Full text: Evangelisches Wochenblatt (28.1901)

Wilhelm wollte die Stube verlassen. Da rief der 
Vater ihn noch einmal zurück, streckte ihm die Hand hin 
und sagte mit zitternder Stimme: „'s war Eigensinn von 
mir, aber böf' hab' ich's nimmer gemeint, und einen 
Sohn hab' ich, einen braben Sohn, wie ich ihn andern 
Vätern nur wünschen will. Das kannst Dir vorfagen, 
wenn Du jetzt ins Feld gehst.“ 
Anna Gabler war nicht wenig erstaunt, als eine 
Stunde später der Bauer Veit ihr Haus betrat. Sie 
hatte grade gesorgt, daß die Mutter im Garten zu sitzen 
tam, und wollte ihrer häuslichen Arbeit nachgehen. 
„Mutter ist draußen“, sagte sie. 
„Laß sie nur, Anna! Für's Erste hab' ich mit Dir 
zu reden, und dann wohl mit der Mutter. Komm, setzen 
wir uns, denn mein Bein ist noch immer nicht in Ord— 
nung.“ 
Anna bot ihm einen Stuhl, setzte sich und blickte den 
Bauer halb voll Angst, halb voll Erwartung an. Was 
würde es wohl wieder geben? 
„Siehst, Anna“, poltert der Bauer los, um seine 
Bewegung zu verbergen, „so muß es kommen! 's ist noch 
nicht lange her, da kam ich und sagte Dir, ich wollt's 
nun und nimmermehr, daß mein Sohn Dich zur Frau 
nehmen sollt', und heute komm' ich und bitte — — nicht 
daß mein Sohn Dich zur Frau nimmt — denn siehst, 
meinen Willen muß ich behalten — sondern, daß Du ihn 
zum Manne und mich zum Vater nehmen möchtest. Und 
ich bitt' Dich, mach' mir's nicht schwer, daß ich — ein 
schlechter Vater gewesen! Ich will's anders machen in 
Zukunft. Nimmer, Anna, nimmer sollst sagen dürfen, 
daß Du am Bauer Veit einen schlechten Vater hast. 
's wär' wohl mehr nach meines Sohnes Herzen gewesen, 
wenn er selber hätt' kommen können und dich bitten, sein 
Weib zu werden, aber, weil sein Alter — gar so quer— 
köpfig gewesen ist, meint' er, sein Kommen würd' ihm 
nichts nützen. Da bin ich hergehumpelt als Einer, der 
bittet, und ich hoff', Anna, ich darf gehen als Einer, der 
genommen hat.“ 
Anna saß ganz still. Ueber ihre Wangen rannen große 
Thränen, die ihr das Glück erpreßte. 
Unruhig blickte der Bauer sie an. Er wußte nicht 
recht, was er denken sollte. Da beugte sie sich plötzlich 
zu ihm hin, faßte seine Hände und sagte leise: „Vater, 
lieber Vater!“ 
Der Bauer Veit sprang auf, als sei er ein Jüngling. 
„Anna!“ rief er, faßte den blonden Kopf des Mäd— 
chens zwischen seine Hände, und drückte einen Kuß auf 
ihre Stirn, „Anna, so muß es kommen! Gott sei's ge— 
dankt!“ 
Es war wohl selten ein so glücklicheres Brautpaar zu 
finden, wie Wilhelm Veit und Anna Gabler. Bald waren 
sie ein glückliches Ehepaar. 
Frau Gabler wollte im Witwenhaus bleiben, doch 
das hattie der Bauer Veit nicht zugegeben. 
Er sagte: „Wenn der Wilhelm seinen Vater im Hause 
behält, dann soll auch die Anna ihre Mutter drin haben. 
Frau Mutter“, fügte er hinzu, „ich baue hinten im 
Garten ein kleines Haus für uns Alte. Dann können 
die jungen Leute allein die Wirtschaft führen und müssen 
blos dafür sorgen, daß wir Alten nicht verhungern. — 
Ja, ja, so muß es kommen!“ 
Die 54. Hauptversammlung 
des Gustav Adolf VYereins in Köln 
I.-3. Oktober). 
(Fortsetzung.) 
An die Festpredigt schloß sich die Ueberreichung einer 
großen Anzaähl von zum gottesdienstlichen Gebrauch be— 
339 
— 
timmten Gefäßen durch Pfarrer Rebensburg. Geber sind 
die Gustav Adolf-Frauenvereine zu Köln, Düsseldorf,. 
M.-Gladbach, Krefeld u. a. Andere Frauenvereine haben 
zur Beschaffung von Abendmahlsgeräten die Summe von 
2500 Mart zusammengelegt. Auch vom Jünglingsverein, 
dem evangel. Arbeiterverein, dem evangel. Bürgerverein 
zu Köln sind Schenkungen gemacht worden. Namens des 
Centralvorstandes sprach Generalsuperintendent Hesekiel 
von Posen herzliche Dankesworte. 
Und nun gings unmittelbar zu hellen Haufen hin 
zur ersten volkstümlichen öffentlichen Versammlung im 
zroßen Saale des Gürzenich. Die Kontrolle war streng, 
denn nur besondere Karten verstatteten den Eintritt, aber 
in kurzer Frist war der 1800 Sitzplätze umfassende 
Saal und die Gallerien derart überfüllt, daß jeder sich 
reute, der noch ein Plätzchen erhaschen konnte. Auch der 
Regierungspräsident von Balan, der Oberbürgermeister 
Becker und der Polizeipräsident Weegmann hatten mit am 
Vorstandstische Platz genommen. Auf das, was kommen 
'ollte, durfte man zumal nach den Osnabrücker Vor— 
Jängen sehr gespannt sein, und noch nie haben wir unser 
Schutz- und Trutzlied: „Eine feste Burg“, das stehend ge— 
ungen wurde, von einer so großen Zahl der Glaubens— 
genossen, mit einer so brausenden Macht, so viel innerer 
Begeisterung emporsteigen gehört. Nur einiges sei kurz 
aus der Fülle gehaltvoller Ansprachen, die sich, wenn auch 
manches Salzkorn des Humors nicht fehlte, selbstverständ⸗ 
lich alle auf vornehmer Höhe hielten, hervorgehoben. 
Superintendent Terlinden begrüßte die Anwesenden, auch 
die, die etwa gekommen waren, um einmal den Ton, der 
auf solchen evangelischen Versammlungen herrsche, kennen 
zu lernen. Er machte sich die Worte eines Kölner 
Redners in Osnabrück zu eigen: „Wir tagen im Geiste 
der Liebe gegen den Nächsten, der Achtung gegen die 
Andersgesinnten“, fügte aber nachdrücklich das Heilands— 
wort hinzu: „So ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr 
es thut.“ Wie es dem großen Schwedenkövnige selbst ging, 
der sich selbst vom Papst Urban VIII. freundliche Aner— 
kennung erzwang, so geht es hoffentlich auch hier dem 
Bustav Adolf-Verein. Er kennt keine Kirche, durch die 
nan ausschließlich selig werden kann, sondern sieht in der 
Trennung der christlichen Kirchen vielmehr den Antrieb 
zu ehrlichem Wettbewerb. Das deutsche Reich werde stark 
zenug sein, den Frieden, auch den konfessionellen Frieden 
in seinen Grenzen zu bewahren, trotz der neuerlich aus— 
zegebenen Parole von einem sogenannten neuen Kultur— 
ampf. Der Redner schloß mit einem begeistert nach— 
sjallenden Hoch auf den Kaiser. — Dann sprachen als 
Vertreter der Behörden der Vizepräsident des Evang. 
Oberkirchenrats, Propst v. d. Golß, der im Gustav Adolf⸗ 
Verein zugleich den besten Bahnbrecher für eine engere 
Verbrüderung der evangel. Landeskirche erblickte, Regie— 
rungspräsident v. Balan, der ausdrücklich erklärte, daß 
auch die Staatsregierung der Mitarbeit des Vereins nicht 
entbehren könne, der Oberbürgermeister Becker brachte 
einen freundlichen Willkommengruß, der Generalfuper— 
intendent Umbeck gab der Zuversicht Ausdruck, daß wir 
die Tagung in demselben guten Frieden mit den katho— 
lischen Mitchristen, wie wir sie begonnen, auch vollenden 
würden; Professor Dr. Sachsse aus Bonn überbrachte die 
Grüße der dortigen evangelisch-theologischen Fakultät; 
zuletzt sprach der Vorsitzende des Centralvorstandes, Geh. 
Kirchenrat Paut, mit feinstem Humor und schloß mit den 
Worten: „Mögen die Kölner Tage in uns allen das 
zwiefache Gelübde zeitigen: Treu im evangelischen Glau— 
ben bis zum Sterben und treu in Gutesthun gegen jeder— 
mann, allermeist aber gegen unsere Glaubensgenossen.“ 
— Nach wohlverdienter halbstündiger Pause wurde der 
zweite Teil der Abendversammlung durch mit gleich un—
	        
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