Full text: 1947 (0002)

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2. Jahrgang 
Juli 1947 
Nummer 7 
Die soziale Neuordnung 
Von Josef Delheid 
Krieg und Nazismus haben uns 
auch auf dem sozialen Gebiete enorme 
Trümmer hinlerlassen. Zertrümmert 
liegt die kapitalistische Wirtschafts¬ 
ordnung. Zerschlagen liegen die frü¬ 
heren Rieht ungsgewerkschaften, die 
Hauptträger des sozialen Lebens, um 
heute pur diese beiden Faktoren 
horauszugreifen. 
Mit der sozialen Neuordnung muß 
es uns genau so ernst sein, wie mit 
der politischen. Beide dürfen nicht 
verfälscht oder mißbraucht werden. 
1918 und was nachher kam, muß uns 
eine Lehre sein nach der sozialen 
und politischen Seite hin. Sonder- 
interessen, und mögen sie noch so 
geschickt getarnt aus irgend einem 
Lager kommen, sind zu bekämpfen. 
Es gilt eine Volksordnung zu er¬ 
streben, die dem natürlichen Recht 
des Menschen und seiner sittlichen 
Würde entspricht. Hierbei fällt der 
sozialen Neuordnung die Hauptauf¬ 
gabe zu. Das soziale Problem von 
heute ist nicht mehr nur eine Frage 
des Lohnes oder der Arbeitszeit, des 
Arbeitsrechtes oder der Sozialver- 
versicherung. Sie ist längst ange¬ 
wachsen zu der Frage; Gelingt es 
unserer v Generation eine Volksord¬ 
nung zu schaffen, in der nicht mehr 
diktatorische Gewalt und Besitz re¬ 
giert. sondern mitbestimmendes Ver¬ 
trauen und Können das Gemein¬ 
schaftsleben des Volkes und der Vol¬ 
ker ordnet? 
Von dieser Plattform aus muß auch 
die neue Wirtschaftsordnung ange¬ 
packt werden, die glicht zu umgehen 
ist. Die kapitalistische Wirtschafts¬ 
ordnung gehört der Vergangenheit 
an. Sie hat nicht nur Negatives zu 
verzeichnen. Die industrielle deut¬ 
sche Entwicklung ist ihr Verdienst. 
Das ist nicht zm leugnen. Sie trat 
nur unter einem Gesetz an, das weit¬ 
blickende Gewerkschaftler und So¬ 
zialpolitiker schon lange als falsch 
bezeichnet hatten, nämlich von An¬ 
gebot und Nachfrage und dem freien 
Spiel der Kräfte, wobei dem Staat 
die sogenannte Nachtwächterrolle 
zugeschoben wurde. Der Arbeiter 
war nur Objekt und wurde zur Ware 
degradiert. Die Vormachtstellung in 
der Wirtschaft wurde auch auf das 
politische Gebiet übertragen. Diese 
einseitige Herrschaft belastete dann 
auch den Staat und riß letzten Endes 
beide, Staat und Wirtschaft, in den 
Abgrund. 
Im Mittelpunkt der Ueberlogungen 
für die Neuordnung der Wirtschaft 
steht das Problem der Sozialisierung. 
Ein Problem, das schon sehr oft die 
Gemüter bewegte und in seinem 
sachlichen Inhalt die . SozialgestaL 
tung der Wirtschaft zum Ziele hat. 
Hierbei geht es also nicht um eine 
parteipolitische, sondern um eine 
wirtschaftliche — und gesellschafts¬ 
politische Frage, die das System und 
die Ordnung behandelt, wie die 
Wirtschaft der Zukunft -betrieben 
werden soll.. Es kann aber nicht der 
Sozfialisierung wegen sozialisiert wer¬ 
den. Verluste und Trümmer lassen 
sich sowieso schlecht sozialisieren. 
Die Sozialisierung wird auch von 
heute auf morgen nicht mehr zu 
essen geben oder im kommenden Win¬ 
ter uns nicht weniger frieren las¬ 
sen. Auch der sozialisierte Betrieb 
kann nicht auf eine Gewinnerzielung 
verzichteh. 
Vielmehr geht es darum, daß eine 
Wirtschaftsordnung geschaffen wird, 
die die Schäden der Vergangenheit 
ausmerzt, die dem Verlangen nach 
sozialer Demokratie gerecht wird, 
die die persönliche Freiheit in Be¬ 
trieb und Wirtschaft garantiert und 
damit dem Menschen und dem Volke 
nützt. 
Jeder Schritt, der hier getan wird, 
muß grundsätzlich überlegt, jede 
Maßnahme wohl durchdacht sein. 
Werden wir. uns zunächst ohne jeg¬ 
lichen Hintergedanken über das Ziel 
einig, dann werden wir auch den 
Weg zu diesem Ziele finden. Viel¬ 
leicht werden wir auch in manchem 
Wirtschaftszweige das Ziel erst auf 
Umwegen erreichen, sei es auf dem 
Wege der Genossenschaft, der Ver¬ 
staatlichung, vielleicht auch in einer 
gemischt wirtschaftlichen Form von 
Gemeinde-, Staats- und Privatinitia¬ 
tive. 
Daß es sich bei der Sozialisierung 
in erster Linie nur um den monopo¬ 
lisierten Großbetrieb handelt und 
kein vernünftiger Mensch daran 
denkt, das Eigentum der Mittel¬ 
und Kleinbetriebe anzutasten, ver¬ 
steht stell- von selbst. Wir werden 
zum Wohle der Menschheit das Rich¬ 
tige finden, wenn wir uns von allem 
Doktrinären freihalten. Tun wir das 
nicht, dann begeben wir uns auf den 
Weg zum wirtschaftlichen Ruin. Die 
4)er 14. QilLL umxL wir 
Die Vcrwaltungskntmnission des Saarlandes hat mit Genehmigung 
des Herrn Gouverneurs und im Einvernehmen mit der Einheits¬ 
gewerkschaft und den politischen Parteien durch besondere Ver¬ 
ordnung den 14. Juli zum gesetzlichen und bezahlten Feiertag 
erklärt. . * 
Wir begrüßen diesen Schritt mit aufrichtiger Freude, denn er 
entspricht nicht allein dem Wunsche aller Werktätigen an der 
Saar, er bedeutet zugleich das Bekenntnis zu einer großen Idee, 
die durch das Ölut und die Opfer der französischen Revolution dem 
Leben der Völker dieser Erde einen neuen Sinn gegeben hat. 
In dem Sturm auf die Bastille versank eine Zeit, die über Janr- 
hunderte hinweg den Menschen das natürliche Recht der persön¬ 
lichen Freiheit vorenthielt und im dynastischen Absolutismus und 
in der knechtischen Leibeigenschaft ihren sinnfälligsten Ausdruck 
fand. Solchermaßen ist der 14. Juli im Gedenken an die Überwinder 
des Feudalismus der Beginn einer neuen Geschichtsepoche, die in 
Frankreich ihren Ausgang nahm und allen Nationen der Welt die 
hohen sittlichen Werte menschlichen Daseins erschloß: 
Freiheit des Individuums, 
Gleichheit vor dem Gesetz und 
Brüderlichkeit in der Gemeinschaft aller Menschen. 
Schon um dieser großen geschichtlichen Bedeutung wegen Ist der 
Nationalfeiertag der Franzosen ein Feiertag der Menschheit selbst, 
Wir wollen nicht darüber rechten, warum es bislang unterblieb, 
ihn in aller Welt mit der gleichen Begeisterung und mit der 
gleichen verpflichtenden Erkenntnis seiner historischen Bedeutung 
zu feiern. Umsomehr freuen wir uns, daß es unser kleines Saarland 
ist, das sich zu dieser geschichtlichen Verpflichtung bekannt hat 
und den 14. Juli auch zu seinem Feiertag erklärt. 
Schon einmal empfing Europa und die Welt von Frankreich die 
Kräfte der Erneuerung, schlugen französische Revolutionäre ihr 
Leben in die Schanze für Freiheit und Recht. Zum ersten Mal 
feiern wir Saarländer den 14. Juli als gesetzlichen Feiertag gemein¬ 
sam mit unserem großen Nachbarn. Wir tun das als Menschen, die 
in Freiheit und Menschenrecht die höchsten Güter dieser Erde 
verehren, wir tun es aber auch in der Gewißheit, daß der Geist 
von 1789 nicht tot ist, sondern daß seine fortzeugende Kraft uns 
helfen wird, allen Völkern unseres alten Kontinents ein neues 
Leben zu bauen. 
Sozialisierung allein wird auch nicht 
die Lösung der erstrebten sozialen 
Wirtschaftsordnung sein, kann höch¬ 
stens die Entwicklung zu Ihr etn- 
leiten. 
Nur dann, wenn es uns gelingt, 
die Sozialisierung als reine Staats¬ 
wirtschaft oder auch als einseitig 
staätsabhängige Planwirtschaft zu 
vermeiden und wenn wir fähig sind, 
eigenständige Formen einer demo¬ 
kratisch geführten Gemeinwirtschaft 
zu schaffen, wird uns die Möglich¬ 
keit verbleiben, dem werktätigen 
Volke eine echte demokratische Mit¬ 
bestimmung zu sichern, aus der sich 
dann die neuen Formen des Mitbe¬ 
sitzes entwickeln können. Es kommt 
darauf an, ddß auch der Arbeitneh¬ 
mer selber als freier Wirtschafts¬ 
bürger und als verantwortliche Per¬ 
son mitbeteiligt wird.. Der persön¬ 
liche Faktor im arbeitenden Men¬ 
schen darf auch nicht übersehen 
werden. Das persönliche Recht de¬ 
mokratischer Mitbestimmung hat für 
alle Betriebe zu gellen, nicht nur für 
jene die aus monopolistischen Grün¬ 
den in eine gemeinschaftliche Form 
zu überführen sind. Ein moderner 
Betrieb ist nun einmal kein pa¬ 
triarchalisches Familienunternchmen 
mehr, sondern seiner ganzen Struk¬ 
tur nach eine öffentliche Volkssache. 
Volks.sache sage ich und nicht 
Staatssache. Volk und Staat müssen 
zu einer harmonischen Einheit ge¬ 
bracht werden. Das ist die Hauptauf¬ 
gabe der Zukunft. 
Die demokratische Wirtschaftsver¬ 
fassung geht von dom Gedanken aus, 
daß eine Gesamtlenkung der Wirt¬ 
schaft notwendig ist. Die Form, die 
sie dafür bereit hat. ist aber nicht 
eine zentralisierte Staatsapparate, 
sondern eine Fülle von echten Selbst- 
verwalfungskörpersehaften, in denen 
Arbeitnehmer und Konsumenten auf 
freier Basis zum Wohle des ganzen 
Volkes solidarisch Zusammenarbei¬ 
ten. Ob das Ziel nun auf dem Wege 
über Industrie-, Handels-, Hand¬ 
werks- oder Wirt schaf tskammem 
erreicht wird, muß der Zukunft 
überlassen bleiben. 
Wir stehen vor großen Entschei¬ 
dungen. Je nachdem, wie die Sozia- 
lisierungsfrage gelöst wird, ob im 
Sinne von Verstaatlichung und 
staatsbürokratischer Leitung oder im 
Sinne von wirtschaftlicher Demo¬ 
kratie und wahrer Gemeinschaft, 
entscheidet sich das soziale und po¬ 
litische Leben unserer Zukunft. Aus 
dem sozialen und wirtschaftlichen 
Chaos muß die soziale Neuordnung 
entstehen. 
Das Aufgabengebiet der Gewerk¬ 
schaften wird sich bei dieser neuen 
wirtschaftlichen Entwicklung auch 
verändern. Die früheren Fronten, 
Kapital und Arbeit, gehen nun in¬ 
einander über. Die Vertreter des
	        
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