Full text: 1946 (0001)

die jtetuaeit 
Von Max Härtel 
In der letzten Ausgabe unserer 
Zeitschrift „Die Arbeit“ habe ich 
kurz die Rechtsverhältnisse der 
Lehrlinge geschildert, die sich auf 
Grund des Lehrvertrages ergeben. 
Ich habe in diesem Artikel betont, 
daß die Dauer der Lehrzeit im Lehr¬ 
vertrag festgelegt wird. Nun ist es 
aber nicht so, daß die Lehrzeit will¬ 
kürlich verkürzt oder verlängert 
werden darf, sondern beide Teile, 
Lehrherr sowie Lehrling sind an die 
Termine gebunden, die von den 
Handels- bzw. Handwerkskammern 
festgelegt werden. Durch die Unter- 
schriftsleistung der vertragschließen¬ 
den Partner wird der Lehrvertrag 
rechtskräftig und der Lehrling wird 
in die Lehrlingsrolle eingetragen. 
Die Lehrzeit beginnt, der Lehrling 
wird der Schule des Meisters anver¬ 
traut. Ihm obliegt nun nicht nur 
die Berufsausbildung des Lehrlings, 
sondern er soll auch den Charakter 
des Lehrlings formen und das Er¬ 
ziehungswerk des Elternhauses und 
der Schule vollenden. Im ersten 
Lehrjahr ist der Lehrling „Stift“ 
und wird nur allgemein in das Be¬ 
rufsleben eingeführt. Gewiß wird 
man von ihm Leistungen verlangen, 
doch sind sie zunächst noch unpro¬ 
duktiv und unrentabel. Er ist Un¬ 
kostenfaktor. Gegen eine über¬ 
mäßige Inanspruchnahme, die seine 
Kräfte übersteigt und ihm schaden 
könnte, schützt den Lehrling das 
Jugendschutzgesetz und die Ueber- 
wachung durch die Gewerkschaften. 
Sie sorgen dafür, daß er nicht das 
Objekt einer gewissenlosen Aus¬ 
beutung wird. Ein guter und ehr¬ 
samer Meister wird das auch nie 
tun, sondern meistens sind es die 
sogenannten „Krauter“ oder „Lehr- 
lingsschinder“, die heute nicht lange 
Bestand haben und Gefahr laufen, 
sehr bald das ehrenvolle Recht der 
l^hrlingshaltung zu verlieren. Diese 
lalle aber sind sehr selten geworden 
und jeder anständige Meister rückt 
von ihnen ab. 
Gewiß, mancher Lehrling wird im 
ersten und zweiten Lehrjahr die 
Meinung haben, er werde zu streng 
behandelt oder die Arbeit sei zu 
schwer für ihn. Nun, jeder Lehr¬ 
ling möge bedenken, daß jeder Beruf 
eine Arbeitsleistung fordert, die am 
Anfang Immer schwer ist und da¬ 
rum während der Lehrzeit gewisser¬ 
maßen ein Training von ihm ver¬ 
langt, um ihn später zu befähigen, 
seine ganze Kraft dem Berufe zu wid¬ 
men, ohne sich dabei zu erschöpfen. 
Man kann deshalb vom Lehrling eine 
vollwertige Arbeit nicht verlangen, 
aber fordern, daß er die Arbeit, die 
ihm aufgetragen wird und die 
seinen Kräften angemessen ist, ge¬ 
wissenhaft ausführt. „Ein Lehrling 
muß mit den Augen stehlen kön¬ 
nen“, sagt ein alter Handwerker¬ 
spruch, d. h. er muß gut beobachten 
können. Alles, was das Handwerk 
braucht, wird ihm in seiner Lehrzeit 
ln Irgend einer Form begegnen und 
wenn er beobachtet, wie der Meister 
oder Geselle diese Dinge anpacken 
und bewältigen, dann wird er seine 
Lehre nicht nutzlos verwandt haben. 
Beobachten und behalten. Was der 
Lehrling behält und begriffen hat, 
wird er nie verlernen. 
Eine sehr wichtige Frage ist das 
Vertrauen, das Lehrling und 
Lehrherm verbinden. Wenn der 
Lehrling in seinem Meister nicht 
nur den Vorgesetzten, sondern auch 
den väterlichen Freund sieht, wird 
sich das Vertrauen bald einstellen 
und beiden die Arbeit erleichtern. 
Wo es fehlt, ist die Lehrzeit für beide 
Die Familienhilfe in Frankreich 
neu geregelt 
Nach der im Zusammenwirken mit 
den Gewerkschaften und Untemeh- 
merverbänden von der französischen 
Regierung beschlossenen Erhöhung 
der J^öhne und Gehälter haben nun 
auch die für die Familienzuschläge 
und Geburtsprämien ausgeworfenen 
Beträge eine Erhöhung erfahren. 
Die bisher gültigen Sätze und Re¬ 
gelungen sind dabei einer wesent¬ 
lichen Reform unterworfen worden. 
Bisher kam an junge Ehen bei der 
Geburt des ersten Kindes eine Prä¬ 
mie zur Auszahlung, die in Paris 
9000 Franken, in Städten mit mitt¬ 
lerem Lebenskostennivoau 6000 Fran¬ 
ken und in ländlichen Bezirken 
4600 Franken betrug. Die Prämie ge¬ 
langte allerdings nur dann zur Aus¬ 
zahlung, wenn die Geburt innerhalb' 
der ersten zwei Jahre nach der Ehe¬ 
schließung erfolgte. Die neue Rege¬ 
lung sieht die allgemeine Auszahlung 
einer Sonderhilfe in Form einer 
Schwangerschaftsunterstützung und 
einer Mütterprämie vor. Der Zeit¬ 
raum, innerhalb dem die Geburt 
nach der Eheschließung erfolgt, 
spielt dabei keine Rolle mehr, 
und die Hilfeleistungen erfolgen 
nicht mehr nur vor und nach der 
Geburt des ersten Kindes, sondern 
auch für alle künftigen Kinder. 
Die Familienzuschläge haben eben¬ 
falls eine bedeutende Steigerung er¬ 
fahren, die in einzelnen Fällen bis 
zu 140 bis 150 Prozent gegenüber 
den bisher gewährten Beihilfen geht. 
Die nachstehende Tabelle gibt einen 
Überblick über die neue Regelung 
dieser Zuschläge. Die genannten 
Summen (in Franken) enthalten die 
Familienzuschläge und die Sonder¬ 
entschädigungen, welche monatlich 
dann zur Auszahlung gelangen, wenn 
nur der Mann Gehaltsempfänger ist. 
Paris 
früher 
jetzt 
1 Kind 900.—! 
1 130.—» 
2 Kinder 1 165.— 
3 390— 
3 Kinder 2 970.— ' 
5 650.—» 
4 Kinder 4 320.—» 
7 345.—» 
5 Kinder 5 670.—- 
9 040 — 
6 Kinder 7 120.— 
10 734.— 
Mittlere Städte 
früher 
jetzt 
1 Kind 600— 
2 Kinder 1110— 
890— 
2 670— 
3 Kinder 1 980.—» 
4 450.—, 
4 Kinder 2 880.—* 
5 785— 
5 Kinder 3 780.—■ 
7 120.—» 
6 Kinder 4 680— 
8 455— 
Land 
früher 
jetzt 
1 Kind 460— 
720— 
2 Kinder 851.—» 
2 160— 
3 Kinder 1 518— 
3 600.—» 
4 Kinder 2 208.— 
4 680— 
5 Kinder 2 898.—- 
5 760— 
6 Kinder 3 588.— 
6 840— 
Der Orden 
Mein Freund, der hat am Westwall 
mitgebaut, 
Mit Hacke und mit Schippe, 
Er hat dem Führer ganz vertraut, 
Riskierte keine Lippe. 
Er hackte, schippte früh und spät, 
Ganz schlank ward seine Taille, 
Sein Führer aber, wie’s so gebt, 
Verlieh ihm die Medaille. 
Nun war er stolz, er strahlt vor 
Glück 
Und tat sich mächtig recken 
An jedem Oberkleidungsstück, 
Sah man das Bändchen stecken. 
Dann kam der Krieg, 
Mein Freund war kein Soldat 
geworden, 
Doch sah man noch bei jedem Sieg 
An seiner Brust den Orden. 
Der Krieg ist aus — 
Der Westwall war von Pappe, 
Mein Freund sitzt still in seinem 
Haus 
Und hält jetzt seine Klappe. 
Als kürzlich ich ihn fragte, 
Wo er den Westwallorden hätte, 
Sah er mich an und sagte: 
Ich tauscht’ ihn für ‘ne Ami- 
Zigarette! M. HL. 
Teile eine Periode voller Spannun¬ 
gen und Mißstimmungen. Daß da¬ 
runter die berufliche Ausbildung 
leidet, ist wohl jedem klar. Nicht 
minder wichtig ist die Ordnung, 
die von den meisten Lehrlingen 
nicht ernst genug genommen wird. 
Ordnung am Arbeitsplatz und Ord¬ 
nung an sich selbst sind Eigenschaf¬ 
ten, die, wenn sie früh geübt wer¬ 
den, im späteren Leben sich als eine 
Selbstverständlichkeit erweisen. 
Hat nun der Lehrling verstanden, 
die Anfangszeit seiner Lehre in die¬ 
sem Sinne zu nutzen, dann wird er 
nicht mehr lange Stift bleiben und 
mit Arbeiten beauftragt werden, die 
schon handwerkliches Können von 
ihm verlangen. Wird er allein nicht 
fertig damit, so wird niemand ihn 
für dumm halten, wenn er Gehilfen 
oder Meister um Rat fragt. Fra¬ 
gen ist immer ein Zeichen von in¬ 
teresse. Natürlich soll er sachlich 
fragen und vorher überlegen. Wenn 
er aufmerksam die Anweisungen 
und Ratschläge, die ihm gegeben 
werden, befolgt, wird er sich bald 
das notwendige Können aneignen, 
das zu seinem Beruf erforderlich ist. 
Hat er aber sein Können unter Be¬ 
weis gestellt, dann ist die Lehrzeit 
erfolgreich gewesen und aus dem 
Lehrling ist ein Fachmann, ein Ge¬ 
selle und damit ein vollwertiger 
Handwerker geworden. 
Im Schatten der Anden 
Ein großes Hochplateau, auf 500 
Eigentümer verteilt, die in Buenos- 
Aires oder Deauville wohnen, wah¬ 
rend 2 Millionen schlecht gekleidete 
und schlecht ernährte Indios über 
und unter der Erde arbeiten: das ist 
Bolivien. Die Silbergruben von Po- 
losi gehören der berühmten Familie 
Patino. Die Petroleumquellen be¬ 
sitzen die Standard Oils. Die Kup¬ 
fer-, Antimon-, Gold-, Wolfram-, 
Blei- und Wismuthgruben sind in 
den Händen von Nordamerikanern 
und einigen Bolivianern. Es bleiben 
also 3V2 Millionen Einwohner, die 
weder Land noch Gruben besitzen. 
Sie haben 600 Schulen, 85 Prozent 
sind Analphabeten. Dazu gibt es eine 
verpreußte Armee von 50 000 Sol¬ 
daten, 110 Generälen und 4000 Offi¬ 
zieren. In einem Jahrhundert ereig¬ 
neten sich 33 Staatsstreiche, also alle 
drei Jahre einer. Vor einigen Jahren 
kam es zum Krieg mit Paraquay 
oder besser gesagt zwischen Rocke- 
feller und Deterding, der mit einer 
Niederlage Boliviens endete, aber in 
keiner Weise die Militärklique dieses 
Landes beeinträchtigte. Oberst Vil- 
laroel übte eine Diktatur gegen die 
Gewerkschaften und eingeborene 
Bevölkerung aus, die der Nazidikta¬ 
tur bis ins Kleinste glich, und trotz¬ 
dem gelang es nicht, die Eingebore¬ 
nen vom Einfluß der Gewerkschaften 
abzubringen. Die freiheitsliebenden 
Lehrer und Studenten weigerten 
sich, sich der Diktatur zu unterwer¬ 
fen, sie wurden verhaftet, gequält 
oder ausgewiesen. In den Indianer¬ 
hütten fanden sie Zuflucht. Todes¬ 
urteile wurden gefällt im Interesse 
der Petroleumkapitalisten, der Gru¬ 
benbesitzer und der Großagrarier, 
die um ihren Profit bangten. Die 
Armee, von deutschen Offizieren aus¬ 
gebildet, sollte diese Interessen 
schützen. Aber die Faschisten unter 
Villaroel hatten Wind gesät und 
Sturm geerntet. Das Volk Boliviens 
hat mit ihnen abgerechnet. 
Zum ersten Mal in der Geschichte 
Südamerikas haben die Gewerk¬ 
schaften, die Indios, die Studenten, 
kurzum das Volk die Prätorianer¬ 
garden des internationalen Kapitalis¬ 
mus geschlagen und die Macht in 
ihre Hände genommen. Dieser Sieg in 
einer verlorenen Ecke der Welt ver¬ 
dient erwähnt zu werden. 
Unsere Kulturarbeit 
Die Zerstörungen am Stadttheatertung gebeten, sich an die Kultur¬ 
wurden durch die tatkräftige Mit¬ 
arbeit der Künstler und der tech¬ 
nischen Angestellten und Arbeiter 
beseitigt, um den Besuchern für den 
Winter einen angenehmen Aufent¬ 
halt zu gewährleisten. Dadurch ver¬ 
zögert sich der Spielbeginn bis An¬ 
fang November. Alle Teilnehmer¬ 
karten müssen sofort abgeholt wer¬ 
den; 
Wegen der Veranstaltung von 
Konzerten, Unterhultungsabende usw. 
werden die Kollegen der Ortsverwal- 
abteilung zu wenden. 
Esperanto 
In der amerikanischen Zone wur¬ 
den die Esperanto - Organisationen 
wieder zugelassen. Alle Kollegen, 
die die Welthilfssprache beherrschen 
oder lernen wollen, werden gebeten, 
sich an die Einheitsgewerkschaft — 
Kulturabteilung — zu wenden, damit 
auch im Saarlarid wieder eine Espe¬ 
ranto - Organisation zum Wohle der 
Völkerverständigung und des Frie¬ 
dens geschaffen wird. 
Aus aller Welt 
(AEP) Jean Painleve, einer der 
Pioniere des französischen Kultur¬ 
films, plant die Herstellung einer 
Serie von 33 Kurzfilmen, welche die 
„Fortbewegung der Tiere" zum Thema 
haben. Eine Reihe bedeutender Na¬ 
turwissenschaftler wird ihm bei der 
Verwirklichung seines Projektes be¬ 
hilflich sein. Unter Verwendung aller 
technischen Neuerungen und Tricks 
soll ein instruktiver Einblick in eine 
wenig bekannte Wunderwelt gegeben 
werden. Zeitlupenaufnahmen sollen 
das Hüpfen der Flöhe ebenso wie den. 
Galopp der Giraffen, den Flug der 
Vögel und die Bewegungen der 
Schwimmtiere im Bild festhalten. 
Sowjet - russische Wissenschaftler 
haben errechnet, daß der Erdradius 
850 m länger ist als man bisher an¬ 
nahm. Außerdem behaupten sie, daß 
der Aequator nicht die Form eines 
Kreises, sondern die einer Ellipse 
habe, und daß die Erde nicht eine, 
sondern drei Achsen habe. Bei der 
Bearbeitung aller künftigen Land¬ 
karten der Sowjetunion sollen diese 
Forschungsergebnisse Berücksichti¬ 
gung finden. (AEPJ
	        
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