5
ein und erschwert ihm das Gehen, — die dürren Halme
des Strandhafens schlingen sich um das hölzerne Bein;
fonst ärgert ihn das, jetzt achtet ers nicht, es treibt
ihn zu sehen, was da unten vorgeht.
Als er unten ankommt, ziehen sies gerade an den
Strand. Es ist wirklich eine Art Bettgestell für ein
Kind. Kissen und Tücher sind sorgfältig darüber ge—
schnürt, man sieht und hört nichts von einem lebendigen
Wesen. Die große Frau, die eben aus dem Boot in
weitem Sprunge ans Land setzt, — es ist die starke
Maren, Lars Petersens Witwe stürzt sich über dies
merkwürdige Strandgut, reißt mit kräftiger Hand die
Bänder und Schnüre los, deckt die Kissen ab,
und ein lauter Schrei aus aller Munde es ist ein
Kind — ein lebendiges Kind! Es scheint eben aus
dem Schlafe aufzuwachen, es mag wohl reichlich ein
Jahr alt sein es streckt zwei stämmige Aermchen in
die Höhe mit geballten Fäustchen dran, als wollte es
sagen: „Was wollt ihr von mir! Laßt mich in Ruhe!“
Jens Owesen, der Alte, ist auch nahe herangetreten,
er schiebt die große Maren unsanft beifeite, daß sie
knurrt, und bückt sich üuber das Kind. Da lacht es ihn
an, aus großen schwarzen Angen lacht es ihn holdfelig
an, — die Weiber sehen es und preisen das liebe Kind
und das Gotteswunder seiner Rettung, — eine schnattert
lauter als die andere.
„Kaptein! Hei lacht! Hei lacht! Kaptein, wat seggt
hei nun? —Dat is gewiß en Jung! en lütten Prin—
zen, un is ni mal natt worrn!“
„Still!“ gebot der Alte, nachdem er sich etwas aus
den Augen gewischt; dann wandte er sich an die große
Maren und sagte ihr, sie solle das Kind mit nach
Hause nehmen und dafür sorgen, er wolle es ihr be—
zahlen, und wenns ein Junge wäre, dann wolle er ihn
annehmen, aber nur, wenns ein Juuge wäre.
„Dat is en Jung!“ sagte die große Maren mit
begründeter Zuversicht. Tann wandte sie sich an die
Umstehenden und sagte: „Kinners! uns oll Kaptein
sall leben! Dat mag uns Herrgott em seguen! Nu
hebbt wi denn ok en lütten Kaptein!“
Dann lhud sie sich das ganze kleine Bettgestell auf
ihre breiten Schultern und trabte damit ihrer Hütte
zu. Hier angelangt, untersuchte sie ganz genau das
Kind und seine verschiedenen Umhüllnngen. Der Junge
brüllte jetzt aus Leibeskräften, strampelte mit Armen
und Beinen, als wollte er sich der Hände erwehren,
in die er gefallen. Maren kümmerte sich gar nicht um
sein Geschrei; sie hob die kleinen straffen Beine in die
Höhe, sie bog die Kniegelenke, betrachtete die wohl—
geformten Füße und Hände, ptrich sanft über das
dunkle Köpfchen. Naß war der Junge übrigens doch
geworden, das seidenweiche schwarze Haar kag fest und
feucht um die Schläfen. Das Weib rieb den kleinen
Kerl forgfältig mit einem wollenen Lappen, dann legte
sie ihn in ihr eigen Bett, wobei das Schreien des Kin—
des noch immer heftiger ward, fo daß Maren einen
Versuch machte, etwas Beruhigendes zu singen „vom
schwarzen Schaf mit vier weißen Füßen, und von der
Milch, der so füßen.“ Dabei fiel ihr plötzlich ein: Er
ist natürlich hungrig!“ Sie Zlief Fin den Stall, Rmelkte
ihre Ziege, goß ihre einzige, unzerbrochene Tasse voll
und hielt es dem Jungen an den Mund. Es war ein
allerliebster Mund mit kirschroten Lippen, zuerst aber
fest zusammengebissen, bis endlich ein Tropfen Milch
hineindraug, da trank er ungestüm, beinahe widerwillig,
als thäte ers lieber nicht, aber er müsse ja wohl.
Maren legte ihn dann wieder in die Kissen, sest
zugedeckt. Das arme Ding war ja ganz nackt, sie
nußte ja erst sein Hemdchen und all das andere am
Herdfeuer trocknen. So schnell war das nicht gethan.
Sie versuchte es wieder mit ihrem Gesang und dies—
mal that er seine Wirkung, das Kind steckte einen
Daumen in den Mund und schlief ein. Nun konute
Maren alles besorgen. Nach ein paar Stunden erwachte
der Junge wieder, stieß die Kissen zurück, richtete sich
kräftig auf, blickte mit den großen Augen um sich und
rief laut in die Stube hinein: „Mama!“
Maren stand in der kleinen Küche am Herd die
Stubenthür war offen, damit fie alles hören könne
aber als fie dies „Mama“ hörte, fuhrs ihr in die Beine.
Sie war nicht schreckhaft, aber daß dies Wurm auch
chon sprechen könne, war ihr noch gar nicht eingefallen.
Uud wieder rief es drinnen noch lauter, wie zweimal
befehlend hinter einander: Mamna! Mama!“
Da steht Maren anuch schon neben dem Bett. Aber
nun wird das „Pamarufen“ ganz schlimm. Man hört
daraus: „Weg mit dir! Du bist nicht meine Mama,
ich will die rechte haben! Wo ist die?“
Ja, wo ist die? Du arnies Kind! Die liegt still
und starr drunten in der Tiefe, und die Wasser tragen
sie fort, weit und weiter hinaus in das große Weltmeer.
Das war ihr letzter Liebesdienst, den fie an dir gethan,
ehe die große Sturzsee sie wegriß, daß sie dich in dein
Bettchen gelegt und mit Kissen wohl verwahrt und mit
zitternden Händen alles verschnürt hat. Du mußt
dich schon an eine andere gewöhnen, und die große
Maren ist auch nicht zu verachten.
Am nächsten Morgen kam es angestampft auf den
großen Steinen, die um Marens Hütte lagen. „Gun
Morrn, Kaptein!“ ruft sie dem Kommenden entgegen
und weist mit breiten Lachen auf das Kind, das jetzt
nach einer sanften Nacht in trockenen Kleidern mit bun—
ken Steinchen und weißen Muscheln in der Stube
herumspielt. Der Junge steht fest auf seinen strammen
Beinen, die in roten Strümpfen stecken, und hat bereits
das Gehen sicher gelernt.
Als Jens Owesen in die Thür tritt, läuft der
Kleine ihm entgegen, streckt beide Hände aus, sieht
fragend und verlangend zu ihm auf, und wieder heißt
es: „Mama!“
„Ja, Kaptein!“ nimmt Maren das Wort, „so geiht
dat jümmer los: Mama! Mama! is dat einzigste
wat hei seggt! is awer ok nog!“
Der atte Kapitän meint nun auch, das sei aller—
diugs genug, aber eigentlich zu viel, denn leider sei
da nicht zu helfen. Dann setzt er der großen Maren
auseinander, daß er sie für das einzige vernünftige Frauen—
zimmer auf der Insekh halte, weil sie weniger schwatze, als
die andern, und mehr thun könne, — das hätte sie auch
zestern bewiesen, da sie das Boot flott genacht. Darum
solle sie nun mal zuhören, was er ihr zu sagen habe.
And nun erzählte er, daß er sein Schreibzeug hervor—
geholt und geschrieben habe, was lange nicht geschehen.
Die Tinte wäre auch eingetrocknet gewesen, aber mit
Wafsser hätte ers aufgelöst, und da seis gegangen. Er
habe es nämlich in die Bremer Zeitung setzen lassen
von dem Kinde, und wenns noch Verwandte häaͤtte, dann
sollten die sich bei ihm melden, — und er hätte seinen
Ramen Jens Owesen drunter gesetzt. Nun würde man