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.Die Arbeit"
Oktober 1946
I. Krankenversicherung
Der Grundpfeiler der Sozialver¬
sicherung ist die Krankenversiche¬
rung. Sie ist nach der Knappschafts¬
versicherung der älteste Teil der
Sozialversicherung.
Im Alt - Saargebiet gibt es acht
Allgemeine Ortskrankenkassen, eine
große Anzahl Betriebskrankenkas-
sen, eine Innungskrankenkasse, die
Saarknappschaft, die die Kranken¬
versicherung der Bergarbeitei’ durch¬
führt, die Hültcnknappschaft. die zu¬
ständig für die Belegschaftsmitglie¬
der der Neunkircher, Brebacher,
Burbacher und Dillinger Hütte ist,
die Post- und Eisenbahnbetriebs¬
krankenkasse. Außerdem sind noch
sogenannte Ersatzkassen vorhanden,
die überwiegend Angestellte erfas¬
sen. Diese Vielzahl der Kassenarten
zersplittert die Krankenversiche¬
rung, und es ist zu erwarten, daß
bald eine Zusammenschließung der
gesamten Krankenversicherung in
der Allgemeinen Ortskrankenkasse
mit Ausnahme der Knappschaften
\md der Eisenbahn erfolgen wird.
In den neu dem Regierungspräsidium
Saar unterstellten Kreisen Saarburg
Und Wadern werden die früheren
Allgemeinen Orskrankenkassen, die
jetzt Verwaltungsstellen der Allge¬
meinen Orskrankenkasse Trier sind,
wieder neu errichtet.
Die Aufgaben und Leistungen
brauchen in diesem Artikel nicht
besonders angeführt werden. Sie
Wurden für die Knappschaft als Ver-
Sicherungsträger für den Bergbau
vom Kollegen Zimmer in Nr. 1 die¬
ser Zeitung eingehend dargeslellt.
Die Krankenversicherung der Berg¬
arbeiter stützt sich grundsätzlich
ebenfalls auf das 2. Buch der Reichs¬
versicherungsordnung, so daß das in
dem genannten Artikel für die Kran¬
kenversicherung der Knappschaft im
allgemeinen Ausgeführte 'auch für
die übrigen Krankenversicherungs-
Iräger, d. h. für die bei diesen Ver¬
sicherten ebenfalls maßgebend ist.
Wohl weichen einzelne Kranken¬
kassen von den Leistungen der Saar-
knappschafl ab. Dies ist gesetzlich
möglich. In der Satzung kann die
einzelne Krankenkasse über die so¬
genannten Muß- oder Mindesleistun-
gen hinausgehen und einzelne Lei¬
stungen nach den sogenannten Kann¬
bestimmungen gewähren. Hat die
Krankenkasse in ihrer Satzung von
dieser gesetzlichen Möglichkeit Ge¬
brauch gemacht, so sind die satzungs-
mäßigen Leistungen zu gewähren.
Der Versicherte hat, wenn die üb¬
lichen Voraussetzungen für die er¬
höhten Leistungen erfüllt sind, einen
Rechtsanspruch auf diese Leistungen.
Während einzelne Krankenkassen
nur das Krankengeld in der
Mindesthöhe des halben Gruntl-
lohnes gewähren (§ 182 der Reichst
versicherungsordnung), haben andere
Was muß der Gewerkfchaftler
von derSozialverfîcherung wißen?
Von Regierungsdirektor Karl Amann
Kassen in ihrer Satzung vom Recht,
das ihnen der § 191 der Reichsver-
sicherungsordnung gibt, durch Zu¬
schläge für Familienangehörige eine
Erhöhung eintrelen zu lassen, Ge¬
brauch gemacht.
Bei Krankenhausbehandlung ist
das Hausgeld ebenfalls nicht
einheitlich bei den einzelnen Kran¬
kenkassen. Es beträgt als Mindest¬
leistung die Hälfte des Kranken¬
geldes, kann durch die Satzung all¬
gemein auf V* des Krankengeldes
und für Versicherte mit mehr als
einem Angehörigen durch Zuschläge
erhöht werden. Der Zuschlag darf
fünf vom Hundert des Grundlohnes
für jeden weiteren Angehörigen, der
Gesamtbetrag das satzungsmäßige
Krankengeld nicht übersteigen. Die
meisten Krankenkassen haben durch
die Salzung fesgelegt, daß bei mehr
als einem Angehörigen ein Zuschlag
von 5 */• des Grundlohnes für jeden
Angehörigen bis zur Höhe des Kran¬
kengeldes gewährt wird. Andere
Kassen haben eine Staffelung, die
vorsieht, daß im Allgemeinen mit
fünf Angehörigen das Hausgeld in
der Höhe des Krankengeldes ge¬
währt wird.
Auch das Taschengeld, das
Versicherte, die keine Angehörigen
unterhalten und keine Ansprüche
auf Weiterzahlung des Arbeitsein¬
kommens bei Krankenhauspflege
haben, ist nicht einheitlich. Ein Teil
der Krankenkassen zahlt, wie zum
Beispiel die Knappschaft, überhaupt
kein Taschengeld, andere Kranken¬
kassen RM. 0,40 in allen Lohnklas¬
sen. wieder andere 10 */o vom Grund¬
lohn.
Das Sterbegeld aus der Kran¬
kenversicherung für die Versicher¬
ten sowie für die Angehörigen (Ehe¬
galle und Kinder) ist ebenfalls nicht
einheitlich. Es beträgt mindestens
das 20fache des Grundlohnes, kann
durch die Satzung bis zum 40fachen
des Grundlohnes und auch auf min¬
destens RM. 50,— erhöht werden.
Die meisten Allgemeinen Ortskran¬
kenkassen des Saargebietes zahlen
das 40fache des Grundlohnes, mit¬
hin die höchste Kannleistung.
Diese Unterschiede in den Lei¬
stungen der einzelnen Kassen könn¬
ten, soweit sie als Mehrleistungen
in Frage kommen, beliebig weiter
aufgezeigt werden. Die Unterschiede
sind in der Regel durch die finan¬
zielle Lage der einzelnen Kassen
oder durch andere Umstände be¬
dingt. Die Beiträge sind auch nicht
einheitlich, auch nicht bei den All¬
gemeinen Orlskrankenkassen. Sie
schwanken ganz erheblich. Diese
Unterschiede sind sehr stark auch
auf die mehr oder minder günstigen
Risiken zurückzu führen.
Das Saargebiet ist eine wirtschaft¬
liche’Einheit. Die oben aufgezeich-
neten Unterschiede können sehr
leicht beseitigt werden, besonders
wenn eine größere Zusammenlegung
der Krankenkassen erfolgt. Eine
einheitliche Ausrichtung mit dem
Ziele, die Kannleistung als Pflicht¬
leistung zu gewähren, ist notwendig.
Gleichzeitig auch eine gerechte Ver¬
teilung der Risiken, die durch die
verschiedensten Kassenarlcn bisher
nicht vorhanden waren.
Die Allgemeinen Ortskrankenkas¬
sen führen auch die Krankenver¬
sicherung der Invaliden, Angestell-
ten-Rentenempfiinger und der Emp¬
fänger einer Hinterbliebenenrente
vom Kriegsversehrten-Fürsorgeamt
durch. Diese Krankenversicherung
soll für das Saargebiet durch Ver¬
ordnungen, die den Saargebietsver¬
hältnissen angepaßt sind, neu ge¬
regelt werden. Die Beitragsleistung
in der Rentenkrankenversicherung
ist pauschalisiert und den Renten-
bringt die Landesversicherungsan¬
stalt auf.
Der Rentner erhält die Lei¬
stungen der Krankenversicherung
nach dem 2. Buch der Reichsver¬
sicherungsordnung, also nach den
Bestimmungen über die Krankenver¬
sicherung. Barleistungen werden
nicht gewährt, mit Ausnahme eines
Sterbegeldes. Das Sterbegeld be¬
trägt für Versicherte bis zum vol¬
lendeten 14. Lebensjahr RM. 40,—,
für Versicherte über 14 Jahre RM.
75,—; beim Tode des Ehegatten er¬
hält der Rentner ein Sterbegeld von
RM. 40,—, beim Tode eines Kindes
von RM. 25,—. Darüber hinaus kann
sich der Rentner durch eine Zusatz¬
versicherung ein höheres Sterbegeld,
auch Familiensterbegeld, zusätzlich
sichern. Die Zusatzversicherung ist
innerhalb von 3 Monaten nach Be¬
ginn der Rentnerkrankenversiche¬
rung zu beantragen und kann jeder¬
zeit aufgegeben werden. Sie erlischt
1. durch Abmeldung,
2. wenn zweimal nacheinander am
Zahltage die Beiträge für die Zu¬
satzversicherung nicht entrichtet
werden und seit dem ersten dieser
Tage mindestens vier Wochen
vergangen sind,
3. bei Beendigung der Rentnerkran¬
kenversicherung.
Von der Verpflichtung, eine Ge¬
bühr für den Krankenschein und das
Arzneiverordnungsblatt zu entrich-
empfängern aus der Invaliden- und ten, ist der Rentner befreit. Diese
Angestelltenversicherung wird eine Befreiung gilt auch für die Familien-
Reichsmark monatlich von der Rente krankenhilfe.
einbehallen, den übrigen Beitragsteil (Fortsetzung folgt)
Eine alte gewerkschaftliche Forderung erfüllt:
Gleiche Arbeit - gleiche Löhne
für Frauen und Jugendliche
Nach einer Meldung vom 17. Au¬
gust 1946 hat der Oberste Chef der
Sowjetischen Militärverwaltung in
Deutschland einen Befehl für die
russische Besatzungszone erlassen,
der die Diskriminierung der Arbeits¬
entlohnung nach Geschlecht und Al¬
ter beseitigt und günstigere Bedin¬
gungen für den Arbeitseinsatz von
Frauen und Jugendlichen in Indu¬
strie, Transportwesen, Handel, Land¬
wirtschaft und Behörden schafft:
1. Festgesetzt ist eine einheitliche
Arbeitsentlohnung an Arbeiter und
Angestellte für gleiche Arbeits¬
leistung, unabhängig von Geschlecht
und Alter.
2. Aufzuheben sind einschlägige
deutsche Gesetzes- und Tarifbestim¬
mungen, die einen Unterschied bei
der Entlohnung der Arbeit nach Ge¬
schlecht und Aller der Arbeitenden
machen.
Die deutsche Zentralverwaltung
für Arbeit und Sozialfürsorge ist
beauftragt, notwendige Änderungen,
die sich bei der Anpassung dieses
Befehls an die bestehenden Tarifbe-
slimmungen und Verträge ergeben,
einzubringen.
Gleichzeitig hat die deutsche Zen¬
tralverwaltung für Arbeit und So¬
zialfürsorge gemeinsam mit den Ge¬
sundheitsbehörden und mit der
Freien Deutschen Gewerkschaft
innerhalb von zwei Monaten die
Aufstellung der Berufe zu überprü¬
fen, in denen der Arbeitseinsatz von
Frauen aus verschiedenen Gründen
beschränkt oder verböten war und
nur solche Berufe in der Aufstellung
zu belassen, die bestimmt gesund-'
heitsschädlich für Frauen sind.
Damit wird eine alte gewerkschaft¬
liche Forderung verwirklicht, die
auf dem internationalen Arbeiter¬
kongreß 1889 in Paris aufgestellt
worden war.
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(Schluß)
Und zwar ist dieses Problem in neuer
Weise gestellt. Die Freiheit, um die
es sich handelt, ist nicht die ab¬
strakte rechtliche Freiheit, auch
nicht die politische Freiheit, sondern
die Freiheit in den Betrieben unse¬
rer Zeit, die oft die Menschen
Schwerer und schärfer zusammen¬
pressen als alle früheren Wirt¬
schaftseinheiten. Die Verwirklichung
dieser Freiheit wird sich in Formen
vollziehen, die auf sozialem Gebiet
den Verwandlungsprozeß wieder¬
holen, der sich auf staatlichem Ge¬
riet vollzogen hat. Die staatliche
Freiheit ist eine dreifache Freiheit.
Sie ist zunächst Freiheit von priva¬
tem Herrschaftsrecht. Die staatliche
Freiheit in diesem Sinn hat den
Menschen nicht von Pflicht und Last
entbunden. Was sie löste, waren die
private Last und die private Pflicht.
Der staatliche Mensch ist unterwor¬
fen, aber er ist nicht Privatpersonen,
sondern einem politischen Gemein¬
wesen unterworfen. Die staatliche
Freiheit ist weiterhin persönliche
Freiheit. Es gibt im Staat staalsfreie
Sphären, in denen der Mensch als
Einzelwesen in der Ausübung seiner
Freiheit gesichert ist. Diese staats¬
freien Sphären sind angefüllt von
den sogenannten Grundrechten. Sie
entziehen persönliche Lebensgüter
der staatlichen Herrschaft. Und die
staatliche Freiheit ist schließlich
Freiheit im Staate. Der freie Bürger
ist kein Untertan. Er ist ein Teil des
Gemein willens. Er wirkt an seiner
Bildung mit. So ist auch die „Be¬
freiung der Arbeit“ niemals nur
Loslösung von sozialer Bindung und
Einheit. Sie führt kein Traumreich
herbei, in dem der einzelne tun und
lassen kann, was er will. Sie ist
keine Freiheit von der Arbeit. Sie
wird auch, soweit wir sehen können,
die großen Betriebe unserer Zeit
nicht zerschlagen, sondern sie erhal¬
ten, ausgestalten, rationalisieren.
Aber sie wird, wie die staatliche
Freiheit, auf ihrem Gebiet eine
dreifache Freiheit sicherstellen. Sie
wird dem Menschen soziale Grund¬
rechte verleihen, die ihm eine des
Menschen würdige Existenz sichern,
auf die Erhaltung seiner Arbeits¬
kraft gerichtet sind und ihm einen
freien Lebenskreis gewährleisten.
Die „Befreiung der Arbeit“ wird
weiterhin die Mitwirkung der Arbeit
bei der Ausübung der wirtschaft¬
lichen Gewalten sicherstellen, die
Wirtschaftsuntertänigkeit in ein
wirtschaftliches Bürgertum verwan¬
deln, Und schließlich das Letzte,
Schwerste, höchste Geduld, Weisheit
und Sozialgesinnung Erfordernde:
Sie wird zu einem Gemeinwesen
der Wirtschaft führen, in dem nicht
mehr Privatpersonen die Wirtschaft
als Geschäfte betreiben, sondern
wirtschaftlicher Gemeinwille, ruhend
auf mannigfachen, gemeinschaft¬
lichen Trägern, die Wirlschaft als
Ganzes lenken und verwalten wird.
Wie der Staat als Verkörperung des
politischen Gerneinwillens den pri¬
vaten Händen sich entwunden hat,
so wird die Wirtschaft als Verkör¬
perung eines wirtschaftlichen Ge¬
meinwillens den privaten Händen
sich entwinden. Erst wenn ein sol¬
ches Gemeinwesen der Wirtschaft
geworden ist, wird die „Befreiung
der Arbeit“ vollendet, die Lohn¬
arbeit gefallen, der freie Bürger im
Arbeitsstaat an die Stelle des Arbeit¬
nehmers getreten sein. Die abhän¬
gige Arbeit wird neuen Sinn erhal¬
ten. Sie wird nicht mehr einer frem¬
den privaten Person, sondern einem
Gemeinwesen geleistet, in dem der
arbeitende Mensch an seiner Stelle
ein gleichberechtigtes, in seiner
menschlichen Eigenart geschütztes
Glied ist. —
So sind es die wichtigsten und
wertvollsten Lebensgüter, die das
Arbeitsrecht zu wahren hat.. Die
Entwicklung des Arbeitsrochts ist
die Entwicklung des Menschentums
und der Freiheit im Verhältnis zwi¬
schen Arbeit und Eigentum. Durch
das Arbeitsrecht strömt die Lebens¬
ader der sozialen Bewegung, das
Blut der Freiheit. In ihm entschei¬
den sich Volksschicksal und Volks¬
sehnsucht. Es ist das werdende Recht
der Gegenwart.