Februar 1947
,Dle Arbeit*
Sette 3
Oenassmschafismiomt la ^xavifwddi
Bekanntlich hatte sich die Regie«
rung Léon Blums in ihrem Bemühen
um eine Sanierung der Gütervertei*
lung vorgenommen, das Genossen¬
schaftswesen auf allen Gebieten des
Wirtschaftslebens zu fördern. In
einer Kabinettssitzung war dement«
sprechend beschlossen worden, den
Entwurf eines Genossenschaftssta«
tuts auszuarbeiten. Zu diesem Zweck
wurde ein Höherer Genossenschafts«
rat gebildet, der die Aufgabe erhielt,
die Lage der Genossenschaften zu
prüfen sowie der Regierung alle Maß«
nahmen vorzuschlagen, welche ge«
•eignet sein könnten, die Entwicklung
des Genossenschaftswesens zu för«
dem und eine ständige Verbindung
zwischen den verschiedenen genos«
senschaftlichen Organisationen her¬
zustellen. Bisher war die genossen«
schaftliche Form im französischen
Recht nicht klar definiert gewesen,
und es hat einer Reihe von aufein«
anderfolgenden Gesetzen und Ver*
Ordnungen bedurft, um allmählich
die Rolle, die Vollmachten und
Pflichten der Genossenschaft gesetz*
lieh zu verankern.
Die neue französische Regierung
wird die Politik Léon Blums auf
diesem Gebiet um so intensiver fort«
setzen, als der Gedanke des genos*
senschaftlichen Wirtschaftslebens z.u
den Lieblingsideen des Ministerprä*
sidenten Ramadier gehört.
Der Nationalverband der land¬
wirtschaftlichen Genossenschaften,
welcher der großen landwirtschaft*
liehen Berufsorganisation C. G. A.
(Confédération Générale Agricole)
angeschlossen ist, hat bereits dem
Landwirtschaftsminister einen Ent*
wurf zu einem neuen Genossen*
schaftsstatut übermittelt, welchen
dieser dem Höheren Genossenschafts*
rat vorlegen wird.
Ein Vertreter des Allgemeinen
Europäischen Pressedienstes hat füh*
rende Persönlichkeiten des National*
verbandes über diesen Entwurf be*
fragt, welche ihm die folgenden Er¬
klärungen gegeben haben:
Der Entwurf enthält:
1. Eine Legaldefinition des Be*
griffs der Landwirtschaftsgenossen*
schaft. Diese Definition soll dazu
führen, kaufmännische Unterneh*
mungen auszuschalten, welche die
Bezeichnung Genossenschaft dazu
mißbrauchen, große Handelsgewinne
zu erzielen.
2. Genaue Vorschriften über das
Funktionieren der genossenschaft¬
lichen Vereinigungen und insbeson¬
dere verwaltungsmäßige Verein*
fachungen.
Niemand, der für kaufmännische
Gewinne steuerpflichtig ist, soll in
einer Genossenschaft Sitz haben
können. Ein Zulassungsausschuß, der
sich aus Vertretern der Verwaltung,
der Genossenschaften sowie der land*
wirtschaftlichen und technischen Ar¬
beiter zusammensetzt, soll über den
Eintritt neuer Mitglieder.in eine Ge*
nossenschaft zu befinden haben.
3. Bisher hatte der Verwaltungs*
ausschuß einer Genossenschaft Voll¬
macht, die Geschäftsführung zu be*
urteilen und gegebenenfalls die Ge*
nossenschaft aufzulösen. Der neue
Entwurf legt die Zusammensetzung
dieses Ausschusses fest und be*
schränkt seine Vollmacht.
Was im besonderen die Prodük*
tionsgenossenschaften angeht, hat
der Vertreter des Allgemeinen Eu¬
ropäischen Pressedienstes den Ge*
neralsekretär des Verbandes der Ar¬
beiter * Produktionsgenossenschaften,
Antoni, befragt, der ihm erklärte:
„Die Produktionsgenossenschaften
fassen 30 000 Genossenschaftler zu*
sammen, die in 600 verschiedenen
Gesellschaften arbeiten. Wir billigen
völlig die Initiative der Regierung
auf diesem Gebiet.“ Den Hinweis auf
die Vorzüge des Genossenschaftsbe*
tnebes beleuchtet er mit dem Bei*
spiel in der Zeitung ..Le Courrier
Picard“ von Amiens, die als genos*
senschaftliches Unternehmen geführt
wird und die ihren erzielten Gewinn
von vier Millionen Franken dazu
verwendet hat, um einen Teil ihres
aus dem Besitz von Kollaboteuren
beschlagnahmten Betriebes aufzu¬
kaufen. sodaß binnen kürzester Frist
jeder der dort beschäftigten Arbei¬
ter Anteilseigner an seinem Betrieb
sein wird.
Auch der Präsident des National¬
verbandes der Konsumgenossen*
schäften, Bros, begrüßt die Regie¬
rungspolitik zur Förderung des Ge¬
nossenschaftswesens in allen seinen
Erscheinungsformen. „Wir wollen
— so führte er aus — alle Geschäfte¬
macher ausschalten, die sich hinter
der Bezeichnung von Genossenschaf*
ten verstecken. Wir haben auch un*
sererseits einen Entwurf für das
künftige Genossenschaftsstatut aus*
gearbeitet, dessen juristische Form
bereits vom Staatsrat gebilligt wor*
den ist. Denn ein solches Statut ist
unumgänglich notwendig. Unser Ent*
wurf ist jetzt soweit vorbereitet, daß
wir ihn der Regierung übermitteln
können; er betrifft die Gesamtheit
aller Genossenschaften.“ Dieser Ent*
wurf definiert die Genossenschaften
In England, dem Lande, in dem
die Methoden der liberalen Wirt*
schaft am längsten gewahrt wurden,
macht die Verstaatlichung der wich*
tigsten Wirtschaftszweige immer
mehr Fortschritte. Vor einigen
Wochen waren es die Bergwerke,
die in den Besitz des Staates über*
führt worden sind, und jetzt wird
die Verstaatlichung der Transport¬
mittel vorbereitet. Die Eisenbahnen,
die Kanäle, die Docks, die Unter*
grundbahn und die Autobuslinien
der Londoner Region und die Ueber*
landtransporte durch Lastkraftwa*
gen sollen dabei betroffen werden.
An erster Stelle sollen die Eisen*
bahngesellsohaften und die ihnen
angeschlossenen Unternehmen, be*
sonders die Autobusgesellschaften in
den Städten und auf dem Land, fer*
ner die Binnenschiffahrtsgesellschaf*
ten und damit die Kanalgesellschaf¬
ten, die Binnenhäfen mit ihren Dock*
anlagen und alle den privaten Ver*
kehrsgesellschaften gehörigen Hotels
vom Staat übernommen werden. Die
betreffenden Unternehmungen be*
schäftigen ungefähr eine Million Ar*
beiter und Angestellte, etwa sechs
Prozent der Arbeitskräfte des Lan-
*
Für die mir ans Anlaß meines
60. Geburstags übersandten Glück¬
wünsche und erwiesenen Aufmerk¬
samkeiten danke ich herzlichst.
Heinrich Wacker.
als Gesellschaften, deren Hauptauf¬
gabe es ist, durch die Mitarbeit ihrer
Mitglieder und zu deren Gunsten die
Gestehungskosten bestimmter Waren
oder Dienstleistungen dadurch zu
vermindern, daß diese Organisatio*
nen selbst die Funktion der Unter¬
nehmer oder Vermittler überneh¬
men, deren Gehälter somit in Weg¬
fall kommen.
des. Die Zahl der in Frage kom¬
menden Eisenbahn* und Binnen¬
schiffahrtsgesellschaften beträgt 60;
sie besitzen mehr als 585 000 Per¬
sonen* und Güterwagen.
Britische Zone
An den Kontrollrat in Berlin, dis
britische Regierung in London sowie
an das Hauptquartier der britischen
Besatzungszone in Oeynhausen
wandte sich die Konferenz der Orts¬
ausschüsse der vier Ruhr-Gro߬
städte, die in Duisburg tagte. In der
Entschließung heißt es u. a., daß die
schwerarbeitende Bevölkerung der
vier Ruhr*Großstädte, die am Ende
ihrer Kraft sei, es in Zukunft ab¬
lehne, „mit leerem Magen, mangel¬
hafter Bekleidung tagein und tag¬
aus zu schuften, während Schieber
und Schwarzhändler, Nichtstuer und
entnazifizierte Elemente noch Wohl¬
leben, alles besitzen und die Arbeiter
und Angestellten obendrein verhöh¬
nen. Wir fordern die schärfsten Ma߬
nahmen zur Erfassung aller vorhan¬
denen Lebensmittel und deren ge¬
rechte Verteilung.“ An der Konfe¬
renz nahmen 170 Delegierte teil.
Verstaatlichung der Transportmittel in England
Blick in die Vergangenheit
Die Entwicklung der Gewerkschaften im Saargebiet
Von Jakob Michely, Dudweiler
Fortsetzung.
Demütigungen, Bedrohungen und
schmachvolle Behandlung der Arbei¬
ter waren begleitet von den Fäulnis¬
erscheinungen der Korruption, von
Massenunglücken und Lohndrücke-
reien. Dazu trat eine ungeheuerliche
Demoralisierung, der nicht nur die
unterdrückenden Beamten, sondern
auch die unterdrückten Arbeiter ver¬
fallen waren. Sie wirkte sich in Un¬
terschlagungen, Diebstählen und
Schmiergeldern aus., Beamte berei¬
cherten sich an Abzügen von genull¬
ten Wagen, an Strafgeldern und Un¬
terstützungskassen, setzten das Ge¬
dinge nach Schmiergeldern fest,
schrieben blinde Schichten, ließen
sich Häuser bauen und Gärten be¬
stellen. Die Grube mußte zahlen.
1887 wurde in Form einer Erzählung
aus China: „Der Sang vonLaoFum-
tee" veröffentlicht, der alle diese Zu¬
stände an das Licht der Oeffentlich-
keit brachte und den ganzen saara¬
bischen Korruptionssumpf beleuch¬
tete. Mühelos konnte jeder, der sie
las, in dem Chinesen einen bekann¬
ten Saarabier erkennen. Diese Er¬
zählung, herausgegeben von einem
katholischen Geistlichen, erregte un¬
geheueres Aufsehen und war mit eine
der Ursachen zu dem ersten Zusam¬
menschluß der Bergarbeiter an der
Saar im Rechtsschutzverein.
Der Rechtsschutzverein
Der Rechlsschutzverein war die
erste gewerkschaftliche Organisation
der Saarbergarbeiter. Bei der reli¬
giösen Einstellung der Bergleute und
dem Einfluß der katholischen Presse
ist es leicht begreiflich, daß die Grün¬
der des Vereins sich an Kaplan Das¬
bach, Abgeordneter der Zentrums¬
partei, wandten und ihn um Rat be¬
fragten. Er hatte das Statut des
Rechtsschutzvereins im Ruhrgebiet,
des sogen, „fußangelschen“ Rechts¬
schutzvereins, geschaffen. Die Grün¬
dungsversammlung fand am 28. Juli
1889 statt und der Verein begann
seine Tätigkeit am 4. August 1889.
In den Vorstand wurden die Berg¬
leute Warken, Bachmann, Krön, Ber-
wanger, Müller. Klasen, Werny und
Wagner gewählt. Sofort nach der
Gründung begann die Werkspresse
und Werksverwaltung, die unter dem
Einfluß der schwerkapitalistischen,
nationalliberalen Partei stand, ihren
Kampf gegen diese Arbeiterorgani¬
sation, die sie als Werkzeug der Ul¬
tramontanen (katholische Partei) be-
zeichnete. Die evangelischen Geist¬
lichen, die nie die Courage hatten,
dem Stummregime, im Gegensatz zu
den Katholiken, entgegenzutreten,
gründeten die evangelischen Arbei¬
tervereine. Gegen die Vorstandsmit¬
glieder wurde eine Hetze entfacht.
Sie wurden als Sozialdemokraten ge¬
brandmarkt, trotzdem sie alle brave
Katholiken waren.
Der Verein hatte Ende 1890 18 947
Mitglieder. Zum Vereinsort wurde
Bildstock bestimmt. Der Beitrag be¬
trug jährlich 50 Pfennige. Von vorn¬
herein wurde der Verein mit aller
Schärfe von den Behörden bekämpft.
Schon 1839 -wurden Leiter und Ver¬
trauensleute gemaßregelt. An der
ersten Kundgebung, am 22. Septem¬
ber 1889 im „Tivoli“ zu Saarbrücken,
nahmen 15 000 Bergleute teil. Dort
sprach Schröder für die Zusammen¬
arbeit mit dem Ruhrgebiet. Auf die¬
ser Versammlung fand ein Antrag
an das Oberbergamt Bonn Annahme,
der Erhöhung der Knappschaftspen¬
sionen, Verbilligung der Verwaltung,
freie Äerztewahl, Invalidisierungs¬
recht bei 30 Arbeits- und 50 Lebens¬
jahren und Zulassung der Alten¬
wahl forderte.
Im Jahre 1890 mußte eine Unter¬
stützungskasse für inhaftierte und
gemaßregelte Vereinsmitglieder ge¬
schaffen werden. Warken wurde
wegen Beleidigung zu G Monaten Ge¬
fängnis verurteilt, wieder verhaftet
und wieder verurteilt. Ebenso er¬
ging es seinen Kollegen im Vorstand.
Am 21. Februar 1890 fand die. Wahl
der ersten Arbeiterausschüsse statt.
Man wollte seitens der Verwaltung
das Vorschlagsrecht der Arbeiter un¬
terbinden, wogegen der Verein prote¬
stierte. Es wurden nur Kandidaten
des Vereins gewählt, die Verwaltung
aber erklärte diese Wahlen für nich¬
tig. Große Protestversammlungen
fanden statt. Eine Versammlung der
Vertrauensleute in Völklingen
beschloß eine Eingabe an den Kaiser.
Diese Beschlüsse waren die wichtig¬
sten, die der Verein faßte. Darin
wurde die achtstündige Arbeitszeit
für Untertage und 10 Stunden für
Übertage, Sonntagsruhe, Mindest¬
schichtlöhne, Aufrücken nach drei¬
jähriger Dienstzeit aus der Schlep¬
per- in die Hnuerklasse, Fortfall der
Schachtverschlüsse, Anlegung der
Gemaßregelten, Schiedsgerichte, An¬
rechnung der zu leichten und unsau¬
beren Wagen, Schutz der Arbeiter
gegen Mißhandlung seitens der Be¬
amten gefordert. Die Eingabe fand
keine Berücksichtigung. Am 12. De¬
zember 1389 traten die Bergleute in
den Streik und erreichten, daß die
Gemaßregellen wieder eingestellt
wurden. An diesem Streik beteiligten
sich zuerst nur 6000 Bergleute. Ara
16. Dezember 1890 beschloß der Ver¬
ein den allgemeinen Streik in vier
großen Versammlungen und erreichte
die achtstündige Arbeitszeit, aus¬
schließlich Ein- und Ausfahrt. Da
alle Lokale im preußischen Teil ge¬
sperrt waren, tagte eine Delegierten¬
versammlung in St. Ingbert, die den
Streik als beendet erklärte mit dem
Gelöbnis, den Kampf wieder aufzu¬
nehmen, wenn die Versprechungen
nicht gehalten wfirden. Bei den
Knappschaftsältesten wählen 1892 er¬
hielt der Rechtsschutzverein 64 vor*
87 Mandaten , ('Fortsetzung fo&£t4