Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

christlichen Inhalt gab, um diesen so dem Volke näher 
zu bringen. So wurde namentlich auch viel von 
Berchta, Hulda oder Frigga, doch wohl alles dieselbe 
Göttin, auf Maria übertragen. Wie bisher die milde 
freundliche Göttin umgezogen war, so zog jetzt Maria 
mit dem Christkinde um. Das freundliche, milde Christ— 
kind schenkt die Gaben der Weihnacht, und Knecht Ru— 
precht und Nikolaus sind seine Begleiter geworden, die 
neben der Gabe für die guten Kinder auch Rute und 
Stock für die bösen tragen. 
Soll uns nun dadurch der Tannenbaum weniger 
lieb werden der noch lieber? Ich denke, das letztere. 
Unser Christentum müßte sehr engherzig sein und wir 
müßten wenig wissen von der weltumfassenden und 
weltumwandelnden Krast desselben, wenn uns der Ge— 
danke, daß wir hier eine heidnische, christlich umge— 
wandelte Sitte haben, gegen dieselbe mißtrauisch oder 
ängstlich machen wollte, als ziemte es einem ernsten 
Christen nicht, so die Geburt seines Herrn zu feiern. 
Im Gegenteil wollen wir uns freuen, daß in unserem 
Volke nationales und christliches einen so engen Bund 
geschlossen haben. Ich habe selbst dagegen nichts zu 
erinnern, daß man neuerdings den Tannenbaum auch 
in die Kirche getragen hat, daß er jetzt auf dem Chore 
der Kirche steht im Lichterglanz. Mögen viele von den 
Armen, die in ihrem Hause keinen Tannenbaum an— 
zünden können, ihn da wenigstens sehen, und vieler 
Kinder Augen, denen Vater und Mutter keinen Baum 
bescheren können, sich des Baumes freuen, den die Kirche 
ihnen aufrichtet. Mag er da stehen als ein Zeugnis, 
daß unser Volk aus einem heidnischen ein christliches 
geworden ist, als eine Mahnung aber auch, das Christen— 
tum immer tiefer hineinzuführen in unser Volksleben 
und das deutsche immer mehr auch christlich werden zu 
lassen. 
Nun hat ja auch der Tannenbaum eine ganz andere 
Bedeutung bekommen. Seine Lichter reden nicht mehr 
bloß von der wiederkehrenden Sonne, und seine grü— 
nen Zweige zeugen nicht mehr bloß davon, daß in der 
winterlich erstorbenen Natur noch das Leben verborgen 
schlummert und bald wieder erwachen wird, sondern von 
dem ewigen Licht, das in Christo erschienen, und von 
dem ewigen, nimmer welkenden und ersterbenden Leben, 
das er gebracht hat. Die Bedeutung des Tannenbaums 
in christlichem Sinne kann ja nicht zweifelhaft sein. 
Es ist der Baum des Paradieses, der Baum des Lebens 
im Paradiese, den der Tannenbaum abbildet. Dahin 
deutet auch die weitverbreitete Sitte, daß an den Tan— 
nenbaum das Bild Adams und Evas aus Teig ge— 
backen gehängt wird, dahin mancher Volksglaube, wie 
der, daß in der Weihnachtsnacht der Schnee schmilzt, 
die Bäume blühen, die Tiere Sprache gewinnen und 
reden können. Das Paradies ist wiedergekehrt, der 
Bann der Sünde von der Erde genommen, die Kreatur 
wird wieder frei, und der Baum des Lebens steht 
wieder da mit seinen Früchten. Mitten im kalten 
Winter, im Schnee und Eis ein grünender, strahlender, 
mit Früchten und Gaben behangener Baum —, kann 
es ein schöneres Bild dessen geben, was der Herr uns 
gebracht? Mitten in dieser Welt voll Sünde und Tod, 
da es noch winterlich ist und wir des Winters Stürme, 
oft genug erfahren müssen, haben wir doch schon neues, 
grünendes Leben, Friede und Freude und die Hoffnung, 
daß einmal der Schnee schmilzen und der Winter weichen 
wird, daß einmal ein schöner, reicher Frühlina kommt. 
da das Paradies Gottes, das verlorene und in Christe 
neu geschenkte, voll und ganz wiederkehren wird! 
(Nach G. Uhlhorn.) 
FJrohe Weihnacht allerwärts! 
„Heute ist Weihnachtsfreude an allen Orten, sie 
weilt in Dorf und Stadt, sie steigt auf die Berge und 
rastet auf dem Meere; überall ist sie daheim, wo 
Menschen zusammen sind, die ihren Glanz schauen wollen. 
Hoch oben im Norden in Norwegen steckt der 
Bauer eine Garbe mit dicken goldenen Weizenkörnern 
auf eine Stange, damit die armen Vögel im Schnee 
und Eis auch wissen, daß Weihnachtszeit ist, und in 
Rußland tanzen die Kinder um den brennenden 
Baum, singen ihre Weihnachtslieder und jubeln eben— 
so laut, wie die Mecklenburger, wenn ein weißes 
Packet als,Julklapp?“ durch die Stubenthür fliegt 
und seinen Inhalt als Christgeschenk ausschüttet. 
Draußen auf dem Weltmeer in enger Kajüte brennt 
auch ein Baum, ist es auch nur eine grüne Papier— 
pyramide, alt und jung, vornehm und gering drängen 
zur Kajütenthür hinein, und deutsche und englische 
Weihnachtslieder vereinen sich mit frohem Gläserklang. 
Im Gebirge aber, in Tirol, wo die dunklen 
Tannenbäume zum Hüttenfenster hineingucken, rüstet 
der Grenzaufseher zum ersten Mal ein Tannenbäumlein, 
denn Fremde aus Norddeutschland haben ihm Lichter 
und Zuckerwerk geschickk und ihm im Sommer klarge— 
macht, daß ohne Christbaum nur ein halbes Weihnachts— 
fest ist. Draußen dröhnen, nach Landesbrauch, die Fest— 
schüsse, mit denen man das „Christkindl anschießt“, und 
nebenan zieht die Mutter ihren Mädchen und Buben 
warme Kleider an, denn durch die kalte Winternacht 
wollen sie auf schmalem Bergpfad über glitzernden 
Schnee zum Gotteshaus wandern zur Christmette; der 
Knecht mit der Pechfackel steht schon bereit, ihnen zu 
leuchten. Kommt die Familie wieder heim, dann soll 
der Baum angezündet werden, nicht bloß die Lichter, 
die sonst auf dem gabenbesetzten Tische brannten. 
In Italien wird Weihnachten in Lust und 
Fröhlichkeit gefeiert, in den Kirchen prächtige Gottes— 
dienste, selbst Kinder predigen von den Wundern der 
Weihnacht, und in den Häusern wohlbesetzte Tafeln 
mit lustigen, übermütigen Gästen. In Beihlehem 
aber, dort über der Stelle, wo der Weltheiland einst 
geboren ist, erhebt sich ein prächtiges Gotteshaus, zahl— 
reiche kostbare Ampeln bestrahlen den silbernen, in den 
Marmorfußboden eingelassenen Stern, um den in latei— 
nischer Sprache das Wunderwort von Christi Geburt 
geschrieben steht; die ganze Nacht hindurch beten und 
singen die Priester und die Gläubigen an jener heiligen 
Stätte; aber draußen in den Gassen von Bethlehem 
ists düster, nur wenige Christbäume brennen. 
Um rechtes Weihnachtsfeiern zu sehen, soll man 
durch de ut sche Städte und Dörfer gehen, da merkl 
und spürt man, wie Weihnachten gefeiert werden muß. 
Wenn die Dunkelheit kommt, dann wird ein Fenster 
nach dem andern hell, die Kirchthüren öffnen sich, und 
zwischen den Lärm der Straße tönen aus Kirchen und 
Häusern die Weihnachtslieder. Immer heller wird es 
in den Gassen, in großen und kleinen Fenstern, immer 
weiter schlägt die Weihnachtsfreude ihre Augen auf, und 
wer nur recht sehen kann, dem einen sich all die Weih 
nachtslichter zur Weihnachtssonne.
	        
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