Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

lediglich französisch-englischen Geheimabmachungen verdankt 
Serr Stephens wird selbst der Auffassung sein, daß es nach 
ßjähriger sranzösischer Präsidentschaft zweckmäßig gewesen 
wäre, wenn sich der Geist von Locarno im Saargebiet nun— 
mehr in Gestait eines wirklich neutralen Präsidenten vor— 
gestellt hätte. Ob Herr Stephens diese wirklich neutrale 
und gerechte Persönlichkeit ist und sein will, das wird Herr 
Stephens erst durch die Tat beweisen können. Ihn hat der 
Völkerbundsrat auf Grund des französisch-englischen Vor— 
schlages an die Stelle Herrn Raults gesetzt, er selbst hat 
sicherlich nichts dazu getan, dieses gewiß nicht leichte Erbe 
anzutreten. Vielleicht ist auch Herr Rault froh, von einer 
Bürde befreit zu seit, die durch den Doppelauftrag vom 
Volkerbund und von Frankreich nicht leichter geworden ist. 
An Herrn Stephens wird es allein liegen, durch seine Maß—⸗ 
nahmen, durch seine Regierungsweise sich das Vertrauen 
der Bevölkerung zu verdienen, sich den Ruf eines un—⸗ 
parteiischen Beauftragten des Völkerbundes zu erringen. 
Man wird es uns nicht verdenken können, wenn wir 
den Beschlüssen des Völkerbundsrates nach wie vor skeptisch 
gegenüber stehen. Gerade das Saargebiet hat allen Grund, 
dem Völkerbund zu mißtrauen, nachdem ihm bisher nicht 
ein einziges Mal das Recht eingeräumt worden ist, wenig— 
stens einen ganz kleinen Anteil an der Gestaltung der 
Geschicke des Saargebiets zu nehmen. Die alliierten und 
assoziierten Mächte, die in Versailles das Saarstatut 
schmiedeten, haben, wie sich aus der späteren Anwendung 
dieser Bestimmungen durch die von ihnen ernannte Saar— 
regierungskommission ergab, diesem eine Auslegung ge— 
geben, die wenig von dem Gedanken des Selbstbestimmungs— 
rechts erkennen läßt. Nur zu deutlich hat die bjährige Ver— 
waltungstätigkeit des Herrn Rault bewiesen, daß sie darauf 
eingefstellt war, das Saargebiet für die fran— 
zösische Annexion reif zu machen. Der Völker⸗ 
bund hat diese Bestrebungen dadurch unterstützt, daß er 
Serrn Rault nicht an seine Pflichten erinnerte. Diese hat 
der Völkerbundsrat in seiner Sitzung vom 13. Februar 16820 
selbst dahin knapp und eindeutig zusammengefaßt: 
„Die Reqierun nhat keine 
andern Aufe . als das 
Wohlergehen es Saar⸗ 
bdeckengebiets.“ 
Dieser Anweisung sind mehrfache Erklärungen der 
alllierten und assoziserten Mächte vorausgegangen, in 
welchen fie zusichern und erklären: 
„Das Gebiet wird nicht unter die Souveränität 
Frankreichs gestellt, sondern unter die Kontrolle des 
ebandecn (Mantelnote der Alliierten vom 16. Juni 
„Die Regierungskommission ist nicht 
Regierung, sondern dem Völkerbund 
Antwort der Alliierten an die deutsche 
16. Juni 1919). 
„Die alliterten und assoziierten Regierungen haben 
die größte Sorgfalt darauf verwandt, den Bewohnern 
des Gebietes selbst jeden nationalen und moralischen 
Schaden zu ersparen. Ihre Interessen sind in jeder Hin⸗ 
sicht sorgfältig beachtet worden und ihre Rechtslage wird 
verbessert werden .... Die Kommission wird gehalten 
sein, die Anficht der gewählten Vertreter des Gebietes 
zu hören, bevor fie zu irgendeiner Gesetzesordnung oder 
zur Erhebung einer neuen Steuer schrestet.“ (Antwori 
Neglunerten an die deutsche Delegation vom 16. Juni 
„Die Einwohner behalten ihre örtlichen Vertretungen, 
ihre religiösen Freiheiten, ihre Schulen und den Gebrauch 
hrer Sprache.“ (Antwort der Alliierten an die deutsche 
Delegation vom 16. Juni 1919). 
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Dem neuen Präsidenten der Saarregierung werden alle 
diese Vestimmungen, Erklärungen und Zusicherungen der 
damals Alliierten und jetzigen Völkerbundshauptmächte 
nicht unbekannt sein. Dennoch empfehlen wir ihm, der bis⸗ 
her lediglich diese Bestimmungen in der Auslegung des 
Herrn Rault in Anwendung bringen durfte, sie sich noch—⸗ 
mals sorgfältig durchzulesen, und ihnen den Geist einzu⸗ 
hauchen, der in Locarno neu geboren worden sein soll, und 
in Genf seine, wenn auch leder mißglückte Taufe erhielt. 
Wir wissen ganz genau, daß Herrn Sephens schwere Auf⸗ 
gaben im Saargebiet harren. Die Lage des Saargebiet; 
ist besonders in wirtschaftlicher Beziehung keine günstige, 
J ist besonders schwlerig geworden durch die von Herm 
Rault erzwungene Einführung der franzöfischen Währung, 
durch die hemmungslos durchgeführte an von 
Deutschland. Herr Stephens hat bisher die Finanzen des 
Landes verwaltet. Er hat also genauen Emblick in die 
wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Saar 
gebiets, das jetzt seiner besonderen Fürsorge unterstellt ist. 
Er Fennt vor allem die steuerlichen Verhältnisse und weiß. 
daß der Hauptunternehmer des Landes 
nämlich der französische Grubenfiskus, 
auf Kosten der Bepvölkerung, vor allem der 
Arbeiterschaft steuerlich in einer Weise geschont wird 
das man den Verdacht bewußter Korruptionspolitik nicht 
los wird. Mit Locarnogeist und Forderung der Gerechtig 
keit hat diese Steuerwirtschaft jedenfalls nichts zu tun. 
herr Stephens kennt weiter die verschiedenen bereits öffent 
lich erörterten Korruptionsherde in der Saar— 
verwaltung, kennt die Ursachen, die bisher ein korrektee 
Verhältnis zwischen Saargebietsbevölkerung und Saar— 
regierung nicht aufkommen ließen. 
Weil Präsident Stephens alles das kennt, alles mu 
erlebt hat, was den Völkerbundsgedanken ertötete, zum 
mindesten trübte, deshalb ist die Aufgabe, die seiner wattet 
einesteils recht schwer, zum anderen wiederum leicht, wenn 
er den Willen hierzu hat. Aber nicht nur die Fehler und 
Mißgriffe der Vergangenheit sind es, die seine Arbeit 
chwierig gestalten. Hemmungen werden ihm bei der Durch 
führung seiner Treuhändertätigkeit innerhalb der Saar— 
regierung, selbst erwachsen. Der Völkerbundsrat hat in 
einer Sitzung vom 18. März zum französischen 
Mitglied der Saarregierung den bisherigen General— 
ekretär der Regierungskommisssion, Herrn Morize er— 
tannt. Herr Morize war die rechte Hand Herrn Raults, 
herr Morize galt als Vertrauensmann jener sranzösischen 
Saarpolitiker, die mit besonderer Nachdrücklichkeit die fran— 
zöfische Propaganda im Saargebiet unterstützten. Herr 
Morize war derjenige, der die politischen Niche peedee 
ßerrn Rault in die Tat umsetzte, der die Maßnahmen 
ormulierte, die in all diesen 6 Jahren hindurch immer 
wieder Anlaß zur Kritik, zum Protesi, zur Abwehr gaben 
Wie wir bereits in unserer letzten Rummer mitteilten. 
hatte sich das „Echo de Paris“ sehr ernsthaft und ein— 
vng mit der Frage befaßt, ob nach dem Ausscheiden 
Raults das neuzuwählende französische Saarregierungs— 
mitglied die Leitung der französischen Propa— 
zanda im Sagargebiet übernehmen könne. Das 
Blatt verlangte, daß der französische Delegierte denjenigen 
freie Hand läßt, die sich mit der Organisation dieser Propa— 
ganda beschäftigen wollen. Zwischen den Zeilen dieser Aus— 
führungen war zu lesen, daß HFerr Morize bisher 
diejenige Persönlichkest war, die die Lei— 
tung der französischen Propaganda im 
Saargebiet in der Hand hatte. Aus zahlreichen 
Vorkommnissen wußte man das im Saargebiet seit langem. 
Präsident Stephens wird daher sehr ernsthaft zu prufen 
haben, ob er gewillt ist, Herrn Motize, der jetzt das fran— 
zösische Mitglied in der Saarregierung geworden ist, weiter⸗ 
hin diese nebenamtliche Betätigung als französischer Propa⸗ 
jandaleiter — die ihm vielleicht als Hauptaufgabe galt — 
gestatten darf. 
Der Völkerbundsrat hat weiter zu Mitgliedern der Saar— 
segerune ernannt den Belgier Lambert, der trot 
— ücktrittsdrohung im Saargebiet bleibt und sür 
Vorzugstarife für die französische Saarkohle auf den 
Saareisenbahnen sorgen wird, und den Tschechen 
Dr. Vezensky, dem unter anderm das saarländische 
Schulwesen untersteht. Herr Stephens fieht sich also in 
einem Fünfmänner-Kollegium drei französfischen bzw. 
frankophilen Mitgliedern gegenüber, denen gegenüber er 
mit Herrn Koßmann ails saarländisches Mitglied in der 
Minderheit bleibt. 
Eine sehr wichtige Frage, die zu lösen die erste Auf- 
abe des Präfidenten Stephens sein wird, ist die der 
rbeitsverteilung innerhalb der Regie— 
rungskommissäon.“ Wie bereiis erwähnt, hatte Herr 
Stephens bisher die Steuern, Finanzen und Forsien des 
Saargebiets zu verwalten. Herr Rault hatte länmtliche
	        
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