in die Versammlung hinein, und im Chor schallts zu—
rück: Er ist des Todes schuldig.
So ist der Spruch des ungerechten Gerichtes gefallen:
Jesus soll sterben. Und wunderbar, der gottlose Spruch
stimmt zusammen mit dem Rat der ewigen Liebe: Jesus
soll sterben. Ohne es zu wissen und zu wollen, ist
Kaiphas ein Prophet Gottes gewesen mit seinem Wort:
Es ist besser, Ein Menschsterbe für das
Vohk,denn daß das ganze Volk verderbe
(Joh. 11, 50). Ja, so hat Gott es gewollt, daß Ein
Pensch, der unschuldige Mensch Jesus, sterbe den Tod
der Sünde, damit das ganze Volk der Erde Erlösung
finde vom Verderben der Sünde und von ihrem Fluch—
sold, dem Tod. Und ohne daß er es gewoltt, hat der
oberste geistliche Gerichtshof von Jerusalem es vor dem
Wolk und vor aller Welt erhärten müssen: Jesus ist
darum gestorben, weil er der Sohn Gottes ist, der, in
dem Gott die Welt mit sich selber versöhnte. Er aber, der
Herr, ist von dem ungerechten Gerichte selber
erwiesen worden als der Gerechte. Redend und
schweigend hat er die Schrift erfüllt, das Wort, das von
ihm gesagt war durch den Propheten (Jes. 53, 11):
Mein Knecht, der Gerechte, wird viele
gerecht machen, denner trägt ihre Sün—
den. Amen
Großmütterchen.
Erzählimg von F. Sitrehle.
(Fortsetzung.)
In der neuen Behausung kam Frau Barbara zuerst
alles ganz fremd vor. Das war da so ganz anders,
als sie es von Jugend auf gewohnt gewesen war. Nicht
nur, daß ländliche Lebensweise mit städtischem Wesen
dertauscht war, einem neuen Spitalinsassen mußte es
gewissermaßen auch so vorkommen, als sei er um etliche
Jahrhunderte zurückversetzt.
Das Spital hatte nämlich wohl bald ein halb Jahr—
tausend seinem frommen Zwecke gedient und war müden
Erdenpilgern mancher Geschlechter eine letzte Zufluchts-
stätte geworden.
Man wurde schon ganz eigen berührt, wenn man
vor dem kunstreich aus Stein gemeißelten Portale des
alten grauen Gebäudes mit seinen vielen kleinen Fenstern
stand. Vier Steinstufen, ausgetreten und schadhaft,
führten zu demselben hinauf. Wer zaählt die Füße, die
da schon drüber hin gewandelt waren! Ueber dem Por—
tale hing an einem gewaltigen, sich nach der Straße
hinausstreckenden gebogenen Eisenarme eine große, acht—
eckige Laterne mit bunten, runden Gläsern. Freilich,
sie leuchtete recht selten, nur viermal im Jahre, nämlich
an den drei hohen Festtagen und an dem Geburtstage
einer alten, vor fünfzig Jahren verstorbenen Spitälerin,
die ein kleines Vermächtnis gestiftet hatte, aunf grund
dessen alljährlich an den bezeichneten Tagen je ein Wachs—
licht in der Laterne verbrannt werden sollte. Der alte
Spitalwächter setzte das Licht jedesmal mit einer ge—
wissen Feierlichkeit in Brand, und die Bewohnerinnen
des Hauses kamen, wenn sie irgend noch die Treppe
herunter konnten, alle herzu und sahen eine Weile zu
der bunten Laterne hinauf, wie sie so schön und festlich
brannte, bis etwa ein abendlicher kühler Zugwind sie
wieder in ihre Klausen scheuchte.
Stand der eine Flügel des gewölbten Thorbogens
qauf, dann sah man gleich links und rechts steinerne
Wondettreppen sich erheben, und geradeans blickte man
in einen gewölbten langen Gang, in welchem einem
Fremden recht öde und frostig zu mute werden konnte.
Auch herrschte in dem ganzen Gebäude jene feuchte, fast
modrige Luft, die sehr alten Gebänden eigentümlich ist,
und zwar darum, weil dergleichen Bauwerle bei, mög—
lichster Ersparung von Ziegeln zum großen Teile ans
Feldsteinen aufgeführt sind.
Frau Barbara hatte einst einen schönen Traum ge—
habt, den sie nicht vergessen konnte.
Es war ihr wieder einmal recht schwer ums Herz
zewesen. Sie hatte nach ihrer Bibel gegriffen und war
zuf die Stelle Sach. 14, 17 gestoßen: „Und wird ein
Tag sein, der dem Herrn bekannt ist, weder Tag noch
Nacht; und um den Abend wird es licht sein.“ Dieses
Wort hatte sie mächtig getröstet. In der Nacht darauf
fräumte ihr, sie sähe ein Abendrot, so unvergleichlich
schön, wie sie es nie gesehen hatte. TDer Horizont war
in Purpur und Gold getaucht, und der Glanz war so
stark, daß das ganze Himmelsgewölbe von einem rosigen
Schimmer übergossen war.
Dieser Traum in Verbindung mit jenem Bibelwort
war ihr zu einer Verheißung geworden, an die sie fest
glaubte. „Um den Abend wird es licht sein!“ so klang
es jedesmal in ihrer Seele wieder, wenn sie schier ver—
zagen wollte.
War nun dieser schöne Abend für sie gekommen, als
sie in das Spital zog? Kaum! Das zu glauben wurde
hr von Tag' zu Tag schwerer. Ihre Umgebung hatte
recht wenig anziehendes für ihr Herz. Auf dem Ge—
ichte mancher ihrer Kolleginnen stand eine lange Ge—
chichte, abet das Ende hieß: Verbitterung, Menschen—
haß, innerer Bankerott. — Ein Verkehr unter den
Spitalschwestern fand, abgerechnet einigen Klatsch, fast
gar nicht statt. Zu den Mahlzeiten erschien jede mit
hrem Blechgefäße in der großen gewölbten Küche, nahm
von der Koͤchin ihre Portion in Empfang und ging
wieder in ihre Klause zurück.
Und doch klang es Frau Barbara immer wieder
durch Ohr und Herz: „Um den Abend wird es licht
sein!“
Aber bei fernen Tönen läßt sich oft nicht recht fest—
stellen, wo sie herkommen. Kam das freundtliche Feier—
abendgeläut schoön von drüben jenseits des breiten Meer—
gürtels, der Zeit und Ewigkeit trennt, oder noch vom
diesseitigen Ufer? Sie konnie es nicht sicher unterscheiden.
Zuweilen aber wurde sie von der Kinderkrankheit des
Heimwehs geradezu wie von einem Krampfe gepackt,
uͤnd des Schusters „Nischte nich, ak heem!“ wies eigen—
sinnig dahin, wo ihr unglücklicher Sohn mit der herben
Ursel, dem wilden stobert und dem sanften Lisi wohnte.
Mit Jürgen ging es geraden Weges immer tiefer
nach unten. Er kam immer häufiger in die Stadt, aber
nicht, um seine alte Mutter zu besuchen — das Spital
zu betreten, hielt ihn die starke Macht der Scham zu—
rück —, sein Weg führte ihn stets zuerst in eine Seiten—
gasse, wo ein alies, baufälliges Haus stand, das man—
chen, der mehr von Schulden als von Gewinn lebte,
selbst in seinen Träumen schreckte; darauf gings in ein
Wirtshaus unterster Klasse, daß hier dies und das hin—
untergespült würde, was unangenehm prickelte. Schon
unter mauches Zettelchen hatte Fürgen in dem baufälli—
gen Hause iangsam und deutlich seinen Namen geschrie—
ben, um dann eine weit kleinere Summe, als auf dem
Papier stand, in die Tasche zu stecken.