Eine entscheidungsreiche Ratssitzung über Saurfragen.
Ein Veberrumpelungsversuch der Saarregierung.
In der Presse wurde in diesen Tagen die Tagesordnung
für die am 8. März beginnende Ratssitzung des Völker⸗
bundes veröffentlicht. Danach befinden 18 unter den
26 Punkten solgende Saarfragen:
l. Wahl des Präsidenten und der Mitglieder der Regie⸗
rungskommission,
Ausgestaltung der Gendarmerie und Anwesenheit
französischer Truppen,
3. Vorbereitung der Vollsabstimmung.
Berichterstatter für die Saarfragen ist der italienische
Ratsvertreter Scialoja. Die Beschlußfassung des Völ—⸗
kerbundrats besonders über die ersten beiden Punkte haben
diesmal entscheidende Bedeutung. Aus französischer Quelle
erhält man jetzt ebenfalls die Bestätigung, daß eine
Wiederwahldesbisherigen ra rree der
Saarregierung des französischen Scaatsrats, KRa ult, nicht
in Frage kommt. Der bekannte französische Abgeord—
nete Ferry erklärte dieserhalb im Auswärtigen Kammer—⸗
ausschuß, „daß der Verlust der Präsidentschaft in der Saar—⸗
regierung mit Rüchsicht auf die wirtschaftlichen Interessen
Frankreichs im Saargebiet als ein Mißerfolg zu werten sei.“
Briand soll nach einer Mitteilung des „Avenir“ erwidert
haben, „daß jetßt auch für andere Mitglieder der Saar—
regierung die Zeit gekommen sei, den Vorsitz einzunehmen.
Im Versailler Vertrag habe man nicht die Notwendigkeit
eines ständigen französischen Vorfitzenden festgelegt. Er,
Briand, könne daher jetzt nicht darauf bestehen, die Präsi—
dentschaft immer dem französischen Vertreter zu überlassen.“
2.
Diese Erklärung Briands, wenn sie in dieser Form
erfolgt sein soll, würde in mehrfacher Beziehung von Be—
deutung sein. Die Bemerkung, X jetzt auch für andere
Mitglieder der Saarregierung die Zeit gekommen sei, den
Vorsitz einzunehmen, läßt sich leicht dahin auslegen, als ob
man in Frankreich nunmehr keine Bedenken mehr trage, der
Saarregserung die Erfüllung ihrer Aufgaben unter einem
ninitangan cen Vorsitzenden zu überlassen, weil, so kann
man die Worte Briands auffassen, die ununterbrochene sechs—
I französische Präsidentschaft alle Voraussetzungen ge—
chaffen hat, das französische Interesse im Saargebiet sicher—
een Aus den Worten Briands klang trotzdem ein leb—
aftes Bedauern darüber, daß man in Versailles nicht für
die Dauer eine französische Präsidentschaft für die Saar—
regierung festgelegt hat. Festzustellen bleibt aber, daß die
Saarregierung fur ihre auf 15 — berechnete Ver
waltungstätigkeit mehr als ein volles Drittel dieser Zeit
unter französischem Vorsitz stand, so daß, wenn nunmehr ein
regelmäßiger Wechsel unter den Mitgliedern der Saar—
regierung eintreten würde, für die übrigen Mitglieder nur
eine zweijährige Präsidentschaft in Frage kommen könnte.
Obwohl Briand zugeben muß, daß der Versailler Vertrag
nicht die Notwendigkeit eines stäüdigen französischen Vor—
fitzenden vorfieht, findet er trotz der so oft betonten Ver—
tragstreue und trotz Locarno kein Wort der Entschuldigung
dafür, daß Frankreich in der Frage der Saarpräsidentschaft
I on Geiste der Saarstatuütsbestimmungen entsprechend
andelte.
Was die Pachfolgeschaft Raults betrifft, so ist
hierüber eine Entscheidung offenbar noch nicht gefallen. Die
setzten Nachrichten hinterlassen aber den Eindruck, daß ein
Franzose für die Präfidentschast diesmal tatsächlich nicht in
Frage kommt. Miit ziemlicher Bestimmtheit wird, aller
dings aus englischer Quelle, das kanadische Mitglied, Herr
Stephens genannt. Herr Stephens selbst hat auf An—
rage erklärt, „daß er zur Sache nicht im Besitz näherer
nformationen sei und 0 auch nicht weiter zu der voraus
chtlichen Kandidatur für die Präsidentichaft der Regie⸗
rungskommission äußern könne“. Also diplomatische Re—
serve, aber kein Dementi. Im Saargebiet scheint man mit
ziemlicher Sicherheit mit der Ernennung Herrn
Stephens zum Präsidenten der Saarregie—
rung pr rechnen. In England bringt man der Frage auch
arößte Aufmerksamkeit entgegen. Im englischen Unterhaus
wurde Chamberlain in der Angelegenheit interpellier.
worauf dieser in seiner bekannten diplomatischen Undurch
dringlichkeit erklärte: Ich denke, es ist nicht unwahr.
scheinlich, daß irgendwelche Veränderung vorgeschlagen
werden wird, die der britische Vertreter bereit sein würde
zu unterstützen.“ Mit dieser Antwort kann man selbstver—
ständlich nichts anfangen.
Neben Herrn Stephens wird in der saarländischen
Oeffentlichkeit auch Herr Lambert, das belgische Mit—
glied, als Präsidentschaftskandidat genannt, oder richtiger:
er hat sich selbst als solcher bezeichnet. Von gut unter⸗
richteter Saarbrücker Seite erfährt man jedenfalls daß Herr
Lambert außerordentliche Anstrengungen macht, um sich den
Präsidentenposten zu sichern. Er soll erklärt haben, fal1s
ihnder Völrkerbundsrat nicht mit der Präsi—
dentschaft betrauen würde, werde er sein
Amtinder Regierungskommissiondem Rate
zur Verfäügungestellen. Lambert, der der Regie—
rungskommission seit ihrem Bestehen angehört, begründet
seinen Anspruch damit, daß er näch dem Ausscheiden des
Präsidenten Rault das dienstälteste Kommissionsmitglied sei.
Die Drohung Herrn Lamberts mit seinem Rücktritt hat
natürlich im Saargebiet geradezu sensationell gewirkt, man
war erschüttert — vor Lachen! Herr Lambert, der unent⸗
wegte Sekundant des Herrn Rault, denkt offenbar nur an
eine Person, um die Wünsche und Beschwerden der Saar—
gebietsbevölkerung hat er sich jedenfalls nicht gekümmert.
Jedenfalls hat er es nicht verstanden, in der langen Zeit,
auf die er sich beruft, nicht die gerngite Anstrengung ge⸗
nacht, sich das Vertrauen der Bevölkerung zu erwerben.
Zudem haät Herr Lambert überhaupt keinerlei Anspruch dar⸗
auf, etwa noch einmal ernannt zu werden. Nach 8 17 Ab⸗
atz 2 des Sagarstatuts werden die Mitglieder des Regie⸗
rungsausschusses auf ein Jahr ernannt. Ihr Auftrag
kanen erneuert werden“. Der LAuftrag des Hexrn Lanmbert
jst fünfmal erneuert worden, ohne daß er sich in all diesen
b Jahren irgendwie im Sinne seines Völkerbundsauftrages
angestrengt hätte. Er war Herrn Rault stets ein unter⸗
gebenes Mitglied in der Kommission, ohne auch nur einmal
den Versuch zu machen, diesem in seiner Verwelschungspolitik
entgegenzutreten. Im Gegenteil, wo es möglich war, fran⸗—
zösische gegen saardeutsche Interessen auszuspielen, da hat
es Herr Lambert mit Fleiß und Ueberzeugung getan. Die
Frachtvergünstigungen für die Saarkohle, die nach
Frankreich ypß find sein Werk, die Freikarten
aller französischen Besatzungsangehörigen
für die Saarbahnen hat er bis heute aufrecht erhalten und
un dem Millionendefizit der Saarbahnen
tecken neben den genannten Tarifausfällen jene Summen,
die Frankreich bei Truppentransportfen auf den
Saarbahnen schuldig zu bleiben für richtig hielt. Aus alle—
dem ergibt sich, daß die Saargebietsbevölkerung gar keinen
Wert darauf legt, Herrn Lambert als getreuen Vasallen
Frankreichs wiederum als „neutrales“ Regierungsmitglied
aufgehängt zu erhalten.
Daß es im übrigen Zeit ist, die Augen aufzuhalten und
sich keinen übertriebenen Illusionen hinzugeben, ergibt sich
aus einer Genfer Meldung des Sozialdemokratischen Parla—
mentsdienstes, wonach die Saarfragen diesmal gleich zu Be—
zinn der Ratstagung verhandelt werden sollen. Im Saar—
gebiet hat man daraus den Schluß gezogen, daß beabsichtigt
sei, die Saarfragen in Genf zu erledigen, bevor Deutschland
einen Ratssitz einnehmen und an den Entscheidungen teil—
nehmen kann. Zu dieser Befürchtung kommt, wenn man
zewisse Vorgänge beachtet, die mit Punkt 2 der in Genf
zur Verhandlung stehenden Saarfragen in Verbindung
tehen. Dieser Punkt, der sich auf die Gendarmerie
und auf die französische Besatzung bezieht, er—
hält durch einen Bericht des Präsidenten Rault
an den Völkerbund eine geradezu sensationelle Be—
deutung. Der Bericht behandelt die Frage des Aus—
baues der örtlichen Gendarmerie und berührt dabei auch
die französische Saarbesatzung. Obwohl 830 des Saar⸗
statuts irgendwelchen Heeresdienst verbietet und zur Auf—⸗