Full text: Evangelisches Wochenblatt (28.1901)

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Saarbrücken, den 18. August IMOI. 
i j h es möglich, daß ihr das Gute wollen und vollbringen, daß 
Schaffet. daß ihr selig werdet! ihr überhaupt selig werden könnt. Aber die Gnade ist 
kein Ruhekissen, sondern ein Heilung und Leben sprudeln— 
der Born, aus dem man täglich schöpfen und trinken 
muß. Sie muß mit Furcht und Zittern gesucht werden. 
Dadurch schaffen wir unsere Seligkeit. 
Um des Ernstes dieser höchsten Lebensfrage willen 
müssen wir die Gnade mit Furcht und Zittern suchen. 
Das sagt dem natürlichen Herzen freilich nicht zu, das ist 
ihm unbequem, aber es muß dennoch sein. Das, was 
einem unbequem ist, ist oft am nötigsten. Schon der erste 
Bang der Seele an die Quelle der Gnade ist mit heiliger 
Furcht, mit heiligem Beben des Herzens verbunden. Denn 
Bottes Thron ist heilig, und wir sind sündig, und gerade 
wenn wir in der Erkenntnis unserer Sünde und Schuld 
die vergebende Gnade suchen, da geht durch die Seele jenes 
Zittern der Buße, welches der Widerhall ist von der Er— 
schütterung der Grundfesten der eigenen Gerechtigkeit. 
Auf Furcht und Zittern des Sünders folgt dann das 
Jauchzen des Kindes, welches jubiliert: „mir ist Er— 
harmung widerfahren“. — Doch der Apostel redet zu 
olchen, die bereits in der Erfahrung der Gnade stehen. 
Ihnen gilt das „mit Furcht und Zittern“ auch und in 
hesonderem Sinn und Maß. Muß auch bei einem rechten 
Thristenmenschen die Freude darüber, „daß ich einen 
Heiland habe, der vom Kripplein bis zum Grabe, ja zum 
Thron, da man ihn ehret, mir, dem Sünder, zugehöret“ 
den Hauptzug seines Wesens bilden, so wird doch in Rück— 
erinnerung daran, daß die Sünde den dunkeln Hinter— 
zrund seines Lebens bildet, in die Freude jene göͤttliche 
Traurigkeit harmonisch hineinklingen, von welcher 
Petrus beseelt war, als der Herr am galiläischen Meer 
den gefallenen, aber wieder aufgerichtelen Jünger drei— 
mal fragte: hast du mich lieb? Unser Wandel soll ja vor 
dem Herrn geschehen. Das ist Veranlassung zu seliger 
Freude, aber auch zum Zittern und Beben, da sein all— 
durchdringendes Auge nicht blos auf uns herab-, sondern 
auch in uns hineinsieht, und sein auch das geringste Ver— 
sehen strafender Blick uns jede Untreue gegen ihn zum 
Bewußtsein bringt. Alle neue Sündenerkenntnis aber 
virkt nicht blos aufs neue Furcht und Zittern vor dem 
Herrn um der Seele Heil und Seligkeit, sondern treibt 
auch aufs neue an, die Gnade zu suchen, welche vergiebt 
und heilt, heiligt und stärkt. Nicht umsonst hat unser 
großer Glaubensmann M. Luther, der vor Kaiser und 
Reich so mutig gestanden, manchmal zitternd und bebend 
vor seinem Gott im Staub auf den Knieen gelegen und 
gerungen, bis er wieder zum Halleluja der Gotteskinder 
hindurchgedrungen war. — Schaffet, daß ihr selio 
— 
bäglich neu auf die freie Gnade Gottes gründet! Amen 
Venn auf dem Krankenbett die irdische Arbeit auf⸗ 
J.J hört, dann heißt es um so mehr: schaffet, daß 
.M ihr selig werdet! Das ist auch eine Arbeit, und 
zwar eine sehr wichtige. Gott schickt uns die 
Krankheit hauptsächlich zu diesem Zweck, da wir uns an 
gesunden Tagen zu wenig Zeit für diese Arbeit nehmen. 
Er kommt unsrer Schwaächheit auch dadurch zu Hilfe, daß 
er uns den Sonntag zur Verrichtung dieser wichtigen 
Arbeit gegeben hat, weil wir sie an den Werktagen zu 
wenig treiben. Heute läßt er uns nun mit besonderer 
Eindringlichkeit zurufen: Schaffet, daß ihr selig werdet. 
nit Furcht und Zittern! 
Mit diesem Wort stellt er uns mit großem Ernst vor 
die höchste Lebensfrage. Ist das nicht unnötig? Die 
Gemeinde in Philippi war wohl die beste unter sämtlichen 
apostolischen Gemeinden, und dennoch schreibt der Apostel 
an sie jenes ernste Mahnwort. Da wird's ja wohl für 
uns mindestens auch nicht unnötig sein. Der irdische 
Sinn, der uns mehr oder weniger anklebt und träge 
macht, ist eine ungeheure Macht im Menschenherzen, gegen 
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kommt leicht, ehe wir es uns versehen, Gleichgiltigkeit und 
Rückgang des innern Lebens. Und gerade wenn man 
lange Jahre dasWort Gottes sozusagen im Ueberfluß hat, 
kann eine gewisse falsche Sicherheit aufkommen, in der 
man denkt: uns kann's nicht fehlen, wir haben es ja! Da 
kann dann der Feind leicht im Herzen festen Fuß fassen 
und die Seele um ihr Heil, um ihre Krone bringen. Des— 
jalb ist so ein apostolischer Weckruf an uns alle ganz gut, 
ja wir müssen sogar dafür dankbar sein, daß der große 
Erzhirte heute denselben an uns ergehen läßt. Mit 
diesem Weckruf: „schaffet, daß ihr selig werdet!“ werden 
vir persönlich angefaßt; es wird uns damit die Verant— 
wortung für unsere Seligkeit ins Gewissen geschoben. Es 
liegt ja freilich in erster Linie nicht an Jemandes Laufen, 
nicht an unserm eigenen Thun, sondern an Gottes Er— 
barmen. Aber mit dem Wort: „schaffet, daß ihr selig 
verdet!“ wird die Gnade nicht entthront, ihre Bedeuiung 
nicht herabgesetzt, sondern nur uns die Verantwortung 
dafür aufs Gewissen gebunden, wie wir die angebotene, 
die geschenkte Gnade benützen. Der Apostel läßt der von 
ihm so tief erfahrenen und so hingebend verkündeten 
Gnade Gottes in Christo Jesu ihr volles Recht: „Gott ist 
es, der in euch wirket beides, das Wollen und Vollbringen, 
rach seinem Wohlgefallen“. die Gnade Gottes allein macht
	        
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