Vertretern der Einheitsgewerk¬
schaft und Betriebsräten ein, um eine
radikale Preissenkung durehzuführen.
Sie fordert schärfste Maßnahmen
gegen die Schwarzhändler, nicht nur
Geld- und Gefängnisstrafen, sondern
sie fordert Schließung und Entzie¬
hung der Geschäftsgenehmigung.“
Aus der französischen
„Um die Bewegung, das Wirken
und Streben der Arbeiterklasse im
Schoße der Gesellschaft, wie sie
aus der französischen Revolution
hervorgegangen ist, von Grund auf
zu verstehen, müßte man ohne
Unterbrechung Schritt um Schritt
die Spuren aller Art, besonders der
wirtschaftlichen verfolgen können,
die sich im Denken der Proletarier
ausgewirkt haben: wissenschaftliche
Entdeckungen, technische Verän¬
derungen, Umformungen des indu¬
striellen Rüstzeuges, Erweiterung
der Märkte, Schwankungen der
Preise, der Waren und der Löhne.
Dann wird die Geschichte nicht
mehr eine einseitige und nur teil¬
weise Klarheit sein, die sich auf
verschiedene bevorzugte Persönlich¬
keiten konzentriert. Die gesamte,
gewaltige Masse der Menschen tritt
endlich ans Licht“, so schreibt Jean
Jaurès in seiner Geschichte der
französischen Arbeiterbewegung.
Man kann die Geschichte der fran¬
zösischen Gewerkschaften in eine
vorgewerkschaftliche Phase, die sich
über alle sozialen Umwälzungen
von der französischen Revolution
an bis zur Kommune 1870 erstreckt
und in die eigentlich gewerkschaft¬
liche Phase aufteilen.
Alle großen politischen Verände¬
rungen der französischen Geschichte
brachten tiefgehende, wirtschaftliche
Umgestaltungen mit sich. Die Re¬
volutionen von 1789 und 1830 fan¬
den ebenso die Unterstützung der
Gewerkschaftsbewegung
unteren Volksklassen wie die Revo¬
lution von 1848 und die Kommunen¬
bewegung, die unter ihrer Leitung
standen. Mit diesen Bewegungen
begann die politische Tätigkeit der
Arbeiterklasse und ihrer Organi¬
sationen.
Die ersten Versuche einer Berufs¬
organisation waren die Gegenseitig¬
keitsverbände und Gesellen vereine
(compagnonages). Die Julirevolution
brachte die Preiserhaltungsgesell¬
schaften mit sich. Das Jahr .1848
ruft eine Genossenschaftsbewegung
ins Leben und in der letzten Hälfte
des Kaiserreichs beginnt mit den
Gewerkschaftskammern die erste
moderne Gewerkschaftsbewegung.
Die französische Revolution von
1789 führte neben großen politischen
Erneuerungen, wie Abschaffung der
Monarchie, der Privilegien des
Adels und die Erklärung der Men¬
schenrechte und Gleichheit, auf
wirtschaftlichem Gebiete zur Ab¬
schaffung des Zunftwesens, zur
Befreiung des Handels und der In¬
dustrie und zur Beseitigung der
Lehnsverträge mit den Grundherrn,
zur Aufteilung des Großgrundbe¬
sitzes durch die Vernichtung der
Eigentumsurkunden und Grundver¬
träge. Von diesen Veränderungen
hatte die Arbeiterklasse am wenig¬
sten Nutzen, während die Bauern
zu Grund und Boden kamen, wäh¬
rend den Handwerkern volle Ge¬
werbe- und Handelsfreiheit ge¬
sichert waren.
Schon in dem ersten Jahre der
jungen Republik traten Krisen in¬
folge Spekulationen und Wucher
auf, die vom Währungsverfall,
Preissteigerungen, Lohnabbau und
Arbeitslosigkeit begleitet wurden.
Die ersten Opfer waren die Ar¬
beiter, die Streiks und Erhebungen
auslösten und die Regierung
zwangen, in die Preis- und Lohn¬
gestaltung einzugreifen. Babeuf
wollte die Gemeinschaft der Güter
der Nation hersteilen, um eine
wirkliche Gleichheit zu erzielen.
Das neue Statut Frankreichs sah
die Handels- und Gewei-berreiheit
und die persönliche Vertragsfreiheit
vor. Das bedeutete, daß der Unter¬
nehmer in allem frei war. was
seinen Betrieb betraf, so auch in
der Entlohnung seiner Arbeits¬
kräfte. Der Arbeiter konnte seine
Arbeitskraft zur Verfügung stellen,
wem er wollte und es war keinem
Dritten erlaubt, sich einzumischen,
also auch keiner Organisation. Da
aber.die Arbeiter durqh ihre soziale
Stellung gezwungen waren, sich in
die wirtschaftliche Abhängigkeit zu
begeben, war der persönliche Ar¬
beitsvertrag das Mittel, dieses Ab-
hängigkeits - Verhältnis gesetzlich
festzulegen. Dadurch war das freie
Spiel der Kräfte zugunsten des
Unternehmertums entschieden, der
nun Arbeitszeit und Arbeitsentgelt
willkürlich festlegen konnte. Da ein
Erlaß jedem Bürger ein freies
Recht zur Bildung von Vereinen zu¬
gestanden hatte, glaubten die Ar¬
beiter, sich in wirtschaftlichen Or¬
ganisationen zusammenschließen zu
können. Der Antrag le Chapeliers,
der am 14. Juni 1791 angenommen
wurde, verbot alle Handels- und.
Berufsvereinigungen.
Der Code penal des ersten Kaiser¬
reiches bestätigte die Verordnungen
und erweiterte sie durch ein gene¬
relles Verbot von wirtschaftlichen
Verbänden. Für Übertretung dieses
Verbotes war für Arbeitgeber eine
Gefängnisstrafe von sechs Tagen,
für Arbeitnehmer eine solche von
einem bis drei Monaten vorge¬
sehen. Wohl flüchteten sich die
unteren Volksschichten in politische
Klubs und Vereine, aber auch diese
wurden schließlich verboten, da da3
Koalitionsrecht aufgehoben wurde.
Der Siegeszug der maschinellen
Produktion’ begann mit allen seinen
Begleiterscheinungen wie Men¬
schenansammlungen in den Indu¬
striebezirkon. Landflucht und Kapi-
talbiidung. Aber dieser Aufschwung
kam zum weitaus größten Teil den
oberen Schichten zugute. Die soge¬
nannte Restauration war ein Rück¬
fall in die Zeit vor der großen
Revolution, der den dritten Stand
wieder seiner Vorrechte beraubte.
Das dadurch betroffene Bürgertum
vereinte sieh mit der Arbeiter¬
schaft. Es entwickelten sich Ge¬
heimorganisationen und Streiks und
allerorts entstanden Aufstände. Das
geschlossene Handeln beider Ge-
sellschaftsschichtcn führte zum
Sturz des Königtums im Jahre 1843.
(Fortsetzung folgt!)