Juli 1946
Die Arbeit
Seite S
Organe der
Wirtschaftsdemokratie
Das Gesetz Nr. 22 des Kontroll¬
rates legt den Vergleich mit
dem Betriebsrätegesetz der
deutschen Nationalversammlung vom
4. 2. 1920 nahe und läßt bereits
äußerlich in .Umfang und Begren¬
zung seiner Vorschriften den be¬
trächtlichen Unterschied erkennen,
der zwischen den beiden Kodifizie¬
rungen besteht. Damals zwang der
Rätegedanke im Zuge der gro¬
ßen Auseinandersetzung die Diskus¬
sion auf die politische Ebene. Seine
Verwirklichung jedoch, die dem
Vorbild der russischen Revolution
nachstrebte, blieb im Wirtschaft¬
lichen hängen und fand schließlich
indem Betriebsrätegesetz seinen Nie¬
derschlag. Aus der Fülle seiner Be¬
stimmungen und dem zwingenden
Charakter seiner Vorschriften sind
Härte und Zähigkeit des Kampfes
abzulesen, der um die Erfüllung der
Forderungen, die die deutsche Ar¬
beiterschaft von der Revolution er¬
hoffte, geführt wurde. Die Wider¬
stände der Unternehmer gegen die
Gedanken des Betriebssozialismus
ließen es geboten erscheinen, eine
vielgliederige und umfassende Ab¬
grenzung der Rechte und Pflichten
vorzunehmen, und in zwingenden
Vorschriften die erste Stufe der
Wirtschaftsdemokratie zu fundamen¬
ti eren.
Die Wiedereinführung der Be¬
triebsräte durch den Kontrollrat,
dessen gesetzgeberischer Befugnis
in Deutschland das neue Gesetz ent¬
sprungen ist, hat sich nicht an die
vorhandene Vorlage gehalten, viel¬
mehr sich im großen und ganzen
mit Rahmenvorschriften begnügt.
Sie umreißen zwar im einzelnen die
grundsätzlichen Aufgabengebiete der
Betriebsräte, wie die Überwachung
der Anwendung der Tarifverträge,
der Erlasse und die Auslegung von
Betriebs- und Arbeitsordnungen, den
Arbeitsschutz und die Betriebs¬
hygiene, die Mitwirkung bei Ein¬
stellungen und Entlassungen, die
Schlichtung von Streitfällen, die Er¬
ledigung von Beschwerden, den Auf¬
bau und die Leitung von be¬
trieblichen Wohlfahrtseinriohtungen,
schreiben ein streng demokratisches
Wahlverfahren vor, werden aber in
ihrer gedanklichen Struktur von
wichtigen, überbetrieblichen Ge¬
sichtspunkten beherrscht, die den
Betriebsräten eine starke politische
Note geben.
Es mag auffallen, daß der Gesetz¬
geber ihre Einrichtung im Gegen¬
satz zu dem alten Gesetz nicht zwin¬
gend bestimmt. Diese Enthaltung
entspricht einem demokratischen
Geiste, der hier Pate gestanden ist
und dem Vertrauen, das der Kon¬
trollrat in die eigene Kraft der
Arbeitnehmerschaft setzt. Ihre In¬
teressenvertretung bleibt keineswegs
auf wirtschaftliche Belange be¬
schränkt, ist unter der berufs- und
sozialpolitischen Perspektive erwei¬
tert auf die tätige Mitwirkung in der
Verbesserung der Arbeits- und Fa¬
brikationsmethoden zur Verhin¬
derung der Arbeitslosigkeit und
nicht weniger berufen zur Zusam¬
menarbeit mit den zuständigen Be¬
hörden bei den rüstungswirtschaft¬
lichen und personellen Säuberungs¬
aktionen innerhalb des Betriebes.
Die Einschaltung der Gewerk¬
schaften ist im Gesetz nicht
allein für die Vorbereitung der
Betriebsratswahlen vorgesehen (§ 4),
sie manifestiert sich weit stärker
noch im § 7, der die Durch¬
führung der Betriebsratsaufgaben
an die Mitarbeit der anerkann¬
ten Gewerkschaften bindet. Sie be¬
deutet eine unerläßliche Voraus¬
setzung für den Erfolg des Ein¬
satzes der Betriebsräte überhaupt,
die in eigener Zuständigkeit ihre
Aufgabengebiete und Arbeitsverfah¬
ren bestimmen. Diese Freiheit ist
gewährt im Vertrauen auf die Er¬
fahrungen und das Verantwortungs¬
bewußtsein der gewerkschaftlichen
Organisationen, die heute in erster
Linie berufen sind, sich tätig in die
Wirtschaftspolitik einzuschalten. Über
das Betriebsrätegesetz ist ihnen ein
wirksamer Einfluß auf die Betriebe
und die Gestaltung eines echten
Betriebsozialismus sichergestellt.. Das
Recht auf Information durch Vor¬
lage von Unterlagen und die Beteili¬
gung an der Tätigkeit der Aufsichts¬
räte zur Erfüllung grundsätzlicher
Aufgaben unterstreichen im einzel¬
nen die Bedeutung der Einwirkungs¬
möglichkeiten, die durch diese Koor¬
dination gegeben sind. Solchermaßen
bereitet das neue Gesetz die Rück¬
kehr zur demokratischen Betriebs¬
verfassung vor, indem es die be¬
währten alten Grundsätze mit
neuem Geist belebt und die Arbeit¬
nehmer zugleich vor verantwor¬
tungsvolle Aufgaben stellt, die ihnen
Gelegenheit geben, sich in leben¬
digem Sozialismus zu bewähren.
Spraehdissiplin
Die geistige Erneuerung und Reinigung,
die als elementarer Bestandteil der Demo¬
kratisierung sich in den gegenwärtigen
Umwälzungsprozeß einfügt, kann und darf
nicht vor der Sprache und ihren heute
gewiß nicht mehr tragbaren Entartungen
halt machen. Man wird es daher dankbar
begrüßen, wenn kürzlich ein Landes¬
arbeitsamt auf Ueberstände nazistischer
Terminologie hinweist, die im täglichen
Sprachgebrauch und Schriftverkehr immer
wiederkehren und beispielsweise für das
Gebiet des Arbeitsrechtes vielfach das Ab¬
hängigkeitsverhältnis des arbeitenden Men¬
schen im sogenannten Führerstaat doku¬
mentieren. Obwohl es sich auch in den
meisten Fällen um eine gedankenlose Bei¬
behaltung solcher Ausdrücke handelt, so
mag es jedoch jedem realen und nüchter¬
nen Denken, dem die Trennung von
gestern mehr bedeutet als der gelegent¬
liche Wechsel des Gewandes, verständlich
sein, wenn mit der Rückkehr zur demo¬
kratischen, d. h. wahrhaft echten Sozial¬
politik auch die Geltung und Anwendung
ihrer alten und bewährten Ausdrucks¬
weisen wiederhergestcllt wird. In ihr aber
haben Worte wie Betriebsführer und Ge¬
folgschaft, , Gefolgschaftsraum, Gefolg¬
schaftsmitglied, Vertrauensrat und viele
andere kein Existenzrecht. Sie sind ihr
fremd und ohne jede geistige Beziehung
zu ihren Grundsätzen. Diesen Begriffen
haftet jene schwülstige aus dem Sub-
ordinationsverhällnis geborene Atmosphäre
an, der auch unsere Sprache in wachsen¬
dem Maße zu erliegen drohte. Diese
Ueberreste aus ihrem Bereich zu entfernen,
ist eine selbstverständliche Pflicht. Sie
wird darum nicht ärmer, aber reiner und
klarer, wie sie es war, und der Uniformie¬
rung entzogen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer,
Arbeiter, Unternehmer und Angestellter
sind feststehende Begriffe und Bezeich¬
nungen der Sozialpolitik, die in langen
Jahren ihrer Geschichte ihre eigene selb¬
ständige Terminologie entwickelt hat.
❖
Wir aber wollen, daß eine Zeit komme,
wo Menschlichkeit nicht mehr Schwäche
genannt werden wird.
Aus der Zersplitterung
. zur Einheit
Mit der Verordnung Nr. 6 der Mi¬
litärregierung vom 10. September 1945
über die Wiederherstellung des Ge¬
werkschaftsrechtes war der Grund¬
stein zur gewerkschaftlichen Einheit
gelegt. Wie stark heute die Einheits¬
gewerkschaften in der saarländischen
Arbeiterschaft verankert sind, be¬
stätigen die von Monat zu Monat
wachsenden Mitgliederzahlen. Sie
sprechen deutlicher als es Worte
vermögen:
1945
November
Dezember
1946
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
20 000 Mitglieder
30 000
36 000
42 000
50 000
58 000
65 000
75 000
80 000
In dem gleichen Zeitraum konnten
10 Industrieverbände
gegründet werden. Weitere sechs
Verbände .sind im Aufbau begriffen.
Gewei kschaitschronik
Japan
Drei Millionen japanische Arbeiter
sind gegenwärtig in den Berufs¬
verbänden organisiert. Mehr als
10 000 örtliche Verbände sind bis
jetzt gegründet worden. Dieses Er¬
gebnis übersteigt die Zahl der Orga¬
nisationen vor der Zerschlagung
durch die Faschisten um das Acht¬
fache.
Polen
Ungefähr lVi Millionen Mitglieder
zählen die polnischen Gewerkschaf¬
ten. Die Bevölkerung Polens wird auf
23Vs Millionen geschätzt, davon sind
2,8 Millionen Arbeiter. Bei manchen
Zweigen ist der orgaisierte Teil noch
sehr schwach, so bei den Handlungs¬
gehilfen, den landwirtschaftlichen
Arbeitern und bei den Arbeitern der
Nahrungsmittelindustrie. Die Lehrer
sind erst zur Hälfte organisiert. Die
wichtigsten Verbände suchen die
Zahl ihrer Mitglieder zu vergrößern.
Im Bergbau gibt es noch 70 000 Un¬
organisierte. Am besten ist der Ver¬
band der Eisenbahner organisiert.
Hier ist die Differenz zwischen den
Organisierten und Unorganisierten
am schwächsten.
Von Demokratie, Kultur und Menschenwürde
In alten Blättern lasen wir kürz¬
lich folgende Betrachtungen, die
Heinrich Mann 1915, im ersten Jahre
des Weltkriegs, einem Vortrag über
Emile Zola voranstellte. Wir sind
dem Zufall dankbar, der uns diese
tiefempfundenen Worte finden ließ,
denn sie leuchten weit und hell in
unser Jahrhundert hinein.
Im Augenblick, da ich beginnen
soll, frage ich mich noch einmal, ob
ich denn wirklich, wie die Dinge lie¬
gen, über einen nicht deutschen Au¬
tor zu Ihnen sprechen darf, — und
tue es nur in dem Bewußtsein, daß
wir — und die Andern — doch auch
jetzt noch Europäer geblieben sind
und von einander lernen müssen.
Lernen keineswegs zu dem Zweck,
um dann den, von dem man gelernt
hat, um so sicherer aus dem Felde
zu schlagen; sondern lernen, einfach
um die Hochachtung vor einander zu
pflegen, ohne die wir auf die Dauer
auch uns selbst nicht mehr mit Recht
würden achten können. Wer mit
Leidenschaft die Größe seines Vol¬
kes wünscht, muß Sinn haben für
die der andern.
Lernen aber werden wir um so
mehr können, da es sich für uns in
mancher Beziehung um ein Nach¬
lernen handelt. In einer gewissen,
soll man sagen Selbstgenügsamkeit,
oder darf man sagen Selbstverliebt¬
heit, haben wir letzthin manches ver¬
säumt, was bei anderen geschah, in¬
des wir freilich immer reicher und
mächtiger wurden; ich meine mit
Bezug auf das Moralische, die Er¬
rungenschaften der Seele, die An¬
wendung des Geistes ^uf das Leben,
das eben, was man die Kultur nennt.
Ich weiß,'man unterscheidet jetzt
eine ausschließlich deutsche Kultur
von der allgemeinen. Ich lasse da¬
hingestellt, ob eine Notlage, der
Zwang uns zu rechtfertigen, diese
Unterscheidung gezeugt hat. Viel¬
leicht glaubt man tatsächlich, ganz
neue Bahnen entdeckt zu haben. Es
wäre das erste Mal seit dreitausend
Jahren. Die Bahn der europäischen
Seele war bisher unausweichlich vor¬
gezeichnet. Griechentum oder Chri¬
stentum, Humanismus, Reformation
und Revolution, alles hatte zuletzt
den gleichen Sinn und der heißt Be¬
freiung, immer vorschreitende Be¬
freiung. Europa hat kein Beispiel
gesehen, daß die Macht allein, die
Macht um der Macht willen, die
mensehenverächterische Macht und
ihre Anbetung durch ein bestens or¬
ganisiertes, restlos tüchtiges, aber
untertäniges, aber revolteloses, und
darum sich verflachendes Volk selb¬
ständig Kultur gebildet hätte. Eine
solche Macht profitiert höchstens von
einer schon vorhandenen Kultur,
dem Werk vergangener Geschlech¬
ter, die von ihr nichts wußten, und
zu denen man sie nur auf geistigen
Schleichwegen in Beziehung setzt.
Gebildet wird Kultur heute einzig
von der Demokratie. Sie ist es, die
wir zu erlernen haben, da wir es so
lange versäumten. Hätten wir es
nicht versäumt, manches wäre viel¬
leicht vermieden worden. Der Krieg,
unter dem wir stehen, hat für uns
den höchsten Zweck, uns aufmerk¬
sam zu machen auf unser großes
Versäumnis. Denn das letzte Kriegs¬
ziel ist doch zweifellos ein inneres.
Die äußeren Abenteuer mit ihren
Schrecken und ihrem Glanz, haben
im Leben eines Volkes keine tiefere
Bedeutung als im Leben jedes Ein¬
zelnen. Das wahre Schicksal eines
Volkes entscheidet sich, genau wie
das eines Menschen, im Innern.
Demokratie aber, was bedeutet das?
Zuletzt nichts anderes, als was auch
Kultur bedeuten sollte: Menschen¬
pflege, die Würde und das Gewissen
Aller. Also eine sittliche Grundfor¬
derung, wohl nie vollkommen zu ver¬
wirklichen; aber ihre Verleugnung
und Verachtung wird nicht verzie¬
hen, weder von der Welt um uns her,
noch von dem Geist, der die Ge¬
schichte lenkt. Und auch eine ästhe¬
tische Grundforderung; denn ohne
die freie menschliche Entfaltung Aller
als Voraussetzung und Grundmelo¬
die, ist eine große Dichtung heute so
undenkbar wie die Größe einer
Volksgemeinde. -So will ich Ihnen
von Emile Zola nicht nur darum
sprechen, weil er hervorragende Ro¬
mane geschrieben hat. Das war eine
Folge der ersten Tatsache, daß er,
der Dichter, als demokratischer Füh¬
rer, als bewußtester Genius einer
Demokratie, im Leben stand.
Aus unserer Kulturarbeit
Die Einheitsgewerkschaft hat in
den letzen Wochen eine Reihe nen¬
nenswerter Veranstaltungen kultu¬
reller Art durchgeführt, die alle den
Beifall unserer Mitglieder gefunden
haben. Durch engste Mitarbeit mit
dem neugegründeten Verband für
Bühne, Film, Musik und aller Kunst¬
schaffender war es möglich, nur
beste Darbietungen unseren Mitglie¬
dern zugängig zu machen. Vor allen
Dingen waren die Opern- und Oper¬
ettenabende in der Wartburg und in
Sulzbach schöne Erfolge, dank der
künstlerischen Gestaltung unserer
Kollegen aus den Künstlerkreisen.
Nachdem nun die beiden Bühnen¬
stücke „Tartuffe“ und „Nachtasyl"
für unsere Mitglieder aufgeführt
wurden, folgt am Montag, dem 5.
August, 19 Uhr, das Lustspiel „Die
Seifenblase“ von Hans Balzert Die
Karten können auf dem Büro des
Industrieverbandes für das Bau¬
gewerbe, Cecilienstraße 11 (Telefon
2 90 33), bestellt und abgeholt werden.
In Sulzbach findet am Freitag,
den 16. August, in der Festhalle ein
Opern- und Operettenabend statt.