Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

Jene Kreise aber in Frankreich, die sich über die Ge— 
— — 
Wahrheit über Friegaur und Kriegsgiele Frankreichs 
kennen, und daher die einzige Möglichkeit, der darin 
tiegenden Gejahr zu entziehen, versuchen aus diesem Grunde, 
u Deutschland in ein anderes Verhältnis zu kommen. Wir 
8 * in Frankreich einkehrende Einsicht zum ersten 
Mal sich äußern in Locarno, in noch stärkerem Maße in 
Genf und schließlich in abgeschlossener Vertraulichkeit in 
Thoiry. Es ist zweifellos erst eine Idee, die eine 
greifbaͤre Gestalt. vor allem ein greifbares Ergebnis noch 
nicht angenommen hat, eine Idee aber, die als deutsch— 
französische Verständigung in den verschiedenen 
Abarten in den letzten Wochen hüben und drüben erörtert 
worden ist. 
Was in Thoiry zwischen Briand und Stresemann be— 
sprochen worden läuft, wie es damals in dem gemein— 
samen amtlichen Communique hieß, darauf hinaus, „alle 
die beiden Länder interessierenden Fragen einer Gesamt⸗ 
lösung entgegenzuführen.“ Man wollte die zwischen 
erird und Frankreich stehenden Streitfragen einer 
beide Teile befriedigenden Lösung entgegenführen. um damit 
den Weg zu einer deutsch-französischen Verständigung frei zu 
machen. Die Hauptschwierigkeiten bieten die Besetzung 
deutschen Bodens durch fremde Armeen, die Aufrecht⸗ 
exhaltung der Abtrennung des Saargebiets, die 
Beibehaltung der interalliierten Militärkontrollfkommission 
in Deutschland. 
In allen drei Fällen handelt es sich um Maßnahmen 
lener französischen Politik, die den Krieg vorbereitet, die die 
Bestimmungen des Versailler Friedens diktierte, die also das 
vor dem Kriege aufgestellte Kriegsziel restlos durchführen 
will. Eine deutsch-franzöfische Verständigung im Gesichts- 
winkel der Thoiry-Verhandlungen jsetzt also die Aufgabe des 
französischen Kriegsziels, die Zerttümmerung und Ver— 
stlavung Deutschlands voraus. Man konnte nicht verlangen, 
daß man in Frankreich sich plötzlich von der nunmehr fasi 
zwei Jahrzehnte verfolgien franzöfischen Kriegspolitik ab— 
wandte und für eine Friedenspolitik eintrat, die nicht nur 
auf die Ausräumung des Hasses ehcen den beiden 
Völkern ausgeht, sondern die Grundlage für einen dauern— 
den Frieden in Europa schaffen will. Eine solche Politit 
ist in Frankreich um so weniger in kurzer Zeit durchzu— 
führen, als die französische Jugend Jahrzehntelang im Haß 
gegen Deutschland erzogen worden ist, und auch die heufige 
F ogens dieser Hakbropaganda noch immer unterworfen 
ei 
Wenn man weiter berücksichtigt, daß die französischen 
Militärs glauben, mit der Niederwerfung Deuischlands im 
Jahre 1918 strategisch die Linie erreicht zu haben, die seit 
Jahrhunderten als das Ziel des französischen Imperialismus 
galt, dann wird man verstehen, wie schwer es ist, diese selben 
Militärs zu veranlassen, ihre angeblich überragende strate- 
gische Stellung am Rheine aufzugeben. 
Und noch ein drittes, was ebenfalls angedeutet wurde: 
„Der Boche zahlt alles“ ist eine Parole geworden, die zu— 
nächst nicht so sehr außenpolitische als innenpolitische Be— 
deutung für Frankreich hat. Man hat das französische Voll 
nach der Niederlegung der deutschen Waffen im Jahte 1018 
dadurch zur Ausnutzung des angeblich errungenen Waffen— 
sieges aufgerufen, indem man ihm glauben machte, daß ein 
hegreiches Volt ein reiches Volf sein müßlte 
Unter dieser Massenpsychose hat Poincaré seine Gewali— 
politik gegen Deutschland betrieben — um mit gewaltsam 
eingezogenen Kriegskontributionen finanzielle Erleichte— 
rungen für Frankreich zu beschaffen — hat er innerpolitisch 
eine Blüte der französischen Wirtschaft vorgetäuscht, die 
eines Tages der kahlen, grauen Wirklichkeit weichen müßte. 
In der Ueberzeugung, daß die Geldgeber für den fran⸗ 
zösischen Kriegsapparat nach errungenem Siege die fran⸗ 
zösischen Schulden streichen würden, hat man in Frankreich 
alles aufgeboten, um das Recht und die Wahrheit durch die 
Macht des Geldes und die Gewalt des Materials zu über— 
winden. Deutschland sollte alles begahlen. In Versailles 
soll man angeblich ernsthaft daeran gedacht haben, Deuisch 
land eine Kriegsschuld von 220 Milliarden aufzuerlegen. 
Es ist bekannt, daßz um diese Kriegsschutdforderungen der 
Entente, vor allem Frankreichs, jahrelang ein erbitterte 
Kampf gejührt worden ist, bis sich schließlich die internatit 
nale Finanzwelt gegen die phantastischen und Hyjsterische— 
Reparationsforderungen Frankreichs durch Nufstellung de 
sogenannten Dawesplanes wandte. Damit wurde 
diese krankhaften Reparationsforderungen zunächst einme 
auf ein enger gefaßtes Maß und auf eine gewisse Regelun 
zurückgeführt. 
Ob damit die Reparationsfrage endgültig eine Lösu 
gefunden hat, erscheint um so fraglicher, als serbst in de 
Kreisen der et des Dawes-Planes immer mel 
Zweifel entstehen, ob Deutschland in der Lage sein wir 
diese Dawes-Verpflichtungen zu erfüllen, und ob die dadur 
sestgelegten deutschen Reparationssachleistungen sich nig 
immer mehr zu einer drückenden Konkurrenz für die dam 
belieferten Laͤnder auswachsen. 
So zeigte sich die Lage, als Stresemann und Brian 
sich in Thoiry zusammenfanden. um das Wtch sraungösi 
Problem zu erörtern. Wäre in beiden Ländern die Ef 
kenntnis von der Schicksalverbundenheit beider Völker scho 
so weit vorgeschritten, daß man unter Vergangenes eine 
Schlußstrich ziehen könnte, um auf völlig neuer Basis de 
Gedanken einer deutsch-französischen Verständigung zu e 
örtern, dann wäre es nicht allzuschwer, das Problem; 
lösen. Dem ist nicht so. Deutschland erblickt 
der Aufrechterhaltung der Besatzung a 
Rheinnichtnureine Verneinungdes Recht‘ 
begriffs und der Vertragstreüe, sonder 
arsch eine Quelle andauernder Reibungs 
flächen zwischen den Völkern beider Ländet 
Jane wie Germersheim, Neustadt, Kaiserslautern, Triet 
Koblenz usw. sind nur kleine Ausschnitte aus dem Gebie 
der Nadelstich-⸗ und Verärgerungspolitik, wo sie heute not 
immer am Rhein erfaßt wird. Die Militärkontrollen 
Deutschland ist ein Kapitel für sich, das schon an eine 
öffentlichen Stkandal grenzt. 
Was die Sqarfrage angeht, so stellt sie einen jene 
Punbkte der nachkrieglichen internationalen Politik dar, di 
den BegriffvonRecht und Gerechtigkeit vol' 
kommenhatverlorengehenlassen. Obwohl de 
Saargebiet direkt dem Völkerbund untersteht, ist der Be 
völkerung bis zum heutigen Tage noch nicht eines der ihn 
zugestandenen und garantierten Rechte geworden. Es mu 
sich noch immer dagegen wehren, daß es hinsichtlich seine 
Selbstbestimmung den Kolonialvölkern nachgeordnet ist, da 
es in einer Weise der französischen Aussaugungspolit 
— wird, wie es schlimmer kaum gedaächt werde 
ann. 
Mit seiner Aufnahme in den Völkerbund ist Deutsd 
land in die Reihe gleichberechtigter Großstaaten eingetretet 
Von dieser Tatsache ausgehend, könnie Deutschland sie 
natürlich auf den Standpunkt stellen, daß ihm auf Grum' 
dieses Rechts der Anspruch zusteht, eine Behandlung zu er 
fahren, die dem Recht der Gieichberechtigung und den 
Rechtsempfinden entspricht. Deutschland hat einen An 
rug darauf, daß die Militärkontrolle verschwindet, da 
ie besetzten Gebiete sofort geräumt und daß in der Saar 
frage in eine Nachprüfung der bestehenden Bestimmunge 
eingetreten wird. Die machtpolitischen Verhältnisse 
Europa lassen es aber zunächst ausgeschlossen erscheinen, da 
diesen Rechtsbegriffen gemäh in absehbarer Zeit verfähre 
wird. Deutschland muß daher versuchen, auf dem Verhand 
lungswege so wiel wie möalich von seinen Rechten azu e 
langen. 
In Genf hat unter Betonung dieses Gefichtspunkte 
Dr. Stresemann das Prinzip vertreten, daß zur Herbeifül 
rung einer Verständigung zwischen Deutschland und Franl 
reich beide sich zu Opfern bereitfinden müssen. Man ha 
daher in Thoiry den Grundsatz aufgestellt, daßz eine vor 
geitige Räumung des Rheinlandes und des Saargebieie 
von Deutschland durch ein finanzielles Opfer zugunsten de 
französischen Frankenstabilisierung erkauft werden sollte 
Die Prüfung dieses Gedankens durch die beiderseitigen Sach 
verständigen hat argeben, daß eine Regelung sich nich 
durch Frankreich und Deutschland allein herbeiführen läht 
weil dabei wellpolisische Probleme berußri würden. N
	        
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