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1715 Postverzeichnis. Dreizehnter Jahrgang. — Preis pro Quartal 50 4. Ins.Gebühr pro 3spaltige Zeile W 8. Auflage 3100.
Ja”a4àJ26. Neunkirchen, E68 den 27. Juni IS886.
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Der arme reiche Mann und der reiße
arme Mann.
Lucä 16, 25. Nun aber wird Lazarus getröstet.
und du wirst gepeiniget.
* ir sehen in dem Erdenleben nur die erste
W⸗ älfte unseres Daseins, und dieselbe ist
— dunkel genug. Rätsel drängt sich an Rätsel,
wenn man nicht die zweite Haͤlfte dazu nimmt.
Wo der Glaube fehlt, da fehlt auch das Licht der
Ewigkeit für die dunkle Nacht dieser Erde. Wo aber
das Licht der Ewigkeit hinfällt, da wird es hell in
herz und Leben. Der arme Lazarus machte sich
nicht viele Gedanken über die ungleiche Verteilung der
Güter auf Erden, obgleich er doch eher als mancher andere
ein Recht dazu gehabt hätte. Er lag an des Reichen
Thür, sah den Ueberfluß und die Verschwendung und
var zufrieden mit den Brosamen, die von des Reichen
Tische fielen. Selbst die Hunde des Reichen waren
»esser gehalten, als er, den noch dazu schmerzhafte
Krankheit plagte. Aber er blieb geduldig und ergeben.
Er machte keine Faust gegen den Reichen, der ihn ver—
schmachten ließ, und gegen Gott, der scheinbar keine
Labung für ihn übrig hatte, außer daß die Hunde sich
mitleidsvoller zeigten, als die Menschen.
Keine Labung? War nicht Lazarus, obgleich
ihm aller äußere Trost in Armut und Krankheit da—
hingesunken, dennoch reich? Es ist unmöglich, daß
Hott ein Menschenkind verlassen kann, und was er dem
äußeren Leben nimmt, das legt er dem inneren Men—
ichen zu, wenn man nur ihm stille hält. Darum
nüssen alle, die Gott lieben, durch viele Trübsale
sindurch, damit sie Geduld und Ergebung lernen. Die
Schule der Leiden, die den reichen Mann arm
macht, sie macht den Armen reich. Lazarus blieb,
vas er war, ein Mann, der seine Hülfe auf Gott setzte.
Seine Seele wurde stark im Dulden, Leiden, Hoffen;
ꝛx war ein Hiob, ohne den Tag seiner Geburt zu
derfluchen. Er wartete vielmehr das Ende ab, und es
iieß nicht lange auf sich warten. Wie mag er sich ge—
wundert haben, der bescheidene Mann, als der Tod wie
ein mittleidsvoller Gottesbote ein Ende machte seiner
Hülflosigkeit und seinem grenzenlosen Elende, und als
hm die Schuppen von den Augen fielen, und er die
Engel Gottes sah, die seine befreite Seele in Abrahams
Schoß trugen!
Das Gegenbild des Lazarus ist der reiche
Mann. Sein Thun zeigt, wie arm ein Reicher sein
kann, dessen ganzes Leben weiter nichts ist, als alle
Tage Herrlichkeit und Freuden. Der arme reiche Mann!
Was lernte er denn vom Leben kennen? Nur den
blinkenden Schein und Flitterkram, nur das Bißchen
vergoldete Oberfläche, nur das kleine Stück Welt, das
man sich für Geld kaufen kann, und dem der Sonnen—
schein der Liebe fehlt. Der reiche Mann ist arm, weil
er arm an Liebe ist. Er sieht nicht das Elend
vor seiner Thür, und kommt nicht zur wahren Freude
des Helfens und Gebens, die doch das Schönste ist, was
der Reichtum gewährt. Er hat keinen Gott über seinem
Reichtum, und darum auch kein Herz unter seinem
chönen Kleide; er ist leer und hohl wie der Himmel
seiner Genüsse, unter dem er alle Tage lebt. Darum
muß er den wahren Himmel entbehren, und als
sein langweiliger Schmaus vorbei ist, und er das Gast—
nahl des Erdenlebens ausgenossen, da ist auch sein
Glück zerstoben, und er ist bekttelarm geworden, „als er
nunin der Höhle und in der Qnal war.“
Er war gewiß ein angesehener Pharisäer gewesen,
der nicht vergaß, dann und wann dem lieben Gott seine
Berehrung zu bezeugen, denn das dunkle Gefühl hat auch
ꝛin reicher Schwelger, daß es sich auf die Dauer mit
dem großen Unbekannten nicht gut auf Kriegsfuß leben
läßt. Aber was konnte alles dies, prächtiges Wohlleben
und pharisäische Frömmigkeit, der unsterblichen
Seele helfen, wie sie nun anlandete am Ufer der
Ewigkeit, und keine Freunde da waren, die sie in die
ewigen Hütten aufnahmen? Sie war und blieb gerade
so arm, hohl und leer, wie sie im Leben gewesen. Selbst
der reice Abraham, an dessen Bruͤst Lazarus die
Ruhe der Seligen gefunden, mochte von dem reichen
Abrahamssohn, der sich die Ewigkeit ganz anders vor—
gestellt hatte, nichts wissen, und empfängt ihn auf sein
Jammern mit der erschütternden Antwort: „Nun
aber wird Lazarus getröstet, und du wirst
qepeiniget.“
Es ist eben die zweite Hälfte des Daseins an—
gebrochen, wo der Schein nicht gilt und das Geld keine
Rolle spielt, und wo niemand danach gefragt wird,
was er genossen hat, sondern danach, was er ge—
than hat den geringsten unter seinen Brüdern. Da
ist die große Frage: Was bringst du mit? —
eine Seele voll Glauben und guter Werke, oder die
Erinnerung an ein verfehltes Leben, die Anklagen des
Gewissens, die Pein der Schuld? Da ist es zu spät
für die Reue, aber nicht zu spät für Leid und Ver—
weiflung. Da ist der langmütige Gott zum gerech—