September 194(1
Die Arbeit
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DAS STATUT
der französischen Bergarbeiter
Von A. Rieth
Ich halte auf der Delegierten-Kon-
ferenz des Industrieverbandes Berg¬
bau in Bildstock Gelegenheit, die
wesentlichsten Bestimmungen des
Statuts der französischen Bergarbei¬
ter zu erläutern und es erscheint
mir zweckmäßig, nochmals auf diese
Frage zurückzukommen.
Zuerst möchte ich bemerken, daß
das Statut durch die Annahme des
Gesetzes vom 11. Juni 1946 durch
den Ministörrat beschlossen wurde.
Dadurch wurden die vorher bestan¬
dene lokale oder regionale Kollektiv-
Verträge außer Kraft gesetzt und für
den gesamten französischen Kohlen¬
bergbau einheitliche Lohn- und Ar¬
beitsbedingungen geschaffen.
Das Statut gewährt der Berg¬
arbeiterschaft eine Reihe von spe¬
ziellen Vorteilen, die dazu bestimmt
sind, den Bergmannsberuf zu heben
und dadurch die Anwerbung von
Grubenarbeitern zu erleichtern. Von
dem Grundsatz ausgehend:
für den Bergmann den
höchsten Lohn
wurden die Löhne im Verhältnis
zu den übrigen Berufen höher ge¬
stellt. Die Arbeiter der Ueberlage-
betriebe sind in sieben und die von
Untertag in sechs Lohnkategorien
klassiert. Jeder Arbeiter bezieht
den Lohn seiner Kategorie, der
für jede Kategorie einheitlich ist.
In anderen Worten ausgedrückt:
es gibt in den Uebertagsbetrieben
insgesamt nur sieben Lohngruppen,
untertags sechs Lohnstufen, während
zur Zeit im Saarbergbau die Arbeiter
in viel mehr Lohngruppen verteilt
sind. Von der ersten bis zur höchsten
E-ohnkategorie besteht eine Lohn¬
spanne. Der Steigerungsk offizien t
dieser prozentualen Lohnstaffelung,
ausgehend von ader Zahl 100, steigt
bis 142 für die Lohnkategorien von
Uebertag und von 100 bis 135 für
Untertag, was besagen soll, daß zum
Beispiel die Lohne der Uebertags-
arbeitei', die in der Kategorie sieben
klassiert sind, um 42 % höher stehen
als die der ersten Kategorie.
Zu diesen auf dieser Grundlage
festgesetzten Lohnsätze kommt die
Aufwertung der Löhne, die für die
Uebertagsarbeiter 12,5 •/« und für die
Untertagsarbeiter 32 V» beträgt. Diese
Aufwertung erfolgt im Vergleich mit
den Löhnen der Metallarbeiter und
ist so berechnet, daß der Lohn der
Uebertagsarbeiter um 12,5 "/o und die
der Untertagsarbeiter um 32 •/* höher
stehen als in der Metallindustrie.
Die Löhne der jugendlichen Ar¬
beiter sind nach dem Alter festge¬
setzt, die alle drei Monate eine
Steigerung erfahren, um im Alter
von 18 Jahren den vollen Lohn zu
erreichen- Eine alte gewerkschaft¬
liche Forderung:
bei gleicher Arbeit,
gleichen Lohn
ist verwirklicht worden. Der Lohn¬
unterschied zwischen Männer und
Frauen besteht nicht mehr.
Die Berechnung der Gedingpreise
für die Akkordarbeiter muß so er¬
folgen, daß bei einer durchschnitt¬
lichen Arbeitsleistung der verdiente
Lohn 20 über den garantierten
Mindestlohn zu stehen kommt. Es
gibt jedoch für den guten und tüch¬
tigen Arbeiter keine Lohngrenze; er
kann und darf bei dementsprechen¬
der Leistung 60 und mehr Prozent
über den garantierten Mindestlohn
verdienen.
Ueberstunden werden mit
einem Lohnzuschlag von 25 bis 50 *7o
bezahlt. Hierzu möchte ich darauf
hinweisen, daß die 40-Stundenwoehe
als gesetzliche Arbeitszeit anerkannt
ist, d. h. 40 Stunden für Uebertag
und 38 Stunden und 40 Minuten für
Untertag. Da nun aber in Anbe¬
tracht der gegenwärtigen Kohlen¬
bedürfnisse länger als 40 Stunden in
der Woche gearbeitet wird, werden
die Stunden, die über die gesetzliche
Arbeitszeit hinausgehen, als Ueber-
stunden gezählt und dementspre¬
chend bezahlt und zwar:
Uebertag: für die Zeit von 40
bis 48 Stunden mit 25fl/o; nach 48
Stunden mit 50 ®/o.
Untertag: für die Zeit von 38
Stunden 40 Minuten bis 46 Stunden
30 Minuten mit 25 "/o; nach 46 Stun¬
den 30 Minuten mit 50 "/n.
Ebenso wird die Sonntagsarbeit
mit einem Lohnzuschlag von 50 "/o
vergütet. Jedoch wird diese Zulage
von 50 auf 100 "/« erhöht, wenn der
Arbeiter, der Sonntags arbeiten muß,
in der folgenden -Woche keinen
anderen Ruhetag als Ausgleich er¬
hält.
Für Nachtarbeit erhalten
die Arbeiter eine spezielle Entschä¬
digung in Höhe .eines Stundenlohnes
der zweiten Lohnkategorien, wie
diese sowohl für die Uebertags- als
auch Untertagsarbeiter festgesetzt
sind. Die Zeit, die als Nachtarbeit
in Anrechnung kommt, beginnt um
22 Uhr bis morgens 6 Uhr.
Das Statut sieht ferner eine Lohn¬
erhöhung in Form einer Al ters-
prämic vor. Nach fünf Jahren
Anwesenheit steigt der Untertags-
arbeiler um fünf Punkte, nach zehn
Jahren nochmals um fünf Punkte,
was »eine automatische Lohnsteige¬
rung von 10 °/o ergibt. Der Ueber¬
tagsarbeiter steigt um drei Punkte
nach einer Anwesenheit von 16 Jah¬
ren, nach 20 Jahren nochmals um
zwei Punkte.
Ich will nicht auf alle Einzelheiten
eingehen, denn das Statut enthält
noch weitere materielle Vorteile. —
Zum Beispiel hat jeder Gruben¬
arbeiter Anrecht auf eine freie Woh¬
nung oder, wenn er keine Gruben¬
wohnung besitzt, auf eine monat¬
liche Wohnungs - Entschädigung in
Höhe von 150 bis 200 fres. Auch
erhalten die Arbeiter, die die Eisen¬
bahn benutzen müssen, um sich auf
ihre Arbeitsstelle zu begeben, die
Fahrtauslagen zurückerstaltet.
Von großer sozialer .Bedeutung ist
die vorteilhafte Regelung der
U r 1 a u b s f r a g e. Das Gesetz be¬
stimmt, daß jeder Arbeiter nach
12 Monaten Anwesenheit Anrecht auf
12 Tage Ferien hat. Die jugend¬
lichen oder auch andere im Bergbau
'beschäftigten Arbeiter erhalten dann
nach einem Jahr Anwesenheit einen
zusätzlichen bezahlten Urlaub von
3 Tagen,, nach 2 Jahren von 4 Tagen
usw., so daß nach 10 Jahren An-
In der August - Ausgabe unserer
Gewerkschaftszeitung haben wir
grundlegende Ausführungen des
Organisationsreferenten der Haupt¬
verwaltung der Einheitsgewerkschaf¬
ten, Kollegen Obermaier, zum
Thema: „Warum Einheitsgewerk¬
schaften auf der Grundlage von In¬
dustrieverbänden?“ veröffentlicht. —
Die Systematik ihres organisato¬
rischen Aufbaus, die neue Wege be¬
sehreitet und dem horizontalen Auf¬
gliederungsprinzip den Vorzug gibt,
bringt eine Fülle neuer Gesichts¬
punkte, zu deren Verständnis die
Behandlung von Einzelfragen not¬
wendig erscheint Um auch nier
eine sinnvolle Auswahl walten zu
Wesenheit die Dauer des jährlichöl
Urlaubes 24 Tage beträgt.
In bestimmten Fällen wird zusätz¬
lich ein Sonderurlaub gewährt, der
wie folgt festgesetzt ist:
Heirat des Arbeiters: 4 Tage,
Geburt eines Kindes: 2 Tage,
Heirat eines Kindes: 2 Tage'
Tod der Frau oder eines
Kindes: 3 Tage,
Tod eines Enkels, Vater,
Mutter od. Geschwister: 2 Tage.
Diese Bestimmungen bezüglich des
bezahlten Urlaubes treten am 1. Jan.
1947 in Kraft.
Das Statut regelt ebenfalls die
Lohn- und Arbeitsbedingungen der
kaufmännischen und technischen An¬
gestellten, sowie der Beamten und
Ingenieure. Ich habe mich jedoch
darauf beschränkt, nur die wesent¬
lichsten Bestimmungen, die auf die
Arbeiter Bezug haben, zusammen-
fassend zu behandeln.
Es kann nicht bestritten werden,
daß die Annahme von diesem Statut
für die Bergarbeiter ein großer Fort¬
schritt bedeutet. Ich will damit
keineswegs behaupten, daß nun alte
Wünsche und Forderungen erfüllt
sind; aber ich glaube doch sagen zu
dürfen, daß durch die im Statut ver¬
ankerten Errungenschaften die fran¬
zösischen Bergarbeiter an die Spitze
des sozialen Fortschrittes getreten
sind, was auch den Arbeitern, An¬
gestellten und Beamten im Saar¬
bergbau von Nutzen werden kann.
lassen, beginnen wir heute mit Er¬
läuterungen der Aufgaben der Orts¬
ausschüsse (früher Ortskartelle ge¬
nannt), die in ihrer örtlichen Be¬
grenzung die erste und elementare
Stufe des Zusammenschlusses aller
gewerkschaftlichen Kräfte darsfel-
len. Der Uebergang von dem Be¬
rufsverband zur Industriegewerk¬
schaft hat das Schwergewicht der
gewerkschaftlichen Initiative in den
Betrieb verlegt und-damit ihre Wirk-»
samkeit entscheidend gestärkt. Die
hier zu leistende Arbeit aber wäre
der einheitlichen Steuerung entzogen
und in ihrem Effekt gehemmt, lande
sie nicht ihre ideelle und materielle
Stütze in einer über die verbandliehe
Die Ortsausschüsse im Aufbau
der Einheitsgewerkschaften
Blick in die Vergangenheit
Die Entwicklung der Gewerkschaften im Saargebiet
Von Jakob Michely, Dudweder
(Fortsetzung)
Der Arbeiterkongreß in Berlin be¬
schloß die Bildung von 33 „Arbeiter¬
schaften“, die mit dem Sitz in Ber¬
lin zentral organisiert wurden. Diese
Einteilung erwies sich aber als zu
schematisch, denn praktisch vollzog
sich die Bildung der Organisationen
anders, als sie dort gedacht war.
Da in den Arbeiterorganisationen
der Einfluß der Sozialdemokratie
.sehr stark war, machten sich beson¬
ders in Westdeutschland unter der
christlichen Bevölkerung Bestrebun¬
gen bemerkbar, eigene Organisa¬
tionen zu schaffen. Es bildeten sich
christlich-soziale Vereine, die mei¬
stens auf katholischer Grundlage
aufgebaut waren. Obwohl sie über
Arbeitszeit und Lohnfragen dikutier-
ten, kann man noch nicht von Ge-
werkschaftsorganisationen sprechen.
Ihren Mitgliedern ward verboten, in
die „sozialdemokratischen“ Gewerk¬
schaften einzutreten und das bedeu¬
tete eine weitere Zersplitterung der
Gewerkschaften. Besonders die Ein¬
führung von Knappenvereinen im
Bergbau vevanlaßte ständige Kämpfe
zwischen katholischen und prote¬
stantischen Arbeitern, die sich nach¬
teilig auf die Vertretung ihrer wirt-
schaftlichen Interessen auswirken
mußten.
Durch innere Streitigkeiten über
verschiedene Theorien Lassalles,
über das „eherne Lohngesetz“ und
das Streikrecht, kam es zu einer
neuen Spaltung, die zur Bildung der
Bebel - Liebknecht’schen Gewerks¬
genossenschaften führte. Nach sie¬
benjährigem Streit kam es im Jahre
1875 in Gotha zu einem Einigungs¬
kongreß, wo die Notwendigkeit er¬
wähnt wurde, die Parteipolitik aus
der Gewerkschaftsbewegung zu ver¬
bannen. Mit vereinter Kraft ging
man an die Agitation und die Ge¬
werkschaften wüchsen und gediehen.
Am 2. Oktober 1878 trat1 das Aus¬
nahmegesetz in Kraft, das alle Ge¬
werkschaften' verbot. Einige steuer¬
ten mit Mühe und Not durch die
Gesetzesmaschen und hielten sich
am Leben. Selbst Krankenunter¬
stützungsvereine und Unterbaltungs-
vereine der Arbeiter wurden aufge¬
löst, aber der gewerkschaftliche Ge¬
danke blieb erhalten.
Die modernen Gewerkschaften!
Im Jahre 1890 wurde das Koali-
1 ionsverbot aufgehoben und es be¬
gann eine Blütezeit der Gewerk¬
schaften, die auch in dem sozialen
Aufstieg der Arbeitnehmerschaft
ihren Ausdruck fand. Die vorher¬
gehenden schweren Arbeitskämpfe,
besonders im Bergbau, führten die
Arbeiterschaft immer mehr zur Or¬
ganisation.
Im Mai 1890 wurde der „Verband
deutscher Bergleute“ gegründet, der
seine Tätigkeit vom Ruhrgebiet auf
ganz Deutschland ausdehnte. Er war
auf freigewerkschaftlieher Grund¬
lage aufgebaut und vertrat den
Grundsatz der Gemeinwirtscbaft und
Bedarfsdeckungswirtschaft im Ge¬
gensatz zur kapitalistischen Wirt¬
schaftsordnung. Seine Aufgaben
waren besonders dem Ausbau des
Arbeiterschutzes, Grubensicherheit
und Sozialversicherung gewidmet.
Im selben Jahre wurden auch der
Metallarbeiter-Verband und nach
und nach alle anderen Verbände
neugebildet.
Tn diese Zeit fällt die Gründung
der christlichen Gewerkschaften.
Nachdem im Jahre 1878 ein Versuch
unternommen worden war, einen
christlichen Gewerkverein zu grün¬
den, wurde im Jahre 1894 der
christliche Gewerk verein der Berg¬
arbeiter von dem Bergmann ‘August
Brust ins Leben gerufen, der die
Veranlassung gab zur Bildung von
GeweTkveremen auch in anderen
Berufen. Diese vertraten die Auffas¬
sung, mit der Bildung dieser Organik
sationen dem sozialen * und welt¬
anschaulichen Gedanken der christ¬
lichen Arbeiter gerecht zu werden,
zumal die damaligen Gewerkschaf¬
ten stark antireligiös waren. Denn
sie bildeten die Gemeinschaft der
Arbeitnehmer, die einen Umschwung
der wirtschaftlichen Verhältnisse
herbeiführen wollten, um den Arbei¬
ter aus dem Elendszustand zu be¬
freien. Der erste Kongreß, der 1899
in Mainz stattfand, legte ein Pro¬
gramm fest, das den interkonfessio¬
nellen und unpolitischen Charakter
festlegte. Um die Unabhängigkeit
der Gewerkschaft von der Kirche-
wurden jahrelange Auseinander¬
setzungen geführt. Die christlichen
Gewerkvereine lehnten den Kapita--
lismus und den Marxismus, die
Klassenkampftheorie, ab. Sie waren'
der Ansicht, daß der Staat dort ein-
greifen müsse, wo ein Glied der Ge¬
meinschaft versagt. Durch Zwangs¬
maßnahmen sollte er dort umgrei¬
fen, wo die Lohnarbeiter vor Elend
und Not zu schützen sind. Der freien
Verständigung sei aber der Vorzug
zu geben. Die Arbeiterschaft müsse
ein gleichberechtigter und gloirh-
geaehteler Faktor der Gesellschaft
werden. (Fortsetzung folgt)