Full text: Evangelisches Wochenblatt (28.1901)

* 
„Und der Ferdinand ist gefunden und du hast wirklich 
einen Auftrag?“ 
„Ach Unsinn! Der würde mir auch zuletzt einen solchen 
geben! Ich benutze nur die günstige Gelegenheit, die 
Mutter auszunutzen, ehe ein anderer kommt, der wirklich 
Bescheid weiß und will — wenn möglich — eine Aus— 
söhnung des Ausreißers mit der Familie verhindern, da 
ch durch Zufall erfahren habe, daß er noch lebt.“ 
Karl!“ 
„Fritz, bitte ich mir aus. Und nun hast du durch dein 
dummes Gefrage wirklich mal wieder viel mehr erfahren, 
als du erfahren solltest.“ Der Sohn stampfte ärgerlich 
mit dem Fuß, nahm dann sein Notizbuch aus der Tasche 
und begann, sie überzählend, eine ganze Reihe Hundert— 
markscheine durch die Finger gleiten zu lassen, dann legte 
er einen davon für seine Mutter, die ihm mit schmerz— 
lichen, finsteren Blicken zugesehen hatte, auf den Tisch. 
„Nun stecke mir schnell von dem Eßbaren hier, was sich 
einpacken läßt, in meine Tasche, und dann leb' wohl, 
Mutter. Du hast mich doch verstanden?“ 
Die alte Frau antwortete nicht. 
„Nun, schaden kannst du mir auch doch nicht“, fuhr 
der unkindliche Sohn fort, „dazu ist alles zu fein an— 
gelegt und dein Vorteil ist's, wenn du mir folgst.“ Er 
wandte sich, der Mutter die Reisetasche aus der Hand 
nehmend, der Thüre zu: 
„Soll ich den andern grüßen?“ 
„Thu', was du willst — ich habe ja keine Gewalt 
über dich.“ 
„Hahahaha!“ Der Sohn verließ lachend das Haus, 
und nachdem die Mutter ihren Hunger gestillt, blieb sie 
lange in stummem Brüten vor dem Tische sitzen und ließ 
ihre Gedanken, die sich wegen der ungeraltenen Söhne 
untereinander verklagten und entschuldigten, an ihrem 
Beiste vorüberziehen. — — — 
V. 
In einem amerikanischen Krankenhause, bleich und 
nüde in die Kissen zurückgelehnt, lag ein junger Mann, 
der die Verwandtschaft mit der Schlosserwitwe Peters 
in Rastburg in seinem Aeußeren nicht hätte verleugnen 
können. Dieselbe breite Stirn wölbte sich über ein paar 
ernsten blauen Augen, eine leicht gebogene Nase neigtie 
sich ein wenig über den nicht unschönen Mund und ein 
energisch vorspringendes Kinn, mit tiefem Grübchen in 
der Mitte, gab dem Ganzen eine wohlthuende Festigkeit. 
Aber während die Mutter bisher mit Adlerblick, was sie 
für ihr Recht und ihre Pflicht hielt, zu erkennen gesucht 
und darnach gehandelt hatte, schien der Sohn tief erfchöpft 
bon dem Kampfe mit dem Leben. Ein deutsch redender 
Prediger saß neben dem Lager des Kranken und bemühte 
sich, seine scheinbar eingeschlummerte Willenskraft neu zu 
beleben, indem er ihn auf Reichgottesziele hinwies, damit, 
wie er sagte, sein Leben einen lebenswerten Inhalt erlange 
und er wieder fröhlich hinaustreten könne unter die Men— 
schen in der Welt, wenn sein gebrochenes Bein, wozu ja 
die beste Aussicht wäre, wieder geheilt sein würde. 
„Es nützt Alles nicht, Herr Pastor“, sagte Ferdinand 
Peters, mit trübem Blick auf die Baumwipfel blickend, 
die durch die geöffneten Fenster hineinzunicken schienen in 
das kärglich ausgestattele Zimmer, als wenn sie sagen 
wollten: „Laß du nur alle Sorgen hinter dir, wenn du 
erst wieder in's Freie gehen kannst, dann wirst du auch 
wieder fröhlich.“ 
„Sind Sie denn meinen Ausführungen auch mit 
Ihren Gedanken gefolgt?“ fragte der Geistliche, „ich ver— 
stehe eigentlich Ihre Mutlosigkeit nicht!“ 
„Ich meine“, entgegnete der Leidende, „alle Ihre guten 
Ratschläge, Herr Pastor, können mir nichts nuüken. denn 
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es ruht, trotz aller Erfolge, die ich in meiner Laufbahn 
gehabt habe, ein Bann auf mir.“ 
„Wieso? Warum denn?“ 
„Ich habe meine Eltern heimlich verlassen, um See— 
mann zu werden. Mein Vater hat mich verflucht und 
meine Mutter will nichts mehr von mir wissen.“ 
„Haben Sie denn nicht reumütig um Verzeihung ge 
beten?“ 
„Ich habe das schon vor neun Jahren gethan. Ein 
gewisser Karl Schmidt, der sehr viel mit dazu beigetragen 
hat, daß ich fort ging von meinen Eltern, hat damals den 
Brief mit in die Heimat genommen und mir die Nach— 
richt mitgebracht, der Brief wäre zurückgewiesen worden.“ 
„Ist dem Menschen auch zu trauen? Die Sache er— 
scheint mir gar zu unnatürlich.“ 
„Ach, mein Vater kann sehr, sehr heftig werden und 
meine Mutter ist von sehr festem Charakter. Was sie 
für gut und richtig hält, davon bringt sie nicht leich 
etwas ab.“ 
„Umso mehr würde ich denken, das große, erste Ge— 
fühl der mütterlichen Liebe könnte durch Vorkommnisse 
im Leben nicht verändert werden. — — Haben Sie nur 
diese eine Bitte um Verzeihung nach Hause gesandt?“ 
„Ich habe wohl etwas von dem Charakter meiner 
Eltern geerbt, denn, als ich die demütigende Zurück— 
weisung erfuhr, wallte es in Empörung des Herzens bei 
mir auf. Hatte denn mein Vater ein Recht, mich zu seinem 
Handwerk zu zwingen? Und mit welchem Rechte entzog 
mir meine Mutter für immer ihre Liebe?“ — 
„Was thaten Sie denn damals?“ 
„Ich warf mit mit aller Gewalt auf das Seemanns— 
wesen und da mein Kapitän mich lieb gewann und ich 
ihm gegen eine geplante Meuterei des Schiffsvolks bei— 
stehen konnte, so, daß wir die ganze Mannschaft in den 
Schiffsraum lockten und dort gefangen hielten, während 
ich mit dem Kapitän und dem ersten und zweiten Steuer. 
mann das Schiff zwei und einen halben Tag allein be— 
dienten, wurde er mir noch mehr zugethan. Er schickte 
mich auf eine Seemannsschule, nachdem die Angelegen— 
heit mit der Mannschaft sich in England zu unseren 
Bunsten entschieden hatte. — — — Ich machte meine 
Sache auf der Schule gut und der Kapitän nahm mick 
dann wieder in seine Dienste, denn er sagte: „ein braver 
Mann sei Goldes wert.“ — — Ach, ich war damals sehr 
stolz auf mein Können und wünschte nur immer, daß ein— 
mal Jemand aus Rastburg, meiner Heimat, an Bord 
täme und dann nachher meinen Eltern von meiner Tüch— 
tigkeit berichtete und davon, daß der Kapitän mich wi— 
einen eigenen Sohn halte.“ (Fortsetzung folgt.) 
Katholische PropagandaSchriften.*) 
Die Medaille am Halse, ein Bosco in der Westen 
tasche! so ist man versucht, ein Büchlein zu titulieren, 
welches als „Katholische Propaganda-Schrift Nr. 16* 
bei F. H. Le Roux u. Co. in Straßburg i. E. unter dem 
Titel „Goldstrahlen der wunderbaren Medaille“ er— 
schienen ist. 
Man könnte in unserer Zeit der Vorsicht, da das 
Kräutchen „Rührmichnichtan“ auf römischem Boden 
ebenso häufig ist wie das Blümchen „Vergißmeinnicht“ 
auf evangelischem Boden wünschenswert bleibt, fragen: 
was geht euch Evangelische dies Büchlein an? Freilick 
der Preis übertrifft seinen Inhalt um 10 Pfennia — 
*) Anm. d. Red. Die „St. Joh.-Saarbr. Volksztg. 
beschwert sich in Nr. 169 darüber, daß das kathol. Volk ir 
der ev. Bundesversammlung abergläubig genannt worden sei 
Mit Rücksicht darauf veröffentlichen wir nachstehenden uns aus 
unserem Leserkreise zugegangenen Arktikel—
	        
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