Full text: Evangelisches Wochenblatt (28.1901)

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2421 Pofwerzeichnis. — XXVIII. Jahrgang. — Preis pro Quartal 50 *. Ins.Gebühr pro 3 spaltige Zeile 
Auflage 6800. 
—AI Saarbrücken, den 10. Febrita' 
1. 
— 
O gewiß. Er schaut dich an aus dem Auge des 
Notleidenden, das bittend und flehend zu dir aufge— 
schlagen ist. Er streckt dir seine Hand entgegen in 
jedem Armen und Dürftigen, der dich um eine milde 
Babe bittet, damit seine Not dadurch gelindert werde. 
Er tritt dir entgegen in jedem Haus, in jeder Anstalt, 
die von der Liebe Christi gebauet ist, damit darin die 
Armen, Elenden, Verwahrlosten, Kranken, Schwach⸗ 
sinnigen Pflege und Wartung finden. Und du willst 
ihm seinen Anteil an deinem Erwerb verweigern und 
deckst die Hand auf das, was aus seiner Aussaat und 
unter seinem Segen gewachsen ist und sagst: „Das 
gehört mir allein? Da hat Niemand sonst ein Recht 
darauf?“ Lieber Mensch, besinne dich doch, was du 
da thust! Siehe, die Armen und Kranken und Not⸗ 
leidenden, alle die auf deine Hilfe und Handreichung 
angewiesen sind, und alle, welche in ihrem Namen zu 
dir kommen und dich um eine Gabe fur sie bitten, sie 
alle gehören auch zu den Knechten, die der Herr des 
Weinbergs sendet, um seine Früchte von dir in 
Empfang zu nehmen. Und wenn du sie nun stäupest 
mit rauhen Worten, sie tötest, indem du sie dem 
Hungern und Frieren überläßst, sie steinigst mit 
Schelten und Drohen, was wird die Folge sein? 
Es wird auch hier zuletzt heißen: „Er wird den 
Weinberg andern Weingärtnern geben, welche die 
Früchte abliefern.“ Ja, du meinst dadurch am besten 
zu sparen und für deine Kinder, deine Familie zu 
'orgen, daß du deine vom Herrn gefüllte Hand fest 
oerschließest gegen deinen notleidenden Bruder, oder 
höchstens hie und da ein armseliges Kupfer- oder 
Nickeltröpflein zwischen den geschlossenen Fingern 
hindurchlässest; aber du wirst sehen: das ist schlecht 
gespart und schlecht gesorgt. Darum: Mitzuteilen ver— 
gesset nicht! 
Das geht alle an ohne Unterschied. Unter den 
Hebräern, an welche diese Worte zuerst gerichtet wurden, 
hats gewiß auch allerlei Leute gegeben, arme und 
reiche. Aber auch die Armen können mitteilen. Jeder 
wird leicht einen finden, der noch ärmer, noch hilfs⸗ 
bedürftiger, noch uͤbler dran ist als er selbst, und dem 
er etwas geben und helfen kann. Ists nicht Geld, so 
ists eine kleine Handreichung, eine Hilfeleistung, ein 
Opfer an Zeit. Das Sprichwort „Zeit ist Geld“ ist 
wohl ein gefährlich Wort und es kann viel Mißbrauch 
damit getrieben werden; aber darin hat's jedenfalls 
Recht: bist du zu arm, um einem Kranken und Elenden 
eine Gabe an Geld und Geldeswerth zu geben, so 
hast du doch hie und da ein bischen Zeit für ihn, 
Wohllhätigkeit. 
Hebr. 13, 16: Wohlzuthun und 
mitzuteilen vergesset nicht, denn 
⸗ z) solche Opfer gefallen Gott wohl. 
8 ine christliche Familie ist eine arbeitende Familie 
— davon war zuletzt die Rede. Eine arbeitende 
— Familie ist aber zugleich eine gebende und 
mineilende Familie, davon haben wir heute zu handeln. 
Beides, Arbeiten und Geben hat ja der Apostel ein 
für allemal mit einauder verbunden in dem Wort 
Eph. 4, 28: „Er arbeite und schaffe mit den Händen 
etwas Gutes, auf daß er habe zu geben den Dürftigen.“ 
Hier ist klar und deutlich beides zusammengefügt, und 
es gilt demgemäß auch vom Arbeiten und Wohlthun: 
„Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch 
nicht scheiden“ Und doch wird dies oft geschieden, 
so unchristlich und unbrüderlich. „Ich muß selber erst 
verdienen, was ich brauche,“ heißt es bei manchem, 
„ich habe nichts für andere übrig. Soll ich mirs 
sauer werden lassen, damit andere die Frucht genießen? 
Mit nichten, die sollen selber arbeiten und sparen, so 
haben sie auch etwas. Was ich verdient habe mit 
meiner Arbeit, das habe ich mir verdient und hat 
niemand ein Recht daran als ich allein.“ Wie? 
wirklich niemnand? Auch dein Gott und Heiland nicht? 
Wem verdankst du es denn, daß du Gaben und Ge— 
schicklichkeit und gesunde Sinnen zum Arbeiten hast, 
Kräfte und gesunde Glieder zur Thätigkeit? Wem 
verdankst du es, daß du nicht, wie so manche andere, 
geistig oder körperlich schwach, zur Arbeit ganz oder 
nahezu untüchtig bist? Ist das etwa dein eigen 
Werk? Was hast du, das du nicht empfangen hast? 
So du es aber empfangen hast, was rühmest und 
geberdest du dich denn, als der es nicht empfangen 
hätte? Und wer erhält dich denn immer noch von 
Tag zu Tag gesund und bei guter Kraft, so daß du 
deine Tagesarbeit ununterbrochen ausüben kannst? 
Wer führt dir immer wieder die Arbeit zu, daß du 
nicht nur mit der größten Mühe notdürftige Be— 
schäftigung findest, ja trotz aller Mühe vergeblich 
danach suchen mußt? Siehe, lieber Mensch, das alles 
verdankst du einzig und allein der freien, unverdienten 
Gnade und Barmherzigkeit deines Gottes und Heilandes. 
Dein Beruf, deine Arbeitskraft ist sein Ackerfeld; was 
du verdienst und erwirbst, ist die Frucht dessen, was 
er an Gaben und Kräften in dich gesäet hat. Und nun 
kommt er und will nicht den ganzen Ertrag, sondern 
nur einen Teil davon für sich. Ist er noch nie bei 
dir gewesen? Hat er noch nie an deine Thür geklopft?
	        
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