Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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1715 Postverzeichnis. Dreizebnter Jahrgang. — Preis pro Quartal 50 4. Ins.⸗Gebühr pro 3spaltige Zeile 20 4. Auflage 5100. 
M 323. Neunkirchen, IN3 den 15. August 1886. 
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Bergfestpredigt, 
gehalten am 18. Juli 1886 von Pfr. Eybisch in Heiligenwald. 
Text: Matth. 19.6;, Was nun Gott zusammengefüget 
hat, das soll der Mensch nicht scheiden. 
II. 
ber diese Regel ist noch viel mehr bei euch zu 
M“— fähig und berufen, nicht bloß das Ver— 
38 hältnis von Mann und Weib, sondern auch 
dasjenige von hoch und niedrig. Das Berg— 
fest ist ein Familienfest noch in einem anderen, als 
dem eben besprochenen Sinne. Welch ein wohlthuendes 
Bild, wenn drunten auf dem schönen Bergfestplatze bei 
dem noch gerade zu erwünschter Zeit eingetretenen, 
gottgeschenkten, guten Wetter unter den schattigen Ka— 
stanien, an den langen, mit Speise und Trank reich 
besetzten Tischen die Vorgesetzten mit ihren Untergebenen 
sozusagen eine Familie bilden, in der jene gleichsam 
hausvaͤterlich und hausmütterlich unter diesen, wie unter 
ihren Kindern walten und beide sich herzlicher aneinander 
anschließen und inniger mit einander verbinden und dem 
freudig zuschauenden Dritten das Wort auf die Lippen 
legen: Siche, wie fein und lieblich ist es, wenn Hohe 
nud Niedere einträchtig bei einander wohnen. Deun 
nicht bloß, wie Salomo sagt, Reiche und Arme, son— 
dern auch Hohe und Niedere müssen unter einander 
sein, der Herr hat sie alle gemacht. Die menschliche 
Ordnung, wie sie Petrus nennt ihrem Ziele nach, sie 
ist zugleich eine göktliche Ordnung, wie Paulus sie 
bezeichnet ihrem Ursprung nach, so daß wir mit dem 
Dichter ausrufen müssen: „Heilige Ordnung, segens— 
reiche Himmelstochter!“ Was Gott zusammengefüget 
hat, Fuͤrsten und Völker, Vorgesetzte und Untergebene, 
HZeamie und Arbeiter, kein Mensch soll und darf den 
Frevel begehen, daß er sie scheide! 
Allerdings unkber scheiden, ohne den von Jakobus 
Jjerügten bösen Unterschied zu machen, soll man die 
Menschen, wie sichs gebühret. Altbewährt ist der edle 
Wahlspruch der Hohenzollern: „Jedem das Seine“ und 
der heilige Apostel mahnet mit großem Nachdruck: „So 
gebet nun jedermann, was ihr schuldig seid, Schoß, dem 
der Schoß gebühret, Zoll, dem der Zoll gebühret, Furcht, 
dem die Furcht gebühret, Ehre, dem die Ehre gebühret!“ 
Aber bei aller gottgeschaffenen Unterscheidung doch 
um Gottes wuͤllen keine Scheidung. Ich meine 
die Scheidung von oben her, die namentlich in alter 
Zeit auftrat, um als Tyrannei verächtlich nach unten 
schallen und die Untergeordneten zu einer Sklaven— 
herde zu erniedrigen, ich meine die Scheidung von 
uͤnten her, die namentlich in neuerer und neuester Zeit 
auftritt, um als Revolution alle höhere Würde für 
Raub und Diebstahl zu erklären und womöglich mit 
blutiger Gewaltthat dieser Erklärung Nachdruck zu ver— 
chaffen, ich meine die klaffende Scheidung, welche Ent— 
weiung ist und, wenn sie freien Lauf hätte, statt die 
jochgeruͤhmte Freiheit und Gleichheit zu bringen, keinen 
Stein von dem Bau der menschlichen Gesellschaft auf 
zem andern lassen, auch unsere gesegneten Gruben mil 
zösen Sturmfluten ersäufen und das düstere Wort er— 
üllen würde: „Jedoch der schrecklichste der Schrecken, 
das ist der Mensch in seinem Wahn.“ Ja, nur der 
Mensch in seinem Wahn kann jene Scheidung, von der 
vir reden, vollziehen, und alles gleichmachen wollen. 
Oder, um mit Paulus zu reden, wenn der ganze Leib 
Auge wäre, wo bliebe das Gehör, und so er ganz Ge— 
hör wäre, wo bliebe der Geruch und, so alle Glieder 
tin Glied wären, wo bliebe der Leib? Es kann das 
Auge nicht sagen zur Hand: Ich brauche dich nicht, 
oder wiederum das Haupt nicht zu den Füßen: Ich 
hedarf eurer nicht, sondern jedes einzelne Glied bedarf 
des andern, damit jedes einzelne für sich und das ganze 
zugleich bestehe. Und so seid auch ihr, Knappen, Ein 
Stand. Ein Organismus, Ein großer Leib und an 
demselben ist einer des andern Glied. Es kann der 
Hohe nicht sagen zu dem Niedern: Du bist überflüssig, 
»z dürfen die Untern nicht denken von den Obern: Wir 
brauchen euch nicht, sondern ihr seid alle mit einander 
und für einander nötig, zu dienen ein jeglicher mit der 
Gabe, die er empfangen hat, wie denn selbst jener 
große Hohenzollernfürst, dessen hundertjaäͤhriger Todes— 
lag jetzt herannaht, sich den ersten Diener des Staates 
naunte, und der Titel eines Ministers, der dem Throne 
so nahe steht, einen „Diener“ bezeichnet und nichts 
weiter. Nur daß dies Dienen auch willig, freudig und 
reulich geschehe! Nur daß das Gefühl nicht bloß des 
Rechtes, sondern der Pflicht lebendig werde, der Pflicht, 
daß jeder zum Wohle des Ganzen redlich und treulich 
milarbeiten müsse. Und deshalb sei euch willkommen 
der heutige Festtag, der euch auch äußerlich zu einem 
Organismus vereinigt, als einen Leib mit vielen Glie— 
dern in festliche Erscheinung treten lässet und das Ge— 
fühl der Zusammengehörigkeit, die Treue bis in den 
Tod erneuern und särken will. Deshalb, ihr Vorge— 
setzten und Untergebenen, sehet ein jeglicher nicht auf 
das Seine, sondern auf das, was des andern ist. 
Suchef nicht das. was euch trennt, sondern das. was
	        
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