lediglich französisch-englischen Geheimabmachungen verdankt
Serr Stephens wird selbst der Auffassung sein, daß es nach
ßjähriger sranzösischer Präsidentschaft zweckmäßig gewesen
wäre, wenn sich der Geist von Locarno im Saargebiet nun—
mehr in Gestait eines wirklich neutralen Präsidenten vor—
gestellt hätte. Ob Herr Stephens diese wirklich neutrale
und gerechte Persönlichkeit ist und sein will, das wird Herr
Stephens erst durch die Tat beweisen können. Ihn hat der
Völkerbundsrat auf Grund des französisch-englischen Vor—
schlages an die Stelle Herrn Raults gesetzt, er selbst hat
sicherlich nichts dazu getan, dieses gewiß nicht leichte Erbe
anzutreten. Vielleicht ist auch Herr Rault froh, von einer
Bürde befreit zu seit, die durch den Doppelauftrag vom
Volkerbund und von Frankreich nicht leichter geworden ist.
An Herrn Stephens wird es allein liegen, durch seine Maß—⸗
nahmen, durch seine Regierungsweise sich das Vertrauen
der Bevölkerung zu verdienen, sich den Ruf eines un—⸗
parteiischen Beauftragten des Völkerbundes zu erringen.
Man wird es uns nicht verdenken können, wenn wir
den Beschlüssen des Völkerbundsrates nach wie vor skeptisch
gegenüber stehen. Gerade das Saargebiet hat allen Grund,
dem Völkerbund zu mißtrauen, nachdem ihm bisher nicht
ein einziges Mal das Recht eingeräumt worden ist, wenig—
stens einen ganz kleinen Anteil an der Gestaltung der
Geschicke des Saargebiets zu nehmen. Die alliierten und
assoziierten Mächte, die in Versailles das Saarstatut
schmiedeten, haben, wie sich aus der späteren Anwendung
dieser Bestimmungen durch die von ihnen ernannte Saar—
regierungskommission ergab, diesem eine Auslegung ge—
geben, die wenig von dem Gedanken des Selbstbestimmungs—
rechts erkennen läßt. Nur zu deutlich hat die bjährige Ver—
waltungstätigkeit des Herrn Rault bewiesen, daß sie darauf
eingefstellt war, das Saargebiet für die fran—
zösische Annexion reif zu machen. Der Völker⸗
bund hat diese Bestrebungen dadurch unterstützt, daß er
Serrn Rault nicht an seine Pflichten erinnerte. Diese hat
der Völkerbundsrat in seiner Sitzung vom 13. Februar 16820
selbst dahin knapp und eindeutig zusammengefaßt:
„Die Reqierun nhat keine
andern Aufe . als das
Wohlergehen es Saar⸗
bdeckengebiets.“
Dieser Anweisung sind mehrfache Erklärungen der
alllierten und assoziserten Mächte vorausgegangen, in
welchen fie zusichern und erklären:
„Das Gebiet wird nicht unter die Souveränität
Frankreichs gestellt, sondern unter die Kontrolle des
ebandecn (Mantelnote der Alliierten vom 16. Juni
„Die Regierungskommission ist nicht
Regierung, sondern dem Völkerbund
Antwort der Alliierten an die deutsche
16. Juni 1919).
„Die alliterten und assoziierten Regierungen haben
die größte Sorgfalt darauf verwandt, den Bewohnern
des Gebietes selbst jeden nationalen und moralischen
Schaden zu ersparen. Ihre Interessen sind in jeder Hin⸗
sicht sorgfältig beachtet worden und ihre Rechtslage wird
verbessert werden .... Die Kommission wird gehalten
sein, die Anficht der gewählten Vertreter des Gebietes
zu hören, bevor fie zu irgendeiner Gesetzesordnung oder
zur Erhebung einer neuen Steuer schrestet.“ (Antwori
Neglunerten an die deutsche Delegation vom 16. Juni
„Die Einwohner behalten ihre örtlichen Vertretungen,
ihre religiösen Freiheiten, ihre Schulen und den Gebrauch
hrer Sprache.“ (Antwort der Alliierten an die deutsche
Delegation vom 16. Juni 1919).
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Dem neuen Präsidenten der Saarregierung werden alle
diese Vestimmungen, Erklärungen und Zusicherungen der
damals Alliierten und jetzigen Völkerbundshauptmächte
nicht unbekannt sein. Dennoch empfehlen wir ihm, der bis⸗
her lediglich diese Bestimmungen in der Auslegung des
Herrn Rault in Anwendung bringen durfte, sie sich noch—⸗
mals sorgfältig durchzulesen, und ihnen den Geist einzu⸗
hauchen, der in Locarno neu geboren worden sein soll, und
in Genf seine, wenn auch leder mißglückte Taufe erhielt.
Wir wissen ganz genau, daß Herrn Sephens schwere Auf⸗
gaben im Saargebiet harren. Die Lage des Saargebiet;
ist besonders in wirtschaftlicher Beziehung keine günstige,
J ist besonders schwlerig geworden durch die von Herm
Rault erzwungene Einführung der franzöfischen Währung,
durch die hemmungslos durchgeführte an von
Deutschland. Herr Stephens hat bisher die Finanzen des
Landes verwaltet. Er hat also genauen Emblick in die
wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Saar
gebiets, das jetzt seiner besonderen Fürsorge unterstellt ist.
Er Fennt vor allem die steuerlichen Verhältnisse und weiß.
daß der Hauptunternehmer des Landes
nämlich der französische Grubenfiskus,
auf Kosten der Bepvölkerung, vor allem der
Arbeiterschaft steuerlich in einer Weise geschont wird
das man den Verdacht bewußter Korruptionspolitik nicht
los wird. Mit Locarnogeist und Forderung der Gerechtig
keit hat diese Steuerwirtschaft jedenfalls nichts zu tun.
herr Stephens kennt weiter die verschiedenen bereits öffent
lich erörterten Korruptionsherde in der Saar—
verwaltung, kennt die Ursachen, die bisher ein korrektee
Verhältnis zwischen Saargebietsbevölkerung und Saar—
regierung nicht aufkommen ließen.
Weil Präsident Stephens alles das kennt, alles mu
erlebt hat, was den Völkerbundsgedanken ertötete, zum
mindesten trübte, deshalb ist die Aufgabe, die seiner wattet
einesteils recht schwer, zum anderen wiederum leicht, wenn
er den Willen hierzu hat. Aber nicht nur die Fehler und
Mißgriffe der Vergangenheit sind es, die seine Arbeit
chwierig gestalten. Hemmungen werden ihm bei der Durch
führung seiner Treuhändertätigkeit innerhalb der Saar—
regierung, selbst erwachsen. Der Völkerbundsrat hat in
einer Sitzung vom 18. März zum französischen
Mitglied der Saarregierung den bisherigen General—
ekretär der Regierungskommisssion, Herrn Morize er—
tannt. Herr Morize war die rechte Hand Herrn Raults,
herr Morize galt als Vertrauensmann jener sranzösischen
Saarpolitiker, die mit besonderer Nachdrücklichkeit die fran—
zöfische Propaganda im Saargebiet unterstützten. Herr
Morize war derjenige, der die politischen Niche peedee
ßerrn Rault in die Tat umsetzte, der die Maßnahmen
ormulierte, die in all diesen 6 Jahren hindurch immer
wieder Anlaß zur Kritik, zum Protesi, zur Abwehr gaben
Wie wir bereits in unserer letzten Rummer mitteilten.
hatte sich das „Echo de Paris“ sehr ernsthaft und ein—
vng mit der Frage befaßt, ob nach dem Ausscheiden
Raults das neuzuwählende französische Saarregierungs—
mitglied die Leitung der französischen Propa—
zanda im Sagargebiet übernehmen könne. Das
Blatt verlangte, daß der französische Delegierte denjenigen
freie Hand läßt, die sich mit der Organisation dieser Propa—
ganda beschäftigen wollen. Zwischen den Zeilen dieser Aus—
führungen war zu lesen, daß HFerr Morize bisher
diejenige Persönlichkest war, die die Lei—
tung der französischen Propaganda im
Saargebiet in der Hand hatte. Aus zahlreichen
Vorkommnissen wußte man das im Saargebiet seit langem.
Präsident Stephens wird daher sehr ernsthaft zu prufen
haben, ob er gewillt ist, Herrn Motize, der jetzt das fran—
zösische Mitglied in der Saarregierung geworden ist, weiter⸗
hin diese nebenamtliche Betätigung als französischer Propa⸗
jandaleiter — die ihm vielleicht als Hauptaufgabe galt —
gestatten darf.
Der Völkerbundsrat hat weiter zu Mitgliedern der Saar—
segerune ernannt den Belgier Lambert, der trot
— ücktrittsdrohung im Saargebiet bleibt und sür
Vorzugstarife für die französische Saarkohle auf den
Saareisenbahnen sorgen wird, und den Tschechen
Dr. Vezensky, dem unter anderm das saarländische
Schulwesen untersteht. Herr Stephens fieht sich also in
einem Fünfmänner-Kollegium drei französfischen bzw.
frankophilen Mitgliedern gegenüber, denen gegenüber er
mit Herrn Koßmann ails saarländisches Mitglied in der
Minderheit bleibt.
Eine sehr wichtige Frage, die zu lösen die erste Auf-
abe des Präfidenten Stephens sein wird, ist die der
rbeitsverteilung innerhalb der Regie—
rungskommissäon.“ Wie bereiis erwähnt, hatte Herr
Stephens bisher die Steuern, Finanzen und Forsien des
Saargebiets zu verwalten. Herr Rault hatte länmtliche