Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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1715 Postverzeichnis. Dreizehnter Jahrgang. — Preis pro Quartal 50 4. Ins.⸗Gebühr pro 3spaltige Zeile 2MW. Auflage 5200 
19 453. 
Neunkirchen, 22 den 24. Oktober 1886. 
— 
Ihr habt mich nicht erwählet, sondern Ich habe 
euch erwäßlet und gesetzt, daß ihr hingehet, 
und Frucht bringet und eure Frucht bleibe. 
Joh. 15, 16. 
Di⸗ Christen stehen in dieser Welt in den ver— 
D Berufsarten; der eine sitzt in der 
2 Werkstatt oder in der Fabrik, der andere bebaut 
Feld und Garten, jener ist Arzt, dieser Staats— 
mann — mannigfaltig, wie das menschliche Leben, sind 
die Berufsarten. Aber wie verschieden auch immer der 
irdische Beruf ist, in dem die Christen stehen, so haben 
sie doch alle „als Christen“ miteinander einen geinein— 
samen Beruf. Wenn wir von Beruf reden, so denken 
wir dabei nicht sowohl an das, was wir durch Aus— 
übung desselben für uns erwerben und gewinnen, als 
an das, was wir damit einem andern, dem Ganzen 
dienen und nützen. Berufsarbeit in edlerem Sinne ist 
Arbeit nicht fur uns selbst, sondern für andere, für 
das Ganze, dessen nützliches Glied ich sein soll. So 
ist es auch mit dem Bernf, den die Christen als solche 
auf Erden auszuüben haben! Eine höchst wichtige und 
dringende Aufgabe und Arbeit ist zuerst: „zu schaffen 
eine Seligkeit mit Furcht und Zittern, sich heiligen 
ind bereiten lassen für die zukünftige Herrlichkeit“, 
würdig zu wandeln als Jünger und Freunde Jesu 
Christi. Die andere Aufgabe und Arbeit — der Be— 
ruf des Christen — geht nicht auf uns, sondern auf 
den Nächsten, auf das Ganze, dessen Teil und Glied 
wir sind. Dieser Beruf des Christen liegt in den oben 
angesührten Worten Christi: „Ich habe euch gesekt. 
daß ihr hingehet und Frucht bringet“. 
Was ist also die Bestimmung, der Beruf der 
Jünger Jesu auf Erden? Sie — wir sollen Frucht 
bringen! Dieses „Fruchtbringen“ hat hier den gleichen 
Sinn, wie Philipp. 1, 22. Paulus, der treue Knecht 
Bottes, möchte für seine Person lieber abscheiden und 
daheim sein bei dem Herrn; aber um der Gemeinde 
villen, um „ihretwillen“ will er lieber noch im Fleisch 
bleiben; „sintemal im Fleische leben dienet, mehr 
Frucht zu schaffen.“ So sollen auch wir alle, dieweil 
vie hier wallen, „Frucht schaffen,“ d. h. dem Nächsten 
dienen in jeder Weise in äußeren Dingen und vor allem 
ihm zum Himmelreich helfen; wir sollen Frucht schaffen, 
d. h. dem Himmelreich dienen, wo und wie wir koͤnnen, 
daß dasselbe gebauet und genehret werde, und auch die 
Zeit seiner Vollendung eilends herzukomme! Der 
Herr hat uns erwählet und gesetzt, nicht nur, daß ein 
jeder für sich schnell für den Himmel bereit werde, 
sondern daß wir hingehen und Frucht schaffen an an 
dern und für das Reich Gottes! 
Zweierlei liegt uns Christen gemeiniglich nicht in 
der Art: 1. wir denken wenig oder gar nicht an die 
anderen, ausgenommen etwa an die, die uns natür— 
licherweise nahe stehen und lieb und teuer sind. „Werde 
ich nur selig und die, welche ich lieb habe, so bin iche 
zufrieden“ —, ist vielfach und unbewußt die innere 
Stellung; 2. denken und sorgen wir doch für andere 
so geschiehts vielfach nur nebenbei, und wenn die Ge— 
legenheit dazu veranlaßt und drängt. Und leicht haben 
wir dabei das Gefühl, etwas besonderes und außer— 
ordentliches zu thun. Daß solche Fürsorge für das 
äußere und innere Wohl des Nächsten aber unsere Be— 
stimmung und Beruf als Christen ist, dazu uns der 
Herr selbst gesetzt hat, das liegt nicht oder nur zu 
wenig in unserem Vewußtsein. 
Der Herr, unser Heiland, dem wir alles verdanken, 
was wir sind und haben, vor allem, daß wir Christen 
sind —, der ist nicht gekommen, „daß Er sich dienen 
lasse, sondern daß Er diene“. So sollen wirs auch. 
Er will uns brauchen und etwas mit uns ausrichten 
zu seiner Ehre und zum Heil der andern! Diesen 
vom Herrn gewollten Beruf der Christen in der Welt 
spricht der Herr selbst und die heilige Schrift auch noch 
an andern Orten aus: „Ihr seid das Salz der Erde,“ 
„ihr seid das Licht der Welt“; „wer an mich glaubt, 
der wird die Werke auch thun, die ich thue, und 
größere denn diese.“ Wer an mich glaubt, von des 
Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen“. 
(Matth. 5, 13, 14; Joh. 14, 12 und 7, 38). 
Wir evangelische Christen wissen und reden viel vom 
Priestertum aller Gläubigen — trotzdem aber schieben 
wir die Berufsarbeit, davon wir reden, in der Regel 
nur den „Dienern am Worte“, den „Geistlichen und 
Predigern“ zu. Aber schauen wir nicht nur die Rechte 
an, die das „allgemeine Priestertum“ gibt, sondern auch 
die Pflhichten! „Priester“ sollen wir alle sein mit 
priesterlichem Herzen, welche die Sache Jesu und der 
Brüder Heil auf betendem Herzen tragen und dafür 
keine Mühe und Opfer scheuen. „Priesier“ sollen wir 
sein, welche die Liebe unablässig treibt, daß sie hin— 
gehen und Frucht bringen! Das muß uns immer im 
Bewußtsein liegen, daß wir als Christen Knechte Jesu 
Christi sind zum Dienst für andere: dies Bewußtsein 
muß uns begleiten in die Arbeitsstätten, in die Geiell
	        
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