Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

— Amtseinführung.) Am Sonntag, den 4. April, 
bormitt. 10 Uhr, wurde in der Hofkirche zu Breslau Herr Pastor 
Spieß aus Friedrichsthal durch den Königlichen General— 
Superintendenten, Professor Dr. Erdmaun in sein Amt als 
zweiter Pastor der Hofkirchengemeinde eingeführt. Nach der 
Ansprache des Generalsuperintendenten und nachdem der kirch— 
liche Gesaugverein den Psalm „Der Herr ist mein Hirt“ vorge— 
tragen hatte, predigte der neue Seelsorger über das Schriftwort 
J. Corinther Kap. I1 V. 1: „Seid meine Nachfolger, gleichwie 
ich Christi.“ Vor 15 Jahren hatte er bereits als dritter Pre 
diger an der Hofkirche, sowie als Religionslehrer am Friedrichs— 
GBymunasium in Vreslau fungiert. Am Nachmittag fand zu Ehren 
des neneingeführten Pastors ein Diner in der Loge „zum gol— 
denen Scepter“ statt, au welchem sich das Presbyterium, Lehrer 
des Friedrichs-Gymnasiums, Gemeindemitglieder und viele 
Freunde, im ganzen 5Personen an der Zahl, beteiligten. Möge 
Gottes reicher Segen auf dem neugeschlossenen Bunde zwischen 
Hirt und Gemeinde ruhen! 
— Die in der Nähe von Bielefeld gelegene Arbeiter— 
köalonie Wilhelmsdorf ist durch verschiedene Aukäufe in 
der letzten Zeit bedeutend erweitert worden. Sie umfaßt gegen— 
wärtig sechs Bauernhöfe und ist so eingerichtet, daß über 31) 
Personen Aufnahme finden können, eine Zahl, die trotz des Ar— 
beitsmangels und des harten Winters nicht erreicht wärde. 
— Der 24. Kongreß für innere Mission wird 
im September dieses Jahres in Breshau abge— 
halten werden. Bereits hat sich daselbst ein Lokalkomite ge— 
bildet, au dessen Spitze der Oberpräsident von Seydewitz 
und der Konsistorial Präsident Stolzmann stehen. 
— Die Frage der Mischehen soll bei Gelegenheit der 
Bearbeituug der Ergebnisse der letzten Volkszählung im stati— 
stischen Büreau einein sorgfältigen Studium unterzogen werden. 
Zu diesen Zwece ist eine besondere Beamten-Abteilung abge— 
zweigt, welche nach den Angaben der Zählkarten sowohl die 
Zahl der im Deutschen Reich bestehenden Mischehen, wie nament- 
lich das bei den Kindern, die aus solchen Ehen hervorgegangen 
sind, obwaltende Konfessionsverhältnis feststellen soll. 
— Der Bazar zum besten der evangelisschen Ge— 
meindediakonise in Rom hat das sehr erfrenliche Re— 
sultat ergeben, daß einschließlich der Geldgeschenke 17000 M. 
Reingewinn vereinnahmt werden konnten. Diese Einnahme 
überstieg alle Erwartungen. Die beiden Diakonissen haben ihre 
Thätigkeit inn Dezember v. J. in der ewigen Stadt“ begonnen. 
Gott segne ihre Arbeit zum vollen Bekenntnis des in der Liebe 
thätigen evangelischen Glaubens. 
— Am 21. Februar hat Papst Leo XIII. im Vatikan in 
jeierlichster Weise und im Beisein der in Rom anwesenden 
Kardinäle, „sowie der hohen Diplomatie“ die Seligsprechung 
von vier „ehrwürdigen Dienern Gottes“ verkündet, darunter 
die des im Jahre 1820 zu Wien gestorbenen Clemens Maria 
dofba user vom Redemptoristenorden. Seit vielen hundert 
Jahren ist kein Deutscher mehr von der römischen Kirche heilig 
gesprochen. Die letzten waren Bennd von Meißen und der 
Markgraf Leopold von Oesterreich und die leßtzte heilig ge— 
sprochene Frau war die hl. Elisabeth von Thiüringen, welche 
fämtlich vor mehr als 690 Jahren lebten. Die Kauonisation 
des ersten Deutschen seit (00 Jahren ist ein bedeutsames Zeichen 
der Zeit. Sie ist ein deutlicher Beweis davon, daß die Kurie 
endlich exkannt hat, was für eine Macht und welche Nuter— 
ttützung sie an den deutschen Katholiken besitzt, und zugleich die 
Affentliche Erklärung, daß sie sich in Zukunft nicht mehr aus— 
schließlich auf die romanischen Völker, sondern auch auf die 
deutschen stützen wird. 
- Die Eifersucht der türkischen Behörden gegen die 
evangelische Mission nimmt mit ihrer politischen Ohn⸗ 
macht immer mehr zu. In Konstantinopel wurde der Bibel— 
verkauf durch Kolporteure verboten. Barum? — Weil die 
mohammedanische Obrigkeit zu seht von Ehrfurcht gegen dieses 
heilige Buch durchdrungen sei, als daß sie mit ansehen könne. 
wie man mit der Bibel hausiere! Nicht übel. 
— Die Cedern,auf dem Libanon, früher barbarisch 
vertilgt, beginnen wieder langsam sich zu mehren. Der Botaniker 
Rauwolf, welcher im Jahr 1573 dieselben zählte, fand nur 24, 
während der Reisende Burkhardt im Jahre 1810 300 kleine, 
50 mittelgroße und 25 sehr große, im hanzen also 375 zählte. 
Die neueste Ermittelung durch Anderlind ergab 397 Stämme. 
— Aehnlich ist auch das lautere Christentum in jenen Gegenden 
wieder langsam am wachsen. Besonders die Kaiserswerther 
Schwestern thun dort neben den englischen Missionaren ein gutes 
Werk, in Krautenpflege und Waisenerziehung in Beirut, Leider 
hat ihr Waisenhaus Zoar in Beirut sein 2jähriges Jubelfest 
mit Seufzen über eine sehr große Schuldenlast beginnen müssen. 
Hdöchte die christliche Liebe sich auch unter uns aujmachen, die— 
elbe tilgen zit helfen! 
— (Bibelverbreitung.) Von Wien aus erging im 
Dezember v. J. an die englische Bibelgesellschaft die Bitte, 
504)0 Neue Testamente in serbischer Sprache drucken zu lassen, 
um sie unter den im bulgarisch-serbischen Kriege Verwundeten 
und Gefangenen zu verteilen. Nach eingeholter Erlaubnis fand 
ein Colporteur, mit Büchern versehen, in Belgrad Zutritt zu 
den dort in zienmlicher Anzahl versammelten bulgarischen Kriegs— 
zefangenen. Die Arbeit des Verteilens der Bücher wurde ihm 
ogar wesentlich durch die Mithillfe eines Offiziers, der den 
Führer machte, erleichtert. Es wurden zunächst diejenigen Sol⸗ 
daten herausgesucht, die überhaupt lesen konnten, und der Bibel— 
raent hatte Mühe, sich der Leute zu erwehren, so umdrängten 
sie ihn mit stürmischen Bitten nach einem Neuen Testament. 
Viele baten sogar ausdrücklich um ein Exemplar mit beigefügten 
Psalmen, und waren voll Tank für die ihnen erwiesene Für— 
sorge der Bibelgesellschaft. In einem Fort, wo einige hundert 
Soldaten saßen, genügten drei Säcke mit Büchern nicht, um das 
Verlangen darnach zu befriedigen, und als der Verteiler den 
Müchweg antrat, sah er hin und her verstreut die Leute auf 
hhren Strohlagern eifrig mit dem Lesen von Gottes Wort be— 
schäftigt. Weil der Vorrat nur zu bald erschöpft war, mußte 
leider von Besuchen bei den in einer anderen Stadt unterge— 
brachten Kriegsgefangenen abgesehen werden. 
—(Eine Kinderbitte.) Ein zehnjähriger Knabe, 
das Kind reicher Eltern, war hossnungslos krank. Er hatte 
diel von den armen Heiden gehört und gelesen, und der Wunsch, 
etwas für sie thun zu können, verließ ihn nicht. Eines Tages 
bat er sich Papier und Feder aus, schrieb eifrig und geheimnis— 
holl eine Menge Zettel und gab sie seinen Eltern mit der drin— 
genden Bitte, sie doch ja an sur Heiden zu schicken. Die kleinen 
Papierstreisen enthielten iruner nur wenige Worte., aber 
vie rührten sie die Eltern des sterbenden Knaben! Da stand: 
Bitte, lieber Heidenmann, werde doch ein Christ!“ Auf dem 
andern: „Liebe Heidenfrau, werde doch, bitte, eine Christin!“ 
Und auf dem drilten: „Vitte, bitte, liebes Heidenkind, werde 
doch ein Christenkind!“ — Als der Knabe gestorben war, konn— 
len die Eltern nicht ohne Thränen an die Bitten ihres Kindes 
denken, und die Zettel mahnten sie immer au die ehwa der⸗ 
elben. Sie befchlossen, auf eigene Kosten einen Missionar aus⸗ 
zurüsten und zu den Heiden zu schicken. Die Station, die so 
don den trauernden Eltern gegründet worden ist, gehört zu den 
segensreichsten und größten. 
„Kleine Geschenke unterhalten die Freund— 
schaft.“ Nicht nur bei den Kindern, die es offen eingestehen: 
„Ich liebe den Onkel am meisten, der mir immer etwas mit— 
bringt“, ist dies der Fall. Bei allen einfachen und schlichten 
Natüren, die nicht vermögen, die Absichten zu durchschauen, die 
derzen zu ergründen, ist das „Geben“ der deutliche Beweis der 
horhandenen Liebe. Und wie sollte es auch nicht? Ist es doch 
die beredteste Sprache von Herz zu Herzen, einander etwas zu 
Liebe zu thun, ohne Dank zu fordern und Lohn zu erwarten! 
ẽs gibt Menschenfreunde genug, die auf Abhülfe der Notstände 
nedächt sind und sich bereit fühlen, bei vorkommender Gelegen— 
jeit ein großes Opfer zu bringen und eine humane Handlung 
zu verrichten. Aber die meisten von ihnen behalten den Schatz 
der Menschenliebe im Schweißtuch unbenutzt und ungesegnet, 
veil die Hand es nicht gelernt hat, die Verbündete des Herzens 
zu sein, und weil die Kluft zwischen der Sonntagswelt unserer 
umgnen Ideen und dem alltäglichen Leben sehr groß ist. Der 
im Hülfe Flehende sieht nicht dein volles Herz, nur deine leere 
dand! Es wird ihm schwer, an deine Teilnahme zu glauben, 
vo er keine thatsächlichen Beweise sieht. Darum lerne schenken! 
In den Seelen der Armen sieht es oft finster und bitter aus, 
weil keine Freundeshand sich nach ihnen ausstreckt, niemand 
hres Elendes zu achten scheint, kein freundliches Wort ihnen 
von dem spricht, der auch ihr Helfer sein will! 
Bibelkalender. 
Evang.: Marc. 16, 1-8. Epist.: 1. Cor. 5, 6-8. 
Morgens. 
Zonntag, 25. April: Matth. 22ꝛ 
Montag, 26. Joh. 241- 18. 
Dienstag, 272. . Lucä 24, 36-47 
Mittwoch, 2B. Jona 
Donnerst. 29. 
Freitag, 30. 
Samstag, 1. Mai 
Abends. 
Joh. 2, 19- 23. 
Psalm 111. 
Apg. 13, 26-33. 
Jeh. . 2431. 
21, 15-25. 
Pfalm 132
	        
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