Full text: Evangelisches Wochenblatt (28.1901)

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Zum Jahresanfang. 
Ps. 62, 2, 3: Meine Seele ist stille 
zu Gott, der mir hilft, denn er ist 
mein Hort, meine Hülfe, mein Schutz. 
Ein Jahr geht hin, das andre kommt; 
Nur Eines bleibt und stehet fest, 
Und das ist eins, das ewig frommt, 
Daß Gott die Seinen nicht verläßt. 
Das Jahr wird alt, das Jahr wird neu: 
Gott aber ist stets neu und alt, 
Neu in der Lieb', alt in der Treu, 
Laßt uns auch leben dergestalt 
58 diesen Worten eines alten Liedes be— 
äö— grüßen wir das neubegonnene Jahr und 
C rufen einander zu: Gott zum Gruß und 
den Herrn Jesum zum Troste. Es ist und bleibt ja 
wahr: Mit Gott hör' auf, mit Gott fang an, das ist 
die beste Lebensbahn. Doch was heißt das: WMeit 
Gott aufhören und mit Gott anfangen? Nun gewiß, 
Gott den Herrn Himmels und der Erde, der da war, 
der da ist und der da sein wird, den ewig treuen 
Gott, mit hinübernehmen aus dem alten ins neue 
Jahr, auf Ihn, der uns bisher geholfen hat, auch für 
die Zukunft unser Vertrauen setzen und vom ganzen 
Herzen sprechen: Meine Seele ist stille zu Gott. 
Das soll die Losung sein, Licht auf unserm Wege, 
Trost im Leiden, Kraft im Leben, Heil im Sterben. 
Unser Psalmwort ist ein Wort aus Herz und 
Mund des königlichen Sängers, welcher in seinen 
Lebensschicksalen des Lebens Höhen und Tiefen reichlich 
durchgemessen hat und zu der Erkenntnis gekommen 
ist, die das Fundament seines Lebens ausmacht, daß 
der Mensch, auch die großen Leute und die mensch— 
lichen Güter und Mittel nichtig sein. Er hat gelernt, 
nicht auf Menschen, nicht auf Gewalt, nicht auf 
Reichtum sein Vertrauen zu setzen. Tausendfach haben 
diese seine Gedanken durchkreuzt, und gerade das, 
worauf er am meisten gebaut, hat ihn im Stiche ge— 
lassen. So hat die Schule der Erfahrung ihn gelehtt, 
was in allen seinen Psalmen immer wieder durch— 
klingt: „auf Gott allein, so soll es sein. Er ist der 
rechte Hort. Wer auf ihn baut, auf ihn nur traut, 
ist selig hier und dort.“ 
Mödte es doch auch bei uns so sein. Wir sind 
freilich sehr geneigt, Gott den Himmel zu lassen und 
uns die Erde anzumaßen und das alte Wort der 
Väter zu vergessen, daß an Gottes Segen alles gelegen 
ist. Wir pflegen zu viel von menschlichen Kräfien 
und Mitteln zu halten und zu wenig daran zu denken, 
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1. 
daß der Weg unseres Lebens in doppeltem Beleise 
fahren muß: Menschliches Thun muß göttlichen Segen 
haben, irdisches Beginnen göttliches Gelingen. 
Da müssen wir denn in der Schule des Lebens 
immer erfahren, daß auf allen Lebensgebieten unserm 
Thun bestimmte Schranken gesetzt sind, die uns ein 
lautes Halt zurufen: bis hierher und nicht weiter. 
Tausendfache Demütigungen werden uns zu Teil, die 
uns lehren, die Grenze unseres Vermögens inne zu 
halten und was darüber hinausliegt, von Gott zu er⸗ 
warten. Und erst dann, wenn wir gelernt haben, daß 
all unser Sorgen uns nicht hilft, daß all unser Thun 
eitel ist, daß all unsere Arbeit trüglich ist, wenn 
Gott nicht unsere Hilfe und Kraft ist, erst dann 
lernen wir sagen: Meine Seele ist stille zu Gott, der 
mir hilft. 
„Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen. 
Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein.“ 
Stille sein zu Gott hat nichts zu thun mit der 
energielosen Willensschlaffheit, in der man die Hände 
in den Schoß legt und läßt die Dinge gehen, wie sie 
gehen. O nein — es setzt voraus Willenskraft, Fleiß, 
Berufstreue, Arbeitslust und Freudigkeit, den Willen 
Bottes zu thun, alltäglich wieder sein Werk mit frischen 
Händen anzugreifen, aber dabei und in alle dem 
richtet das Herz sich hinmmelwärts und spricht: die 
Hülfe muß von oben kommen. 
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Lebensenergie, die den Mut der Demut hat, die eigene 
Schwachheit zu bekennen und sich an die Kraft zu 
halten, die gerade in dieser Schwachheit mächtig, ist, 
— das ist geduldiges Harren und Warten, bis die 
Stunde kommt, auf die man lange gehofft hat, für 
die der Herr der Ewigkeit aber noch keine Zeit gehabt 
hat, — das ist nie murrendes, immer zufriedenes 
Aushalten auch unter schwerem Druck, bis die 
Spannung nachläßt, wie Gott schon längst es vorge— 
sehen hat. Stille sein zu Gott ist volles unbedingtes 
Vertrauen unter Ausschluß alles Mißtrauens, als 
könne oder wolle Gott nicht alles zum Besten wenden. 
Es ist nur in dem Maße in uns da und kräftiq, als 
wir Herren geworden sind unserer Eigenwilligkeit, 
unserer Ungeduld, der Vorgreiflichkeit, in der wir alles 
selbst gestalten wollen, und der Ichheit, in der wir 
uns von Gott lösen. 
Der Jahresanfang liegt dunkel vor uns. Aber 
aus der Erfahrung wissen wir, daß es Mühe und 
Arbeit, Leid und Thränen uns bringen wird, Stunden 
und Tage, in denen unser äußeres und inneres Leben
	        
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