Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

kirchl iche Bewußtsein, das Geiülll, gleichfalls einer großen 
wohlgeordneten Gemeinschaft anzugehdren, die ihre Lebens 
ordunngen aus evaugelischen Gruudjätzen heraus empfangen hat. 
Wie schwer dat es 3. B. gehallen, bis die einzelnen Landes 
kirchen sich über einen gemeinschattlichen Buß- uünd Bettag ge— 
einiat haben; die Folge war, daß die Vergnügungssfüchtigen 
in unierer Gegend scharenweise an dienem Tage üher die 
piälzische Grenze zu ziehen pflegen. Das Gesühl der Rotwen 
digkeit sesterer Vereinigung ist in wachsender Stärke verbreitet. 
Dieie Erkenntnis liegt auch den Antrage v. Hammerstein 
zugrnnde, der am 7. Juni in Abgrordnetenhause verhandelt 
wird. Die kirchliche Konferenz der westfälischen Grafschast 
Park hat in der Zuversicht, daß derselbe die krüftigste Unter— 
stütung aller evangel. Volisvpertreter finden werde, ihren Vor 
stand beauftragt, eine dahingehende Bitte an die Vorstände der 
lonservativen, freikanservatibven und national liberalen Parteien 
zu richten, und will die Superintendenten ersuchen, den Gegen 
— 
bringen. Die Riederrhein. Pastoralkonferen;z bat sich 
in ähnlichen Sinne ausgesprochen. Es ist eine thörichte Ver— 
kennung der warklichen Lage der Dinge, wenn die liberale Presse 
darin nichts anderes sieht, als einen Versuch der von ihr so ge— 
nannten „Orthodoren“, die „Herrschaft“ an sich zu hringen, die 
Freiheit der Wisseischaft und des Teulens auszurotten u. dal. 
— das ist eine äußerst kurzsichtige VBetrachtnngsweise. Wie gut 
die höchste Wissenschaft und der schlichte Christenglaube mit 
riunguder Hand in Hand gehen können, zeigt sich an dem aud 
23. ai im höchsten Alter entschlaäfenen Geschichtsschreiber von 
Rante, in dem die Gegenwart den auf seinem Felde berühm 
testen Setehrten verloren hat und der dabei als einfacher frommer 
evangelischer Christ lebte und starb. Wie jetzt unsere Parteien 
zusammengesetzt sind, ist auf Annahme jenes Autrags wohl nicht 
zu rechnen, aber wir sind überzeugt, daß sich die in ihm liegende 
Wahrheit doch Bahn brechen wird,— 
In NRNußlanud herrscht große Vegeisterung über einen Befehl 
des Katserses au die Flotte im Schwarzen Meere, in dem er 
seine Frende darüber bezenat. daß sie nininehr, nachdem sie iich 
vor Jahren für das Wohl RNußlauds aufgeopfert habe, wie 
dererstanden sei: sein Wille sei auf eine friedliche Entwickelung 
des Volkswohles gerichtet, allein gewisse Umsiände könnten die 
rfüllumg dieser Wünsche erschweren und ihn zur bewaffneten 
Verteidigung der Reichswürde zwingen u. s. w. Mau meiute 
darin eine Hindentung darauf zu finden, daß die Pläne auf 
geutwung des türkischen Reiches wieder hervorträten, und der 
Petropolit von Moskau sah schon den Augenblick nahen, wo 
das Ehristenlreuz wieder auf der Sophienmoschee in Konstan- 
tinopel erglänzt — doch ists bis dahin noch ein weiter Weg, 
ind azunächst dauert der Groll des russischen Setbstherrschers 
üiber den Fürsten Alerander von Vulgarien fort, weil die— 
ser den russischen Einflußz in seinem Lande durchkreuzt und de 
brochen hat. 
In Italten dauert die Cholera noch fort und fordert in 
Venedig und andern Städten ihre Opser. Dazu hat sich ein 
Ausbrüch des Aetna auf Sizilien gesellt: die Labamässe, die 
dem senerspeienden Krater entströnit, rüdt schnell vor, bis 70 mm 
in der Stunde, und ist verheerend in die am Fuße des Verges 
liegenden Ortschaften eingedrungen. 
— Voöltklingen. Durch Verfügnng der Königlichen Me— 
zierung in Trier sind auf Anordnung des Herrn Ministers 
der geistl. ꝛc. Angelegenheiten die evangelischen Schulen in Völk— 
lingen aus der Kreisschulinspeküon des Herrn Dr. Rachel 
ausgeschieden und unter die Aufsicht des Veringsschulinspettors, 
herrn Pfarrer Ihse in St. Johann gestellt worden. Lokal— 
schulinspektor dieser Schulen ist schon seit mehreren Monaten 
der, hiesige epv. Pfarrer. Es war also wohl nur eine einfache 
Folge, daß sie auch einer evang. Beringsinspektion zugeteilt 
wurden, zumal da die andern ev. Schulen der Gemeinde von 
aAlters her und ununterbrochen zu dieser Inspektion gehörien. 
Auch die Völtlinger ev, Schulen treten durch diese genannte An— 
ordnung nur in ihr altes Verhältnis zurück, aus dem sie vor 
etwa zehn Jahren bei Anstellung eines Rektors genommen wur— 
den. Der am Tonnerstag, den 27. Mai, in Gersweiler abge— 
haltenen Konferenz der St. Johanner Inspektion wohnten so— 
mit zum ersten Mal wieder jämtliche Lehrer der evangel. Ge— 
meinde Völklingen bei. Es hat damit auch ein vor Jahresfrist 
donseiten der ey. Presbyter und Repräsentanten zu Völklingen 
und Oher-Völtlingen an die Königliche Regierung gerichtetes 
Gesuch seine erwünschte Erledigung defunden. 
— St. Wendel. Unser Reichskanzler hat bekanntlich in 
den jüngsten Verhandlungen über das neue Kircheugeseß 
den Hoffnungen starklen UÜUnsdruck gegeben, die er in die nun— 
mehr eingetretene Friedensperiode setzt. während von anderer 
Seite Befürchtungen entgegengesetzter Art geäußert wurden. 
Ain eigentüniliches Licht fällt auf jene Hoffnungen durch die 
Lorgänge, welche sich hei der Gründung der hiesigen höheren 
Töchterschule abgespielt haben und die zu wichtige Interes 
en herühren, um nicht hier beiprochen werden zu sollen. Das 
Bedürfnis einer solchen Schule besteht hier schon lange, und es 
st länast ein berechtigter Wunsch vieler Familien gewesen, ihren 
Löchtern eine die Ziele des Elementarunterrichts überschreitende 
usbildung zu ermöglichen: als Grundlage derjenigen Durchbil— 
hung, die sie später in auswärtigen höheren Lehranstalten ver— 
zollnündigen sollten. Selbstverständlich konnie die Ahsicht da— 
ei nur die sein, den Töchtern aller gebildeten Familien ohne 
Unterschied der Konfession jene Wohlthat zukommen iu lassen 
ind den Religionsunterricht der zu gründenden Schule den 
Beistlichen der beiden Konfessionen zu übertragen, und eine andere 
Anwgassitug der Sache ist niemalhs gehegt worden. Dement— 
prechend irat auch ein euangelisches Mitglied dem Kuratorimn 
der Schnle bei. Dieser ursprüngliche Zweck der Schnle ist nun 
an der Klippe des Religionsunterrichtes gescheitert, sie ist zu 
Awas ganz anderem geworden, als wozu sie bestimmt war. 
leber die Einzelheiten der bezüglichen Vorgänge ist uns zi 
venig bekannt, um darüber etwas, mitteileit zu können, zur 
dennzeichnung der Sachlage genügt die Thatsache, daß das End 
rgebnis der gepflogenen Verhandlungen in die Erklärung der 
atholischen Mitalteder des Knratoriums auslief, „es sei durch— 
nus ihre Absicht, diese Schule mit durchaus konfessionellem Eha— 
atter zu erhalten — wie reimt sich das mit dem irsprüuglichen 
Zivech der Schule? —) und darauf zu halten, daß der Unterricht 
m derselben auch stets in latholischen Geiste und in katholischer 
Richtung erteilt werde.“ Tamit ist mit diirren Worten den 
öchtern der hiesigen evangelischen Familien die Thüre vor der 
Naie zugemacht, sie sind einfach hinausgewiesen und an die Luft 
geseßt. Au der Töchterschule in Saarbrücken wird der kathol. 
Religionsunterricht anstandslos von dem betresfenden Geistlichen 
erteilt, derselbe Fall waltet bei dem hiesigen paritätischen Bro— 
jumnasinm und bei der Ackerbauschule ob — es ist durchaus 
anerfindlich, warum derselbe Grundsatz nicht anch in den danz 
udlegen Verhältnissen der Töchterschule in Geltung stehen soll 
ind warum man es dahin getrieben hat, den Besuch derselben 
den evangelischen Töchtern unmöglich zu machen. Wir lasen 
ünnst mit, Frenden solgende schönen Worte eines katholischen 
Blauties: „Jeht gewinnen die Katholilen wieder die rechle Freu— 
zigkeit, au den nationalen, Aufgaben mitzuarbeiten. Die 
Lrfüllung unserer patriotischen Pflichten wird üns jetzt recht zu 
iner Befriedigung des Herzens. Tie Einigung Teutschlands, 
velche 1501 äußerlich hergestellt wurde, vollendet sich iim Jahre 
Sotz. Es tlonnte lein besseres Mittel gefunden werden, die 
nonarchische iund nationale Gesinnung der Kathotiken zu beleben, 
als die Beendigung des umendlich verbitterten und alle bürger 
ichen Verhältnisse vergiftenden Knlturkampfes.“ Wir haben 
ins, wie gesagt, dieser Worte von Herzen gefreut, — eutsprichi 
huen das Verfahren, das bei Begruͤndung der Tochterschule 
efolut worden ist? Wir hegen nicht die Erivartung, daß das 
elbe redressiert werden wird sondern haben nur die Thätsache 
onstatieren wollen und beschräuken uns auf die Frage: ist es 
patriotisch und national, in dem hier vorliegenden Falle den 
w oft latholischerseits betouten Grundsatz der Gleichberechtigung 
in eine einfache Unterdrückung der evangelischen Minderheil zu 
verwandeln? ist das hier eingeschlagene Verfahren ein Weg ziir 
Finigung oder zur Zwietracht? ist es ein Symptom des Frie 
dens“ oder muß es nicht vielmehr verbitternd auf unsere bürger— 
lichen Verhältnisse wirken? 
— Womn Büchertisch.) Im Verlage der Agentur des 
Rauhen Hanses ist soeben erschienen: „Unssere weibliche 
zugeud“. Seelsorgerliche Erfahrungen und Ratschläge von 
Wilh. Baur, hr. theol., Generalsuperintendenten der Rthein— 
groninz. 126. Preis brosch. 8S)4, feine Ansg. I« — 
Dies Büchlein verdankt, wie der hochwürdige Herr Verfasser 
ni Vorwort bemertt, seine Entstehung dem Wunsch, den Kreis 
mmoöoden der Rheinprovinz, denen als Gegenstand für ihre dies— 
ährigen Verhandlingen „die Fürsorge für die kon— 
irmierte weibliche Jugend“ deheben worden ist, zu⸗ 
zleich eine Cinführung in die Sache zu bieten. Und dasn ist 
es in der That in hohem Maße geeignet. Der Herr Versasser, 
der wie kaum ein anderer an der Lösung dieser wichtigen Frage 
der inneren Mission, über welche anch auf den Kongressen für 
J. M. wiederhoit verhandelt worden ist, durch Wort, Schrist 
und That jahrelang erfolgreich mitgearbeitet hat, berichtet nicht 
nur mit erschöpfender Sachlunde von demjenigen, was bei uns 
und anderwäris barmherzige, seelsorgerliche Christenliebe von 
HMännern und Frauen anf diesem Arbheitsfelde versucht und ge⸗ 
leistet hat, sondern bietet anch aus dem reichen Schatze seiner 
Eriahrungen in seiner bekaunten formpollendeten Weise allerlei 
»rprobte und bewährte Ratschläge zur Bewahrung und Rettung
	        
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