Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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1715 Postverzeichnis. Dreizehnter Jahrgang. — Preis pro Quartal 50 4. Ins.Gebühr pro 3spaltige Zeile MWea. Auflage 5200. 
PR 50. Neunkirchen, 333 den 12. Dezember 1886. 
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Die Johannesfrage. 
Matth. Il, 3: Bist du, der da kommen soll, oder 
sollen wir eines andern wärten? 
e rücktt heran. Die Geburt Jesu 
—D um welche die Weltgeschichte sich dreht. 
2 bringt auch unser deutsches Volk in Bewegung. 
Wie eine Erinnerung an die Zeit, da Christus 
zuerst zu den deutschen Stämmen gekommen, wie eine 
Hoffnung, daß das deutsche Volk wieder zu Christo 
kommen wird, so steht die Thatsache da, daß nichts 
anderes unser Volksleben so tief erregen kann, als Weih— 
nacht. Was einst auf Bethlehems Flur geschah, das 
will alljährlich sich bei uns erneuern: die Natur begehrt 
das Gleichnis der Gnade, die Erde die Braut des 
hHimmels zu werden. Der wintergrüne Wald, das 
unverwelkliche Lebensbild, wandert zu den Thoren her— 
ein. Gegen die Dunkelheit, die auch über die Erde sich 
legt, kämpft vermehrter Kerzenschein, damit, wie einst. 
Klarheit in die Nacht leuchte. 
Der Würzgeruch des Festes weht uns an, um an das 
Wohlgefallen zu erinnern, das Gott an uns haben will. 
Das Lied will uns von der stillen Nacht, der heiligen 
Nacht und von der Rose singen, die Jesaia geweif— 
jagt, und die Gabe unserer Liebe will auf Gottes größie 
Gabe, den eingebornen Sohn, deuten. Die Kinder 
zittern vor Erwartung. In den Häusern wird das Ge— 
heimnis stiller, und der Verkehr lauter. Die Schulen, 
wie eifrig sie sich bemühen, ein Geschlecht zu erziehen, 
das vor allem welttüchtig sei, spüren doch auch etwas von 
dem Tau, der aus dem offenen Himmel auf die Jugend 
jällt. Endlich einmal gibts Feier in den Werkstätten 
und Schreibstuben. Endlich einmal kommt in diesem 
Leben das Menschliche, das Familienhafte. das Kirchliche 
zu seinem Recht. 
Es ist Weihnacht. Sind wir imstande, auch dieses 
Jahr fröhliche, selige, gradenbringende 
Weihnachtszeit zu feiern? Mit der Menschheit, 
so klagen die einen, wirds je länger je ärger. Treue 
und Glaube fehlt. Freilich sagen die andern, die Kirche 
st schuld, sie ist nicht freundlich genug, auch mit dem 
Unglauben Gemeinschaft zu halten. Das Geschäft liegt 
darnieder, seufzen die dritten, in den Häusern ist bittere 
Not. Und die vierten: Neid, Haß und Mord, Sünde, 
Elend und Verzweiflung gehen durch die Reihen unseres 
Volkes. 
Liebe Leser, je jammervoller es mit uns steht, desto 
»essere Aussicht auf Weihnacht. Je völlidger unsere 
lHülflosigkeit zum Ausbruch gekommen ist, deste 
willkommener der Helfer. Der Herr Jesus ist in die 
Welt nicht darum gekommen, weil es so gut, sondern 
weil es so schlecht mit ihr stand. Haben wir selbst 
damals Weihnacht nicht ausgesetzt, als Krieg war 
haben die Mütter, von den Vaͤtern getrennt, mit dop⸗ 
pelter Sehnsucht nach der Weihnachtsgnade den Kindern 
den Christbaum angezündet, haben wir in den Laza— 
retten die heiligen Lieder gesungen und ins Feldlager 
die Gabe gesandt — wir wollen Weihnacht nicht aus 
setzen in der Not dieser Tage. Wir wollen uns innig 
als arme, bedürftige, sehnsüchtige Leute, an Ihn heran 
drängen, der da kommt! 
Es ist sehr schmerzlich an Ihm irre zu wer— 
den. Ists Johannes der Täufer geworden? 
Der in dem großen Rat der ewigen Liebe, die Welt zu 
erlösen, das Amt hat, dem Erlöser den Weg zu bereiten, 
darf der irre werden? Der so fest gesagt: ich bins 
nicht, dieser ists, der da kommen soll, dieser ist das 
Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt — 
kann der irre werden? Nein, irre ist er nicht gewor 
den, aber angefochten wie alle Heiligen. Wer in 
Schwachheit menschlicher Natur durch die arge Welt 
geht, und ob er den Heiligen Gottes zugezählt 'ist, der 
ist gegen Anfechtung nicht gesichert. Ist denn 
Jesus am Vater irre geworden? Und hat er nicht 
auch im Staub gelegen, kriefend vom blutigen Schweiß 
der Angst, und ging sein Ruf nicht aufwärts: Vater, 
ists möglich, so laß diesen Kelch an mir vorüber gehen? 
Und dort war mehr als Johannes. 
Und hier, dieser Johannes, des Herrn Herold 
durch einen ehebrecherischen König ins Gefängnis ge 
worfen, der Mann der That zur Ünfähigkeit verdamnit 
——— 
halten — um ihn selbst ists ihm nicht zu thun. Ver 
Stern der Nacht mag erbleichen, wenn die Sonne aus— 
geht. Aber die Sonne, thut sie denn ihr Werk? 
Christus predigt, heilt, die Einzelnen werden gerettet, 
zroße Haufen folgen ihm nach. Aber wo bleibt das 
Reich, das er aufrichten soll? Der Prophet islt 
gekommen, in welchem alle Schätze der Weisheit ver— 
borgen sind, und noch bieten die Schriftgelehrten Stein 
statt Brot. Der Hohepriester ist' erschienen, in 
dem alles Priestertum aufgeht, und noch wird im Tem— 
pel das schattenhafte Opfer gebracht. Der König 
hat sich gezeigt — und Tiberius, Pilatus, Herode⸗? 
sind noch die Herren des Volks. Lieber Herr, so möcht 
er Christus zureden, irre werd ich nicht an dir, denm
	        
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