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Aschra Nomm,
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1715 Postverzeichnis. Dreizehnter Jahrgang. — Preis pro Quartal 50 4. Ins.Gebühr pro 3spaltige Zeile MaA. Auflage 5200
. 29. Neunkirchen, ——V 26. September 188 6G.
Wo sind aber die neune?
Luc. 17, 17: Jesus antwortete und
sprach: Sind ihrer nicht zehn rein geworden.
wo sind aber die neune?
Dehn aussätzige Männer sind von ihrer Krankheit
2 aber nur einer kommt zurück, um dem
* Herrn zu danken. Das ist ein schlimmes Verhält—
nis; unter zehn, die eine Wohlthat erfahren, nur
Ein Dankbarer! Aber das wahre Wort von der un—
dankbaren Welt bewahrheitet sich auch hierin. Das ist
nicht etwa eine seltene Ausnahme, daß nur einer von zehn
amkehrt und Gott die Ehre gibt, sondern das ist leider
die gewöhnliche Regel. Der Dank, welcher Christo ge—
bdührt, wird ihm von den meisten verweigert, nur der
zehnte Teil bringt denselben dar.
Jene zehn Männer, welche unter der schrecklichen
Plage des Aussatzes seufzten, gleichen der ganzen Mensch—
heit. Wo der Herr Jesus Christus in einen Markt
oder in ein Dorf, in eine Stadt oder in ein Land ge—
kommen ist, und die Menschen seine Hülfe angerufen
und haben sich seine Hülfe gefallen lassen, da hat er
sie gereinigt von dem Aussatze, d. h. er hat diejenigen
Auswüchse und Verunstaltungen, durch welche die Sünde
das Gemeinschaftsleben der Menschen hindert und zer—
ttört, beseitigt. Wer etwas davon verstehen will, der
braucht nur einmal die sittlichen Zustände eines heid—
nischen Volkes mit denen zu vergleichen, welche sich bei
hristlichen Vöolkern finden. Hier wird das Laster ver—
abscheut, das Verbrechen bestraft, Recht und Gerechtig—
eit wird gehandhabt, und die Menschen vereinigen sich
zu gemeinsamen, guten Unternehmungen, sie suchen
Schäden zu beseitigen, heilsame Zwecke zu fördern;
Barmherzigkeit, Sittlichkeit, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit
sind öffentliche Mächte geworden. Bei jenen mögen
uns auch wohl vereinzelte edle Züge, beschämende Bei—
spiele einer oder der andern Tugend entgegentreten,
aber das Gemeinschaftsleben der Heiden ist zerstört durch
einen häßlichen Aussatz, welcher keine rechte Einigkeit
aufkommen läßt. Die Segnungen des Evangeliums
für das Leben eines Volkes, die heilsamen Zwecke, welche
in einem christlichen Volke selbstverständlich erstrebt
werden, die gesunden Urteile, welche man allgemein
anerkennt, die sittliche Zucht, welche öffentlich gilt, —
st das nicht der Reinigung vom Aussatz zu vergleichen?
Jene zehn Männer wurden alle rein. Die äußeren
Spuren der bösen Krankheit wurden bei allen beseitigt,
sie durften zu dem Priester gehen, um von ihm die
Berechtigung zur Rückkehr in die menschliche Gesellschaft
zu empfangen. Also geht es mit allen Menschen, denen
das Evangelium gebracht wird; allen wird der Weg
zu Gott gewiesen, und sie sollen wissen, daß sie nun
einen freien Zugang zum Throne der Gnade haben,
damit sie nicht bloß von den äußeren Schäden des
Lebens geheilt werden, sondern innerlich rein und frei
werden durch den Glauben an Gottes Gnade.
Und nun, wo sind die neune? Wir wollen nicht
also fragen, um Gericht zu halten über andere. Die
tägliche Erfahrung lehrt uns deutlich genug, daß Un
dank auch noch heute der Welt Lohn ist für die Seg
nungen Gottes, und daß nur wenige sich dadurch dank
bar bezeigen, daß sie umkehren, Gott die Ehre geben
und die Hand ergreifen, welche ihnen geholfen hat, um
sich von ihr weiter helfen zu lassen. Wir wollen viel—
mehr uns ernstlich fragen, ob wir zu der undankbaren
Mehrzahl gehören, die zufrieden sind mit der äußeren
Reinheit eines ehrbaren sittlichen Lebens und in ihrer
äußerlichen Gerechtigkeit es vergessen, daß sie auch dieste
der heilsamen Gnade Gottes verdanken, welche in Christo
allen Menschen erschienen ist. Menschliche Sittlichkeit
und Gerechtigkeit ist viel, sehr viel. Aber mehr ist dice
Gemeinschaft mit dem, welcher selbst die höchste Sitt
lichkeit und Gerechtigkeit ist. Die undankbaren Christen,
welche zu ihm nicht wieder umkehren, sondern ihren
Weg zu Gott und zu den Brüdern nun allein finden
wollen, thun sich selbst den größten Schaden. Der
Dank für Gottes Wohlthaten ist die größte Wohlthal
für uns. Auch jene neun undankbaren Männer sind
rein geworden, aber ihnen ist doch nicht geholfen. Alle,
die sich von Christo abwenden und nicht bei ihm und
durch ihn die Gemeinschaft mit Gott suchen, entbehren
des Friedens, welchen Christus uns gebracht hat.
Nein, wir wollen nicht den neun gleichen, die ihre
eigenen Wege gegangen sind; wir wollen es nicht mit
der undankbaren Menge halten, welche die Predigt und
das Wort, die Sakramente und das Gebet nicht nötig
zu haben glauben und über ihrer Lebensgerechtigkeit die
Glaubensgerechtigkeit verachten, welche unserer Seele erst
die rechte Hülfe bringgt. Wars auch nur einer von
zehn, und noch dazu ein verachteter Samariter, der
wieder umkehrte und Gott die Ehre gab, wir wissen,
daß sein Weg auch unser Weg ist. Auch wenn neun
Zehntel die breite Straße wandeln, so laßt uns doch
den stillen Pfad des dankbaren Samariters alle Tage
aufsuchen und nicht eher ruhen, als bis wir zu Jesu
Füßen das Wort vernommen haben: Dein Glaub—
hat dir geholfen! Amen.