Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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ein und erschwert ihm das Gehen, — die dürren Halme 
des Strandhafens schlingen sich um das hölzerne Bein; 
fonst ärgert ihn das, jetzt achtet ers nicht, es treibt 
ihn zu sehen, was da unten vorgeht. 
Als er unten ankommt, ziehen sies gerade an den 
Strand. Es ist wirklich eine Art Bettgestell für ein 
Kind. Kissen und Tücher sind sorgfältig darüber ge— 
schnürt, man sieht und hört nichts von einem lebendigen 
Wesen. Die große Frau, die eben aus dem Boot in 
weitem Sprunge ans Land setzt, — es ist die starke 
Maren, Lars Petersens Witwe stürzt sich über dies 
merkwürdige Strandgut, reißt mit kräftiger Hand die 
Bänder und Schnüre los, deckt die Kissen ab, 
und ein lauter Schrei aus aller Munde es ist ein 
Kind — ein lebendiges Kind! Es scheint eben aus 
dem Schlafe aufzuwachen, es mag wohl reichlich ein 
Jahr alt sein es streckt zwei stämmige Aermchen in 
die Höhe mit geballten Fäustchen dran, als wollte es 
sagen: „Was wollt ihr von mir! Laßt mich in Ruhe!“ 
Jens Owesen, der Alte, ist auch nahe herangetreten, 
er schiebt die große Maren unsanft beifeite, daß sie 
knurrt, und bückt sich üuber das Kind. Da lacht es ihn 
an, aus großen schwarzen Angen lacht es ihn holdfelig 
an, — die Weiber sehen es und preisen das liebe Kind 
und das Gotteswunder seiner Rettung, — eine schnattert 
lauter als die andere. 
„Kaptein! Hei lacht! Hei lacht! Kaptein, wat seggt 
hei nun? —Dat is gewiß en Jung! en lütten Prin— 
zen, un is ni mal natt worrn!“ 
„Still!“ gebot der Alte, nachdem er sich etwas aus 
den Augen gewischt; dann wandte er sich an die große 
Maren und sagte ihr, sie solle das Kind mit nach 
Hause nehmen und dafür sorgen, er wolle es ihr be— 
zahlen, und wenns ein Junge wäre, dann wolle er ihn 
annehmen, aber nur, wenns ein Juuge wäre. 
„Dat is en Jung!“ sagte die große Maren mit 
begründeter Zuversicht. Tann wandte sie sich an die 
Umstehenden und sagte: „Kinners! uns oll Kaptein 
sall leben! Dat mag uns Herrgott em seguen! Nu 
hebbt wi denn ok en lütten Kaptein!“ 
Dann lhud sie sich das ganze kleine Bettgestell auf 
ihre breiten Schultern und trabte damit ihrer Hütte 
zu. Hier angelangt, untersuchte sie ganz genau das 
Kind und seine verschiedenen Umhüllnngen. Der Junge 
brüllte jetzt aus Leibeskräften, strampelte mit Armen 
und Beinen, als wollte er sich der Hände erwehren, 
in die er gefallen. Maren kümmerte sich gar nicht um 
sein Geschrei; sie hob die kleinen straffen Beine in die 
Höhe, sie bog die Kniegelenke, betrachtete die wohl— 
geformten Füße und Hände, ptrich sanft über das 
dunkle Köpfchen. Naß war der Junge übrigens doch 
geworden, das seidenweiche schwarze Haar kag fest und 
feucht um die Schläfen. Das Weib rieb den kleinen 
Kerl forgfältig mit einem wollenen Lappen, dann legte 
sie ihn in ihr eigen Bett, wobei das Schreien des Kin— 
des noch immer heftiger ward, fo daß Maren einen 
Versuch machte, etwas Beruhigendes zu singen „vom 
schwarzen Schaf mit vier weißen Füßen, und von der 
Milch, der so füßen.“ Dabei fiel ihr plötzlich ein: Er 
ist natürlich hungrig!“ Sie Zlief Fin den Stall, Rmelkte 
ihre Ziege, goß ihre einzige, unzerbrochene Tasse voll 
und hielt es dem Jungen an den Mund. Es war ein 
allerliebster Mund mit kirschroten Lippen, zuerst aber 
fest zusammengebissen, bis endlich ein Tropfen Milch 
hineindraug, da trank er ungestüm, beinahe widerwillig, 
als thäte ers lieber nicht, aber er müsse ja wohl. 
Maren legte ihn dann wieder in die Kissen, sest 
zugedeckt. Das arme Ding war ja ganz nackt, sie 
nußte ja erst sein Hemdchen und all das andere am 
Herdfeuer trocknen. So schnell war das nicht gethan. 
Sie versuchte es wieder mit ihrem Gesang und dies— 
mal that er seine Wirkung, das Kind steckte einen 
Daumen in den Mund und schlief ein. Nun konute 
Maren alles besorgen. Nach ein paar Stunden erwachte 
der Junge wieder, stieß die Kissen zurück, richtete sich 
kräftig auf, blickte mit den großen Augen um sich und 
rief laut in die Stube hinein: „Mama!“ 
Maren stand in der kleinen Küche am Herd die 
Stubenthür war offen, damit fie alles hören könne 
aber als fie dies „Mama“ hörte, fuhrs ihr in die Beine. 
Sie war nicht schreckhaft, aber daß dies Wurm auch 
chon sprechen könne, war ihr noch gar nicht eingefallen. 
Uud wieder rief es drinnen noch lauter, wie zweimal 
befehlend hinter einander: Mamna! Mama!“ 
Da steht Maren anuch schon neben dem Bett. Aber 
nun wird das „Pamarufen“ ganz schlimm. Man hört 
daraus: „Weg mit dir! Du bist nicht meine Mama, 
ich will die rechte haben! Wo ist die?“ 
Ja, wo ist die? Du arnies Kind! Die liegt still 
und starr drunten in der Tiefe, und die Wasser tragen 
sie fort, weit und weiter hinaus in das große Weltmeer. 
Das war ihr letzter Liebesdienst, den fie an dir gethan, 
ehe die große Sturzsee sie wegriß, daß sie dich in dein 
Bettchen gelegt und mit Kissen wohl verwahrt und mit 
zitternden Händen alles verschnürt hat. Du mußt 
dich schon an eine andere gewöhnen, und die große 
Maren ist auch nicht zu verachten. 
Am nächsten Morgen kam es angestampft auf den 
großen Steinen, die um Marens Hütte lagen. „Gun 
Morrn, Kaptein!“ ruft sie dem Kommenden entgegen 
und weist mit breiten Lachen auf das Kind, das jetzt 
nach einer sanften Nacht in trockenen Kleidern mit bun— 
ken Steinchen und weißen Muscheln in der Stube 
herumspielt. Der Junge steht fest auf seinen strammen 
Beinen, die in roten Strümpfen stecken, und hat bereits 
das Gehen sicher gelernt. 
Als Jens Owesen in die Thür tritt, läuft der 
Kleine ihm entgegen, streckt beide Hände aus, sieht 
fragend und verlangend zu ihm auf, und wieder heißt 
es: „Mama!“ 
„Ja, Kaptein!“ nimmt Maren das Wort, „so geiht 
dat jümmer los: Mama! Mama! is dat einzigste 
wat hei seggt! is awer ok nog!“ 
Der atte Kapitän meint nun auch, das sei aller— 
diugs genug, aber eigentlich zu viel, denn leider sei 
da nicht zu helfen. Dann setzt er der großen Maren 
auseinander, daß er sie für das einzige vernünftige Frauen— 
zimmer auf der Insekh halte, weil sie weniger schwatze, als 
die andern, und mehr thun könne, — das hätte sie auch 
zestern bewiesen, da sie das Boot flott genacht. Darum 
solle sie nun mal zuhören, was er ihr zu sagen habe. 
And nun erzählte er, daß er sein Schreibzeug hervor— 
geholt und geschrieben habe, was lange nicht geschehen. 
Die Tinte wäre auch eingetrocknet gewesen, aber mit 
Wafsser hätte ers aufgelöst, und da seis gegangen. Er 
habe es nämlich in die Bremer Zeitung setzen lassen 
von dem Kinde, und wenns noch Verwandte häaͤtte, dann 
sollten die sich bei ihm melden, — und er hätte seinen 
Ramen Jens Owesen drunter gesetzt. Nun würde man
	        
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