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Er überlegk eine Weile. Weun er's thut, daun
will er noch mehr verdienen. Diese Fahrt soll ihn
reich machen. Er sordert das Doppelte des Gebotenen.
Der audere antwortet mit einem Fluch. Sie handeln
mit einander. Owe bleibt fest bei seiner Forderung.
Da sagt der andere, sein Kapitän habe ihm den Auftrag
gegeben, drei tüchtige, befahreue Leute anzuwerben. „Du
bijt der letzte, der beste!“ sagt er und schlingt seinen Arm
sester um Owes Nacken, „die andern beiden hab' ich
schon. So sei es drum! Hier hast du Haudgeld, und
nun komm' rasch!“
Owe blickte auf die drei schweren ausländischen Gold—
ttücke in seiner Hand, ließ sie laugsam in die Westen—
tasche gleiten, erhob sich und wollte sagen: „In Gottes
Namen?“ aber er verschluckte das Wort, es wollte doch
nicht über seine Lippen; er fühlte es wohl, daß er sich
dem Bösen verkauft hatte.
Furchtbares hat Owe auf dem Sklavenschiff erlebt.
Er hats mit ausehen müisen, wie Menschen, seine Brü—
der, ärger als das Vieh behandelt wurden. Er hat
ihnen den halbgekochten Reis in Trögen vorgestellt,
wie man den Ticren das Futter vorwirst. Er hat sie
an Seuchen und Krankheiten in der verpesteten Luft
des Zwischendecks hinsterben sehen. Er hat ihre schwar—
zen Leichen auss Brett binden und über Bord werfen
müssen, — und das alles ohne eine Miene dabei zu
verziehen, als wärs ein chrlich Handwerk und bürgerlich
Geschäft.
Dazu die stete Gefahr des Entdecktwerdens. Mehr
als einmal sind sie nur mit genauer Not dem verfolgen—
den Kriegsschiff entkommen. — Aber sein Goldschatz
mehrt sich. Er hat ihn wohl versteckt, ganz unten in
seiner Kisse, die einen geheimen doppelten Boden hat.
Er hat Mißtrauen und Vorsicht gelerut, er lebt unter
Gaunern, sie haben ihn schon bestohlen. Jetzt wird er
sich schon hüten. Bei nächtlicher Weile, wenn die an—
dern schlasen, holt er den ledernen Beutel hervor, läßt
die schweren Goldstücke durch seine Finger gleiten und
überzählt sie; es sind bald hundert. Wenns hundert
sind, will er sich davon machen, will er nach Europa,
dann sollen jeine Vläne wahr werden.
Graue Nebel brauten über der Norbsee. Die No—
vemherstürme sind über die Jusel hingezogen, wie in
jedem Jahr. Die Fahrzeuge sind an den Strand ge—
zogen. Die Nebel senken sich uber See und Küste und
decken alles mit ihrem feuchten Mantel.
Maren ist am Strande gewesen und hat sich Feue—
ruug gesammelt, angetricbene Holztrümmer, wie das
Meer sie immer auswirst. Sie hat ihre ganze Schürze
davon voll. Das soll ihr gut thun bei der kalten,
seuchten Lust. Maren ist frostig geworden. Sonst
fühlte sie nichts von der Kälte, das war ihr alles
einerlei. Aber sie ist nun bald an die Sechzig, da mel—
det sich das Alter. Sie seuszt und denkt, wer für sie
jorgen soll, wenn sie nichts mehr lann. An den Jungen
Owe denkt sie nicht mehr. Den hat die Fremde spurlos
verschlungen; vielleicht liegt er längst da unten auf dem
großen überseeischen Kirchhofe.
Die große Maren denkt auch heute nicht an Owe,
und gerade heute klopft es an ihre Thür und vor ihr
steht ein brauner Seemann, den Hut mit dem flattern—
den Bande weit im Nacken, dicht und voll sind die
hlonden Kraushaare, und ein üppiger Bart deckt Wan—
gen und Kinn. Aus dem braunen Gesicht blitzen
achende Augen das vor Stauuen sprachlose Weib an,
und eine tiefe Mannesstimme fragt: „Keunst mich wohl
nicht mehr, alte Wasserratte? Schäm dich! Hast mir
mein erstes Hemd getrocknet, da sie mich aus dem
Wasser zogen, und keunst mich nicht mehr!“ Nun schrie
Maren laut auf. In die Kniee ist sie gesunken; mit
ihren zitternden Händen hat sie ihn betastet, hat ihm
die feinen blauen Tuchkleider besfühlt, hat bald geweint
und bald gelacht, bis es dem Owe zu viel ward. „Na,
laß man gut sein!“ unterbrach er sie, „back mir nur
erst mal 'nen Pfannkuchen! Du weißt, wie ich ihn
gern habe. Und dann sag mal: Lebt denn der Alte
noch da oben in der Kajüte?“ — Das Weib gab Be—
scheid, daß der Alte allerdings noch lebe, aber sehr vom
Gliederreißen geplagt werde. Dann machte sie sich eilig
aus Geschäft, war aber vor Freude ganz wirr, betrach—
tete ihren Gast mit Entzücken, bewunderte die schwere,
goldene Kette, — bis Owe ungeduldig ward und sie
derbe an ihre Pflicht mahnte.
Er schlief die Nacht in Marens Hütte und in ihrem
Bett, das sie so sorgfältig als nur möglich für ihn zu—
recht schüttelte. Sie selbst legte sich auf den steinernen
Fußboden und deckte sich mit alten Kleidern zu. In
der Nacht, wenn sie wach ward, erhob sie sich leise und
strich sanft mit der Hand über das weiche Haar des
fest Schlafenden, dann legte sie sich wieder hin.
Am nächsten Morgen, als der späte Novembertag
angebrochen, stieg Owe langsam die Düne hinauf. Es
war beinahe anzusehen, als hinge ihm etwas an den
Sohlen, so zögernd und schleppend waren seine Schritte.
Kein Wunder auch. Das böse Gewissen hing wohl
dran. Endlich war er oben. Der Alte lag noch in
seiner Hängematte. Das erste, was dem Eintretenden
entgegeutönte, war der bekannte Ruf des grauen
Papagei: „Rut mit em — rut mit em!“ Dabei
träubte das Tier die Federn und schlug mit den
Flügeln.
Owe beachtete das nicht, trat an die Hängematte
heran und sagte: „Morgen, Jens Owesen! Darf'n
Ausreißer sich auch wieder sehen lassen?“
Der alte Mann fuhr sich mit der abgemagerten
Hand über die Augen, richtete sich mühsam empor,
starrte den Jungen an, und stieß endlich hervor: „Owe,
Owe Jensen! Bist du es? bist du es wirklich? Gott
sei Dank! Dann ist mein Bitten erhört worden, und
ich kann doch etwas wieder gut machen, was ich an
dir versäumt habe!“
Nun mußte Owe dem Alten behülflich sein, heraus—
zukommen, er war sehr unbeholfen geworden durch die
steifen Glieder. Dann ward Kaffee gemacht, und sie
aßen und tranken zusammen. Kein Wort des Vorwurfs
oder der Mißbilligung wegen des Jungens Davongehen
kam über des alten Mannes Lippen. Er klagte nur
sich selber an, daß er nicht Liebe genug gehabt und
gezeigt. Er war ganz anders geworden, der alte Ka—
pifän, alles Harte weich und alle Strenge lauter Sanft—
mut. — Der Junge saß ihm gegenüber und spielte
verlegen mit seiner goldenen Uhrketle, er wußte gar
nichts zu dem Alten zu sagen, es war eine fremde
Sprache für ihn, er dachte: „Der Alte ist faselig ge—
worden!“
Aber der Alte war keineswegs faselig. Er nahm
den Jungen scharf aufs Korn, und ließ ihn ein Examen
bestehen. Alle Schiffe, auf welchem er gefahren. mußte