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Dezember 1947
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„Die Arbeit"
Seite 3
Sozialvcrsicherungs - Leistungsemp-
iänger sind an der Saar wohnhaft
und haben ihre Bezüge von einem
Versicherungsträger des Reiches be¬
zogen. Da z. Z. weder die Postämter
noch die Banken berechtigt sind,
Frankenbeträge nach dem Reich zu
überweisen, ist eine provisorische
Lösung zu Gunsten dieses Personen¬
kreises gefunden worden. Für diesen
Personenkreis kommt die Veröffent¬
lichung der Verwaltungskommission
vom 1. April 1947 (Amlsblnlt Nr. 31,
Seite 209) zur Anwendung, die der¬
gestalt ist, daß diesen Personen von
einem saarländischen Versicherungs¬
träger die Leistungen vorübergehend
bezahlt werden.
Die Versichorungstrnger gewähren
diese Leistungen als Vorschuß qnd
'erhalten sie später durch die in der
Bildung begriffenen Kompensations¬
kassen zurückbezahlt. Mit dem Zu¬
standekommen der Kompensations¬
kasse können dann später auch die
Leistungen der Sozialversicherungs-
empfänger geregelt werden, die im
Reichsgebiet ihren Wohnsitz haben
und durch, einen saarländischen
Versicherungsträger bislang ihre Be¬
züge erhalten haben.
Regelung zu Gunsten der Grenz¬
gänger.
In der Saarwirtschaft sind mehr
als 7.000 Grenzgänger beschäftigt,
die im Reichsgebiet ihren Wohnsitz
haben. Für diesen Personenkreis ist
ebenfalls eine Regelung ab sofort ge¬
troffen worden, und zwar wie
folgt:
a) Grenzgänger, die täglich an ihren
Heimatort zurückkehren, erhalten:
1.25 Prozent ihres Lohnes bar in
Franken ausbezahlt.
2. 50 Prozent ihres Lohnes zahlt eine
saarländische Bank an die Familie
im Reich nach einem Umrech¬
nungskurs von 1:25.
3. Die restlichen 25 Prozent werden
auf ein Sonderkonto bei einer
saarländischen Bank durch den
Arbeitgeber eingezahlt.
b) Diejenigen Grenzgänger, die die
Woche über im Saarland verbleiben
und nur an Sonn- und Feiertagen
in ihre Heimatorte zurückkehren:
1. 50 Prozent des Lohnes werden bar
in Franken ausgezahlt.
2.35 Prozent des Lohnes zahlt eine
saarländische Bank an die Fami¬
lien im Reich, ebenfalls auf der
Basis 1:25.
3. Die restlichen 15 Prozent werden
ebenfalls auf ein Sonderkonto
durch den Arbeitgeber bei einer
saarländischen Bank eingezahlt.
(Dieses Sonderkonto findet Ver¬
wendung für die Grenzgänger, die
im Reichsgebiet arbeiten, jedoch im
Saarland wohnhaft sind).
Die Betreuung der Kriegsgefangenen
Diejenigen Kriegsgefangenen, die
am 20. November 1947 aus der
Kriegsgefangenschaft an die Saar
zurückgekehrt und im Monat Okto¬
ber arbeitslos gewesen sind, erhal¬
ten eine Überbrückungsentschädi¬
gung von SM 100,— oder 2.000 frs.
zuzüglich einer Differenzenlschädi-
gung von 3.000 frs. Diese Mittel
werden durch den Landesstock aus
Mitteln der Arbeitslosenversicherung
, aufgebracht.
Gewerkschafisdiromk
Anwendung des Taft-Hartlcy-Act
zum Streikbruch?
Der gewerkschaftsfeindliche Taft-
Hartley-Act wurde in Baltimore —*
wie die Londoner Ageniur ,,TELE-
PRESS“ meldet—zum ersten Male
im Zusammenhang mit Streikfällen
herangezogen. Ein Angestellter der
,,Bethlehem Stedi Company*' erhob
Klage gegen die lokale Gewerk-
schaftsgruppc ,.Swe Industrial Union
of Marine and Shipbuilrlung Worker3
(CIO)“ auf Zahlung von 50 000 Dol¬
lars, da er angeblich von Streiken¬
den bedroht worden sei. Amerika¬
nische Gewerkschaftskreise befürch¬
ten, falls cs aus diesem Anlaß zu
einer gerichtlichen Verurteilung der
Gewerkschaft auf der Grundlage des
Taft-Hartley-Actes kommt, daß einer
neuen gefährlichen Streikbrecher¬
praxis Tür und Tor geöffnet wild.
Diese Gewerkschaftsgruppe streikt
bereits seit dem 26. Juni gegen die
„Bethlehem Company".
Der WGB an die UN-Versammlung
Die Vollversammlung der Verein¬
ten Nationen behandelte den Bericht
des Ausschusses für soziale, kultu¬
relle und humanitäre Angelegenhei¬
ten über die Rechte der Gewerk¬
schaften. Schon im Februar dieses
Jahres wandte sich der WGB mit
der Bitte an die ÜN, die Verwirk¬
lichung und Erweiterung der Rechte
der Gewerkschaften zu behandeln.
Der WGB machte dabei darauf auf¬
merksam, daß in vielen Ländern
nach Kriegsende die Gefahr der Ver¬
nichtung der Rechte d<»r Gewerk¬
schaften bestellt. Der Rat für wirt¬
schaftliche und soziale Angelegen¬
heiten beschloß die Eingabe nicht
zu behandeln, obwohl sie auf der
Tagesordnung stand, sondern an das
Internationale Arbeitsbüro weiterzu¬
geben. Bekanntlich gehört in diesem
Büro die Mehrzahl der Stimmen den
Vertretern der Regierungen und der
Unternehmer, Natürlich enthielt der
Bericht des Internationalen Arbeits¬
büros, der dem wirtschaftlichen und
sozialen Rat vorgelegt wurde, in er¬
ster Linie den Hinweis auf die
Rechte der Unternehmer, nicht aber
auf die Rechte der Gewerkschaften.
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Gläubige Hoffnung
I, Ist gewiß nieht leirht. Heule von gläubiger Hoffnung zu
sprechen und mit Zuversicht und Vertrauen dem Alltag zu
begegnen, der nichts bereitzuhalten scheint als Sorge,' Kum¬
mer und Not. Wir haben schon lange das Maß verloren, das
uns den Sinn des Lebens verständlich macht, jenes Maß, das
aus einem reinen Sinn und einem warmen Herzen seine Kraft
und seinen Wert empfängt.
Wir drohen an einer kalten und gewalttätigen Welt zu zer¬
brechen, die das Glück der Menschen, Mensch zu sein, ver¬
leugnet. Wir haben den Glauben verloren und sind der Hoff¬
nungslosigkeit anheimgefallen. Wir suchen der Sorge zu ent¬
rinnen und taumeln im Wirbel der Zeit in ein Nichts.
Und dennoch erneuert sich alljährlich das Wunder der
Menschwerdung und entrückt uns der Kälte des Daseins.
Sein lichter Schimmer verklärt das stummgewordene Herz
und trägt kindliche Freude in diese kleine Welt, die fernab
jeder Gegenständlichkeit nur uns allein gehört. Jedem ist sie
geschenkt und jedem wird sie neu gegeben, gleichsam als
göttlicher Funke ewiger Gnade, doch nicht alle wissen um
sie und viele verkümmern im Frost ihres Lebens. Um ihrer
Not willen haben die Menschen das Wunder empfangen und
es mit einer hohen festlichen Zeit umgeben.
Unsere eigene kleine Welt hat ihre Tore weit aufgestoßen
und gibt um zu nehmen, Liebe und Freude im ewig ver¬
strömenden Wechsel. Und auch die ärmste Hütte wird hell
im Lichte der himmlischen Feier und versöhnlicher Schim¬
mer umfängt die Zaghaften und Verbitterten, die nicht glau¬
ben wollen, daß es eine Hoffnung gibt. So kehrt das Jahr im
unabänderlichen Rhythmus zurück zur kleinen Wiege, wo es
begonnen hat, sich vollendend im Gleichnis von WTerdcn und
Vergehen.
Machen wir unsere Herzen frei von der Last der Sorge,
erschließen wir sie dem Zauber wundertätiger Güte, begin¬
nen wir wieder zu glauben und zu hoffen und erweisen wir
uns dankbar dem Licht, das uns die Weihnacht verheißt.
Dr. H. P. W.
Ideenwelt der christlichen Arbeiterschaft
Von Albert Voß
Wir entnehmen aus der
theoretischen Zeitschrift des
Freien Deutschen Gewerk¬
schaftsbundes „Die Arbeit“
einen Beitrag des früheren
Jugendleiters der christlichen
Gewerkschaften, Albert Voß:
I. Teil
Als Jakob Kaiser an dem denk¬
würdigen Gründungstage des FDUB,
eben erst den Schergen des Dritten
Reiches entronnen, seine Hand in
die seiner marxistischen Freunde
legte, daß nunmehr eine einheitliche
und einzige Arbeiterbewegung in
Deutschland sein werde, da tat er
das als ein Mann eigener Boden-
stämmigkeit, geprägt und gewachsen
in einer Gedankenwelt, die nicht die
der anderen war. Er brachte eine
neue Note in die Ideologie der Ge¬
werkschaften, und die Massen der
christlichen Angestellten und Arbei¬
ter, die hinter ihm standen und nun¬
mehr im FDGB organisiert sind,
werden erst dann endgültig Wurzel
fassen, wenn ihre Eigenheit und
Sonderheit mit eingebaut sind in das
Ganze. Das ist eine Bereicherung,
die den Block fester zusammen¬
schmiedet.
Wir sprechen noch eine verschie¬
dene Sprache. Aber es ist nicht nur
ein anderes Idiom, sondern auch
ein anderes Denken, das aber im
letzten Grunde das gleiche Ziel hat,
die Befreiung der Mensehen, die im
Schatten leben. Diese Gemeinsamkeit
ist zwingender als die Sonderheiten.
Sie müssen nur mit eingebaut wer¬
den.
Gleichheit oder Gleichschaltung
ergibt nie eine Harmonie, Harmonie
entsteht nur aus der Vielheit, die zu
einer Einheit zusammenklingt.
Damit wir uns von vornherein
verstehen, will ich mit aller Ein¬
deutigkeit erklären, daß die Einheit
der Gewerkschaftsbewegung für
mich und meine Freunde, die aus
der christlichen Arbeit erbewegung
kommen, eine durch nichts zu er¬
schütternde Realität ist und daß die
geistigen Auseinandersetzungen, die
kommen werden und kommen müs¬
sen, nichts anderes sind als das
selbstverständliche Ringen um die
rechte Form und den endgültigen
Inhalt der gewerkschaftlichen Ideo¬
logie.
Auch die christlichen Arbeiter
wissen darum, daß das kommende
Deutschland sozialistisch sein oder
zugrunde gehen wird. Der Sozialis¬
mus aus christlicher Verantwortung
— es gibt nur einen Sozialismus, zu
dem man auf verschiedenen Wegen
gelangen kann — unterscheidet sich
in seinem Ausgangspunkt und viel¬
leicht auch in seinen letzten Konse¬
quenzen von dem Sozialismus marxi¬
stischer Pägung. In seiner ursprüng¬
lichen Bedeutung ist Sozialismus im
ewigen Wechselspiel zwischen Ge¬
meinschaft und Einzelpersönlichkeit
der Gegensatz zum Individualismus,
also die Gesellschaftsform, die die
Vorrangstellung der Gemeinschaft
betont gegenüber der Machtvergöt¬
terung der starken Einzelpersönlich¬
keit, die der Individualismus fordert
und praktiziert.
Wir haben uns aber angewöhnt,
unter Sozialismus jene bestimmte,
durch Marx geprägte. Form zu ver¬
stehen. dessen Endziel das Kollekti-
vum, die Vergesellschaftung der
Produktionsmittel, ist. 'die Unterord¬
nung des Individuums unter die Ge¬
sellschaft, die klassenlos mit all
ihren Äußerungen von einer gesell¬
schaftlichen oder staatlichen Gewalt
dirigert und in der die Erwerbswirt¬
schaft durch eine erwerbslose Wirt¬
schaft abgelöst wird, wobei — und
das ist das Entscheidende — das ge¬
sellschaftliche und ökonomische Wol¬
len eingebettet ist in eine materiali¬
stische Gesamtschau der Lebenszu¬
sammenhänge. Der weltanschauliche
Ausgangspunkt ist der historische
entwicklungsgeschichtliche Materia¬
lismus. Die Einflüsse von Kant, Hegel
und Feuerbach sind hier unverkenn¬
bar. Aus Feuerbachs Feststellung,
die Welt ist nicht Produkt eines
Geistes, sondern der Geist ist das
höchste Produkt der Materie, folgert
Marx:
Alles Sein ist Materie und die Da¬
seinsweise der Materie ist Bewegung.
Da die materielle Welt in steter Be¬
wegung ist. besteht die Aufgabe der
Wissenschaft in der Feststellung der
Gesetze dieser Bewegung (Entwick¬
lungsgesetze). Jede Wissenschaft hat
für ihr Gebiet die speziellen Bewe-
gungsgesetze zu untersuchen, der
Sozialismus als Wissenschaft die
Entwicklungsgesetze, die Entwick¬
lungsgeschichte der Gesellschaftsfor¬
men. Nicht die Philosophie, Religion,
Ethik oder Politik bestimmen das Ge¬
sicht einer Zeit, sondern die wirt¬
schaftlichen Verhältnisse, die wie¬
derum bestimmt werden durch die