Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

Als er immer häufiger kam und immer höhere 
Prozente bot, wurde es selbst dem Ferkelstecher zu arg. 
„Mann“, herrschte er den Baner eines Tages an, 
„ist darin noch Siun und Verstand? Gtaubt Ihr denn, 
daß im nächsten Jahr auf Eurem Mist Gold statt 
Kartoffeln wachsen wird? Ja, wenn wenigstens Eure 
Felder von Mist noch etwas ordentliches zu spüren be— 
kämen, — aber bei der Lotterwirtschaft wächst nächstens 
auf Eurem ganzen Gute kein Halm Hafer mehr! Weun 
ich wollte, könnte ich Euch heut schon die Schlinge über 
dem Kopfe zusammenziehen! Rafft Euch, rafft Euch, 
und zwar schnell, hört Ihr? -, sonst wirds Ernst, und 
ich treibe Euch mit Weib und Kind von Haus und 
Hof. Ihr erhaltet keinen Groschen mehr von mir!“ 
Das waren bittere Worte für den stolzen Bauer. 
Fast wäre er aufgebraust, aber dazu war hier gar nicht 
der Ort. Der Mann, der so zu ihm sprach, gebot über 
glühende Zangen, und wenn es dem beliebte, ihn damit 
anzufassen, so mußte er einfach stillhalten. 
Deshalb hieß es, gute freundliche Miene zum bösen 
Spiel machen. Die Gemeindesteuern waren wieder fältig; 
moörgen kam der Schulze, um sie einzufordern, — schreck— 
lich, wenn Jürgen Buchholz hätte gestehen müssen: „Ich 
habe nichts!“ Der „kahle Kerl“ wäre fertig gewesen. 
Jürgen verlegte sich anfs Bitten und machte alle 
möglichen Versprechungen, bis ihm sein bisheriger Heifer 
zornig eine Hand voll Thaler hinwarf, indem er bei 
aͤllen höllischen Geistern schwur, das sei das Allerletzte, 
und wehe dem verlotterten Bauern, wenn er sich bei 
iim noch einmal sehen ließe anders, als mit einer an— 
sehnlichen Abschlagszahlung! 
Der Bauer ging diesmal nicht ins Wirtshaus. Er 
brauchte morgen jeden Groschen, um den Schulzen zu 
befriedigen. Dafür aber schwoll auf dem Heimwege 
sein Unmut zu einer Höhe an, welche derselbe bisher 
noch nicht erreicht hatte, und allerlei schwarze Gedanken 
durchwühlten sein Gehirn. 
Auch in den nächsten Tagen hielt diese Stimmung 
an, ja sie steigerte sich noch, und Zornausbruch folgte 
auf Zornausbruch aus den geringfügigsten Veranlassun— 
gen. Selbst der herben Ursel und dem dreisten Robert, 
dem doch Scheltworte, Püfse und Schläge nichts neues 
waren, wollte es unheimlich werden. 
Zu allem Unglück kam noch ein sehr wortreicher 
Holz- und Rohrhändler auf den Hof und wollte mit 
dem Bauern durchaus ein Geschäft machen. Er setzte 
demselben, auf die versackten Ställe und Scheunen mit 
den eingesunkenen Dächern hinweisend, in strömender 
Rede auseinander, hier müsse etwas ordentliches ge— 
schehen und zwar bald. Gerade jetzt sei das Holz enorm 
gesunken, und das Dachrohr könne er für den halben 
Preis geben. Der Bauer solle nur einmal anf die 
Lippen beißen und einen Griff in den Geldbeutel thun. 
„Seid klug, Bauer,“ hatte er unermüdlich wiederholt, 
„baut, baut, sonst kündigt Euch die Fenerversicherung 
am Ende noch die Police!“ 
Jürgen wußte den Auseinandersetzungen des Schwätzers 
nichts entgegenzustellen. Der Mann hatte ja durchaus 
recht. Um ihn loszuwerden, wies er ihn endlich grob 
vom Hofe. Der Haͤndler machte ein ganz verblüfftes 
Gesicht und ging. Im Kretscham erfuhr er freilich, daß 
er an einem Baume gerüttelt habe, von dem nichts 
mehr abzuschütteln war. 
Ju Jürgen tobte es immer ärger. Er sah nirgends 
mehr einen Ausweg. Die Feuerversicherung — ja, in 
einigen Monaten sollte die Police erneuert werden! Der 
Agent war ihm wenig gewogen. Wenn der die Glocke 
zog, wenn die Gesellschaft erklärte, solch zerfallene Ge— 
bäude künftig nicht mehr versichern zu wollen — was 
dann? 
Jürgen sprach, um sein Herz zu erleichtern, öfters 
halblaut vor sich hin. Auch in Gegenwart seiner Familie 
wurde er redseliger. Er schalt und fluchte auf die 
schlechten Zeiten, auf die schlechten Menschen, auf Hals— 
abschneider und Feuerversicherungen. 
Dann kachte er dazwischen hell auf: das werde sich 
schön ausnehmen, wenn nächstens Großbauer Jürgen 
Buchholz nebst Familie, den Bettelsack auf dem Rücken, 
im Lande umherzöge und vor den Thüren der Leute 
um ein Stück Brot bäte! Robert würde gewiß bald 
einen richtigen Vagabunden abgeben, und Liese könne 
ja schön singen, das hülfe auch ein bischen. Nur Frau 
Ursel werde dies neue Geschäft einigermaßen sonderbar 
vorkommen, zumal wenn sie nicht schon um 8 Uhr in 
ihr dickes Federbett kriechen könne, sondern in zeinem 
Stalle auf Stroh oder hinter einem Backofen Nacht— 
quartier machen müsse. 
Bei solchen Herzeusergüssen entfuhr ihm mehrmals 
das Wori: wenn doch Eiuer so verflucht gescheit wäre, 
ihm gelegentlich den roten Hahn aufs Dach zu setzen, 
daun müfse ihm die Feuerversicherung eine grausam 
zroße Summe auszahlen, er könne sich einen nenen Hof 
aufbauen — und ihm sei noch einmal gründlich gehot— 
sen! Schade, daß man lange nichts von Zigeunern ge— 
sehen und gehört habe, dergleichen Leute thäten Einem 
manchmal einen solchen, Gefallen, besonders wenn man 
iie recht scharf mit den Hunden vom Hofe hetze. — 
(Fortsetzung folgt.) 
Weclche Rflichten 
legen uns unsere Kolonieen aus? 
Mach der aleichnamigen Schrift von Dr. Warneck.) 
J. Eine vollendete Thatjache. 
Vor etwa 10 Jahren erschien ein Buch mit dem 
Titel: „Braucht Deutschland Kolonieen?“ Heute wäre es 
nicht mehr möglich, solch ein Buch zu schreiben. Deutsch— 
land hat jetzt K,hhonieen. Aus der Frage ist eine 
vollendete Thatsache geworden. Wie sehr auch 
England im Anfang verstimmt sein moöchte, wieviel 
Gegner die Sache auch anfangs bei uns haben mochte 
— Thatsachen sind ein schweres Ding, lantet ein engli— 
sches Sprüchwort. Für England war es verwunderlich, 
auf einmal in Deutschland einen Nebenbuhler im über— 
seeischen Besitz gefunden zu haben. Man begreift, daß 
diese Konkurrenz den Vettern jenseits des Kanals nicht 
angenehm sein konnte. Allein sie müssen sich in die 
Thatsache fügen, zumal da Deutschlands Kanzler in allen 
diesen Dingen offen und ehrlich gehandelt und die eng— 
lische Regierung keineswegs überrumpelt hat. Ebenso 
müssen auch jetzt die einheimischen Gegner, deren Be— 
denken wir nicht tadeln wollen, sich in das Unabänder— 
liche fügen und mit Hand antegen, damit ihre Be— 
fürchtungen sich nicht erfüllen. Aber anch die Freunde 
der Kolonieen, deren Begeisterung bei dem raschen 
Fortschritt erklärlich ist, dürfen sich nicht in Träume 
wiegen. Unser ganzes Volk darf nicht übertriebene 
Hoffnungen hegen und die thatsfächlichen Schwieriqa—
	        
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