Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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umhertragen, ja, der kluge Vogel hatte so lange seinen 
Kopf dem Kater hingehalten, bis dieser ihm mit der 
Tatze und eingezogener Kralle den Kopf kraute. 
Sobald aber Jens Owesen seine Kaiütenthür bifuete, 
datte er noch einen andern Freund in unmittelbarer 
Nähe, einen alten, tenren Freund, mit dem er zwar 
mauchen ernsten Strauß bestanden, dessen heiligen Ernst 
und sanite Milde er gleichmäßig erfahren, — der zu 
ihm geredet von den gewaltigen Thaten und Gerichten 
des lebendigen Gottes und von seinem ausgestreckten 
Arm, damit er die Werke der Meuschen zerschmettert, 
—aber auch von der ewigen Schönheit, Güte und 
Barmherzigkeit desselben Herrn, der da wohlthut und 
segnet alles, was Leben und Odem hat. Dieser Freund 
war das große, das herrliche, über alle Maßen herr— 
liche Meer. 
Ohne diesen Freund, —— ohne seine altdekannte 
Stimme zu hören, ohne ihn zu sich reden zu kassen, 
hätte der alte Mann nicht leben mögen. Tarum hatte 
er sich hier oben auf der Tüne seine Kafüte gebaut, 
nachdem er das Unglück mit dem Bein gehabt und 
seine Fahrten eingestellt hatte; und hier wollte er nun 
seine Tage beschließen. 
Hatte er denn gar keine Angehörige, keine Familie, 
keine Berwandte? nun ja, es mochte wohl sein, daß 
drüben auf dem Festlande der eine oder andere noch 
sich fände, der ihm ein Vetter von Vetterswegen sein 
köünte; man hatte sich aber nie um ihn gekümmert, 
seit er als Schisisjunge vater- und mutterlos sich sei— 
nen Weg durchs Leben hatte suchen müssen; so hatte 
er sich auch um niemand gekümmert. Später einmalt 
hatte er sich auch ein Weib genommen, das hatte er 
sehr lieb gehabt, und weun er von seinen Reisen auf 
einen oder zwei Monate nach Bremen zurückkam, war 
er ein sehr glückliche Mann. Einmal, — das vergaß 
er nie — trug ihm sein Weib mit strahlendem Gesicht 
einen Knaben auf dem Arm eutgegen, — einen Sohn, 
der ihm die Aermchen entgegenstreckte. Aber als er 
uach Jahren einmal wiederkam, da war das alles vor— 
bei. Seine Wohnung war leer geworden, ganz keer! 
Zuerst war das Kind gestorben und dann seine Frau. 
Seitdem ist Jens Owesen nicht wieder in Bremen ge— 
wesen. Run ist das alles lange, lange her. 
In der Schule hatte er zwar keine große Gelehr— 
samkeit sich erworben: Lesen, Schreiben, Rechnen — dar— 
über gings nicht hinaus — aber hernachmals ist er 
auf dem großen Wasser in Gottes Schule gegangen, 
da hat er zweierlei gelernt, was oft dem Klügsten und 
Gelehrtesten nicht in den Kopf will, und was auch 
schon der Psalmist und der König Salomo als die 
Summa aller Weisheit preisen, nämlich, daß alle 
Menschengröße und Menschenherrlichkeit Staub ist, und 
daß Gott allein mächtig ist. Durch diese Doppelweis— 
heil wird man von Heczen demütig, und den Demüti— 
gen gibt Gott Gnade, uͤnd darin besteht das große, 
gottselige Geheimnis, daß man ein Kind Gottes werde 
und ins Himmelreich komme. 
Damit ist einem denn auch der Sinn aufgeschlossen, 
zu lesen und zu verstehen, erstlich was der lebendige 
Gott in sein heilig Bibelbuch hat schreiben lassen, und 
zweitens, was er mit seinem Finger am Himmel und 
unter dem Himmiel geschrieben hat. 
So lebte denn nun der alte Kapitän in seiner Kajüte 
mit Papagei und Kater, Winter und Sommer, tagaus, 
tagein in aller Stille und Zufriedenheit. Aus Frost 
und Hitze machte er sich nichts. Der Winker war auch 
nicht strenge auf der Jusel, und die Hitze kühlte der 
Secwind. ' In den kurzen Tagen kehrte wohl ein heim— 
gebliebener Maat oder Stenermann in der Kajüte ein, 
im bei einer Pfeife Tabak und einem Grog von gutem 
Jamaita-Rum sein „Garn zu spinnen“ von Ländern und 
Menschen, von Fahrten und Stürmen und dergl. Und 
venn keiner kam, daun las Jens LOwesen erst eine 
Stunde in der Steuermannskunde und dann zwei Stun— 
den in der Bibel. Darauf ward die Koje herabgelas— 
sen, und es gab eine sanft schlafende Nacht, auch wenn 
der Nordwest draußen tobte, als wollte er die Kafüte 
wegreißen. — 
Nach etlichen Jahren wars denn nun so weit, daß 
der gestrandete Junge, bis dahin der großen Maren 
Zögling, auch ein Kajütenbewohner ward. Der alte 
Kapitän hatte ihm die Namen Owe Jenseun zuerteilt, 
indem er seinen eigenen Namen umkehrte. Die leber— 
iedelung aus Marens Hutte in des Kapitäns Kajüte 
var ein großer Abschnitt für diese drei Meuschenkinder, 
uim welche es sich dabei handelte. Der Junge, als 
Hauptperson in der Sache, war jetzt vier bis fünf 
Jahre alt, ein stännniger kleiner Kerl, den jeder für 
aͤlter gehalten hätte, so eine Art von Amphibium, denn seit 
er allein an den Strand laufen kounte, hatte er eben 
so viel in und auf dem Wasser, als am Lande gelebt. 
Die große Maren, die ganz vernarrt in den, Jungen 
zewesen von Anfang her, da sie ihm sein Hemdlein 
in ihrem Herdfeuer getrocknet, hatte ihm unumschränkt 
einen eigenen Willen gelassen; der Junge befahl und 
ie gehorchte. Als sie ihn nun abliefern sollte, gings 
hr beinahe aus Leben. Bald war sie innerlich 
grimmt darüber, bald heulte sie vor sich hin, weun 
einer es sas. Dem Jungen backte sie jeden Tag 
Pfannkuchen von Möweneiern, die er am Strande 
uchte, und sparte Speckfett nicht daran. Und als er 
dann eines Abends nicht wiederkam, weil der Kapitän 
hu in der Kajüte behalten, da setzte die große Maren 
ich auf einen Stein weit hinaus und saß da so lange, 
zis die Flut ihr um die Füße spülte, dann watete sie 
Janz langsam zurück, schlüg ihre Hüttenthür krachend 
us Schloß und warf sich heulend auf ihr Bett. 
Owe hatte wohl Gefühl fur die Liebe des rauhen 
Weibes, es war aber ein unbewußtes. DTaß er jetzt 
mit dem Kater und Papagei zusammen hansen sollte, 
var ihm sehr auziehend, und er hatte keine Thräne 
—E 
Neues für ihn anbrechen sollte, ist er bald gewahr ge— 
worden. (Fortsetzung folgt.) 
„Nun danket alle Gott!“ 
Zur Erinnernung au Martin Rinkart. 
(Geb. am 23. April 1586, gest. am 8. Dezbr. 1649.) 
Wer kennt nicht das einfach großartige Kirchenliecd: 
Nun daunket alle Gott“? und wer hat dies deutsche 
Tedeum nicht schon gesungen, seis für sich allein, wenn 
er nach des Apostels Wort „guten Mutes“ war, seis 
im Kreis der Familie bei einem frohen Anlaß, Taufe, 
Konfirmation oder Hochzeit, seis in der großen Gemeinde 
beim Erntefest, beim Friedensfest oder Siegesfest? Wie 
maunchmal ist dieses Lied erklungen im großen Krieg 
des Jahres 1870, zuerst auf dem Schlachtfeld nach ge— 
wonnenem Sieg, wenn der Abend herniedergestiegen 
war und die Wachtfeuer brannten, und dann, als Echo
	        
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