Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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Er überlegk eine Weile. Weun er's thut, daun 
will er noch mehr verdienen. Diese Fahrt soll ihn 
reich machen. Er sordert das Doppelte des Gebotenen. 
Der audere antwortet mit einem Fluch. Sie handeln 
mit einander. Owe bleibt fest bei seiner Forderung. 
Da sagt der andere, sein Kapitän habe ihm den Auftrag 
gegeben, drei tüchtige, befahreue Leute anzuwerben. „Du 
bijt der letzte, der beste!“ sagt er und schlingt seinen Arm 
sester um Owes Nacken, „die andern beiden hab' ich 
schon. So sei es drum! Hier hast du Haudgeld, und 
nun komm' rasch!“ 
Owe blickte auf die drei schweren ausländischen Gold— 
ttücke in seiner Hand, ließ sie laugsam in die Westen— 
tasche gleiten, erhob sich und wollte sagen: „In Gottes 
Namen?“ aber er verschluckte das Wort, es wollte doch 
nicht über seine Lippen; er fühlte es wohl, daß er sich 
dem Bösen verkauft hatte. 
Furchtbares hat Owe auf dem Sklavenschiff erlebt. 
Er hats mit ausehen müisen, wie Menschen, seine Brü— 
der, ärger als das Vieh behandelt wurden. Er hat 
ihnen den halbgekochten Reis in Trögen vorgestellt, 
wie man den Ticren das Futter vorwirst. Er hat sie 
an Seuchen und Krankheiten in der verpesteten Luft 
des Zwischendecks hinsterben sehen. Er hat ihre schwar— 
zen Leichen auss Brett binden und über Bord werfen 
müssen, — und das alles ohne eine Miene dabei zu 
verziehen, als wärs ein chrlich Handwerk und bürgerlich 
Geschäft. 
Dazu die stete Gefahr des Entdecktwerdens. Mehr 
als einmal sind sie nur mit genauer Not dem verfolgen— 
den Kriegsschiff entkommen. — Aber sein Goldschatz 
mehrt sich. Er hat ihn wohl versteckt, ganz unten in 
seiner Kisse, die einen geheimen doppelten Boden hat. 
Er hat Mißtrauen und Vorsicht gelerut, er lebt unter 
Gaunern, sie haben ihn schon bestohlen. Jetzt wird er 
sich schon hüten. Bei nächtlicher Weile, wenn die an— 
dern schlasen, holt er den ledernen Beutel hervor, läßt 
die schweren Goldstücke durch seine Finger gleiten und 
überzählt sie; es sind bald hundert. Wenns hundert 
sind, will er sich davon machen, will er nach Europa, 
dann sollen jeine Vläne wahr werden. 
Graue Nebel brauten über der Norbsee. Die No— 
vemherstürme sind über die Jusel hingezogen, wie in 
jedem Jahr. Die Fahrzeuge sind an den Strand ge— 
zogen. Die Nebel senken sich uber See und Küste und 
decken alles mit ihrem feuchten Mantel. 
Maren ist am Strande gewesen und hat sich Feue— 
ruug gesammelt, angetricbene Holztrümmer, wie das 
Meer sie immer auswirst. Sie hat ihre ganze Schürze 
davon voll. Das soll ihr gut thun bei der kalten, 
seuchten Lust. Maren ist frostig geworden. Sonst 
fühlte sie nichts von der Kälte, das war ihr alles 
einerlei. Aber sie ist nun bald an die Sechzig, da mel— 
det sich das Alter. Sie seuszt und denkt, wer für sie 
jorgen soll, wenn sie nichts mehr lann. An den Jungen 
Owe denkt sie nicht mehr. Den hat die Fremde spurlos 
verschlungen; vielleicht liegt er längst da unten auf dem 
großen überseeischen Kirchhofe. 
Die große Maren denkt auch heute nicht an Owe, 
und gerade heute klopft es an ihre Thür und vor ihr 
steht ein brauner Seemann, den Hut mit dem flattern— 
den Bande weit im Nacken, dicht und voll sind die 
hlonden Kraushaare, und ein üppiger Bart deckt Wan— 
gen und Kinn. Aus dem braunen Gesicht blitzen 
achende Augen das vor Stauuen sprachlose Weib an, 
und eine tiefe Mannesstimme fragt: „Keunst mich wohl 
nicht mehr, alte Wasserratte? Schäm dich! Hast mir 
mein erstes Hemd getrocknet, da sie mich aus dem 
Wasser zogen, und keunst mich nicht mehr!“ Nun schrie 
Maren laut auf. In die Kniee ist sie gesunken; mit 
ihren zitternden Händen hat sie ihn betastet, hat ihm 
die feinen blauen Tuchkleider besfühlt, hat bald geweint 
und bald gelacht, bis es dem Owe zu viel ward. „Na, 
laß man gut sein!“ unterbrach er sie, „back mir nur 
erst mal 'nen Pfannkuchen! Du weißt, wie ich ihn 
gern habe. Und dann sag mal: Lebt denn der Alte 
noch da oben in der Kajüte?“ — Das Weib gab Be— 
scheid, daß der Alte allerdings noch lebe, aber sehr vom 
Gliederreißen geplagt werde. Dann machte sie sich eilig 
aus Geschäft, war aber vor Freude ganz wirr, betrach— 
tete ihren Gast mit Entzücken, bewunderte die schwere, 
goldene Kette, — bis Owe ungeduldig ward und sie 
derbe an ihre Pflicht mahnte. 
Er schlief die Nacht in Marens Hütte und in ihrem 
Bett, das sie so sorgfältig als nur möglich für ihn zu— 
recht schüttelte. Sie selbst legte sich auf den steinernen 
Fußboden und deckte sich mit alten Kleidern zu. In 
der Nacht, wenn sie wach ward, erhob sie sich leise und 
strich sanft mit der Hand über das weiche Haar des 
fest Schlafenden, dann legte sie sich wieder hin. 
Am nächsten Morgen, als der späte Novembertag 
angebrochen, stieg Owe langsam die Düne hinauf. Es 
war beinahe anzusehen, als hinge ihm etwas an den 
Sohlen, so zögernd und schleppend waren seine Schritte. 
Kein Wunder auch. Das böse Gewissen hing wohl 
dran. Endlich war er oben. Der Alte lag noch in 
seiner Hängematte. Das erste, was dem Eintretenden 
entgegeutönte, war der bekannte Ruf des grauen 
Papagei: „Rut mit em — rut mit em!“ Dabei 
träubte das Tier die Federn und schlug mit den 
Flügeln. 
Owe beachtete das nicht, trat an die Hängematte 
heran und sagte: „Morgen, Jens Owesen! Darf'n 
Ausreißer sich auch wieder sehen lassen?“ 
Der alte Mann fuhr sich mit der abgemagerten 
Hand über die Augen, richtete sich mühsam empor, 
starrte den Jungen an, und stieß endlich hervor: „Owe, 
Owe Jensen! Bist du es? bist du es wirklich? Gott 
sei Dank! Dann ist mein Bitten erhört worden, und 
ich kann doch etwas wieder gut machen, was ich an 
dir versäumt habe!“ 
Nun mußte Owe dem Alten behülflich sein, heraus— 
zukommen, er war sehr unbeholfen geworden durch die 
steifen Glieder. Dann ward Kaffee gemacht, und sie 
aßen und tranken zusammen. Kein Wort des Vorwurfs 
oder der Mißbilligung wegen des Jungens Davongehen 
kam über des alten Mannes Lippen. Er klagte nur 
sich selber an, daß er nicht Liebe genug gehabt und 
gezeigt. Er war ganz anders geworden, der alte Ka— 
pifän, alles Harte weich und alle Strenge lauter Sanft— 
mut. — Der Junge saß ihm gegenüber und spielte 
verlegen mit seiner goldenen Uhrketle, er wußte gar 
nichts zu dem Alten zu sagen, es war eine fremde 
Sprache für ihn, er dachte: „Der Alte ist faselig ge— 
worden!“ 
Aber der Alte war keineswegs faselig. Er nahm 
den Jungen scharf aufs Korn, und ließ ihn ein Examen 
bestehen. Alle Schiffe, auf welchem er gefahren. mußte
	        
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