Wilhelm wollte die Stube verlassen. Da rief der
Vater ihn noch einmal zurück, streckte ihm die Hand hin
und sagte mit zitternder Stimme: „'s war Eigensinn von
mir, aber böf' hab' ich's nimmer gemeint, und einen
Sohn hab' ich, einen braben Sohn, wie ich ihn andern
Vätern nur wünschen will. Das kannst Dir vorfagen,
wenn Du jetzt ins Feld gehst.“
Anna Gabler war nicht wenig erstaunt, als eine
Stunde später der Bauer Veit ihr Haus betrat. Sie
hatte grade gesorgt, daß die Mutter im Garten zu sitzen
tam, und wollte ihrer häuslichen Arbeit nachgehen.
„Mutter ist draußen“, sagte sie.
„Laß sie nur, Anna! Für's Erste hab' ich mit Dir
zu reden, und dann wohl mit der Mutter. Komm, setzen
wir uns, denn mein Bein ist noch immer nicht in Ord—
nung.“
Anna bot ihm einen Stuhl, setzte sich und blickte den
Bauer halb voll Angst, halb voll Erwartung an. Was
würde es wohl wieder geben?
„Siehst, Anna“, poltert der Bauer los, um seine
Bewegung zu verbergen, „so muß es kommen! 's ist noch
nicht lange her, da kam ich und sagte Dir, ich wollt's
nun und nimmermehr, daß mein Sohn Dich zur Frau
nehmen sollt', und heute komm' ich und bitte — — nicht
daß mein Sohn Dich zur Frau nimmt — denn siehst,
meinen Willen muß ich behalten — sondern, daß Du ihn
zum Manne und mich zum Vater nehmen möchtest. Und
ich bitt' Dich, mach' mir's nicht schwer, daß ich — ein
schlechter Vater gewesen! Ich will's anders machen in
Zukunft. Nimmer, Anna, nimmer sollst sagen dürfen,
daß Du am Bauer Veit einen schlechten Vater hast.
's wär' wohl mehr nach meines Sohnes Herzen gewesen,
wenn er selber hätt' kommen können und dich bitten, sein
Weib zu werden, aber, weil sein Alter — gar so quer—
köpfig gewesen ist, meint' er, sein Kommen würd' ihm
nichts nützen. Da bin ich hergehumpelt als Einer, der
bittet, und ich hoff', Anna, ich darf gehen als Einer, der
genommen hat.“
Anna saß ganz still. Ueber ihre Wangen rannen große
Thränen, die ihr das Glück erpreßte.
Unruhig blickte der Bauer sie an. Er wußte nicht
recht, was er denken sollte. Da beugte sie sich plötzlich
zu ihm hin, faßte seine Hände und sagte leise: „Vater,
lieber Vater!“
Der Bauer Veit sprang auf, als sei er ein Jüngling.
„Anna!“ rief er, faßte den blonden Kopf des Mäd—
chens zwischen seine Hände, und drückte einen Kuß auf
ihre Stirn, „Anna, so muß es kommen! Gott sei's ge—
dankt!“
Es war wohl selten ein so glücklicheres Brautpaar zu
finden, wie Wilhelm Veit und Anna Gabler. Bald waren
sie ein glückliches Ehepaar.
Frau Gabler wollte im Witwenhaus bleiben, doch
das hattie der Bauer Veit nicht zugegeben.
Er sagte: „Wenn der Wilhelm seinen Vater im Hause
behält, dann soll auch die Anna ihre Mutter drin haben.
Frau Mutter“, fügte er hinzu, „ich baue hinten im
Garten ein kleines Haus für uns Alte. Dann können
die jungen Leute allein die Wirtschaft führen und müssen
blos dafür sorgen, daß wir Alten nicht verhungern. —
Ja, ja, so muß es kommen!“
Die 54. Hauptversammlung
des Gustav Adolf VYereins in Köln
I.-3. Oktober).
(Fortsetzung.)
An die Festpredigt schloß sich die Ueberreichung einer
großen Anzaähl von zum gottesdienstlichen Gebrauch be—
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—
timmten Gefäßen durch Pfarrer Rebensburg. Geber sind
die Gustav Adolf-Frauenvereine zu Köln, Düsseldorf,.
M.-Gladbach, Krefeld u. a. Andere Frauenvereine haben
zur Beschaffung von Abendmahlsgeräten die Summe von
2500 Mart zusammengelegt. Auch vom Jünglingsverein,
dem evangel. Arbeiterverein, dem evangel. Bürgerverein
zu Köln sind Schenkungen gemacht worden. Namens des
Centralvorstandes sprach Generalsuperintendent Hesekiel
von Posen herzliche Dankesworte.
Und nun gings unmittelbar zu hellen Haufen hin
zur ersten volkstümlichen öffentlichen Versammlung im
zroßen Saale des Gürzenich. Die Kontrolle war streng,
denn nur besondere Karten verstatteten den Eintritt, aber
in kurzer Frist war der 1800 Sitzplätze umfassende
Saal und die Gallerien derart überfüllt, daß jeder sich
reute, der noch ein Plätzchen erhaschen konnte. Auch der
Regierungspräsident von Balan, der Oberbürgermeister
Becker und der Polizeipräsident Weegmann hatten mit am
Vorstandstische Platz genommen. Auf das, was kommen
'ollte, durfte man zumal nach den Osnabrücker Vor—
Jängen sehr gespannt sein, und noch nie haben wir unser
Schutz- und Trutzlied: „Eine feste Burg“, das stehend ge—
ungen wurde, von einer so großen Zahl der Glaubens—
genossen, mit einer so brausenden Macht, so viel innerer
Begeisterung emporsteigen gehört. Nur einiges sei kurz
aus der Fülle gehaltvoller Ansprachen, die sich, wenn auch
manches Salzkorn des Humors nicht fehlte, selbstverständ⸗
lich alle auf vornehmer Höhe hielten, hervorgehoben.
Superintendent Terlinden begrüßte die Anwesenden, auch
die, die etwa gekommen waren, um einmal den Ton, der
auf solchen evangelischen Versammlungen herrsche, kennen
zu lernen. Er machte sich die Worte eines Kölner
Redners in Osnabrück zu eigen: „Wir tagen im Geiste
der Liebe gegen den Nächsten, der Achtung gegen die
Andersgesinnten“, fügte aber nachdrücklich das Heilands—
wort hinzu: „So ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr
es thut.“ Wie es dem großen Schwedenkövnige selbst ging,
der sich selbst vom Papst Urban VIII. freundliche Aner—
kennung erzwang, so geht es hoffentlich auch hier dem
Bustav Adolf-Verein. Er kennt keine Kirche, durch die
nan ausschließlich selig werden kann, sondern sieht in der
Trennung der christlichen Kirchen vielmehr den Antrieb
zu ehrlichem Wettbewerb. Das deutsche Reich werde stark
zenug sein, den Frieden, auch den konfessionellen Frieden
in seinen Grenzen zu bewahren, trotz der neuerlich aus—
zegebenen Parole von einem sogenannten neuen Kultur—
ampf. Der Redner schloß mit einem begeistert nach—
sjallenden Hoch auf den Kaiser. — Dann sprachen als
Vertreter der Behörden der Vizepräsident des Evang.
Oberkirchenrats, Propst v. d. Golß, der im Gustav Adolf⸗
Verein zugleich den besten Bahnbrecher für eine engere
Verbrüderung der evangel. Landeskirche erblickte, Regie—
rungspräsident v. Balan, der ausdrücklich erklärte, daß
auch die Staatsregierung der Mitarbeit des Vereins nicht
entbehren könne, der Oberbürgermeister Becker brachte
einen freundlichen Willkommengruß, der Generalfuper—
intendent Umbeck gab der Zuversicht Ausdruck, daß wir
die Tagung in demselben guten Frieden mit den katho—
lischen Mitchristen, wie wir sie begonnen, auch vollenden
würden; Professor Dr. Sachsse aus Bonn überbrachte die
Grüße der dortigen evangelisch-theologischen Fakultät;
zuletzt sprach der Vorsitzende des Centralvorstandes, Geh.
Kirchenrat Paut, mit feinstem Humor und schloß mit den
Worten: „Mögen die Kölner Tage in uns allen das
zwiefache Gelübde zeitigen: Treu im evangelischen Glau—
ben bis zum Sterben und treu in Gutesthun gegen jeder—
mann, allermeist aber gegen unsere Glaubensgenossen.“
— Nach wohlverdienter halbstündiger Pause wurde der
zweite Teil der Abendversammlung durch mit gleich un—