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Nach der lustigen Maskerade über Attentate,
zeheime Verbindungen und Waffenlager, die
wohl dem Völkerbunde in Genf ein Grausen erregen
sollten, folgte der Kern der ungeheuerlichen Rotverordnung, der
Pfeil, der die Presse tödlich treffen sollte. vier
nur eine kleine Blütenlese aus den Bestimmungen:
„Mit Gefängnis bis zu fünf Jahren, neben denen auch auf
Geldstrafen bis zu 10 000 Franken erkannt werden kann, wird
bestraft, wer öffentlich oder in einer Versamm—
lung den Friedensvertrag von Versailles ver—
ächtlich macht, ferner wer den Völkerbund,
dessen Mitglieder oder die Signatarmächte des
Friedensvertrages von Versailles, die Regie—
rung des Saargebietes, ihre Mitglieder oder
die von ihr getroffenen Einrichtungen oder die
Beamten, welche beauftragt sind, diese Ein—
richtungen durchzuführen oder in Gang zu brin—
gen, beschimpft oder verleumdet; wer in einer den
offentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Teile der
Berölkerung des Saargebietes, welche auch deren Staats⸗
angehörigkeit sei Kault verlieh den einwandernden Franzosen
mit der wunderlichen Bezeichuung „Saareinwohner“ die
Rechte der einheimischen Deutschen) durch Drohungen, Be⸗
schimpfungen oder Verächtlichmachung eines Teiles gegen⸗
einander öffentlich ufreizt; wer öffentlich oder wer in einer
Versammlung die Farben der Regierungs-Kom—⸗
mission beschimpft.“ (Der Präsident hatte dem, deutscher
Oberhoheit noch immer unterstehenden Saargebiet ein besonderes
Wappen und sogar eine besondere blauweißschwarze
Fahne verliehen, worüber sich alle lustig machten.)
Dieser Auszug mag genügen, hinzuzufügen ist noch, daß
neben dem Delinquenten auch die Drudschrift leiden
sollte, sie kann auf vier Wochen bis zu sechs Monaten verboten
werden. Unterlassen darf auch nicht der Hinweis werden, nach
dem der Angeklagte nicht etwa vor einem ordentlichen Richter zu
erscheinen hat, der Präsident bestimmte vielmehr, daß ein Straf—⸗
denat bei dem Obersten Gerichtshof in Saarlouis
geebildet und mit der Verfolgung von Vergehen gegen die Not⸗
verordnung zu betreuen sei. Dieser sogenannte Oberste Ge—
richtshof, an dessen Spitze der durch seinen Deutschenhaß
bekannte Westschweizer Professor Nippold steht, seizt sich
neben einigen deutschen Richtern vornehmlich aus Luxem-—
burgern, Belgiern und Tichechoslowaken zu⸗
sammen.
Die Saarpresse setzte sich gegen das neue Attentat
kräftig zur Wehr und unterzog es einer geradezu vernichtenden
Kritik. Es regnete Verbote, so wurden die SFaarbrücker
Zeitung“, die Saarbrücker Landeszeitung“ auf
24 Stunden verboten wegen Wiedergabe eines völlig objeltiven,
wahrheitsgemäßen Berichtes über Roheiten der Franzosen im
Ruhrtevier. Welche Stimmung über diese Unterdrückung der
Presjse in der Berölkerung herrschte, mag daraus erhellen, daß
der Stadtrat von Saarbrücken zum Zeichen des Pro—
lestes gegen diese ungerechtfertigte Maßregelung seine Sitzung
aufhob. Der erste Fall möge mil wenigen Worten gestreift sein.
Er bleibt bezeichnend für die Absicht Raults
ud der Franzosen. Das Verbot hat folgenden Wort⸗
aut:
„Durch Verfügung vom 28. März des Mitgliedes der
Regierungs⸗Kommission für die Angelegenheiten des Innern
ist auf Grund des Artikels 15 der Notverordnung vom 7. März
1823 zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im
Saargebiet die „Saarbrücker Zeitung“ auf die Dauer von
24 Stunden verboten worden.
Das Verbot beginnt am 23. März 1923, 6 Uhr abends.
Grund: Die Nummer 31 der „Saarbrücker Zeitung“ vom
23. März 1823 enthält unter der Ueberschrift: „Die Franzosen—
herrschaft“ einen Artikel, welcher den Tatbestand des Artiteis In
der vorbezeichneten Notverordnung erfüllt.
Gemäß Artikel 16 der genannten Verordnung steht Ihnen
der Beschwerdeweg beim Oberverwaltungsgericht des Saar—
gebietes innerhalb einer Frist von 2 Wochen vom Tage der
Zustellung vorstehender Verfügung offen.
Der Direktor der Obersten Polizeiverwaltung.
gez. Adler.“
Das Blatt schlug den Beschwerdeweg ein, abet ersi
nach langer Zeit und vielem Drängen kam es zu einem Urteil
das den tatsächlichen Inhalt des inkriminierten Artikels durch
aus nicht bestritt, das Recht zum Verbot aber herleitete aus der
deutschen Haltuna des Blattes, aus dem wohl auf eine beleldi—
zende Absicht der Ehre Frankreichs zu schlleßen sel. Die Sana r⸗
brücker Zeitung“ bemerkte dazu: „Der tatsächliche Inhalt
der Meldung ist nicht angezweifelt, eine Kritik der Nachricht ist
nicht erfolgt. Wenn in der Sache selbst etwas die Ehre Frank⸗
reichs Verletzendes liegt, so haben nicht die Zeitungen, sondern
die französischen Soldaten diese Ehre verletzt. Es wird also der
Saarpresse unmöglich gemacht. reine Tatiachenmeldunqgen zu ver—
yffentlichen.“
Die Verbote gingen weiter. Eine Anzahl Blätter
aus dem Reiche litten auch darunter. Von saarländischen
Organen wurde wieder die „SSaarbrücker Zeitung“ am
5. April auf eine Woche verboten wegen Veröffentlichung der
Schilderung eines Amerikaners über die Ruhrbesetzung. Ferner
die „SSulzbacher Volkszeitung“ auf zwei Wochen. Die
Volksstim me“, die „Reunkirchner Zeitung', die
„SSaarzettung“, die „Reunkirchner Volkszeitug“
und die „Saar⸗ und Blieszeitung'“ erfuhren das gleiche
Schicksal. Daneben gingen auch andere Maßnahmen, so wurde
ein Redakteur der „Volksstimme“, dem man grundlos das Recht
eines Saareinwohners“ stets versagte, ohne Urteil und Recht
zusgewiesen. Er telite das Schicksal zweier Kollegen des—⸗
elben Blattes. die schon im September 1922 ohne jedes Rechts⸗
arteil innerhalb weniger Stunden das Saargebiet perlassen
nußten, eine Maßnahme, gegen die alle Blätter, Parteien und
Lürgerschaft protestierte. Zu bemerken bieibt, daß bis Ende
September 1924 Schulter an Schulter mit den Blättern der
indeten Parteien die „Volksstimme“ gegen das Unrecht der
Fremden kämpfte. Von dem erwähnten Zeitpunkt wich sie von
dieser Linie. Es genügt hier, dafür anzuführen, daß sie selbst
die Jahrtausendfeier, das feierlichste Bekenntnis des Saartals
zum deutschen Volksstamm. als nationalistischen Rummel“ be—
eichnete.
Nach eintägigem Erscheinen (13. April 1923) wurde die
„Saarbrücker Zeitung“ wieder auf 14 Tage verboten
wegen Veröffentlichung eines kurzen Auszuges aus einem Aufruf
der „Kommunistischen Internationale“ gegen die Ruhrakttion des
ranzösischen und belgischen Militärs. Am Samstag, den 28. April
1923, erschien das Blatt wieder, betonte aber sofort in einem Leit⸗
artikel, es werde sich durch keinen Zwang der Notverordnung das
Recht der Kritik, das Recht zur Wahrung unseres vaterländischen
5tandpunktes und das Recht zur Verteidigung der Saarländi⸗
schen Interessen nehmen lassen. „Den Geist der saarländischen
Bevölkerung, der in unserem Blatte ein Echo findet, kann auch
diese Verordnung nicht unterdrücken.“ Inzwischen hatte sich der
Berbandder Saarpresse am 29. März 1923, wie wieder⸗
holt vorher, in einer ausführlichen EUlngabe an den Vöolker⸗
zund in Genf um Schutz gegen die Nortverord⸗
pAung gewandt, deren dehnbare Klauseln eine Sicherung
inngemäßer Handhabung nicht böten. Jede sachliche Kritik der
Zeitereignisse könnte nach der Verordnung als eine Beschimpfung
»der Verleumdung der Ententestaaten ausgelegt werden. Die
Regierungs⸗Kommission und ihre Beamten entzögen sich jeder
nmerechtigten Kritik, indem sie selbst die Grenzen der Kritik nach
eigenem Gutdünken zu bestimmen in der Lage wäre. Die Hand⸗
habung der Verordnung beweilse ihre pressefeindliche Tendenz.
„Wir erklären“, so heißt es dann, „daß wir nicht dangach streben.
die Presse der Verantwortung für begangene Delikte zu ent—⸗
ziehen, betonen aber ausdrücklich, daß die bestehenden Straf—⸗
bestimmungen einen ausrelichende Schutz dagegen gwähren.“
Inzwischen war die Regierungs-Kommissson
wegen der Vertretung ihrer Rotverordnung vor dem
Völkerbund voller Sorge. Die englische Presse und auch
das Parlament hatten den Stab darüber gebrochen
Asquith fagte bei der Saardebatte im Unterhause am 10. Ma
1923 über die NRotverordnung:
„Man kann die Analen des Despotismus in den
schlimmsten Tagen der russischen Geschichte durchsuchen,
ohne ein solch ungeheuerliches Beispiel despotischer Gesetzgebung
zu finden. Die Notverordnung ist weder moralisfch
noch legal gerechtfertigt. Ein unbedachtsames Wort
genügt, um ins Gefängnis geworfen zu werden. Mir selbst sind
jür das, was ich hier über die Verordnung spreche, fünf Jahre
sicher“ Simons: „Der Erlaß ist ein äußerst erstaunlicher
Mißbrauchlegislativer Autorität.“ Lord Roberl!
Tecil und Fisher sind in ihrer Kritik nicht minder scharf.
Von den englischen Blättern sagte selbst die „TDim es“ in einem
Leitartkkel vonn 19. Mai: „Die Regterungs-Kom⸗—
mission des Saarzebites verdient an Haupt
und Gliedern reformiert zu werden,“ ... der Pru⸗
sident hat Maßnahmen durchgesetzt, die man schlechterdings als
Kriegsmaßnahmen bezeichnen kann.“