Full text: 1947 (0002)

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2. Jahrgang 
April 1947 
Nummer 4 
Von Präsidialdirektor Richard Kirn, 
Mitglied der Verwaltungskommission 
für Arbeit und Wohlfahrt 
Der 1. Mal ist als der Feiertag der 
Arbeit Iri die Geschichte eingegangen.- 
An diesem Tage demonstrieren die 
Gewerkschafter, Arbeiter, Angestell¬ 
ten und Beamten, Bauern, Mittel- 
etändler und Intellektuellen für so¬ 
ziale Gerechtigkeit, für Frieden, 
Freiheit, Demokratie und nicht zu¬ 
letzt soll dieser Tag ein würdiger 
Feiertag der Arbeit sein. 
Aus' diesem Grunde hat die Ver- 
waltungskommission des Saarlandes 
beschlossen,, den ,1. Mai als gesetz¬ 
lichen Feiertag zu begehen, der da¬ 
zu als ein bezahlter gesetzlicher 
; Feiertag verfügt ist. 
. Es verlohnt sich auf d^e Ent¬ 
stehung des 1. Mai als Feiertag der 
Arbeit einzugehen. . 
Am hundertsten Jahrestag der 
französischen Revolution, am 14. Juli 
1889, versammelten sich in Paris 
-rund 100 Vertreter der sozialistischen 
Internationale, um einmal in wür¬ 
diger Form des hundertsten ^Jahres¬ 
tages der französischen Revolution, 
^die der Menschheit so gewaltig große 
sittliche Werte gegeben hat, zu ge¬ 
denken und Forderungen auf sozial¬ 
politischem und arbeitsrech tlichem 
Gebiete im Namen der Schaffenden 
zu erheben. Die damaligen dele¬ 
gierten beschlossen, die Werktätigen 
aufzurufen zum Kampf für die Ein¬ 
führung des Achtstundentages, des 
Tarifrechts, des bezahlten Urlaubs, 
des Mutterschutzgesetzes und einer 
gerechten Sozialversicherung. 
Um diesen Forderungen Nachdruck 
zu verleihen, wurde der l..Mai als 
Feiertag der-Arbeit vorgesehen, um 
verbunden mit Demonstrationen, den 
Willen der Kämpfer für Freiheit und 
soziale Gerechtigkeit geschlossen 
zum Ausdruck zu bringen: — Der 
1. Mal des Jahres 1890 war erstmalig 
als Feiertag der Arbeit festgelegt 
worden. 
Als im Jahre 1890 die Lohn- und 
Gehaltsempfänger demonstrierten, 
ist die Militärkamerilla auf die De- 
moijstranten. gehetzt worden, die 
versuchte die . Demonstration mj;t 
Feuerwaffen zu unterdrücken. Auf 
die Demonstranten wurde geschossen 
und Hunderte von Leibern wälzten 
sich in ihrem Blut. Trotzdem haben 
immer wieder die Werktätigen am 
1. Mai demonstriert und schließlich 
das Ziel erreicht — So war es in 
der Vergangenheit 
Anders dagegen in der Gegenwart. 
Der 1. Mai ist heute als gesetzlicher 
Feiertag, der . Arbeit mit voller Be¬ 
zahlung im Saarland und in Vielen 
anderen Ländern der Welt anerkannt 
und gesetzlich verankert; die im 
Jahre 1889 erhobenen Forderungen 
sind verwirklicht und neue sozial¬ 
politische Fortschritte erzielt wor¬ 
den. V , • • 
Der Achtstundentag ist erneut ge¬ 
setzlich festgelegt. Vorübergehend 
rwar” def . Achtstundentag durch das 
Naziregime aufgehoben und durch 
eine längere Arbeitszeit ersetzt wor- - 
den. 
Das Tarifwesen ist ebenfalls ge¬ 
setzlich garantiert, und zwar bereits 
schon zur Zeit der Weimarer Repu¬ 
blik. Auch hier hat der Nationalso¬ 
zialismus verheerend gewirkt und 
das Tarifrechtswesen durch das 
„Gesetz der nationalen Arbeit“ er¬ 
setzt, in dem die Arbeitgeber als 
Führer und Treuhänder der Arbeit 
eingesetzt wurden. Wörtlich, ist die 
Rechtlosigkeit unter' Hitler in dem 
§§ 2 und 5 des Gesetzes zur Ordnung 
der nationalen'Arbeit wie folgt aus-, 
gedrückt worden: „Der Führer des 
Betriebes entscheidet' der Gefolg¬ 
schaft gegenüber in allen betrieb¬ 
lichen Angelegenheiten“ (§ 2). An¬ 
stelle der Betriebsräte wurden Ver¬ 
trauensmänner des ’Unternehmers 
geschaffen. „Dem Führer des Betrie¬ 
bes treten aus der Gefolgschaft Ver¬ 
trauensmänner zur Seite. Sie bilden 
mit ihm und unter seiner Lei¬ 
tung den Vertrauensrat des Betrie¬ 
bes“ (§ 5 Abs. 1). 
Und heute? Im Betriebsrätegesetz 
ist den Gewerkschaften weitgehend¬ 
stes Milbesümmungsreeht einge- 
räumt.’ In der in Kürze erscheinen¬ 
den Durchführungsverordnung zum 
Betriebsrätegesetz wird der Begriff 
„Gefolgschaft“ abgeschafft und die 
Rechte der Betriebsvertretung in die 
Hand des durch die Betriebsmitglie¬ 
der gewählten Betriebsrats und der 
Gewerkschaftsvertretung unmittel¬ 
bar gelegt. 
Während des Krieges ist auf An¬ 
ordnung der Hitlerregierung verfügt 
worden, daß ab 1944 eine allgemeine 
Urlaubssperre eingeführt wurde. Die 
Verwaltungskommission ihrerseits 
hat in einer Verordnung beschlossen, 
den in der Hitlerzeit nicht gewähr¬ 
ten Urlaub nachträglich zu gewäh¬ 
ren, was inzwischen auch erfolgt ist. 
In Ergänzung hierzu hat die Ver¬ 
waltungskommission auf dem Ver¬ 
ordnungswege angeordnet, daß sechs 
bezahlte Feiertage-eingeführt wur¬ 
den, und zwar 
1. die beiden Weihnachtsfeiertage, 
2. der Neujahrstag, •> . 
3. der Ostermontag, 
4. der 1. Mai, . 
5. der Pfingstmontag. 
Diese bezahlten gesetzlichen Feier¬ 
tage dürfen nicht auf den Urlaub in 
Anrechnung gebracht werden. Für 
die laufende Zeit wird der nach den 
Tarifbestimmungen bestehende Ur¬ 
laub gewährt, und es ist damit zu 
rechnen, daß in Kürze eine allge¬ 
meine Reform der Urlaubs- und 
Freizeitgestaltung Platz greifen wird. 
Das Mutterschutzgesetz ist eben¬ 
falls durch die Verwallüngskommis- 
sion verabschiedet und wird nach Ge¬ 
nehmigung durch die Militärregie¬ 
rung in Bälde in Kraft treten. Dieses 
Gesetz gewährt der werdenden Mut¬ 
ter während der Schwangerschaft 
und vor und nach der Niederkunft 
ganz besonderen Schutz. Dieser 
Schutz" ist notwendig aus Gründen 
der Erhaltung der Volksgesundheit 
und eines gesunden Nachwuchses. 
Das soziale Gesetzeswerk ist 
durch den Nationalsozialismus völlig 
zerstört worden. Milliardenbeträge 
an Reserven aus der Sozialversiche¬ 
rung sind in die Kriegsindustrie ge¬ 
wandert und dadurch dem "eigent¬ 
lichen Zweck entzogen worden. Rund 
1 Milliarde RM an Rücklagen der 
Sozialversicherung des Saarlandes 
wurden durch die Hitlerregierung 
den Versicherten geraubt \md der 
Kriegsindustrie zugefiihrt, wodurch 
der Sozialversicherung die Basis ent¬ 
zogen worden war. Während einiger 
Monaten konnten infolge dieses Ver¬ 
brechens des Nationalsozialismus 
keine Leistungen bezahlt werden. Dia 
Opfer. der Arbeit fielen der Wohl¬ 
fahrtsunterstützung . anheim. .. Erst 
nach und nach konnte die Sozialver¬ 
sicherung zu Gunsten der Invaliden 
tätig werden. . ' '
	        
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