Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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1715 Postverzeichnis. Dreizehnter Jahrgang. — Preis pro Quartal 50 4. Ins.⸗Gebühr pro 3spaltige Zeile MA. Auflage 53200. 
M 51. J Neunkirchen, 3 den 19. Dezember 1886. 
Richtet den Weg des Herrn! 
Joh. l1l. 19 - 34 
chon bereiten die Eltern ihren Kindern die Weih— 
nachtsbescherung, schon klopft den Kleinen das Herz 
von fröhlicher Hoffnung auf die Christgaben, schon 
zieht durch viele Häuser Weihnachtsduft, und bald 
stehen Knaben und Mädchen jubelnd um das grünende 
Bäumchen mit seinen strahlenden Lichtlein, das Sinn— 
bild frischen Lebens mitten im starren, toten Winter und 
hellen Trostlichts von oben mitten in dunkler Erden— 
trübsal. 
Mit Recht schmückt man der Jugend diese Tage zu 
den lieblichsten Festtagen, ist ja der Heiland ein Kind 
geworden, daß auch das unmündigste ein Zutrauen zu 
ihm fassen kann; aber sollen wir Erwachsene wehmütig 
auf unsre dahingeflogenen Kindheitsjahre zurückblicken, 
als ob das schönste Glück hinter uns läge? Soll man 
diese Zeit mit weltlichem Prunk und Genuß ausfüllen, 
um die innere Leere des Unglaubens damit zuzudecken? 
Kann nicht am Hauptgeschenk auch der Greis noch sich 
erquicken, der alle zeitlichen Vergnügungen schon hinter 
sich hat, auch die einsamste, ärmste Person, welche von 
niemand mit einem „Christkindlein“ bedacht wird? 
Sieh, wenn du Jesum gefunden hast, dann liegt nicht 
hinter dir, sondern vor dir die beste Freude, die heilige 
Gottesfreude, welche in die Ewigkeit hineinwächst. 
„Aber,“ sagst du, „man merkt doch nicht viel von 
dem Frieden, den die Engel in jener Nacht zu den 
Hirten herabgesungen haben!“ Nun wollen wir nicht 
näher hinweisen auf den Strom von Segnungen, der 
von Bethlehem und Golgatha in die verwüstete, ver— 
dorrte Welt hineingeflossen ist, auf die labenden, heilen— 
den Früchte der Barmherzigkeit, die aus dem Geistes— 
samen des Wortes hervorgesproßt sind, auf die un— 
zähligen Seelen, die im Glauben an das Lamm Gottes 
Ruhe gefunden haben im Gewissen und Trost fürs 
Sterben, die durch des Gottessohnes Kraft gesiegt haben 
über die Sünde, daß sie frei und gehorsam wandelten 
in stiller Zucht und Treue, sondern wir wollens zugeben, 
daß noch viel Krieg tobt in den Ländern und viel 
Streit in den Häusern, daß noch viel Schuld und Elend 
— 
darum dem Evangelium von Christo die erneuernde Gottes— 
kraft absprechen? Muß man nicht vielmehr anklagen die 
furchtbare Verderbnis der Menschennatur, welche nach 
eigner Wahl und durch Satans Trug das rettende Heil 
vperschmäht? Wenn du in den Christfeiertagen keine Er— 
leuchtung und Stärkung erfährst, rührt es nicht daher, 
daß du dein Herz nicht bereitet hast durch aufrichtige 
Buße, nicht geöffnet hast in betendem Verlangen? 
Wer nicht seine Sünde empfindet und nicht vor Gottes 
Zorn sich fürchtet, dem kann freilich nicht in dankbar 
srohem Gemüte wiederklingen die Kunde: Euch ist 
heute der Heilaud geboren! 
O wir wollen am eifrigsten uns inn er lich rüsten 
auf Weihnachten, wollen die Stimme des Predigers in 
der Wüste in uns eindringen lassen: „Er ist mitten 
unter euch getreten den ihr nicht kennet!“ 
Steht es bei dir noch so, daß deiner Seele Jesus noch 
zar nicht offenbar geworden ist? Oder mußt du zwar 
vehmütig sagen: „ich kannte ihn nicht, mein Wellsinn 
und mein Vernunftstolz, seine Knechts- und Kreuzgestalt 
hjaben ihn mir verhüllt,“ aber kannst lobpreisend hinzu— 
fügen: „nun hat mir der heilige Geist meine Unwürdig— 
keit und Hülflosigkeit, seine Erbarmung und Herrlichkeit 
zezeigt, nun kenne ich ihn und will ihn bekennen mein 
Lebenlang?“ Und wenn auch dein Glaube in den Gnaden— 
stunden kräftigen Wirkens groß und stark ist, wird er 
nicht wie beim Täufer klein und schwach in schweren 
Prüfungstagen des Leidens? Wir alle sollten und 
könnten mit dem Herrn Jesu vertrauter sein, wenn wir 
uns weniger zerstreuen ließen in Eitelkeiten und brünstiger 
zu ihm uns aufschwingen würden im Gebet. Darum 
wollen wir willig und demütig auf jede Stimme hören, 
die dem Herrn den Weg bahnt in unser Herz. Wie 
auch immer der Vater uns zum Sohne ziehe, ob er 
im öffentlichen Gottesdienst unser Gewissen rühre und 
schärfe durch seinen Geist, ob er uns „in die Wüste“, 
in die Einsamkeit eines Krankenstübchens führe, um 
freundlich mit uns zu reden Gos. 2, 14), ob er durch 
eine wunderbare Durchhülfe unsern Undank beschäme, 
oder am Grab eines Angehörigen uns unsere Hinfaͤllig— 
keit und alles Irdischen Verwelken vor Augen stelle, — 
das alles soll eine Frucht bei uns schaffen, daß wir 
aus dem Thal des Kleinmuts und Unglaubens uns er— 
hjeben, daß der Berg des Stolzes und der Selbstge— 
cechtigkeit in uns erniedrigt, daß alles Krumme nud 
Unebene, alle Heuchelei, Habsucht, Lieblosigkeit, Fleisches— 
lust ausgeräumt werde aus unserem Junern, daß wirs 
merken: ich brauche einen Heiland, der mit seinem Blut 
mich reinige, einen Gottessohn, der mit seinem heiligen 
Geist in mir einkehre als in seinen Tempel und mich 
erneure zu Gottes Ebenbild. 
Bist du so bußfertig und verlangend gestimmt, 
dann bringt das Christfest dir die frohe Botschaft:
	        
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