Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

Halte Rault am 28. Januar 1926 auf die Resolution des 
Rates vom 14. März 1925 den Rückzug der Truppen für 
undurchführbar erklärt, so war Stephens anderer Auffassung, 
die or auch in der eben angezogenen Rote zum Ausdruck 
brachte. Bisher war dies in der Regierung unmöglich ge— 
wesen, daß die Minderheit in der Regierungskommission 
ihre Ruffassung offiziell dem Rate mitteilen koönnte. Der 
intransigeate Standpunkt der frankophilen Mehrkhzeit ist 
um so mehr zu verwundern, als der Vertragstert ganz klar 
und unzweideutig ist. Wenn das Saarstatut ein Vertrag 
ist. dann verpflichtet er beide Kontrahenten und die ein— 
seitige Auslegung eines Vertrages dürfte eigentlich im 
Zeichen der Morgenröte von Locarno, Genf und Thoiry 
nicht mehr möglich sein. Welchen Zweck haben letzten Endes 
die Besprechungen Briand-Stresemann, wenn nicht in erster 
Linie rechtswidrige Zustände beseitigt werden? Es könnte 
ja sonst noch der Eindruck erweckt werden, als ob auf Grund 
der deutsch-efranzösischen Besprechungen die Räumung der 
Saar ein besonderes Wohlwollen Frankreichs wäre. Hie 
Saar hat einen Rechtsanspruch auf die Räumung. Sie will 
dieses Recht. 
Wie verlautet, soll die Besprechung der Truppenfrage 
an der Saar diplomatischen Verhandlungen vorbehalten 
bleiben, angeblich, um die Genfser Verhandlungen, die durch 
— — 
nicht noch mehr zu gefährden. Es muß aber mit aller Ent— 
schiedenheit betont werden, daß Deutschland einen Rechts— 
anspruch auf die Räumung des Saargebietes hat. Die 
Durchführung dieses Anspruches erkaufen, hieße den Zweck 
eines Vertrages zu verkennen, der in der restlosen Erfüllung 
der eingegangenen Verpflichtungen nach dem Grundsatz von 
Treu und Glauben liegt. Thoiry kann seine ersten Aus 
wirkungen an der Saar praktisch betätigen. Sonst ist un 
bleibt dieser Naine eben nichts anderes als der Name eine 
stillen Juraörtcheus. 
Der Berichterstatter der „Kölner Zeitung“ in Genf berich« 
seinem Blatte, daß für die nüchste Taßung des Völkerbundsrate 
die am 6. Dezember in Genf zusammentritt, die Dinge in d 
Frage der französischen Besatzungstruppen z 
unbestimmt liegen. Sie sei im September wieder vertag 
worden, offenbar in der Erwartung. daß die Verhandlungen ir 
Thoiry bald eine unmittelbare deutsch-französische Kegelung ode 
wenigstens Verständigung zur Folge haben würden. Man nehm— 
in Genf an, daß eine neue Vertagung in Aussicht ge 
nommen sei, obgleich ein solches Verfahren nicht unbedenklid 
wäre und eine Lage schaffen würde, die sich nicht verewigen lasse 
Der Völkerbundsrat müsse in der Tat unabhängig von ander 
weitigen Verhandlungen seine vertraglichen Aufaaben im Saa 
gebiet durchführen. 
Die in dem letzten Satze ausgesprochene Ansicht entsprich 
auch der allgemeinen Meinung an der Saar. Es geht in der Ta 
nicht an, daß die Entscheidung des Rates in dieser Frage vor 
einer Sitzung in die andere verschleppt wird. Daß die franzö 
sischen Truppen im Saargebiet entgegen dem klaren Wortlau 
des Vertrages anwesend sind, hat der Rat seinerzeit selber zuge 
standen. Also müssen sie fort, alsbald fort, wenn der Gerechtig 
keit Genüge getan sein soll. Darüber hinaus aber erwirbt sich 
der Rat durch die Herstellung der Rechtslage vielleicht auch nod 
ein Verdienst um ein rascheres Fortschreilen der Thoiry-Ver 
handlungen. in dem er einen Stein des Anstotzes aus dem Weg 
räumt. 
Auf dem Wege zur Lösung der Saarfrage. 
Dr. Krause-Wich mann. 
Seit Locatno ist die Diskussion über die Lösung der Saar— 
ftage nicht mehr zur Ruhe gekommen. Was damals in der fran— 
zösischen Presse nur schüchtern hin und wieder angedeutet wurde, 
daß nämlich Frankreich die vorzeitige Liquidierung der Saar⸗ 
frage bereits in den Kreis seiner Etwägungen gezogen habe, das 
hat durch die Besprechungen von Thoiry feste Gestalt an— 
genommen. Die beiden Außenminister sind sich darüber einig 
geworden, daß die Saarfrage im engsten Jusammenhang mit der 
Frage der endgültigen Rheinlandräumung gelöst werden soll 
Diese Einstellung zu dem Ptoblem enispricht guch pollkommen 
den Wünschen der Saarbevölkerung. 
Zwar ist die Behandlung der Saarfrage angesichts dieser 
engen Verknüpfung infolge der derzeitigen Stiokung der Thoiry 
Verhandlungen ebenfalls auf einem toten Puntt angelangt. Man 
darf jedoch die aufgetretenen Schwierigkeiten nicht überschützen 
Der entscheidende Fortschritt seit Locarno, det beiderseitige Wille, 
zu einer Verständigung zu gelangen, bleibt bestehen. (Daß es 
sich bei dieser grundsätzlich veründerten Einstellung Frankreichs zu 
dem ganzen Fragenkomplet letzten Endes um die Auswirkungen 
der Kräfteverschiebungen handelt, die seit Versailles innerhalb 
der Weltpolitik zugunsten Deutichlands eingetreten sind. sei die 
nut angedeutet.) 
Diese Einstellung zu dem Problem spiegelt sich deutlich in der 
französischen Presse wieder. Dort ist die Frage nach der Berechli⸗ 
gung der vorzeitigen Liquidierung der Saaraffäre durchweg 
ohne Widerspruch — von den berufsmäßigen Hetzblättern ab⸗ 
gesehen — bereits der Frage nach den Modalitäten dieser Lösung 
gewichen. Dieser Stimmungsumschwung der äffentlichen Mei— 
nung in Frankreich — das darf nebenber gesagt werden — ist 
außerordentlich bemerkenswert; er zeigt, daß Briand den noi⸗ 
wendigen Kontakt mit der öffentlichen Meinung seines Landes 
gefunden hat, dessen Herstellung in Locarno als Voraussetzung 
für die wirksame Reuorientierung dert französisch-deutschen Re— 
ziehungen von beiden Seiten anerkangat wurde. 
Wie aus der Rheinlaudfrage, will Frankreich auch aus der 
Saarräumung ein gutes Geschäft machen. Um einen möglichf! 
hohen Verlaufspreis der Gruben zu rechtfertigen (die von 
Deutschland laut Versailler Vertrag betanntlich zuruüggekauft 
werden müssen), werden allerhand unsinnige Zahlen äber die 
enorme Rentabilität der Saargruben veirbreitet. Die Handels— 
kammer Nancy erklärt in einer tendenziösen Entschließung. dar 
der Wert der Gruben, die „beachtliche Miltel“ für das Budge 
zur Verfügung stellten, von Jahr zu Jahr wachse 19). In eine— 
soeben erschienenen Broschüre ,‚Die finanzielle Organisation de' 
Saargruben“ behauptet der französische Grubeningenieun 
Dr. Roy, Frankreich könne in Zukunft jährlich 150 Miliioner 
Foldmark (1) Gewinn aus den Gruben herausziehen. Dem sieh 
die Behauptung der „Revne de Paris“ gegenüber, daßß Frank 
reich in den letzten sieben Jahren bei einer Investierung vor 
77 Millionen Goldmark nur einen Gewinn von 103 Millionen 
Papierfranken von den Gruben erzielt habe. Tatsache ist, das 
Frankreich infolge seines Raubbaues und der günstigen Lag 
des Weltkohlenmarktes von 1920 bis 1923 — wie aus der amtl— 
lichen französischen Statistik hervorgeßt — 100 Millionen Gold 
matk Gewinn (Frankenverkaufspreis bei Junflationsgestehungs 
kasten!) aus den Gruben herauszog. Diese Rentabilität ist aber! 
in den kolgenden Jahren so sehr zurückgegangen, daß es zweifel 
haft erscheint, ob heute überhaupt noch von einer solchen ge— 
prochen werden kann. Auf jeden Fall stellt der Abbruch des eng 
lischen Bergarbeiterstreilks im Zusammenhang mit der Stabili— 
sierung des französischen Franken selbst eine geringe Mentabilitöt 
für die Zukunft sehr stark in Frage. 
Slätker als diese Forderungen nach einem hohen Verkaufs— 
preis der Gruben ertönt der Ruf nach Sicherung des franzöfischen 
Absatzmorktes im Saargebiet. (In unterrtichteten Kreisen des 
Saaurgebiets schätzt man den Wert der Gruben auf 256 bis 
höchstens 300 Millionen Mark. Der gut unterrichtete diplo— 
matische Korrespondent des „Daily Telegraph“ beziffert ihlten 
Preis auf 12 Rillionen Pfund — 246 Millionen Mark.) Die 
Metzer Handelskammer forderte kürzlich als Zugeständnis fül 
die vorzeitige Rückkehr des Saargebietes zu Deutschland-„au 
alle Fälle“ die Aufrechterhaltung der Zollunion mil Frankreidh 
bis 1835. Das Metzer „Freie Journal“ bezeichnet das Saar— 
zebiet als den nach Algerien größten franzöfischen Kunden, dessen 
Zolleinbeziehung am 10. Januar 1925 weite Wirischaftskreift 
Elsaß⸗Lothringens angesichts des Verlustes des luxemburgischen 
Marttes vor dem voilständigen Zusammenbtuch bewahrt habe 
In der Tat ist das Saargebiet zu einem seht bedeutenden Ab— 
nehmer französischer Erzeugnisse geworden. Seine Aufnahme 
ftanzösischetr Güter hat sich von 385 Millionen Franken im Jabr—
	        
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